Was macht Renzi besser?

Italiens junger Premierminister gilt unter Europas Progressiven als einer ihrer wenigen echten Hoffnungsträger. Auch im eigenen Land rechnen die Menschen Renzi hoch an, dass er die Ärmel aufkrempelt, um Italien zu reparieren. Doch irgendwann werden die realen Ergebnisse zählen - und um die ist es nicht wirklich gut bestellt

Die Welt ist ungerecht: In Frankreich wächst die Wirtschaft deutlich stärker als in Italien und die Arbeitslosigkeit fällt geringer aus. Aber während François Hollande in Frankreich alle Unpopularitätsrekorde bricht, ist der italienische Regierungschef Matteo Renzi einer der beliebtesten Politiker seines Landes. Er kann sich sogar berechtigte Hoffnungen machen, nach der nächsten Wahl an der Spitze einer absoluten Mehrheit weiter zu regieren.

Was macht Renzi besser als der französische Präsident? In erster Linie ist es wohl der Eindruck, dass Renzi überhaupt etwas macht, der die positive Grundstimmung der Italiener gegenüber ihrem Premierminister erklärt. Renzis Regierung stellt in den Augen vieler Bürger immer noch einen glaubwürdigen Neuanfang dar nach Jahren der Stagnation und Selbstblockade des politischen Systems.

Ein beeindruckendes Reformprogramm

Ohne eigenes demokratisches Mandat – Renzi kandidierte bei den Parlamentswahlen 2013 nicht selbst, sondern gelangte als Parteivorsitzender ins Amt des Ministerpräsidenten – hat er seit Feb­ruar 2014 ein durchaus beeindruckendes Reformprogramm durch den Institutionendschungel der italienischen Politik gebracht: Seine Regierung hat das Zweikammersystem verschlankt, das Wahlrecht geändert, die Arbeitsgesetzgebung reformiert, die Verwaltungsebenen vereinfacht, die Schulautonomie und -finanzierung gestärkt, das Staatsbürgerrecht modernisiert, Scheidungsverfahren erleichtert und gleichgeschlechtliche Partnerschaften legalisiert.

Bei der Wahl seiner Methoden und Allian­zen war Renzi dabei nicht wählerisch: Die im Wesentlichen mit Silvio Berlus­coni ausgehandelten institutionellen Reformen wurden unter massivem Einsatz der Vertrauensfrage und mit wechselnden Partnern durch die beiden Kammern des Parlaments gedrückt – bei Verfassungs- und Wahlrechtsreformen ein extrem ungewöhnlicher Weg. Innerparteiliche Kritik ignorierte Renzi ebenso wie Einsprüche der Opposition oder der Zivilgesellschaft. Auch von der Kirche hat sich der Katholik nicht einschüchtern lassen. Auf die Kritik der italienischen Bischofskonferenz an den gleichgeschlechtlichen Partnerschaften erwiderte der 41-Jährige trocken, er habe als Ministerpräsident „einen Eid auf die Verfassung abgelegt, nicht auf das Evangelium“.

Politik als Kontaktsportart

Die schmerzfreie Art und Weise der Politikgestaltung ist einer der Hauptkritikpunkte an Renzi, sowohl von seinen innerparteilichen Gegnern, als auch bei vielen kritischen Journalisten und Wissenschaftlern. Doch Matteo Renzi versteht Politik eindeutig als Kontaktsportart. In der Auseinandersetzung mit den politischen Institutionen Italiens spielt der selbsternannte „Verschrotter“ zudem eine stark personalisierte und populistische Note.

Kritiker meinen, bei ihm eine Art „Regierungspopulismus“ entdecken zu können: Der Ministerpräsident besteht rhetorisch gerne darauf, mit den alten Institutionen der parlamentarischen Demokratie und der organisierten Interessengruppen wenig zu tun zu haben. Er stilisiert sich als „Macher“ und sucht die direkte Ansprache der Bevölkerung über Fernsehauftritte und soziale Medien (auch Leser der Berliner Republik können sich unter matteo@governo.it ganz persönlich an den Premier wenden).

Bezogen auf das im Herbst anstehende Referendum über die Verfassungsreform erklärte er kürzlich: „Ich gegen die Parteien? Mehr oder weniger ist das so. Aber mich interessieren die Parteien nicht. Mich interessieren die Leute.“ Das Verhältnis zu den Gewerkschaften, die Renzi im Grunde völlig ignoriert, muss als schwer belastet gelten. Und auch das Verhältnis zu seiner eigenen Partei – deren Vorsitzender Renzi ja auch noch ist – gestaltet sich zumindest nicht unproblematisch. Renzi unternimmt kaum Anstrengungen, den linken Flügel der Partito Democratico (PD) einzubinden und auf dessen Bedenken gegenüber dem Missbrauchspotenzial der neuen Verfassungsbestimmungen und des Wahlrechts einzugehen.

Inhaltlich macht Renzis Regierung im Wesentlichen aber nichts anderes als verschiedene andere Parteien der linken Mitte in Europa in den vergangenen Jahrzehnten: wirtschaftsfreundliche Strukturreformen gekoppelt mit einem gesellschaftspolitischen Liberalisierungskurs. Für beide Aspekte dieser nachholenden Modernisierungspolitik gibt es in der italienischen Gesellschaft erheblichen Zuspruch.

Mit seiner populistischen Rhetorik (die bezüglich des Parlaments durchaus die Grenze zur offenen Verachtung streifen kann) surft Renzi zudem auf der grundsätzlichen Negativhaltung der Italiener gegenüber „la casta“, einer als selbstbezogen und sich selbst privilegierend wahrgenommenen politischen Klasse. Für die Zustimmung zur neuen Verfassung wirbt er nicht zuletzt mit dem Argument, dass damit „jeder dritte Politiker nach Hause gehen muss“.

Der Zauber des Neuanfangs verblasst

Es ist insofern auch keine Überraschung, dass der Hauptkonkurrent der Renzi-PD nicht die traditionelle, unter Berlus­conis Niedergang leidende politische Rechte ist, sondern die 5-Sterne-Bewegung (M5S), deren Wurzeln in den „vaffanculo days“ („Verpisst euch-Tage“) des Polit-Entertainers Beppe Grillo liegen. Noch liegt die PD in nationalen Umfragen leicht vor der 5-Sterne-Bewegung. Dass dies immer so bleiben wird, ist jedoch nicht sicher. So haben die Kommunalwahlen in wichtigen Städten des Landes (unter anderem in Rom, Mailand, Neapel, Turin und Bologna) im Juni gezeigt, dass der Zauber des Neuanfangs unter Renzi – der bei den Europawahlen 2014 noch zum Wahltriumph der PD geführt hatte – allmählich verblasst. Die M5S ist durchaus in der Lage, der PD unerfreulich nahe zu rücken.

Entscheidend für die längerfristigen Perspektiven Renzis ist die wirtschaft­liche Entwicklung. Und hier ist die Lage weit weniger positiv, als zu hoffen wäre. Italien leidet unter einer fast zehnjährigen Stagnation, und eine echte Lösung ist nicht in Sicht. Seit der Einführung des Euro ist es zu einem Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Industrie vor allem im innereuropäischen Handel gekommen. Der industrielle Output liegt heute 30 Prozent unter dem Spitzenwert vor der Finanz- und Euro­krise.

Dies ist auch deswegen von Bedeutung, weil Italien nach Deutschland immer noch das zweitgrößte Industrieland Europas ist, mit einem erheblichen Anteil der Industrie an der Wertschöpfung. Doch die Zahl der Firmenpleiten steigt auch in diesem Jahr an. Und die strukturelle Heterogenität der italieni­schen Volkswirtschaft – mit einem modernen, international wettbewerbsfähigen Norden und einem deindustrialisierten Süden – hat sich seit Beginn der Krise weiter verstärkt. In manchen Regionen des Südens etwa liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 60 Prozent. Eine Strategie für den Süden hat Renzis Regierung jedoch noch nicht einmal in Ansätzen formuliert.

Auch die Effekte der großen fiskalischen Anstrengungen, die die Regierung in den vergangenen Jahren zur Ankurbelung des Arbeitsmarktes unternommen hat, haben sich weitgehend als Strohfeuer erwiesen. Italien braucht echtes Wachstum und zwar schnell – doch es ist nicht so recht erkennbar, woher dafür die Treiber kommen sollen. Der Bankensektor ächzt unter einem hohen Anteil fauler Kredite, während die privaten Haushalte in der Rezession viele ihrer Reserven verbraucht haben. Der Binnenkonsum hat zwar die italienische Wirtschaft durchaus stabilisiert, er kann aber nicht die Funktion der Wachstumslokomotive übernehmen, weil das durchschnittliche Familieneinkommen der abhängig Beschäftigten heute preisbereinigt wieder auf den Stand von 1980 gefallen ist.

Konjunkturpolitische Spielräume sind bei einer Staatsverschuldung von 134 Prozent kaum vorhanden, und die Verpflichtungen aus dem europäischen Fiskalpakt drohen diese Spielräume in noch weiter zu verengen. Insofern klingen die von der Regierung wiederholt formulierten frohen Botschaften, die Wirtschaft sei jetzt wieder auf Wachstumskurs, wie Pfeifen im Walde.

Die Bevölkerung jedenfalls hat die Hoffnung auf eine Wende in der wirtschaftlichen Entwicklung eher verloren: In sämtlichen Umfragen zweifelt eine große Mehrheit der Italiener daran, dass in absehbarer Zeit eine Verbesserung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation eintreten wird. Noch bekommt Matteo Renzi Kredit dafür, dass er die Ärmel hochkrempelt und tatsächlich versucht, das politische System und den Staat zu verändern. Aber irgendwann wird dieser Vertrauensvorschuss verbraucht sein. Dann zählen die realen Ergebnisse in den Lebensverhältnissen der Menschen. Es ist im Moment nicht leicht, in Italien ein Hoffnungsträger zu sein.

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