Paris

Wenn selbst die SPD zusammenbricht, muss die Krise ernst sein

Deutschland genießt in Frankreich ein hohes Maß an politischer und medialer Aufmerksamkeit, und die Qualität der französischen Deutschland-Expertise ist durchaus beeindruckend. So haben sich die französischen Medien denn auch nicht lange mit den Oberflächlichkeiten der Wahlberichterstattung aufgehalten. Eine Ausnahme war vielleicht die Libération, aber in dieser Redaktion wurden in den vergangenen Jahren auch mehr als die Hälfte der Journalistenstellen abgebaut. „Super-Merkel“ titelte das Leib- und Magenblatt der linksalternativen bobos,  der bürgerlichen bohémiens am Montag nach der Wahl.


Die übrige Presse reagierte weniger plakativ. Die Zeitungen schilderten die Widersprüchlichkeit des Wahlergebnisses, erwähnten auch das schlechte Abschneiden der CDU und die neuen Probleme, die unter den Bedingungen einer schwarz-gelben Koalition auf eine Kanzlerin wohl zukommen werden, die auf Mitte und Konsens orientiert ist. Angesichts der Besitzstrukturen der französischen Presse – ein Großteil wird von Großkonzernen aus dem Rüstungs-, Bau- und Konsumsektor kontrolliert – ist es nicht verwunderlich, dass die generelle Berichterstattung positiv ausfiel. Frankreich, so der stockkonservative Figaro, könne sich über den Wahlausgang nur freuen: „Bravo, Angela!“


Interessanterweise wird dennoch nicht so getan, als ob der Wahlausgang für das bilaterale Verhältnis unbedingt positiv sei. Im Gegenteil: Eine schwarz-gelbe Koalition, so die Kommentare, lasse eher größere als geringere Spannungen im deutsch-französischen Verhältnis erwarten. In wichtigen gesamteuropäischen Fragen wie der Wirtschaftspolitik, Europa oder der Steuerung der Globalisierung stelle das neue Bündnis in Berlin für Frankreich ein Problem dar. Der Einfluss der FDP, so der Figaro, „könnte die wirtschaftspolitischen Gegensätze zwischen Frankreich und Deutschland vertiefen“. Le Monde ging in ihrem Leitartikel nach den Wahlen sogar weiter: Zu erwarten sei eine noch egoistischere deutsche Wirtschafts- und Haushaltspolitik, die auf eine einseitige Stärkung der deutschen Exportwirtschaft setze. Die gestärkte Rolle der FDP „nützt weder Frankreich noch Europa“.

Unterwegs in entgegengesetzte Richtungen?

In der Wirtschaftspresse finden sich ähnliche Einschätzungen. Der Redaktionsleiter des Wirtschaftsmagazins Enjeux-Les Echos  schreibt, dass sich die beiden Länder nun auf deutlich unterschiedlichen Pfaden befänden. Deutschland werde seinen Kurs fortsetzen, durch Kostensenkungen Wettbewerbsvorteile zu gewinnen – zulasten der europäischen Handelspartner. „Dieser Koalitionswechsel“, so Eric Le Boucher, „macht die Aufgabe für Nicolas Sarkozy noch komplizierter. Statt die deutsch-französische Achse zu stärken, wird diese Wahl die Bitterkeiten nähren: Die Länder bewegen sich in völlig entgegengesetzte Richtungen.“


Ein ähnliches Fazit liest sich auch bei der Bank Natixis in ihrer Analyse der wirtschaftlichen Folgen der Wahlen: „Die Wirtschaftspolitik [Deutschlands] wird explizit nicht-kooperativ bleiben.“ Das hört man in Paris angesichts der Interdependenzen der europäischen Volkswirtschaften nicht gerne. Sarkozy hat in den vergangenen Monaten stärker noch als Angela Merkel eine Politik der Öffnung zur Mitte betrieben. Den Wahltermin 2012 fest im Blick, fischt er mit nachfrageorientiertem deficit spending, sozialstaatlichen Innovationen und einer offensiven Rhetorik, was strengere Regelungen auf den globalen Finanzmärkten betrifft, heftig in den Wahlgewässern der linken Mitte. Erfolge bei der Ankurbelung der europäischen Volkswirtschaften und einer stärkeren Regulierung der internationalen Finanzmärkte wird er ohne Unterstützung aus Berlin aber nicht erreichen können.


Wie überhaupt keineswegs überall in der französischen Regierung mit großen Erwartungen auf die schwarz-gelbe Koalition geblickt wird, auch nicht im französischen Außenministerium, dem Quai d’Orsay. Spricht man mit Diplomaten, hat man den Eindruck, dass sich die Vorfreude auf einen Außenminister Guido Westerwelle in Grenzen hält. Der Mann kenne Frankreich nicht und habe noch nie ein besonderes Interesse an Frankreich gezeigt. Durchaus registriert worden ist Westerwelles außenpolitische Bewerbungsrede bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik am 4. Mai, wo er davon sprach, dass europapolitisch „Luxemburg so groß wie Frankreich ist“. Auch die Absicht, dem deutsch-französischen Sonderverhältnis ebenso gute Beziehungen nach Polen entgegensetzen zu wollen, kann in Paris nur irritieren.


Gemeinsam mit der befürchteten „nicht-kooperativen“ Wirtschaftspolitik Deutschlands und neuen Zurückhaltung bei globalen Regulierungsansätzen ergibt dies nicht gerade das Bild einer ungetrübten zukünftigen Zusammenarbeit. Dennoch werden natürlich auch Erwartungen an stärkere Übereinstimmungen artikuliert: bei der Frage des EU-Beitritts der Türkei etwa, in der Russlandpolitik oder in der Frage der Kernenergie. Auch wird es demnächst wieder eine gemeinsame Initiative der beiden Staats- beziehungsweise Regierungschefs geben. Symbolpolitik hat noch nie geschadet, zumal in Zeiten, wo das Eis der Gemeinsamkeiten dünner zu werden droht.

Gnade mit der alten Tante aus Godesberg

Bleibt die Frage, wie das Abschneiden der SPD bewertet wird. Im Allgemeinen gehen die französischen Journalisten gnädig mit der alten Tante aus Bad Godesberg um. Sie machen weder den Spitzenkandidaten für die Niederlage verantwortlich, noch seinen Wahlkampf. Die SPD wird dargestellt als Opfer einer Großen Koalition, die ihre politische Erkennbarkeit zerstört habe, zerrieben zwischen einer sozialdemokratisierten Kanzlerin und einer immer forscher auftretenden Linken. Die Krise der SPD, so der Tenor, sei Ausdruck der generellen Krise der europäischen Sozialdemokratie.


Nuancierter wird das innerhalb der Sozialistischen Partei selbst gesehen. Hier wird angenommen, das Desaster der SPD sei auch das Ergebnis einer zu stark wirtschaftsliberal inspirierten Politik gewesen. Zu den generellen Problemen der europäischen Linken hätten sich spezifische Probleme der SPD gesellt: kein erkennbar eigenständiges politisches Projekt, eine relativ schwache Führung, dazu ein Glaubwürdigkeitsproblem im Wahlkampf. Hartz IV ist in diesen Diskussionen kein Fremdwort. Hingewiesen wird auch auf den Keil, den die „Basta“-Rhetorik der Vergangenheit zwischen Gewerkschaften und SPD getrieben und damit der „Linken“ genützt habe.

In der Rue Solférino sitzt der Schock tief

Für einen Großteil meiner Gesprächspartner in der Partie Socialiste (PS) ist das Ergebnis ein Schock: Die SPD war für eine ganze Generation französischer Sozialisten ein zentraler institutioneller und ideologischer Referenzpunkt gewesen. Wenn selbst die SPD zusammenbricht, so meinen viele, dann muss die Krise der europäischen Sozialdemokratie wirklich dramatisch sein. Dennoch lässt sich auch so etwas wie Schadenfreude feststellen: Viel zu sehr hat man in der Rue Solférino in den vergangenen Jahren auch unter den Belehrungen aus Berlin und London gelitten, wo man nicht müde wurde, der PS den Tugendpfad liberaler Reformpolitik zu empfehlen.


Dabei haben die Lehrmeister eine Tatsache hartnäckig ignoriert: Die PS hat ihren „nine-twentyseven“ bereits im Jahr 2002 hinter sich gebracht. Damals scheiterte Lionel Jospin trotz einer ausgezeichneten Regierungsbilanz an Jean-Marie Le Pen, mit einem Rekordminus bei Arbeitnehmern und einfachen Leuten. Sieben Jahre später hat sich die Partei noch immer nicht davon erholt. Honi soit qui mal y pense...

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