Pegida und Verschwörungen

zu Christian Rickens, Der Elefant im Raum, Berliner Republik 2/2015

Wer Christian Rickens’ Artikel über Verschwörungstheorien liest, muss unweigerlich an Pegida denken: Die Anhänger der Bewegung teilen in sozialen Netzwerken nicht nur Seiten rechter Parteien, sondern auch die des Verschwörungstheoretikers Ken Jebsen. Manche haben ein regelrechtes Verschwörungs-Tourette: Wird die eigene Meinung bestätigt, hat sich die „Wahrheit“ und „des Volkes Meinung“ durchgesetzt. Passiert hingegen etwas, das die eigene Meinung nicht bestätigt, haben die „wahren“ Mächtigen eingegriffen. Die Medien lügen und werden gesteuert; alle Politiker bereichern sich und sind korrupt. Es überrascht nicht, dass die vormalige Pegida-Front-Frau Kathrin Oertel nach ihrem Rückzug von der einen verschwörungstheoretischen Gruppe zur nächsten wechselte – und nun Pegida vorwarf, von den Vereinigten Staaten gesteuert zu sein, um amerikanische Kriege in islamischen Staaten zu rechtfertigen. Nicht Angela Merkel und der Bundestag träfen Entscheidungen, „sondern Brüssel und Amerika, gelenkt von den reichsten Menschen unseres Erdballs“. Der tatsächliche Grund für „Krieg und Vertreibung“ seien „Zionisten und ihr Finanzsystem“. Nach dem Absturz des Germanwings-Flugzeugs witterte Oertel ebenfalls eine Verschwörung – genau wie Pegida-Stichwortgeber und Verschwörungsbuchbestsellerautor Udo Ulfkotte.

Mit Pegida ist Christian Rickens’ Prophezeiung bereits eingetroffen: Mittlerweile sind verschwörungstheoretische Denkweisen bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. In den Hochzeiten von Pegida beklatschten in Dresden mehr als 22 000 Demonstranten Lutz Bachmanns Reden. Dabei handelt es sich um ein durchaus heterogenes Publikum, wie einige, jedoch nur eingeschränkt repräsentative Umfragen ermittelten. Bei den Dresdner Oberbürgermeister-Wahlen am 7. Juni wählten 21 000 Bürger die Pegida-Kandidatin Tatjana Festerling. Nach einer Satire der taz über eine angebliche „Antifa AG“ Aktiengesellschaft“ (sic!), die linke Gegendemonstranten finanziere und nach Dresden karre, glaubten nicht nur die Pegidisten an deren Existenz, sondern auch der Pressestab der CSU und die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach.

Aber Rickens täuscht sich, wenn er meint, Verschwörungstheorien würden zur Passivität verleiten. Die Pegida-Anhänger schimpfen über „die da oben“ nun schon seit über einem halben Jahr in Dresden, auf offener Straße. Sie skandieren „Merkel muss weg“ und „Wir sind das Volk“. Ihr erklärtes Ziel ist es, mit ihrer Bewegung mittelfristig in die Landtage einzuziehen. Das Brandgefährliche ist nicht das Einsickern verschwörungstheoretischer Denkweisen in den Mainstream, sondern dass in Dresden viele „normale Bürger“, die extrem politikverdrossen sind, zusammen mit Rechtsradikalen auf die Straße gehen – angeführt von Populisten, die Verschwörungstheorien aktiv nutzen.

Denn Pegidisten glauben nicht nur an Verschwörungstheorien, sie nutzen diese zugleich als taktisches Kampfmittel in den sozialen Medien und zur Mobilisierung der Massen. Erstens werden Verschwörungstheorien zur Delegitimierung des politischen Gegners verwendet. Ein Beispiel ist das Gerücht, der „Staat“ bezahle Gegendemonstranten mit 10 oder 25 Euro pro Stunde. Die CDU-geführte Staatskanzlei hatte per Zeitungsanzeige Promoter für das Verteilen von Luftballons auf einer Pro-Toleranz-Demonstration gesucht – schnell verbreiteten bekannte rechtspopulistische Propagandakanäle wie pi-news oder Blaue Narzisse, alle Gegendemonstranten seien gekauft. Frauke Petry von der AfD sprang auf: Sie wolle nachforschen, ob die Staatskanzlei Gegendemonstranten zu Standorten gefahren habe, um dort Luftballons aufsteigen zu lassen.

Zweitens dienen die Verschwörungstheorien zur Delegitimierung von Kritik. Wenn bei Pegida rassistische Sprechchöre aufflammten, waren dies laut Pegida-Rednern immer „diverse Kräfte eingeschleuster Störenfriede …, deren einziges Bestreben es sein wird, uns in ein schlechtes Licht zu rücken“. Wochen vor der OB-Wahl wurde der Verdacht des Wahlbetrugs geäußert und nach Wahlbeobachtern gesucht, „damit nichts schiefgeht“. Wie pathologisch Verschwörungstheorien zur Anwendung kommen, zeigt die Reaktion von Lutz Bachmann auf einen Pegida-kritischen Artikel der rechtskonservativen Jungen Freiheit, die ihm ideologisch eigentlich nahesteht. Bachmann erklärte die Kritik kurzerhand zu einem „Lügenartikel“: „Alles sehr dubios was da abläuft im Hause Junge Freiheit. Ob es da einen Scheck gab?“

Drittens richtet sich die verschwörungstheoretische Hetze gegen die demokratischen Institutionen und ihre Vertreter. Gegendemonstranten seien wie Journalisten von den Mächtigen gekauft („Lügenpresse“), trug der ehemalige FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte den Demonstranten in Dresden unter Jubel vor. In einem typischen Pegida-Kommentar auf Facebook hieß es: „Es sollte doch jeder wissen, dass bei Wahlen manipuliert wird. Überall wird betrogen. Wie käme sonst immer wieder die gleiche Ausbeutertruppe an die Macht.“

Diese Art der Verschwörungstheorie zielt auf das Herz der Demokratie. Hier agiert Pegida als klassisch-rechtspopulistische Bewegung. Man konstruiert einen Gegensatz zwischen „Volk“ und „Eliten“. Das Volk, so der Populist, wird bedroht, und zwar von denen „da oben“ (Politiker, Banken, Eliten), denen „da unten“ (Flüchtlingen, Sozialschmarotzern, Muslimen) oder von „außen“ (Griechen, Rumänen, Brüssel, Muslime). Die Apokalypse steht dabei bereits morgen bevor, nur und ausschließlich der Populist vertritt „die Wahrheit“ und „den gesunden Menschenverstand“.

Wie Rickens schreibt, ist die Affinität zu Verschwörungstheorien in breiteren Schichten nicht zufällig entstanden. Es gibt Gründe für das Misstrauen. Viele Bürger haben in den vergangenen Jahren den Eindruck bekommen, dass Einzelinteressen und Lobbyismus regieren und nicht mehr die demokratisch legitimierte Politik. Oder noch schlimmer: dass Wirtschaft, Lobbyisten und Politik hinter den Kulissen um politische Inhalte und Einflussnahme klüngeln. Die Bürger halten Politiker zwar schon lange ungerechterweise für korrupter, als sie wirklich sind, doch unter der letzten schwarz-gelben Bundesregierung erhielten sie genug Argumentationsmaterial, um ihre Vorurteile zu bestätigen. Als Schlagworte genannt seien die „Mövenpicksteuer“, die Geburtstagsfeier von Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann im Kanzleramt oder die Geheimverträge mit der Atom-Lobby.

Hinzu kommt ein Teufelskreis politischer Unbildung auch bei formal gut gebildeten Bürgern: Die Warnung vor Wahlbetrug etwa hatte bei einem nicht unerheblichen Teil der Pegida-Anhänger eine Paranoia zur Folge, und Wahlbeobachter überschwemmten die Wahllokale. Eine Tina berichtete, man habe ihr gesagt, sie solle den Wahlbenachrichtigungszettel aufheben, sollte es zu einer Stichwahl kommen. „Hää? Das hat in all den Jahren noch nie einer gesagt. Wahlbetrug?“ Ein Andreas vermutete Wahlbetrug, weil nach einem kurzzeitigen Serverausfall aufgrund hoher Zugriffszahlen auf die Homepage der Stadt Dresden die Stimmenzahl von Pegida zurückgegangen sei. Eine Kathrin antwortete, „die arbeiten mit allen Mitteln“. Ein Maik sprach von Wahlbetrug, weil das Ergebnis der OB-Wahlen angeblich nicht mit der Online-Abstimmung der Bild-Zeitung übereinstimmte. Man könnte lachen. Doch Vorsicht: „Skepsis fragt, Pseudoskepsis ruft aus. Die Schaumkrone der Pseudoskepsis bildet eben die Verschwörungstheorie, die die Beweislast mithilfe des Zweifels schlicht umdreht: Zweifel an A werden als Beweis für B betrachtet“, so Sascha Lobo auf Spiegel Online. „Es handelt sich um hoch gebildete und tendenziell wohlhabende Bürger. Um Leute also, die Pegida ausgelacht haben, weil die wider jede Statistik wegen ihrer Bauchgefühle demonstriert haben. Und fünf Minuten später stillen sie ihren pseudoskeptischen Durst mit informiertem Wasser, das bei Vollmond an Bachblüten vorbeigetragen wurde.“

Es fehlt also nicht einfach Bildung, sondern das Problem ist das mit hohem Selbstbewusstsein vorgetragene und mit Halbwissen gepaarte Desinteresse an Politik. Weil man die repräsentative Demokratie kritisiert, interessiert man sich nicht mehr für ihre Verfahrensweisen und weiß immer weniger über ihre Abläufe. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass politische Prozesse der repräsentativen Demokratie einseitig oder falsch interpretiert werden. Die zunehmende Komplexität im politischen Mehrebenensystem und die Hegemonie neoliberaler Politikangebote tun ihr Übriges. Die Suche nach dem „Schuldigen“ für politische Missstände ist kompliziert – daher werden Schuldzuweisungen vereinfacht und an das ganze System oder bestimmte Gruppen adressiert.

Das Brandgefährliche daran ist – und wir sehen es in ganz Europa –, dass es den Populisten gelingt, Mehrheiten hinter sich zu scharen, auch dank Verschwörungstheorien und einer krassen Verächtlichmachung demokratischer Institutionen. Wenn Pegidas OB-Kandidatin Tatjana Festerling von „Alkoholikern in Brüssel und Berlin, grünen Männlein mit Zipfelmütze, Turnschuhen und Holzfällerhemd, unverschämt quakenden Mädchen mit Dauerforderungen auf den Lippen, Kommunisten und Kinderfickern in den Parteien“ spricht, die versuchen würden, das Volk auszusaugen, erinnert das an nichts weniger als an den Stürmer, das Hetzblatt der Nazis.«

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