Mitgliederpartei und Versammlungsdemokratie

Wider die Flucht in den Zentralismus

Unser Grundgesetz formuliert den Auftrag von Parteien in unserer Demokratie. Nach Artikel 21 unserer Verfassung wirken sie an der politischen Willensbildung des deutschen Volkes mit. Diese Beteiligung an der Willensbildung hat sich in den Bahnen innerparteilicher Demokratie zu vollziehen. Das Gebot und die Beachtung der innerparteilichen Demokratie garantiert die politische Demokratie mindestens in dem gleichen Maße, wie es das Vorhandensein unterschiedlicher Parteien tut. Dies hat Wolfgang Abendroth vor über 35 Jahren in einer heute noch lesenswerten Analyse dargelegt.1 Daraus folgt: Mein Leitbild von der SPD ist das einer demokratischen Mitgliederpartei.

Die Entwicklung der Mitgliederzahlen, aber auch die dramatische Abnahme der Wahlbeteiligung zeigen, dass die Mitgliederparteien zunehmend mit Legitimationsproblemen zu kämpfen haben. Die Zahlen sind jedoch nicht die Ursache der Krise, sondern ihr Anzeichen. Ich will im folgenden drei zentrale Gründe für die Krise der demokratischen Mitgliederparteien - und somit auch für die ernsthaften Probleme der SPD - benennen. Vorab sei noch betont, dass es stets eine aktive Mitgliederschaft war, die die besondere Stärke und Attraktivität der deutschen Sozialdemokratie ausmachte, zumal es einen offensichtlichen Zusammenhang von Mitgliederstärke und Wahlerfolgen gibt. Es ist kein Zufall, dass nur den großen Parteien die Führung in der Landes- bzw. Bundesregierung zufallen kann. SPD und CDU konkurrieren um Richtungsbestimmungen in der deutschen Politik. Sie stellen die Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten, nicht die kleineren Parteien. Nun aber zu den drei zentralen Ursachen unserer aktuellen Schwierigkeiten:

Erstens: Wir haben es zur Zeit zu tun mit einer Krise der Versammlungsdemokratie und einer Zerstörung des politischen Raums.2 Zentrale Orte der Versammlungsdemokratie sind die Mitgliederversammlungen in den Basisorganisationen der Parteien, also bei der SPD den Ortsvereinen, denn hier sollte entschieden werden, welche privaten Anliegen zu öffentlichen Anliegen werden. Dies ist etwas Einzigartiges und eine der vornehmsten Aufgaben von demokratischen Parteien. Natürlich gibt es auch andere Orte, in denen private Anliegen und spezifische Interessen vermittelt werden, doch geht es hier nicht um die Formulierung von öffentlichen Anliegen, sondern zumeist um Verbands- oder Gruppeninteressen.

Die Versammlungsdemokratie oder diejenigen Räume, die zwischen der Privatsphäre und den staatlichen politischen Institutionen liegen, geraten seit geraumer Zeit gleich von zwei Seiten unter Druck: Zum einen versuchen politische Profis, also eine Vielzahl von politischen Beratern, Meinungsforschern und Spin-Doktoren diese öffentlichen Räume zu dirigieren und zur Verkündigung politischer Botschaften "von oben" zu machen. Widerspruch wird dann als illoyal, Bedenken werden als lästig empfunden. Auf der anderen Seite werden in einem Großteil der medialen Öffentlichkeit inzwischen private Probleme skandalisiert oder thematisiert, die keinen öffentlichen Charakter besitzen. Ein anschauliches Beispiel bieten hierfür die zahlreichen nachmittäglichen Talkshows nahezu aller Fernsehsender. Sie belegen allerdings auch, dass die Medien nicht wirklich im Stande sind, die dort vorgebrachten private Anliegen in ein öffentliches Interesse zu münzen, selbst wenn sie eine gewisse Berechtigung haben, neben Neugier auch öffentliches Interesse zu finden.

Die SPD muß sich dieser Vermittlungskrise zwischen privatem Anliegen und öffentlichem Interesse stellen. Sie sollte über ihrem Bestreben, in den Medien gut auszusehen, nicht vergessen, aus scheinbar privaten Problemen oder individuellen Hoffnungen Politik zu machen. Somit kann es für sie in erster Linie nur darum gehen, die Versammlungsdemokratie neu zu beleben. Dies kann nur gelingen, wenn die SPD sich nicht "billig macht". Es ist relativ einfach, in eine Partei einzutreten und es ist relativ einfach, diese auch wieder zu verlassen. Nur wenn man Mitglied einer Partei ist, erwirbt man besondere Rechte, an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Sie bestehen darin, politische Programme der Parteien mitzugestalten und an der Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten für öffentliche Ämter mitzuwirken. Dieses Recht sollte sie sich nicht selbst durch Vorwahlen, Kumulieren oder Panaschieren streitig machen.


Zweitens: Eine weitere Ursache der aktuellen Probleme liegt darin, dass Politik und Macht immer stärker auseinander treten. Dass Politik gesellschaftliche Gestaltungsmacht bedeutet, ist heute längst nicht mehr selbstverständlich. Die Macht ist von den Parteivorständen in die Zentralen großer, global agierender Unternehmen abgewandert. Deswegen muß es einer Partei wie der SPD darum gehen, die Macht wieder in die Politik zurückzuholen - nicht um sie bedenkenlos für ihre politischen Positionen auszuüben, sondern um sie wieder zu demokratisieren. Denn demokratische Macht gibt es nur mit demokratischen Mitgliederparteien, aber nicht mit Parteien, die öffentliche Interessen dem Primat einer allzu kurzsichtigen Ökonomie unterordnen, oder aber mit kleineren, gut informierten, mobilen sozialen Gruppen, die sich darauf spezialisiert haben, ihre besonderen Wünsche möglichst effektiv gegen weite Teile der Bevölkerung durchzusetzen.

Mit dieser Machtverlagerung vollzieht sich übrigens auch eine Verlagerung des öffentlichen Ansehens: Mußte sich vor zwanzig Jahren noch jeder Unternehmer schämen, wenn er Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entließ, so wird er heute für Umstrukturierungen, die Tausende von Arbeitsplätzen vernichten, gefeiert. Umgekehrt sinkt das Ansehen der Politikerinnen und Politiker mit dem Verlust ihrer Macht. Ihnen schlägt nicht mehr nur von weiten Teilen ökonomischer Machteliten oder Ewiggestriger, sondern zunehmend auch von Seiten derjenigen, die eigentlich in besonderem Maße auf Politik angewiesen sind, "müde Verachtung" entgegen. Diesen allmählichen Einstellungswandel hat Jedediah Purdy anschaulich beschrieben.3 Ist die Bürgerschaft erst einmal zum Publikum geworden, spielt dieses das Spiel zwar mit - nichts von Politikern zu erwarten, verachtet aber die ganze Show der political junkies um so mehr. Purdy plädiert nun dafür, dass die Bürger die Politik nicht der politischen Klasse überlassen und dass sie ernsthafte politische Forderungen an die Politiker richten. Die Bürger sollen einen Einstellungswandel vollziehen, damit die Politiker zur Redlichkeit gezwungen werden können. Demokratische Mitgliederparteien sind nichts anderes als eine derartige Versicherung. Ohne sie würde der Graben zwischen den Politiksüchtigen und den Zuschauern fast unüberwindbar.


Drittens: Es gibt auch ein inhaltlich-strategisches Standortproblem, das die NRW-SPD nicht länger ignorieren darf. Trifft meine Beobachtung zu, dann versucht sich die NRW-CDU zur Zeit als eine Partei des sozialen Kapitalismus zu etablieren. Die Grünen beanspruchen eine Form des ökologisch-liberalen Kapitalismus zu begründen, während die F.D.P. auf einen weitgehend schrankenlosen Kapitalismus setzt. Die besondere Leistung der NRW-SPD als struktureller Mehrheitspartei hat in der Vergangenheit darin gelegen, über eine außergewöhnliche konzeptionelle Integrationskraft zu verfügen - und über Personen, die diese verkörperten. Unsere Stichworte lauteten Arbeit und Umwelt, industrielle Kompetenz und sozialer Ausgleich, ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft, Sicherheit im Strukturwandel.

Dagegen ist es uns bis heute nicht hinreichend gelungen, aus den Postulaten Innovation und Gerechtigkeit überzeugende Handlungskonzepte zu machen. Dies hängt offenkundig auch damit zusammen, dass die SPD noch nicht hinreichend begriffen hat, dass ihre politische Gestaltungsaufgabe sich in einer neuartigen Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft stellt. Ohne integrative Konzepte, die sich mit der Landesfarbe NRW verbinden, wird die NRW-SPD weiter an Überzeugungskraft einbüßen und an Unterstützung aus allen Bereichen der Gesellschaft verlieren. Das Gebot der Stunde lautet, eine zentrale, aufregende Botschaft in den Farben des Landes zu verbreiten, die alle diejenigen wie die Motten das Licht anzieht, die ein ebenso abgewogenes wie ambitioniertes Interesse an den öffentlichen Anliegen haben.

Anstatt sich auf die Grundfunktionen von Politik in einer demokratischen Gesellschaft zu besinnen, sich den sachlichen Herausforderungen zu stellen und dem mühsamen Geschäft des Bohrens dicker Bretter hinzugeben, werden die Auswege aus dem politischen Legitimationsverlust sozialdemokratischer Regierungspolitik in schnellen, gefälligen Antworten gesucht. Sie lauten: stärkere Personalisierung und größere Geschlossenheit, Mythos Internet und Flucht in die Zentralisierung. Hinter ihnen steht der Glaube, mit organisationspolitischen Maßnahmen, die die Partei stärker auf Medienauftritte ausrichten, auch tiefer sitzende politische Probleme lösen zu können.

Erstens: Mehr Personalisierung und stärkere Geschlossenheit. Natürlich vermittelt sich Politik über Menschen - aber nicht nur diejenigen Spitzenpolitiker, die im Fernsehen sichtbar werden, zählen dazu. Auch und gerade diejenigen, die Podiumsdiskussionen in der Kleinstadt organisieren, die fernab von Fernsehkameras politische Verständigungsmöglichkeiten bei regionalen Konflikten suchen oder die sogenannten Hinterbänkler, die den Bürgern in ihren Sprechstunden als Abgeordnete gegenübersitzen. Neuere Untersuchungen zum Ergebnis der Bundestagswahl ′98 zeigen zudem, dass die These, die Wählerinnen und Wähler orientierten sich vor allem am Auftreten und Erscheinungsbild von Spitzenpolitikern, nicht zu halten ist. In einer detaillierten Studie hat Bernhard Weßels die Bestimmungsgründe für den Wahlerfolg der SPD erforscht. Danach spielten die Parteiidentifikation und sachbezogene Parteiorientierungen eine wesentlich größere Rolle für das Abschneiden bei der Wahl als die Kanzlerkandidatenauswahl. Der Kandidateneffekt beruht zudem auf weiteren, eher sachpolitischen Aspekten. Die Wählerinnen und Wähler beurteilen Spitzenkandidaten weniger nach telegenem Auftreten, als nach Vertrauens- und Glaubwürdigkeit sowie Kompetenz in unterschiedlichen Sachfeldern der Politik.4 Nicht dass damit der Kandidatenfaktor geleugnet würde; er wird allerdings zum Tüpfelchen auf dem "i" relativiert. Die praktische Konsequenz aus diesem Befund liegt darin, stärker an einem zeitgemäßen sachfragenbezogenen Parteiprofil zu arbeiten, welches die Identifikation der Stammwähler mit ihrer Partei nicht ständig Belastungsproben aussetzt, sondern ihnen neue Identifikationsmöglichkeiten bietet.

Zweitens: Mythos Internet. Das Internet beflügelt die Hoffnung auf eine Ausschaltung der Vermittlung der üblichen Medien wie Zeitungen und Fernsehen und eine direktere, schnellere und unverfälschtere Form der Kommunikation mit den Wählern und Parteimitgliedern. Neuere Untersuchungen zeigen aber auch hier, dass auf den Internet-Seiten der Parteien zumeist nur die aktiven Parteimitglieder landen. Will man die politische Vertrauensarbeit der NRW-SPD stärker am Lebensalltag der Menschen ausrichten, dann gehört das Internet sicher dazu. Aber die Webseite des SPD-Landesverbandes ist deshalb noch lange nicht ihr Lebensmittelpunkt und ihre Lebenswirklichkeit. Sie ist eher das Kopfblatt einer Parteizeitung, der man elektronisch Leserbriefe zusenden kann. Wer die mangelnde Überzeugungskraft der Partei in manchen Sachfragen mit der Schnelligkeit einer über das Internet betriebenen Meinungs- und Willensbildung auszugleichen glaubt, verwechselt Informationsprobleme allzu leicht mit nicht ausgetragenen sachlichen Konflikten.

Drittens: Die Flucht in die Zentralisierung. Entgegen einer landläufigen Meinung war die SPD niemals eine homogene, geschlossen agierende, zentral zu lenkende Organisation. Aus einem entscheidenden Grund: Deutschland war niemals ein unitarischer Staat, es war immer ein föderatives Staatengebilde. Noch weiter: Auch Nordrhein-Westfalen ist keine territoriale historische Region, besitzt keine lange zentralstaatliche Tradition. Dass aus dem Trennstrich ein Bindestrich werden konnte, lag vielmehr in der Klammerfunktion des Ruhrgebiets, in weitergehenden interregionalen Verflechtungen und einem Identifikationsangebot, in dem sich Bewohner ganz unterschiedlicher Regionen aufgehoben fühlten. Nicht nur Organisationserfahrungen in Bayern und Baden-Württemberg, auch die gängigen Unternehmenskonzepte sprechen gegen eine übermäßige Zentralisierung mit den dann unvermeidlichen Wasserköpfen.

Dass die Mitglieder einer Partei weder die Lemminge sind, für die sie von außen gehalten werden, noch ein Konsumentenverhalten entwickelt haben, wie es manche politische Berater und Agenturen ihnen nachsagen, zeigt eine im Auftrag des SPD-Parteivorstandes durchgeführte polis-Studie.


Sie weist in sehr eindrucksvoller Weise nach, dass die Mitglieder der SPD - und dabei ist es völlig egal, ob sie soeben eingetreten sind oder schon zwanzig Jahre der Partei angehören - zuallererst ihre Aufgabe darin sehen, das Programm der Partei zu vertreten. Dies geschieht nicht nur in den Parlamenten oder in den Gremien, es geschieht vielmehr auch durch Mitglieder, die "nur" ihren Beitrag zahlen und sich für unsere Politik in Verwandtschaft und Bekanntenkreis, Betrieb und Verwaltung oder bei ihren Freizeitaktivitäten einsetzen. Es gibt überhaupt keinen Grund, sie als Mitglieder zweiter Klasse zu betrachten, wenn sie nicht direkt in den Reihen der Aktiven mitlaufen wollen. Dies heißt freilich nicht, dass man darauf verzichten sollte, ihnen immer wieder Angebote zu weiterem, stärkerem Engagement zu machen.

Der zweitwichtigste Grund - folgt man den polis-Ergebnissen -, warum Bürgerinnen und Bürger Mitglied der SPD geworden sind, liegt darin, dass sie an innerparteilichen Entscheidungen, seien sie politisch-inhaltlicher oder personeller Art, mitwirken möchten. Auch hier gilt es, nicht die Realität zu verkennen: Natürlich kommen nicht alle Mitglieder eines Ortsvereins zur Jahreshauptversammlung, um den Vorstand zu wählen. Hier verhält es sich genauso, wie mit Bürgerinnen und Bürgern einer jeden Großstadt, die - sagen wir - das Kulturangebot ihrer Gemeinde schätzen. Sie werden nicht jeden Tag ins Theater gehen, aber sie möchten die Möglichkeit besitzen, dies jederzeit tun zu können. Ebenso verhält es sich auch mit der Mitwirkung in der Versammlungsdemokratie innerhalb der SPD. Die Mitglieder wollen jederzeit die Möglichkeit haben, Gehör zu finden, mitzuentscheiden und ihre Stimme für oder gegen etwas in die Waagschale zu werfen. Entsteht der Eindruck, dass alles bereits entschieden ist, verlieren diese Mitglieder nicht nur jede Neigung, sich aktiv an innerparteilichen Entscheidungen zu beteiligen, sie werden auch relativ rasch ihr Interesse an einer Parteimitgliedschaft aufgeben. Deswegen muß die erste Dienstleistung von demokratischen Mitgliederparteien darin liegen, ihren Mitgliedern Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zu bieten.

Das Jahr 2001 soll das Jahr des Ehrenamtes in unserer Gesellschaft werden. Es wäre richtig, wenn nachdrücklich darauf hingewiesen würde, dass Ehrenämter nicht nur in Sportvereinen oder karitativen Verbänden ausgeübt werden, sondern auch in politischen Parteien. Es muß darum gehen, diejenigen, die die mühevolle Arbeit der Vermittlung von privaten Anliegen und öffentlichen Interessen gleichsam zu ihrem Nebenberuf gemacht haben, nicht als Pöstchenjäger oder unbelehrbare Funktionäre zu diffamieren.

Ohne integrative Kerngruppen, das heißt ohne die Aktiven in den Vorständen der Ortsvereine, Stadtverbände und Stadtbezirke, Unterbezirke und Bezirke läßt sich keine demokratische Mitgliederpartei machen. Übrigens auch keine erfolgreiche Kommunikation. Denn es gibt keinen Bürger, der nur Fernsehen guckt oder nur Zeitung liest. Politik muß ihm auch weiterhin am Wohnort und am Arbeitsplatz begegnen. Politik im Alltag läßt sich nicht mit Promotionteams machen, dafür braucht man aktive Ehrenamtliche. Sie als "Funktionäre" zu schmähen und zähflüssige innerparteiliche Willensbildungsprozesse als Elend der "Delegiertendemokratie" zu diffamieren, verkennt ihre Funktion für die politische Demokratie insgesamt. Kurzum: Die Stärkung der Versammlungsdemokratie und die Anerkennung der Arbeit der integrativen Kerngruppen von Parteien hängen eng zusammen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.

Die SPD braucht aber nicht nur eine lebendige Versammlungsdemokratie und aktive Demokraten - sie braucht natürlich auch zündende Parolen, substanzielle Botschaften und einigen Ideenreichtum. Die NRW-SPD muß beachten, dass sie in diesem größten Bundesland mit ganz unterschiedlich strukturierten, historisch gewachsenen Regionen zu tun hat. Sie war in den Kommunen und in den Regionen verwurzelt. Dafür sorgte und sorgt die große Dichte ihrer Organisation. Die meisten Menschen pendeln zwischen Wohnort und Arbeitsplatz, sie sind zu Hause in ihrer Gemeinde, in ihrer Stadt und bewegen sich in ihrer Region. Deswegen muß es noch mehr darum gehen, die regionalen Foren politischer Arbeit zu stärken und nicht alles einer Zentrale zu überlassen. Die vielfältige Tätigkeit der regionalen Kulturforen, der Historischen Kommissionen, der Gewerkschafts- und Sportbeiräte oder der Gesprächskreise mit den Kirchen sorgen nicht nur für die Verwurzelung von Parteien in anderen gesellschaftlichen Bereichen - sie leisten auch einen wesentlichen Beitrag zur Begegnung regionaler Eliten und zur Integration der Gesellschaft.

Die Parteibezirke als organisatorische Grundeinheiten der SPD haben ihren Zweck darin, unterschiedliche Themenbereiche zu bündeln, verschiedene Zielgruppen mit Hilfe der Arbeitsgemeinschaften anzusprechen und die unterschiedlichen Ebenen der Politik von der Kommunal- bis zur Europapolitik zu bündeln. Ansonsten würde die SPD auseinanderfallen in eine kommunale und eine Landespartei, in eine Bundes- und eine Europapartei, in eine Kanzler- und eine Ministerpräsidentenpartei. Wenn die SPD demokratische Mitgliederpartei nicht nur bleiben, sondern noch mehr als heute werden will, dann darf man angesichts der beschriebenen Probleme nicht die Flucht in die Personalisierung und Zentralisierung antreten.

Anders als die übrigen Parteien bezog und bezieht die SPD ihre Stärke und Standfestigkeit aus der Integration vieler Mitglieder und vieler Aktiver. Reformen von oben aber schaffen keine Loyalität oder echte Integration. Sie rufen Mißvergnügen und Zynismus hervor. Beides kann eine Partei, die wieder mehr Wähler gewinnen will, nicht gebrauchen.



1 Vgl. hierzu Wolfgang Abendroth: Innerparteiliche und innerverbandliche Demokratie als Voraussetzung der politischen Demokratie, in: Politische Vierteljahresschrift 5/1964,
S. 307-338.
2 Vgl. hierzu Zygmunt Baumann: Die Krise der Politik. Fluch und Chance einer neuen Öffentlichkeit, Hamburg 2000, S. 88ff.
3 Jedediah Purdy: Das Elend der Ironie. Wo der Zeitgeist im Fitnesscenter weht, stirbt das öffentliche Leben. Plädoyer für eine neue Politik, in: DIE ZEIT 37/2000.
4 Bernhard Weßels: Kanzler- oder Politikwechsel? Bestimmungsgründe des Wahlerfolgs der SPD bei der Bundestagswahl 1998, in: Jan van Deth/Hans Rattinger/Edeltraut Roller (Hg.): Die Republik auf dem Weg in die Normalität? Wahlverhalten und politische Einstellungen nach acht Jahren Einheit, Opladen 2000, S. 35-66.

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