Nichts so hinnehmen, wie es ist

Am 23. Mai 2013 wird die deutsche Sozialdemokratie 150 Jahre alt und hat Grund zum Feiern. Sie hat die deutsche Demokratie entscheidend geprägt. Doch wie schafft es die altehrwürdige SPD, auch in Zukunft progressive Politik zu gestalten? Über die Bedeutung der eigenen Geschichte sprachen für die Berliner Republik Hans-Peter Bartels und Marius Mühlhausen mit der Schatzmeisterin der SPD und Organisatorin des Jubiläums Barbara Hendricks

Warum organisiert die Schatzmeisterin der SPD das 150-jährige Parteijubiläum – und nicht die Generalsekretärin oder die Bundesgeschäftsführerin?

Das Präsidium hat mich beauftragt, für die Parteiführung die Verantwortung zu übernehmen. Das mache ich gerne. Zum einen bin ich Historikerin und habe dadurch ein besonderes Interesse an dem Thema, zum anderen – und da kommt meine Schatzmeisterseele durch – wäre die Alternative gewesen, jemanden einzustellen. Da habe ich gedacht, dass ich das erst einmal selbst mache, und wenn wir uns dem Jubiläum nähern, haben wir zusätzliche Unterstützung.

Sind wissenschaftliche Experten eingebunden?

Das war uns wichtig. Besonders über unsere Historische Kommission haben wir wissenschaftlichen Rat bekommen. Zudem ist eine große Anzahl von Publikationen entstanden, die die vergangenen 150 Jahre der SPD thematisieren. Das hat angefangen mit dem von Sigmar Gabriel herausgegebenen Band Die Kraft einer großen Idee im vergangenen Jahr und setzt sich über eine Reihe von Veröffentlichungen beim vorwärts-Verlag und im Dietz-Verlag fort. Es lohnt sich, sie zu lesen!

Das Buch „Orte der Sozialdemokratie“ von Klaus Wettig fällt besonders auf.

Das ist in der Tat ein echter sozialdemokratischer Reiseführer. Wir haben dabei vor allem an die Ortsvereine gedacht, die so vielleicht wieder an die Stätten der Sozialdemokratie direkt in ihrer Nähe erinnert werden. Dann kann man dort Veranstaltungen organisieren und sich der eigenen Geschichte bewusst werden.

Auch angesichts dieser Fülle an Publikationen schrieb Norbert Seitz in der letzten Ausgabe der „Berliner Republik“, die SPD müsse aufpassen, nicht über die Vergangenheit die Zukunft aus den Augen zu verlieren. Besteht diese Gefahr?

Selbstverständlich reicht es nicht aus, sich auf seine Geschichte zu besinnen. Unser Anliegen im Jubiläumsjahr ist es – ganz vereinfacht gesagt – zu zeigen, dass die großen Ideen der Sozialdemokratie auch für die Zukunft unverzichtbar sind.

Doch wie erklärt man jungen Wählern, dass die alte Dame SPD frisch geblieben ist?

Ich bin überzeugt: Unsere Themen sind auch für junge Leute spannend. Nehmen wir mal das kürzlich virulent gewordene Thema der Überwachung am Arbeitsplatz. Hier sieht man, dass in der heutigen Gesellschaft die Rechte von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen immer noch bedroht sind. Sie müssen stetig abgesichert und neu erkämpft werden. Dass zu Zeiten August Bebels niemand an elektronische Überwachung gedacht hat, ist klar. Damals wurden auf andere Weise die Rechte der Arbeitnehmerschaft beschnitten oder mussten sich überhaupt erst herausbilden. Das war ein Kernanliegen der SPD und der Gewerkschaften: für Arbeitnehmerrechte einzutreten. Und das ist heute noch genauso aktuell. Hier ist der Wille gefordert, seine eigene Geschichte auf moderne Zeiten zu übertragen.

Wird das in der Schule ausreichend gelehrt? Kommen das Parteiensystem und auch die Geschichte der SPD in der Schule überhaupt vor?

Die Gefahr ist immer groß, dass bei allem und jedem gefordert wird, die Schule müsse sich darum kümmern – um gesunde Ernährung oder um den richtigen Umgang mit Medien. Und klar, die Schule kann vieles leisten, und verantwortliche Lehrerinnen und Lehrer sorgen auch für ein Geschichtsbewusstsein. Ich glaube schon, dass Demokratie- und Parteiengeschichte in allen Schulen gelehrt wird. Ob die SPD als älteste Partei des Kontinents dabei den richtigen Stellenwert hat, kann ich nicht beurteilen.

Politik wird oft am vermeintlichen Ideal des Vollzugs dargestellt, anti-pluralistisch. Sollte nicht in Verbindung mit dem Jubiläum generell Demokratie als Lebensform eine Rolle spielen?

Pluralität muss als gesellschaftlicher Wert immer wieder bewusst gemacht werden. Die allgemeine Skepsis gegenüber „der Politik“ ist nicht verwunderlich, wenn sie immer für alles Mögliche verantwortlich gemacht wird. Nehmen wir als Beispiel die Frage der Abgeordnetenbestechung oder der Unterzeichnung von entsprechenden Konventionen in den Vereinten Nationen. Da liest man in der Zeitung, „die Politik“ sei nicht in der Lage, eine vernünftige Abgrenzung zu finden, was Spenden und Sponsoring anbelangt. „Die Politik“ soll nicht dazu in der Lage sein? Nein, es sind die jetzigen Mehrheiten im Deutschen Bundestag, die das nicht wollen. Die Oppositionsparteien haben hier eigene, wenn auch unterschiedliche Vorschläge. Hier ist zu differenzieren.

Wie wäre es zum Jubiläum mit einer großen Demokratieoffensive? Zeigen, dass Streit, Engagement, sich eine Meinung zu bilden Spaß macht, etwas Tolles ist?

Es ist für uns tatsächlich nicht nur ein Parteijubiläum, sondern ein wesentlicher Teil der deutschen Demokratiegeschichte. Diesen Ansatz haben wir auch für die Feierlichkeiten gewählt. Im Mai gibt es so etwas wie einen „sozialdemokratischen Staatsakt“, um deutlich zu machen, dass diese deutsche Demokratie, unser deutscher Staat eben nicht so wäre, wie er ist, ohne die Sozialdemokratie. Das wollen wir mit nationalen und internationalen Gästen feiern. Zum anderen haben wir ein fröhliches Fest im August. Da wird es die Gelegenheit geben, darüber zu sprechen, wie Demokratie zu sichern ist und wie wir mit Gefährdungen von Demokratie umgehen. Und nicht zu vergessen: Jusos und Falken machen schon im Mai ein großes internationales Camp. Da wird es natürlich auch um diese Fragen gehen.

Die SPD ist immer noch selbst Verlegerin und hält Anteile an Verlagen. Das wird bisher als reines Finanzengagement verwaltet und nicht genutzt, um beispielsweise journalistische Standards zu sichern und zu verbessern und sich gegen den verbreiteten Medienzynismus zu stemmen, oder?

Ganz allgemein sind Zeitungen in Gefahr und zwar aufgrund des ökonomischen Drucks, der in der Medienbranche besteht. Die Gesellschaft, die den Beteiligungsbesitz der SPD bündelt, bemüht sich schon seit Jahren darum, für neue Qualität, beispielsweise im Lokaljournalismus, Sorge zu tragen. Übrigens auch unter einem ökonomischen Aspekt: weil das Lokale ein Alleinstellungsmerkmal ist, das uns von den großen Suchmaschinen unterscheidet. Wenn Tageszeitungen eine Überlebenschance haben wollen – ob gedruckt oder elektronisch –, dann müssen sie das Lokale pflegen. Das kann nicht von Google erledigt werden. Qualitätsjournalismus ist dauerhaft nur zu retten, wenn wir auch bei der elektronischen Übermittlung tatsächlich einen „payed content“ haben. Gute Qualität gibt es nicht umsonst.

Das Jubiläum findet im Bundestagswahljahr statt. Große Begriffe wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität werden als Grundwerte der SPD herausgestellt. Sollte man da nicht vorsichtig sein, wenn am Ende für die Wähler beispielsweise doch Netzpolitik wichtiger ist?

Zunächst sehen wir das Jubiläum auf jeden Fall unabhängig vom Wahlkampf. Wir hätten auch im vorherigen Jahr oder im nächsten Jahr in vergleichbarer Weise gefeiert. Einzelne Themen wie Netzpolitik finden in der Diskussionskultur der SPD jederzeit statt. Aber wir haben uns jetzt nicht Einzelthemen herausgepickt, um sie bei den großen Veranstaltungen des Jubiläums zu diskutieren. Das wird im Wahlkampf geschehen.

Wie hält es die SPD mit dem modischen Mainstream: Ego-Gesellschaft, Kommerzialisierung, Event- und Projekthaftigkeit?

Mainstream im Sinne von herrschenden Meinungen ist das eine, Mainstream im Sinne von modernen Formaten, die man einsetzt, das andere. Im Sinne von herrschenden Meinungen glaube ich, dass wir zukünftig gefeiter vor Moden sind, als wir das im vergangenen Jahrzehnt waren, als auch die Sozialdemokraten der Marktideologie, die gute 30 Jahre absolut herrschend war, teilweise erlegen sind. Heute wissen wir, dass diese herrschende Meinung in die Irre geführt hat und kritisch zu reflektieren ist. Inzwischen bildet sich eine neue allgemeine Meinung heraus, die näher bei der ist, die schon lange unsere war. Mainstream im Sinne von den Mitteln, die ich einsetze, um vielleicht Menschen mit neuen Formaten der elektronischen Kommunikation zu erreichen, kann man nicht mehr ausklammern. Was nicht heißt, dass alles einen Eventcharakter haben muss. Selbstverständlich sollten wir uns „Formate“, die auch Nachdenklichkeit zulassen, auch für die Zukunft bewahren.

Es ist ein Allgemeinplatz, dass man aus den Fehlern der Geschichte lernen sollte. Aus welchen lernen wir gerade?

Ich glaube in der Tat, dass wir einer seit den achtziger Jahren herrschenden Ideologie des „Vorrangs des Marktes“ nicht kritisch genug widerstanden haben. Auch wenn wir ihr nicht immer vorbehaltlos gefolgt sind, darf man sich nicht wundern, dass auch die sozialdemokratische Partei davon nicht unberührt geblieben ist. Die deutsche Volkswirtschaftslehre ist eigentlich immer noch auf dem Trip. Doch wir als Handelnde und Verantwortliche innerhalb der SPD haben gelernt, hier zu widersprechen.

Gab es eine „goldene Zeit“ der SPD?

Klar: die siebziger Jahre als das sozialdemokratische Jahrzehnt. Ob das wissenschaftlich so belegbar sein wird, weiß ich nicht. Der Soziologe Ralf Dahrendorf hat diese Diagnose ja zugleich damit verknüpft, zu sagen: „Nun ist aber auch mal gut! Wir haben es gehabt, und jetzt brauchen wir die SPD nicht mehr“, um es vereinfacht zusammenzufassen. Das ist nicht unsere Auffassung. Andererseits ist es natürlich wichtig zu erkennen, dass sehr viel von unserer Programmatik von anderen adaptiert worden ist. Frau Merkel versucht zum Beispiel, sozialdemokratischer zu sein als die Sozialdemokraten, wenn es gerade passt und wenn es danach aussieht, als könnte es ihr helfen. Doch auch die Grünen haben damit zu kämpfen, dass der Umweltgedanke nicht allein bei ihnen verwurzelt ist. Gleichwohl: Es gab nicht nur ein sozialdemokratisches Jahrzehnt, sondern viele – nämlich 15. Und es wird noch viele weitere geben. Im Sinne von Willy Brandt will jede Zeit ihre eigenen Antworten. Genau das ist auch Gegenstand der Feiern zu unserem Jubiläum. Unser Ansatz bleibt dabei der gleiche wie vor 150 Jahren.

Und der ist?

Nichts so hinzunehmen wie es ist. Nach vorne schauen und den gesellschaftlichen Fortschritt sozialdemokratisch gestalten! Ein besseres Land kommt nicht von allein. «

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Im Zuge des Parteijubiläums der SPD sind im vorwärts buch Verlag (www.vorwaertsbuchverlag.de) als auch im Dietz-Verlag (www.dietz-verlag.de) zahlreiche empfehlenswerte Bücher er­schienen und herausgegeben worden. Namhafte Autoren beleuchten die Geschichte der Sozialdemokratie.

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