Isolation und Aufklärung

Im Kampf gegen den Rechtsextremismus kann das Verbot der NPD nur ein allerletztes Mittel sein. Viel wichtiger ist jetzt die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen. Sonst erschlafft die Demokratie

Der Wahlerfolg der NPD bei den sächsischen Landtagswahlen 2004 erregte die Republik. Aber nicht nur das seit den sechziger Jahren von dieser Partei nicht mehr erreichte Ergebnis von 9,2 Prozent löste die öffentliche Empörung aus, sondern auch die anschließende Ministerpräsidentenwahl, bei der die NPD mehr Stimmen erhielt als sie Mitglieder im Landtag hat. Ein weiterer Eklat im sächsischen Landtag folgte, als sich beim Neujahrsempfang der NPD das gesamte Potential der deutschen rechtsradikalen Führungsriege – von NPD-Chef Voigt über Brandenburgs DVU-Chefin Hesselbarth oder Ex-Republikaner-Chef Schönhuber – im Plenum versammelte und dort nationalistische und revisionistische Reden schwang.

Neben der nicht gekannten “ekelhaften Intelligenz” der neuen rechten Mitglieder im Dresdner Landtag – so Cornelius Weiss, Vorsitzender der sächsischen SPD-Fraktion – bereitet vor allem die Tatsache Sorge, dass die NPD bislang überaus stabil ist. Die von Rechtsparteien in den Parlamenten gewohnten Mechanismen der Selbstdemontage zeichnen sich bei ihr nicht ab. Auch scheinen sich die rechten Landtagsfraktionen nicht mehr untereinander zu zerstreiten. Im Gegenteil: Zum ersten Mal bahnt sich in der Bundesrepublik unter Führung der NPD ein Bündnis aller rechtsradikalen Parteien an. Die außer von Verfassungsschützern und Fachleuten zu wenig beachtete Strategie der NPD, den Kampf um die Straße, um das Parlament und um die Köpfe für sich zu gewinnen, trägt in manchen Regionen bereits dicke, braune Früchte.

Angesichts dieser Entwicklung und der dadurch hervorgerufenen katastrophalen medialen Wirkung im Ausland ist in allen demokratischen Parteien die Forderung laut geworden, erneut ein Verbotsverfahren gegen die NPD einzuleiten. Doch ist das Verbot der NPD eigentlich der richtige Weg, um die braunen Kader zu bekämpfen? Wie sollen Politik und Öffentlichkeit reagieren?

Warum das Verbot die bequemste Variante ist

Abgesehen von den – vorerst womöglich unüberwindlichen – juristischen Problemen, die ein neuerlicher Anlauf mit sich brächte, wäre ein Verbotsantrag vor den Karlsruher Richtern für die politische Führung in Deutschland sicherlich die bequemste Variante des Kampfes gegen Rechts. Sie könnte sich an die Spitze einer breiten öffentlichen Empörung stellen, zugleich aber die letzte Verantwortung der Justiz zuweisen. Auch andere Vorteile des Verbots scheinen klar auf der Hand zu liegen. Nach innen und außen wäre es sicherlich ein sehr auffälliges Zeichen, wenn sich der deutsche Staat entschieden gegen rechtsradikale Parteien stellt und dafür nötige – oder doch jedenfalls sichtbare – Schritte unternimmt. Auch wäre ein Verbot eine Art Selbstvergewisserung der politischen Klasse darüber, dass die demokratischen Werte, wenn es darauf ankommt, siegen werden. Schließlich verspricht man sich aber auch eine Schwächung der Rechtsradikalen in der Öffentlichkeit: Schockierende und provozierende rechte Reden aus einem Landesparlament wären nicht mehr zu hören. Die Argumentation klingt schlüssig.

Doch die Verbotsstrategie hat große Schwächen. Sie ist vordergründig, und zielt nur ansatzweise auf Ursachen ab. Vor allem aber umgeht sie die Frage, ob nicht andere, weniger radikale Maßnahmen besser wirken. Denn so sehr die jüngsten Ereignisse auf eine Zuspitzung des Problems hindeuten, ist es doch weder neu noch überraschend. Zahlreiche Umfragen belegen seit Jahren die zunehmende Skepsis der Bevölkerung sowohl hinsichtlich der Problemlösungsfähigkeit der etablierten Parteien wie auch der demokratischen Grundordnung und ihrer Werte im Ganzen, wobei die grundsätzliche Ablehnung im Osten des Landes weitaus höher ist.

Ist die Diktatur die bessere Staatsform?

Während etwa die konkrete Ausgestaltung der Demokratie im Westen – nach Umfragen der Politikwissenschaftler Pickel und Walz bis 1998 – immer noch 80 Prozent Zustimmung erhält, bleiben im Osten nicht einmal 50 Prozent übrig, mit stark abnehmender Tendenz. Noch deutlicher zeigt sich dies bei der Aussage “Unter Umständen ist eine Diktatur die bessere Staatsform”. Ihr stimmen in Ostdeutschland insgesamt mehr als 18 Prozent “eher” oder “voll und ganz” zu, im Westen immerhin über 7 Prozent. Grundsätzlich lehnen nur 38,5 Prozent der Ostdeutschen gegenüber 68 Prozent der Westdeutschen eine Diktatur völlig ab. Laut Thüringen-Monitor ist die Zahl der Anti-Demokraten in Thüringen zwischen 2001 und 2003 von 3,9 auf 8,4 Prozent gestiegen.

Nun sind zweifellos nicht alle Demokratieverdrossenen auch Anhänger rechtsradikalen Gedankenguts. Setzt man die genannten Zahlen jedoch in Verbindung mit dem tatsächlich beobachtbaren Anstieg antisemitischer Einstellungen und Wertorientierungen, zeigt sich das wachsende politische Potential rechter autoritärer und antidemokratischer Parteien, die sich die Überwindung der gegenwärtigen Staatsform auf die Fahnen schreiben. Es wäre verfrüht, von einer systemgefährdenden Wirkung des Rechtsradikalismus auszugehen. Deutlich wird aber, dass die Thematik ernst zu nehmen ist. Es handelt sich nicht nur um eine Aufgabe für Parteien und Parlamente, sondern vor allem auch um ein gesamtgesellschaftliches, ein soziales und politisch-kulturelles Problem.

Daher ist es mehr als zweifelhaft, ob ein Verbot etwas an der Demokratieverdrossenheit, der Verbreitung rechtsradikalen Gedankenguts oder der gesellschaftlichen Sprengkraft des Rechtsradikalismus ändern könnte. Ein Verbot kann zwar die Organisation einer Gruppierung zerschlagen, ihre Gelder einziehen, sie aus der Öffentlichkeit verbannen. Aber die Sympathisanten dieser Gruppierung zurück ins demokratische Boot zu holen und ihre potentiellen Anhänger weiterhin bei den demokratischen Parteien zu halten – das kann ein Verbot eben nicht.

Es besteht sogar die Gefahr, dass die Demokratie gerade unter den politisch Unentschiedenen selbst ins Zwielicht geriete, wenn sich ihre Vertreter nicht mit den Ursachen beschäftigen, die zum Erstarken solcher Parteien führen, sondern in autoritärer Manier das scharfe Schwert des Rechts schwingen. Dies könnte die ohnehin in zunehmend schweres Fahrwasser geratende demokratische politische Kultur gerade in Ostdeutschland eher noch schwächen und die NPD-Kader in rechten Kreisen erst recht zu Märtyrern machen. Und auch die Politik hätte versagt: Wieder würden zentrale politische Weichen nicht durch die gewählten Vertreter des Souveräns gestellt, sondern durch die nicht direkt gewählte Justiz.

Integration durch Kräfte von unten

Notwendig ist daher ein Vorgehen, das besonders durch die Stärkung sozialer Kontrolle und Partizipation, durch politische Auseinandersetzung und Kampf mit den Rechtsradikalen die demokratische Konfliktkultur befördert. Gefragt ist eine Strategie, die die Integration des politischen Systems durch Kräfte von unten herbeizuführen versucht. Die sozialen Maßnahmen bestünden im Wesentlichen aus zwei Stützpfeilern: Isolation der Rechtsextremen und Aufklärung. Der erste Punkt ist etwas leichter zu steuern als der zweite, denn er besteht im Wesentlichen darin, gegen rechtes Gedankengut auf der mittleren und höheren gesellschaftlichen Ebene vorzugehen. In der jüngeren Vergangenheit der Bundesrepublik hat dies – allen Unkenrufen zum Trotz – sehr gut funktioniert.

Es ist bis heute für jeden Angehörigen der gesellschaftlichen Elite in Deutschland ein Tabu, öffentlich Sympathie mit rechtem Gedankengut zu zeigen. Verstöße enden, wie etwa die Hohmann-Affäre gezeigt hat, mit erzwungenen Rücktritten, öffentlichen Entschuldigungen und weitgehendem öffentlichen Paria-Status von Leuten wie Hohmann. Tatsächlich zeigen sich die öffentliche Meinung und die Vertreter aus Parteien, Verbänden und Vereinen in Deutschland selten so einig wie im Verurteilen solcher Missetaten. Dieses Tabu ist gerade wegen der Skandale der NPD nicht geschwächt, sondern eher noch erneuert worden. Übersteigt die Stimmenzahl für die Rechten bei Abstimmungen im sächsischen Landtag regelmäßig die Zahl ihrer Fraktionsmitglieder, dann wird dies zu Recht als Skandal behandelt. Die weitere Durchsetzung dieses Tabus gerade auf den mittleren und höheren Ebenen der Gesellschaft ist also ein erster Schritt.

Lehrer wollen einen “guten Diktator”

Zweifellos haben aber besonders in den neuen Bundesländern die Ressentiments eine solche Stärke gewonnen, dass diese Tabuisierung zumindest an der Basis und zumal unter Jugendlichen nicht mehr wirkt. Zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung gehören daher zugleich verstärkte politische Bildung und gesellschaftliche Diskussion über Pluralismus und Demokratie. Tiefe Skepsis gegenüber Pluralismus und Demokratie ist selbst bei vielen ostdeutschen Gesellschaftskundelehrern verbreitet. Sie findet Ausdruck etwa in dem dauernden Wunsch nach dem “Ende des Parteiengezänks”, in der Sehnsucht nach dem “guten Diktator” sowie in dem Verweis auf die – wie auch immer verstandene – “gesunde Volksmeinung”. Dem könnte jede Landesregierung mit forcierter Lehrerweiterbildung relativ schnell und sehr effektiv entgegenwirken. Darüber hinaus müssten für Projekte gegen Rechtsextremismus mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden. Es ist ein Skandal, dass das Bundesland Sachsen bisher keine Mittel zur Bekämpfung des Rechtsextremismus bereitstellte. Die erfreulichen Absprachen im neuen Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD begründen die Hoffnung, dass hier aus Fehlern gelernt wurde und das Thema nun unabhängig von Medienkonjunkturen Aufmerksamkeit findet.

Das Vertrauen in die Eliten ist geschwächt

Im Zentrum stehen jedoch die politischen Maßnahmen. Dazu gehört zunächst, dass die demokratischen politischen Kräfte die Ursachen und gesellschaftlichen Grundlagen des Rechtsradikalismus thematisieren und politisch behandeln. Und dass sie ihr eigenes Handeln selbstkritisch überprüfen. Tatsächlich ist das Vertrauen in das Funktionieren der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Institutionen geschwächt durch die Diskussion um Nebeneinkünfte, Diäten und Pensionen der Bundestagsabgeordneten sowie, grundsätzlicher, das Versagen der gesellschaftlichen und politischen Spitzen angesichts der Aufgabe, den Menschen klare Ziele und Visionen zu vermitteln.

Stattdessen müssen sie den Eindruck beseitigen, sie selbst seien durch die Reformpolitik nicht betroffen, sondern im Gegenteil eher noch begünstigt, während der “kleine Mann” auf der Straße mit jedem Reformschritt weiter an sozialem Status verliert. Dazu gehört besonders die deutliche, immer wieder offensiv zu vertretende Klarstellung und Erklärung, dass der Umbau des Sozialstaats keinen ersten Schritt zu seiner Beseitigung darstellt, sondern im Gegenteil seinen Erhalt auf Dauer gewährleistet und zumindest mittelfristig allen nützen wird. Die Frage, was soziale Gerechtigkeit heute bedeutet, muss deshalb auf die Tagesordnung, ebenso die Erarbeitung einer Vision davon, wie Deutschland und seine Gesellschaft aussehen sollen, wozu also die gegenwärtigen Schritte, so schmerzhaft sie auch momentan erscheinen mögen, nützlich sind. Vor allem den Bürgern in den neuen Bundesländern ist hier eine Handreichung zu geben, da sie gleich in doppelter Weise radikalen Wandel, Unsicherheit und Zukunftsangst erfahren haben.

Nicht zuletzt muss damit begonnen werden, die Leere der rechtsradikalen Propaganda aufzudecken. Das Programm der NPD ist geradezu ein Musterbeispiel rechtsradikaler Substanzlosigkeit. Selbst auf ihrem vermeintlich wichtigsten Kompetenzgebiet, dem des nationalen (Gemeinschafts-)Interesses, begehen die Rechtsradikalen unglaubliche Denkfehler. Dass etwa ein auf Deutschland beschränkter Wirtschaftskreislauf funktionieren könnte, ist nichts weiter als eine verrückte Mär und dass Nazis Patrioten seien blanker Unsinn. Immer und überall muss deutlich gemacht werden, dass Nazis nicht nur in der Vergangenheit Antipatrioten waren. Sie haben nicht nur gestern das Ansehen Deutschlands in den Schmutz gezogen, sondern beschädigen auch heute die wirtschaftliche und soziale Stärke des Staates – und damit nachhaltig die Interessen der Nation und ihrer Bevölkerung.

Noch einmal: Es geht nicht nur darum, die Mechanismen der Demagogie und des Populismus aufzudecken und die NPD in der Sache zu widerlegen. Es geht ebenfalls darum, antipluralistische und antidemokratische Denkmuster in weiten Teilen der Bevölkerung bis hinein in die politische Mitte in ihren Grundfesten zu erschüttern. Zwar gibt es gerade in Deutschland eine klare Verbindung zwischen der sozioökonomischen Leistung (Arbeitslosigkeit etc.) und den Einstellungen zur Demokratie und zum politischen System. Jedoch führt die Meinung in die Irre, dass Hartz IV und andere Reformen nur erst greifen müssten, damit die Probleme verschwänden. Die Krise der politischen Kultur reicht viel tiefer. Vor allem in den neuen Bundesländern artikuliert sie sich durch oft mangelndes Verständnis für Pluralismus, Demokratie, Selbstverantwortung und demokratische Konflikte im Allgemeinen sowie für die Funktionsweise des politischen Systems im Besonderen.

Nur Rationalität allein ist nicht genug

Deshalb muss ein anderer Umgang mit den Bürgern eingeübt werden. Die Politikangebote der Rechten sind zwar banal und haben nichts zu bieten als Ressentiment: gegen vermeintliche Benachteiligung, gegen schlechte Politiker, gegen bevorzugte Ausländer, gegen den Ausverkauf nationaler Werte und so weiter. Man muss jedoch die gesellschaftlichen Anschlussstellen dieser rechten Propaganda ernst nehmen und nicht aus Gründen politischer Korrektheit aus dem gesellschaftlichen Diskurs verbannen. Es reicht nicht, die von Rechten als Pseudo-Wahrheiten und gesundes Volksempfinden aufgebauschten Sichtweisen rein rational zu bekämpfen. Neben der politischen Entlarvung und Aufklärung müssen deshalb auch die Sorgen und Ängste von Bürgern, die sich durch die Rechten besser vertreten fühlen, aufgenommen und in einen demokratischen Kontext hinübergereicht werden. Wenn beispielsweise ein patriotisches Bedürfnis in der Bevölkerung vorhanden ist, dann sollte man dies aufnehmen und in demokratische – womöglich sozialdemokratische – Werte einbetten. Dies geschieht jedoch nicht allein über die Medienöffentlichkeit. Demokratische Parteien müssen Präsenz und Flagge zeigen: vor Ort, auf der Straße, an den Schulen, auf dem Land. Dies ist anstrengend, aber notwendig.

Die NPD als Stachel im Fleisch der Demokratie

Eines muss dabei klar sein: Die Option eines Parteiverbots bleibt eine mögliche Reaktion. Wenn die NPD zu einer echten Bedrohung der demokratischen Ordnung wird, dann ist ein Verbot ein unabdingbares Thema. Die demokratische Ordnung darf sich nicht jede Provokation gefallen lassen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde der Verbotsantrag aber nur die notwendige politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung auf unbedeutende Plätze in der politischen und öffentlichen Agenda verschieben – bis der nächste rechte Skandal die politischen Kräfte dieses Land wieder einmal “unvorbereitet” erschreckt. Denn das gesellschaftliche Problem würde auch nach einem Verbot der NPD bestehen bleiben.

Die NPD ist so gesehen der Stachel im Fleisch der Demokratie. Sie bewirkt, dass die Demokratie wachsam bleibt, gedanklich flexibel und anpassungsfähig, dadurch ihren Feinden stets einen Schritt voraus. Einheitliche Ablehnung rechtsradikaler Positionen, verstärkte politische Bildung und Partizipation, Vorbildlichkeit und soziale Sensibilität an der gesellschaftlichen Spitze, der Kampf um die Köpfe sowie die glaubwürdige Drohung eines Verbots – dies alles zusammen könnte die Rechtsextremisten besser in die Schranken weisen als ein grober juristischer Hieb. Die Demokratie in Deutschland braucht sich nicht zu verstecken. Sie ist stark genug, auch ohne juristische Schützenhilfe gegen diese Bedrohung zu bestehen.

zurück zur Ausgabe