Gutes Berlin, schlechtes Berlin

Die deutsche Hauptstadt weist heute beträchtliche Schwächen auf - und riesige Potenziale. Deren Stärkung liegt im Interesse des Bundes und der Länder. Die Reform des Föderalismus wird dazu beitragen, dass sich Berlin noch besser selbst helfen kann

"Gutes Berlin, schlechtes Berlin“ war jüngst ein Artikel über Städtevergleiche im Tagesspiegel überschrieben. In 17 unterschiedlichen Rankings der vergangenen zwölf Monate war Berlin mal strahlender Sieger, mal graues Mittelmaß – und mal abgeschlagenes Schlusslicht. Berlin hat also Schwächen, etwa auf einigen wirtschaftlichen Gebieten. Aber die Stadt hat auch ungeheure Stärken. Gerade die Studien, die zukunftsorientierte Indikatoren verwenden, bescheinigen Berlin ein großes Potenzial. Demnach hat Berlin vor allem eins: Zukunft!

Nehmen wir die Kreativwirtschaft: Die Bereiche Musikwirtschaft, Film, Fernsehen, Darstellende und Bildende Kunst, Medien und Software entwickeln sich sehr gut. Das Musiklabel Sony BMG sowie der Fernsehsender MTV haben sich in der Hauptstadt angesiedelt und geben der Medien- und Musikbranche wichtige Impulse. Ein wachsender Kunstmarkt mit einer Vielzahl von Galerien hat Berlin zu einer der Kunstmetropolen der Welt gemacht. Schon jetzt ist Berlin (einschließlich Potsdam) nach der Region München das zweitgrößte kreativwirtschaftliche Zentrum in Deutschland, gemessen an der Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Fast jeder zehnte Erwerbstätige in der Hauptstadt arbeitet inzwischen in diesem Sektor.

Zu einem wichtigen Wirtschaftszweig ist daneben der Tourismus geworden. Die Attraktivität der Stadt für Besucher hängt natürlich auch mit ihrer Funktion als Hauptstadt und Regierungssitz zusammen. Der Umzug der Bundesregierung nach Berlin hat dem Tourismus starke Impulse gegeben. Hatte Berlin im Jahr 2001 fünf Millionen Besucher jährlich, waren es 2006 schon sieben Millionen. Mit 16 Millionen Übernachtungen lag Berlin 2006 deutlich vor Wien, München oder Hamburg. Tendenz steigend, auch ohne Fußball-Weltmeisterschaft.

Kurzum: Die Chancen stehen gut, dass Berlin in Zukunft in verschiedenen Wirtschaftsbereichen starke eigene Akzente setzen kann. Die positive Entwicklung der Berliner Wirtschaft – ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent im Jahr 2007 ist realistisch – wird eng begleitet von einer soliden Finanzpolitik. Nach Jahren entschlossener Konsolidierung ist es dem Land gelungen, für das Jahr 2008 einen Haushalt ohne neue Schulden aufzustellen. Mehr noch: Berlin plant im kommenden Jahr einen Finanzierungsüberschuss von knapp einer halben Milliarde Euro, kann also mit der Schuldentilgung beginnen. Und das, obwohl das Bundesverfassungsgericht die Klage Berlins auf Bundeshilfen zur Haushaltssanierung abgewiesen hat. Die Konzentration auf die eigenen Stärken und der Wille zur Konsolidierung haben in kurzer Zeit viel bewirkt.

Wie Bund und Länder Berlin unterstützen

Diese Politik war auch deshalb möglich, weil der Bund die Hauptstadt auf zahlreichen Gebieten finanziell unterstützt. Gut vier Milliarden Euro fließen jährlich vom Bund in den Haushalt der Stadt – 21 Prozent der gesamten Ausgaben Berlins. Rechnet man das Geld aus dem Länderfinanzausgleich hinzu, erhält Berlin sogar 36 Prozent seiner Haushaltsmittel von Bund und Ländern. Dies ist durchaus kein unbeachtliches Zeichen von Solidarität.

Der Bund wird die Hauptstadt weiter erheblich fördern. Allein in den Bau des Berliner Stadtschlosses investiert er voraussichtlich rund eine halbe Milliarde Euro, womit die historische Mitte der Stadt deutlich aufgewertet würde. Zudem stellt der Bund auf der Basis des neuen Vertrags zur Hauptstadtkulturfinanzierung, der ab dem 1. Januar 2008 gilt, auch künftig Mittel für hauptstadtbedingte Sicherheitsmaßnahmen bereit (unter Umständen auf einem deutlich höheren Niveau als bisher).

Jährlich 400 Millionen für die Kultur in Berlin

Derzeit finanziert der Bund in Berlin Kultureinrichtungen und -projekte im Umfang von mehr als 400 Millionen Euro pro Jahr. Das entspricht ungefähr dem Betrag, den Berlin selbst hinzusteuert. Die Palette der dauerhaft finanzierten Institutionen reicht vom Berliner Sitz der Deutschen Welle über die Akademie der Künste bis zu den weltbekannten Museen der Museumsinsel und des Kulturforums. Auch bei den Gedenkstätten engagiert sich der Bund stark, unter anderem fließen Mittel für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, die Gedenkstätte Berliner Mauer sowie die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.

Der Bund hat sich schon immer zur Kulturstadt Berlin bekannt, auch vor der Wiedervereinigung. Ein prominentes Beispiel ist die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die sich seit 50 Jahren in der Trägerschaft des Bundes befindet. Oder das Deutsche Historische Museum, dessen Ansiedlung in Berlin bereits in den achtziger Jahren beschlossen wurde. Der Bund hat sein Engagement ausgeweitet, nachdem Berlin Parlaments- und Regierungssitz wurde. Dabei stützt er sich auf Artikel 106 Absatz 8 des Grundgesetzes, wonach der Bund einen Ausgleich gewährt, wenn er „in einzelnen Ländern besondere Einrichtungen veranlasst“. Seit der Föderalismusreform I gilt zusätzlich Artikel 22 des Grundgesetzes, mit dem nicht nur die Hauptstadtfunktion Berlins verfassungsrechtlich festgeschrieben, sondern auch die bisher ungeschriebene Kompetenz des Bundes zum Ausdruck gebracht wird, den Gesamtstaat in der Hauptstadt zu repräsentieren.

Auf diesen verfassungsmäßigen Grundlagen hat der Bund in mehreren Finanzierungsverträgen verschiedene Kulturförderungen vom Land Berlin übernommen. Zu nennen sind das Jüdische Museum, die Akademie der Künste, die Deutsche Kinemathek; ferner die Berliner Festspiele und das Haus der Kulturen der Welt, die vor einigen Jahren zu der GmbH „Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin“ fusioniert wurden. Außerdem leistet der vom Bund finanzierte Hauptstadtkulturfonds maßgebliche Beiträge zur kulturellen Vielfalt in der Stadt. Auch wurde Berlin von seinen Beiträgen für die Baumaßnahmen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz entpflichtet. Insgesamt betragen allein die hauptstadtbedingten Leistungen des Bundes gegenwärtig rund 100 Millionen Euro pro Jahr. Stets geht es neben der gesamtstaatlichen Repräsentation auch darum, den Berliner Haushalt zu entlasten, um Gestaltungsspielräume zu erhalten. Dieser Nebeneffekt ist auch ein Ziel des neuen Vertrages mit Berlin, bei dem es hauptsächlich um erhebliche Mittel für die Sanierung der Staatsoper Unter den Linden geht.

Die Länder sollten Berlin mehr unterstützen

Dabei ist Kultur doch eigentlich Ländersache. Der Föderalismus verlangt, dass die Länder Verantwortung übernehmen und jede staatliche Ebene den jeweils eigenen Aufgaben auch finanzielle Priorität einräumt. Er verliert seine positive Wirkung, wenn die Verteilung der Kompetenzen nicht beachtet wird. Selbst Artikel 22 des Grundgesetzes setzt das föderalistische Prinzip nicht außer Kraft. Genau deshalb hat der Bund in der Diskussion um die Erneuerung des Hauptstadtvertrages sowohl die Übernahme des laufenden Betriebs der Staatsoper als auch eine prozentuale Beteiligung an der Berliner Opernstiftung abgelehnt – eben weil Theater, Opernhäuser und Orchester zu den typischen Aufgaben von Kommunen und Ländern gehören.

Wer ist in Berlin für Kultur verantwortlich? Und wer soll sie finanzieren? Leider konzentriert sich die öffentliche Diskussion darüber häufig ausschließlich auf den Bund und das Land. Dabei sollten auch die übrigen Länder eine prägende Rolle im kulturellen Leben der Stadt spielen. Sicher, die Mitfinanzierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz durch die Länder, die in Berlin ansässige Kulturstiftung der Länder, Musikveranstaltungen der Landesvertretungen oder die Veranstaltungen der Länder am Tag der Deutschen Einheit sind aller Ehren wert. Doch die Idee der kulturellen Repräsentanz der Länder in Berlin ist noch ausbaufähig. Denn Föderalismus beschränkt sich nicht auf die eigenen Landesgrenzen, sondern verlangt auch die gemeinsame Wahrnehmung von Verantwortung, wie die politische Institution des Bundesrates zeigt. Die Gemeinschaft der Länder könnte Kultur in der Hauptstadt gerade dort unterstützen, wo für den Bund aus den dargelegten übergeordneten Gründen eine Mitfinanzierung nicht in Betracht kommt.

Mehr Wachstum und gesunde Haushalte

Doch für Berlins Zukunft spielt nicht nur das mögliche Engagement von Bund und Ländern in der Hauptstadt eine wichtige Rolle. Die föderale Struktur bestimmt zudem maßgeblich die Rahmenbedingungen der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Länder und des Bundes. Um die institutionellen Grundlagen für mehr Wachstum und tragfähige öffentliche Haushalte zu schaffen, wird die bundesstaatliche Ordnung derzeit modernisiert.

Schon mit der Föderalismusreform I haben die Länder mehr politischen Gestaltungsspielraum erhalten. Die erste Reformstufe, die im September 2006 in Kraft trat, bedeutete im Kern den Abbau von Zuständigkeitsverflechtungen und eine partielle Neuordnung der gesetzgeberischen Zuständigkeiten. Bund und Länder erhielten jeweils mehr eigenständige Handlungsfähigkeit. Für die Länder und somit auch für das Land Berlin haben sich neue Handlungsspielräume eröffnet, sowohl im Bereich der Gesetzgebung als auch im Gesetzesvollzug. So sind eine Reihe von Gesetzgebungskompetenzen in regionalen Regelungsfeldern in die alleinige Verantwortung der Länder überführt worden: das Dienst- und Besoldungsrecht für die Landesbeamten, der Strafvollzug, das Versammlungsrecht, das Gaststättenrecht und das Recht des Ladenschlusses.

Ein weiteres Instrument zur Stärkung der Gestaltungsfähigkeit der Länder ist die neue Möglichkeit der Abweichung von bundesgesetzlichen Regelungen. Das Abweichungsrecht wird den Ländern unter anderem in bestimmten umweltbezogenen Regelungsbereichen und beim Recht des Hochschulzugangs und der Hochschulabschlüsse gewährt. Besonderes Gewicht hat die Abweichungsmöglichkeit der Länder bei bundesgesetzlichen Regelungen über die Behördeneinrichtung und das Verwaltungsverfahren beim Vollzug von Bundesgesetzen. Dieses Abweichungsrecht wurde geschaffen, um die große Zahl der Bundesgesetze entscheidend zu verringern, die sich auf das Verwaltungsverfahren beziehen und daher nach altem Recht zustimmungsbedürftig waren. Dabei wurden die finanziellen Interessen der Länder bei Bundesgesetzen, die die Länder zur Erbringung von Geldleistungen, geldwerten Sachleistungen beziehungsweise vergleichbaren Dienstleistungen gegenüber Dritten verpflichten, durch ein Zustimmungserfordernis im Bundesrat gewahrt. Gleichzeitig wurden jene Aufgabenfelder reduziert, bei denen das Grundgesetz eine gemeinsame Finanzierung durch Bund und Länder gestattet.

Eigenverantwortung wird gestärkt

Aufgrund dieser Maßnahmen können die Länder ihre finanziellen Ressourcen gezielter einsetzen, und sie haben mehr Möglichkeiten, die Ausgabenseite ihrer Haushalte zu steuern. Zudem ist die Steuerautonomie der Länder gestärkt worden: Nun haben sie bei der Grunderwerbsteuer die Steuersatzbefugnis. Das Land Berlin hat diesen neu gewonnenen Freiraum bereits genutzt.

Dieser Weg wird in der Föderalismuskommission II fortgesetzt: Zum einen werden die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern an die veränderten Rahmenbedingungen innerhalb und außerhalb Deutschlands angepasst, zum anderen wird die Eigenverantwortung der Gebietskörperschaften – verbunden mit einer den Aufgaben angemessenen Finanzausstattung – gestärkt.

Dabei muss die Kommission Mechanismen finden, um die Staatsverschuldung zu begrenzen und Haushaltskrisen im Bundesstaat zu vermeiden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zur Haushaltsnotlage Berlins und zur Verfassungsmäßigkeit des Bundeshaushalts 2004 einen entsprechenden Handlungsbedarf hervorgehoben. Denn noch immer sind die öffentlichen Haushalte mit insgesamt 1.500 Milliarden Euro verschuldet. Der Bund sowie eine ganze Anzahl von Ländern konnten in den vergangenen Jahren die jeweiligen Regelgrenzen der Verfassungen nicht einhalten. Stringentere Verschuldungsregeln und ein Frühwarnsystem zur Erkennung von Haushaltsschieflagen könnten dafür sorgen, dass der Staat die finanziellen Spielräume zurückgewinnt beziehungsweise erweitert, die zur Erfüllung drängender Zukunftsaufgaben notwendig sind. Eine Zuspitzung der Haushaltssituation einzelner Länder würde so von vornherein vermieden. Die derzeit steigenden Steuereinnahmen bieten gute Voraussetzungen, zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen.

Wie solidarischer Föderalismus funktioniert

Eine Beteiligung des Bundes an Hilfen zur Bewältigung überdurchschnittlicher Altschuldenlasten, wie sie einzelne Länder fordern, kommt aus Sicht des Bundes nicht in Betracht. Genau deshalb hat der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger im März dieses Jahres seine Bereitschaft angekündigt, über die Verantwortung „ganz Deutschlands“ für die Altschulden in Bund und Ländern zu beraten, wenn ausgeglichene Haushalte erreicht werden. In Berlin ist dies im nächsten Jahr der Fall. Mittlerweile ist von der Verantwortung „ganz Deutschlands“ allerdings nicht mehr die Rede. Stattdessen geistert der Vorschlag durch die Diskussion, der Bund solle den Ländern mit einem „Schuldensoli“ beim Abbau der Altschulden helfen. Der Solidaritätszuschlag würde zur Schuldensteuer umfunktioniert.

So funktioniert ein solidarischer Föderalismus nicht. Der Bund trägt den größten Teil der einigungsbedingten Schulden und hat die höchste Zinsausgabenquote (14 Prozent) aller Gebietskörperschaften. Die Schuldenlast des Bundes liegt derzeit bei rund 930 Milliarden Euro. Es gibt schlicht keine Spielräume, um weitere Entlastungen der Länder zu stemmen. Die Länder sind aufgerufen, untereinander Solidarität zu üben.

Nächstes Mal heißt es dann: „Berlin vorn“

Über Finanzthemen hinaus erstrecken sich die Beratungen der Föderalismuskommission II auch auf Möglichkeiten zur Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung. So soll die deutsche Steuerverwaltung leistungsfähiger, bürgerfreundlicher und wirtschaftlicher werden. Die Bundesregierung hatte bereits im Rahmen der ersten Stufe der Föderalismusreform die Einführung einer Bundessteuerverwaltung bei den Gemeinschaftssteuern vorgeschlagen, jedoch nur eine relativ bescheidene Stärkung der Einflussmöglichkeiten des Bundes auf die Landesfinanzbehörden erreichen können. Der Bund will die zweite Stufe der Föderalismusreform daher dazu nutzen, erneut für eine Bundessteuerverwaltung bei den Gemeinschaftssteuern zu werben.
Ich bin überzeugt, dass Berlin eine solide Basis für eine tragfähige Entwicklung hat – aufgrund seines ökonomischen Potenzials, seiner Funktion als Hauptstadt und eines reformierten föderalen Systems. Statt „Gutes Berlin, schlechtes Berlin“ kann es dann hoffentlich beim nächsten Ranking heißen: „Berlin vorn“.

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