Umschläge im Morgengrauen? So läuft das nicht

Eva Högl und Edda Müller haben etwas gemeinsam: Sie kämpfen für mehr Transparenz in Regierung und Parlament. Die Berliner Bundestagsabgeordnete Eva Högl treibt das Thema im Rechtsausschuss und als Sprecherin des Netzwerk Berlin voran. Edda Müller ist die Vorsitzende von Transparency International Deutschland. Die Professorin an der Quadriga Hochschule Berlin hat selbst lange politische Erfahrung: Bis 1996 war sie Umweltministerin in Schleswig-Holstein und arbeitete zuvor als Beamtin in verschiedenen Bundesministerien sowie im Kanzleramt. Für die "Berliner Republik" sprach Michael Miebach mit den beiden Frauen über die Versuchungen von Politikern, die Affäre des Bundespräsidenten und Strategien gegen Korruption

Im Korruptionsindex von Transparency International für den öffentlichen Sektor tauchte Deutschland 2011 nur im europäischen Mittelfeld auf. Aber beweist nicht zuletzt unser wirtschaftlicher Erfolg seit sechzig Jahren, dass die deutschen Institutionen zu den besten der Welt gehören?

Müller: Als Transparency International Deutschland im Jahr 1993 gegründet wurde, war noch die Auffassung verbreitet, dass Korruption nur in den Entwicklungsländern ein Problem ist. Seitdem sind zwei Dinge passiert: Zum einen hat Korruption – also der Missbrauch von Macht zu privatem Vorteil – bei uns messbar zugenommen, auch wenn im öffentlichen Sektor keine riesigen Vermögen angehäuft werden wie in anderen Ländern. Zum anderen ist die deutsche Gesellschaft sensibler geworden, was das Thema betrifft. So waren noch bis 1999 Bestechungsgelder im Auslandsgeschäft als „nützliche Aufwendungen“ steuerlich absetzbar. Eine solche Bestimmung wäre heute undenkbar.

Wo laufen Politiker im Alltag Gefahr, anfällig zu werden für Korruption?

Högl: Das Risiko besteht überall dort, wo Gesetze erarbeitet werden, die einzelnen Unternehmen oder Interessengruppen einen Vorteil verschaffen könnten. Abgeordnete müssen frei entscheiden und dürfen sich nicht abhängig machen von Einzelinteressen. Deshalb ist die Grauzone zwischen Lobbyismus und Korruption gefährlich. Politikerinnen und Politiker müssen bei Einladungen, Geschenken und finanziellen Vorteilen sehr vorsichtig sein, um möglichst gar nicht erst in die Versuchung zu kommen. Außerdem sind wir Politiker in der Verantwortung, die Gesetze so zu gestalten, dass Korruption in Deutschland keine Chance hat. Ein gutes Beispiel ist das Vergaberecht: Wir brauchen transparente Ausschreibeverfahren. Früher habe ich im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Mittel der Europäischen Strukturfonds verwaltet. Dabei ging es um viel Geld und lange Förderzeiten. Natürlich bestand Korruptionsgefahr. Deshalb gab es in unserem Referat die Null-Regel: Wir haben nicht mal einen Kugelschreiber als Geschenk angenommen. Danach handele ich auch als Politikerin.

Müller: Man darf sich Korruption in der Politik nicht so vorstellen, dass im Morgengrauen Briefumschläge ausgetauscht werden. Politikerbestechung verläuft wesentlich subtiler. Erstens spielen Beraterverträge eine große Rolle: Politiker beraten Unternehmen oder Verbände – und erhalten dafür ein Honorar. Auch wenn viele tatsächlich nützliche Informationen liefern und ein Austausch stattfindet, bleibt ein schaler Beigeschmack, weil Abhängigkeitsverhältnisse entstehen. Zweitens gibt es illegitime Formen von Lobbyismus, etwa wenn enorm finanzkräftige Unternehmen auf die Politik Einfluss nehmen und dabei alle Register ziehen. Drittens ist auch der so genannte Drehtüreffekt ein Problem: Politiker haben während ihrer Amtszeit Entscheidungen getroffen, die für bestimmte Unternehmen vorteilhaft waren, und werden hinterher mit gut dotierten Posten belohnt. Dafür gibt es jede Menge Beispiele. Und viertens sind die gesetzlichen Regelungen für Parteispenden ein umstrittenes Thema. Reicht es wirklich, wenn Parteispenden erst ab einem Betrag von 10.000 Euro veröffentlicht werden müssen?

In den Korruptionsstatistiken schneiden die skandinavischen Länder besonders gut ab. Was wird im Norden anders gemacht als bei uns?

Müller: Ein Grund ist, dass der dortige Staat den Bürgern weniger misstraut – und umgekehrt. Ich habe lange in Dänemark gelebt. Es ist beeindruckend, mit welchem Gottvertrauen die Dänen ihren Staat unterstützen. Die sind stolz darauf, hohe Steuern zu zahlen, weil sie damit ein tolles Gemeinwesen finanzieren. Wir Deutschen identifizieren uns viel weniger mit unserem Staat. Eher herrscht das Gefühl vor, dass jeder sehen muss, wo er bleibt. Das liegt natürlich auch daran, dass Deutschland viel größer und heterogener ist als die skandinavischen Länder. Schweden musste nach dem Krieg nicht 12 Millionen Flüchtlinge integrieren.

Högl: Hinzu kommt, dass in den nordischen Ländern eine ausgeprägte Kultur von Transparenz existiert. Hingegen haben Politik und Verwaltung in Deutschland Angst, dass ihnen die Dinge entgleiten, wenn sie offengelegt werden. Auch hier können wir von den Skandinaviern lernen. Aber es muss klar sein, wie wir in der politischen Diskussion mit transparent gemachten Informationen umgehen. Nehmen wir mal das erfolgreiche Volksbegehren in Berlin, die Wasserverträge öffentlich zu machen: Als die Dokumente frei zugänglich waren, stellte sich die Frage, wer daraus Schlussfolgerungen zieht und an welchem Ort darüber debattiert werden soll. Hierfür brauchen wir Regeln und einen politischen Diskurs.

Derzeit steht Bundespräsident Christian Wulff unter Korruptionsverdacht. Transparency International hat sogar die Teilnahme am Neujahrsempfang im Schloss Bellevue abgesagt. Wird die Affäre unsere Haltung zu dem Thema verändern?

Müller: Ein Anrufer im Deutschlandfunk sagte, Wulff sei der Repräsentant des Werteverfalls. So kann man das sehen. Das Gefühl für Anstand und Sitte scheint verloren zu gehen: Was gehört sich und was nicht? Das betrifft vor allem auch die Inhaber bestimmter Ämter. Jede Privatperson darf in der Villa eines Freundes Urlaub machen oder auf Glamour-Partys gehen. Aber für einen Ministerpräsidenten gelten andere Maßstäbe. Und wir dürfen erwarten, dass sich unsere Amtsträger darüber im Klaren sind.

Högl: Mich treibt um, dass der Bundespräsident alle Vorurteile bestätigt, die viele Menschen über Politikerinnen und Politikern haben. Ein Taxifahrer sagte zu mir: „Die anderen Politiker regen sich doch nur deshalb so auf, weil sie selbst nicht von reichen Freunden eingeladen werden.“ So denken leider viele Bürger. Außerdem ärgert mich, dass Christian Wulff offenbar mit dem Lebensstil von Maschmeyer und Co. mithalten wollte. Was das Einkommen angeht, können Politiker mit Leuten aus der freien Wirtschaft niemals mithalten, noch nicht einmal die Kanzlerin. Ich finde, man sollte das einfach akzeptieren. Unser Beruf ist doch aus ganz anderen Gründen reizvoll – nicht wegen des dicken Geldes, sondern aufgrund der Gestaltungsmöglichkeiten.

Viele finden aber auch, Wulff habe bloß Kavaliersdelikte begangen. Müssen wir den Menschen besser erklären, dass Korruption dem Land schadet?

Müller: Ja, aber dabei ist zwischen ökonomischem und ethischem Schaden zu unterscheiden. Der wirtschaftliche Schaden lässt sich kaum beziffern – eben weil Korruption in der Politik sehr unterschwellig abläuft. Bedeutsamer ist der entstehende Verlust des Vertrauens in die politischen Institutionen. Wenn sich der Eindruck verfestigt, dass sich „die da oben“ in erster Linie um sich selbst kümmern, und dass Politik ein schmutziges Geschäft ist, dann hat das besonders negative Wirkungen auf die jüngere Generation. Welcher junge Mensch mit Idealen will denn unter diesen Umständen noch in die Politik gehen? Erst haben wir den Lehrerberuf entwertet, jetzt entwerten wir den Beruf des Politikers.

Seit 2005 ist eine UN-Konvention gegen Korruption in Kraft. Mehr als 150 Staaten haben sie ratifiziert. Deutschland ist nicht dabei, gemeinsam mit Ländern wie Syrien oder Saudi-Arabien. Warum hinkt Deutschland hinterher?

Högl: Die Konvention sieht vor, dass Abgeordnetenbestechung unter Strafe gestellt wird. In Deutschland steht bislang nur der Stimmenkauf unter Strafe. Das reicht nicht aus, um Korruption zu verhindern. Es ist nicht einfach, dafür eine wirksame strafrechtliche Regelung zu finden, die zum freien Mandat und der parlamentarischen Arbeit passt. Die berühmte Einladung zum Weinfest will man natürlich nicht unter Strafe stellen. Aber wo ist die Grenze des Erlaubten? Darüber gab es bislang keine Einigung.

Unternimmt der Bundestag jetzt einen neuen Anlauf?

Högl: Nach den Grünen und der Linkspartei hat jetzt auch die SPD einen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir wollen das Strafrecht ändern und zusätzlich einen Verhaltenskodex erarbeiten, in dem aufgelistet wird, was in den Bereich der parlamentarischen Gepflogenheiten fällt. Diese Diskussion halte ich auch anlässlich der Causa Wulff für zentral. Erst wenn sich unsere Gesellschaft darüber verständigt hat, lassen sich unterschiedliche Sachverhalte – zum Beispiel die Gewährung günstiger Kredite – richtig bewerten. Dass sich die Regierungskoalition unseren Vorschlägen bislang noch verweigert, ist peinlich für Deutschland.

Gibt es auch Abgeordnete, die eine Gesetzesänderung ganz verhindern wollen?

Högl: Ja, in den Reihen von FDP, CDU und CSU. Ihre Begründung: Abgeordnete seien nicht mit Amtsträgern gleichzusetzen. Aber das wollen wir ja auch gar nicht tun; Amtsträger unterliegen ganz anderen strafrechtlichen Regelungen als Abgeordnete. Manche Abgeordnete meinen auch, die Ratifizierung der Konvention sei unnötig, weil es das Phänomen der Abgeordnetenbestechung in Deutschland gar nicht gebe.

Widersprechen solche Regelungen der Freiheit des Mandats, wie Siegfried Kauder, der Vorsitzende des Rechtsausschusses meint?

Müller: Diese Argumentation kann ich nicht nachvollziehen. Das freie Mandat schützt die Abgeordneten doch nicht davor, für Korruption oder andere Straftaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wir von Transparency sind sehr froh, dass die Debatte über die Umsetzung der UN-Konvention aufgrund des Vorschlags der SPD-Fraktion Fahrt aufgenommen hat. Besonders gut finde ich die Idee, dass sich das Parlament über einen Verhaltenskodex verständigen soll.

Was müsste neben der Regelung der Abgeordnetenbestechung noch geschehen, um Korruption in der Politik zu vermeiden und für mehr Transparenz zu sorgen?

Högl: Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion sind drei weitere Themen wichtig. Erstens die Karenzzeit für ehemalige Politiker, die in die Wirtschaft wechseln wollen. Dieser Sachverhalt ist schwierig zu regeln, man kann ja keine Berufsverbote aussprechen. Deshalb wird man das nur über eine Art Selbstverpflichtung machen können. Das zweite Thema ist die Beschäftigung externer Experten in den Bundesministerien, die zum Beispiel von Unternehmen oder Verbänden kommen. Das will die SPD nicht verbieten, aber mehr Transparenz schaffen. Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine Veröffentlichungspflicht vorsieht. Es muss nachvollziehbar werden, wer an welchem Gesetz mitgearbeitet hat – das Ziel ist eine Art legislativer Fußabdruck. Drittens fordern wir ein verbindliches Lobbyregister, in dem festgehalten wird, wer in welchem Auftrag und mit welchem Geld im Hintergrund im Bundestag unterwegs ist. Das freiwillige Lobbyregister, das seit 1973 existiert, hat sich als unzureichend erwiesen.

Ist legaler Lobbyismus für die Demokratie nicht sowieso ein größeres Problem als Korruption?

Müller: Die Vertretung eigener Interessen ist ja nicht automatisch schlecht. Im Gegenteil, die Verbände erfüllen eine wichtige Funktion: Sie bündeln Interessen, verhandeln mit der Politik – und helfen anschließend mit bei der Durchsetzung von Kompromissen. Allerdings sind inzwischen viele Interessenvertreter am Werk, die diese Funktion nicht mehr erfüllen. Was es heutzutage an Politikberatungsfirmen gibt, ist ja unglaublich. Die werden gemietet, damit sie in einem bestimmten Moment den politischen Prozess von allen Seiten beeinflussen – über Anzeigen, öffentliche Aktionen bis hin zu illegitimen Formen der Einflussnahme. Da wird Stimmung gemacht, um die Politik unter Zugzwang zu setzen. Häufig arbeiten Anwaltskanzleien oder Lobbyisten nur für einzelne Unternehmen und stellen punktuelle Forderungen, die ihren Unternehmen, aber nicht der gesamten Branche zugutekommen sollen. Um die Implementierung von verabschiedeten Gesetzen in ihrer Branche kümmern sie sich natürlich auch nicht. Diese Strukturveränderung in der Lobbylandschaft führt dazu, dass die kleine und mittelständische Industrie unter die Räder kommt. Der Unternehmenskonzentration wird Vorschub geleistet.

Korruption lässt sich nur bis zu einer Grenze mit Gesetzen beikommen. Brauchen wir nicht auch einen Bewusstseinswandel?

Müller: Unbedingt. Vor allem brauchen Politiker mehr Selbstbewusstsein. Sie sind keine Opfer von illegitimem Lobbyismus, sondern stellen einfach zum Teil nicht die richtigen Fragen. Manchmal haben sie auch nicht genügend Personal zur Verfügung, um den Lobbyisten etwas entgegenzusetzen. Generell wünsche ich mir mehr Politiker, die mit gesundem Menschenverstand an die Dinge herangehen.

Högl: Politiker müssen selbstbewusst sein, das kann ich nur unterschreiben. Und sie müssen unabhängig sein, was nicht immer einfach ist. Wenn Abgeordnete ein großes Unternehmen im Wahlkreis haben, das pünktlich zum Wahlkampf immer eine ordentliche Spende liefert, fällt es schwer, deren Wünsche abzuschlagen – zumal es als gute Wahlkreisarbeit gewertet wird, die Interessen des Unternehmens zu vertreten. Deshalb brauchen wir unabhängige und starke Persönlichkeiten in den Parlamenten. Unabhängigkeit erfordert viel Kraft – und viel Unterstützung von der Gesellschaft und den Wählerinnen und Wählern.

Herzlichen Dank für das Gespräch.


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