Mitarbeiter zweiter Klasse?

Seitdem die rot-grüne Bundesregierung das "Arbeit­nehmerüberlassungsgesetz" liberalisiert hat, boomt in Deutschland die Leiharbeit: Im August 2012 waren rund 867 000 Leiharbeitnehmer beschäftigt - fast dreimal mehr als 2002. Doch weil Leiharbeit­nehmer noch immer viel weniger verdienen als ihre festan­gestellten Kollegen, will die SPD Zeitarbeit stärker regulieren. Über die Potenziale, die Widersprüche und die Zukunft der Leiharbeit sprach Michael Miebach für die "Berliner Republik" mit der stellvertretenden arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, und dem Hauptgeschäftsführer des Interessen­verbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen iGZ, Werner Stolz

Herr Stolz, auf der Homepage Ihres Verbandes heißt es, Zeitarbeitnehmer seien „ganz normale Arbeitnehmer“. Dabei sind Leiharbeiter ständig auf Abruf und verdienen meistens deutlich weniger als ihre festangestellten Kollegen. Wie ist die Formulierung gemeint?

Stolz: Zeitarbeitskräfte haben bei den Zeitarbeitsfirmen feste Verträge. 90 Prozent von ihnen sind unbefristet und sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Insoweit sind sie normale Arbeitnehmer. Das Besondere ist natürlich, dass viele von ihnen häufig den Arbeitsort wechseln müssen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass zwei Drittel der Zeitarbeitnehmer aus der Arbeitslosigkeit kommen. Außerdem sind wir eine sehr junge Branche: Die meisten Beschäftigten sind zwischen 20 und 35 Jahre alt. Zeitarbeit baut Brücken in den Arbeitsmarkt.

Frau Mast, wie normal ist Zeitarbeit?

Mast: Sogar das Statistische Bundesamt bezeichnet Leiharbeit als „atypische“ Beschäftigung. Sie ist schlechter bezahlt, und die Hälfte aller Leiharbeitsverhältnisse dauern weniger als drei Monate. Wenn das normale Arbeit in Deutschland sein soll, dann habe ich damit ein Problem. Meine Erfahrung ist, dass sich die meisten Leiharbeitnehmer eine dauerhafte Beschäftigung in einem normalen Betrieb wünschen – also ein Normalarbeitsverhältnis. Sie wollen das, was wir von der SPD Gute Arbeit nennen: eine auf Dauer angelegte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit Weiterbildungsmöglichkeiten und Arbeitszeiten, die auch Luft für die Familie lassen. Und sie wollen bezahlt werden wie die Kollegen, mit denen sie morgens gemeinsam durch das Werkstor gehen. Gleiches Geld für gleiche Arbeit. Das alles kann die Leiharbeit nicht bieten.

Stolz: Dass es viele kürzere Beschäftigungsverhältnisse gibt, liegt an dem hohen Anteil von Hilfsarbeitern in der Zeitarbeit. Viele waren vorher langzeitarbeitslos und schwer vermittelbar. Häufig stellt sich gerade in den ersten zwei oder drei Wochen einer Beschäftigung heraus: Diese Menschen tun sich schwer damit, wieder in einen Arbeitsrhythmus hineinzukommen. Daher die vielen Kündigungen. Auf der anderen Seite werden Zeitarbeiter in einigen Branchen systematisch für längere Zeiträume eingesetzt. Laut IG Metall sind in der Metall- und Elektroindustrie die meisten Zeitarbeiter zwischen neun und 15 Monaten bei einer Firma beschäftigt.

Rot-Grün hat die Leiharbeit auch deshalb flexibilisiert, um gering Qualifizierten neue Beschäftigungschancen zu eröffnen. Im Idealfall übernehmen die Entleihbetriebe die Zeitarbeiter irgendwann in die Stammbelegschaft – der so genannte Klebeeffekt. Ist das der Normalfall oder die Ausnahme?

Stolz: In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Zeitarbeitnehmer, die übernommen wurden, stark angestiegen. In unseren 2 700 Mitgliedsunternehmen werden derzeit im Schnitt 40 Prozent der Mitarbeiter anschließend fest im Entleihbetrieb eingestellt. Der Wert variiert allerdings je nach Ausbildungsgrad der Mitarbeiter. Der Klebeeffekt betrifft nur 10 bis 15 Prozent der Hilfsarbeiter, aber 80 Prozent der Akademiker.

Mast: Es gibt auch andere Zahlen. Nur sieben Prozent der Leiharbeiter, die zuvor arbeitslos waren, waren auch zwei Jahre nach dem Leiharbeitsverhältnis noch in einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis. Das ist zu wenig. Herr Stolz hat ja Recht: Als wir die Leiharbeit im Zuge der rot-grünen Arbeitsmarktreformen dereguliert haben, wollten wir Langzeitarbeitslosen Brücken in die dauerhafte Beschäftigung bauen. Weil Leiharbeit aber keine Brücke in dauerhafte Beschäftigung ist, entfällt auch die Legitimation für die Deregulierung.

Studien zeigen, dass sich viele Leiharbeiter unsicher fühlen. In den Entleihbetrieben kuschen sie, weil sie auf die Übernahme hoffen. Wenn sie krank werden, kommt es schon mal vor, dass der Arbeitgeber bei der Zeitarbeitsfirma anruft und Druck ausübt, damit der Betreffende möglichst schnell wiederkommt. Gleichzeitig sind sie für die Zeitarbeitsfirmen oft austauschbar.

Stolz: Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gilt bei uns wie in jeder anderen Branche auch. Wenn ich einen Arbeitgeber habe – ob eine Zeitarbeitsfirma oder ein anderes Unternehmen – der sich rechtswidrig verhält und seine Beschäftigten nicht anständig behandelt, dann müssen die Betroffenen sich wehren. Für solche Fälle hat unser Verband eigens eine unabhängige Beschwerdestelle eingerichtet. Jeder Zeitarbeitskraft unserer Mitgliedsunternehmen drücken wir eine so genannte Fairness-Karte in die Hand, auf der die Kontaktdaten der Beschwerdestelle stehen. Zudem hat unser Verband einen Ethikkodex verabschiedet. Wenn ein Mitgliedsunternehmen dagegen verstößt, dann sanktionieren wir das auch. Von solchen Fällen, wie Sie sie beschreiben, distanzieren wir uns. Das ist keine gute Zeitarbeit. Das wollen wir nicht.

Mast: Mir ist eine Unterscheidung wichtig: Ihr Verband, der iGZ macht viele gute Sachen – die nur leider in der Branche sonst so nicht üblich sind. Grundsätzlich gilt: Natürlich fühlen sich viele Leiharbeiter als Mitarbeiter zweiter Klasse. In den Betrieben werden sie stigmatisiert. In der Kantine zahlen sie den Preis für Externe und nicht den für die Angestellten. Sie haben teilweise andere Blaumänner an als die Stammbelegschaften. Sie dürfen auf bestimmten Parkplätzen nicht parken, die für Mitarbeiter reserviert sind.

Stolz: Einspruch. Die Gleichstellung ist inzwischen gesetzlich garantiert. Laut EU-Leiharbeitsrichtlinie dürfen Zeitarbeitskräfte nicht mehr diskriminiert werden. Das gilt für den Kantinenbesuch ebenso wie für die Betriebskindergärten. Die neuen Regelungen helfen vielleicht auch, die unsichtbaren Zäune zwischen Zeitarbeitskräften und Stammmitarbeitern weiter einzureißen. Am Ende hängt das Klima aber vom Kundenbetrieb ab, weniger vom Zeitarbeitsunternehmen. Laut Betriebsverfassungsgesetz sind hier die Betriebsräte gefragt: Sie sind die Ansprechpartner für die Zeitarbeitskräfte und müssen für ein vernünftiges Miteinander sorgen.

Frau Mast, sind die Leiharbeiter mittlerweile besser in die Betriebe integriert als früher?

Mast: Nach wie vor hapert es in der Praxis. Und weil das Ziel der meisten Leiharbeiter die Festanstellung ist, sind sie viel schneller bereit, sich auf Zusatzaufgaben und dergleichen in den entleihenden Betrieben einzulassen. Leiharbeit wird oft missbraucht. Bei einer Bekannten von mir wurde Leiharbeit als verlängerte Probezeit genutzt. Erst war sie ein Jahr über die Leiharbeitsfirma beschäftigt und dann kam die sechsmonatige Probezeit. Das findet ja alles statt.

Stolz: Ich kenne solche Fälle. Aber in der Mehrzahl kenne ich genau die anderen Fälle, in denen die Integration klappt.

Die Stammbelegschaften dürften die Leiharbeiter eher skeptisch beäugen. Laut IG Metall geben 20 Prozent der Betriebsräte an, dass in ihrem Betrieb Stammbelegschaft durch Leiharbeiter ersetzt wird.

Stolz: Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, wonach es keine signifikanten Substitutionseffekte gibt. Die Stammbelegschaften wissen, dass Leiharbeit dem Schutz ihrer Arbeitsplätze dient. Genau das war doch ein Kerngedanke von Rot-Grün bei der Liberalisierung: In Zeiten der Globalisierung braucht die Wirtschaft Flexibilität. Aber die heilige Kuh in Deutschland – den Kündigungsschutz – wollte niemand anpacken. Die Lösung dieses Problems war die Zeitarbeit. Sie ist in einer sozialen Marktwirtschaft das probate Mittel, um auf Schwankungen reagieren und Konjunkturspitzen abbauen zu können. Und wie die Erfolgsgeschichte der Zeitarbeit in den letzten Jahren zeigt, funktioniert dieses Mittel hervorragend.

Ursprünglich sollte Leiharbeit den Firmen dabei helfen, Auftragsspitzen zu bewältigen und den vorübergehenden Ausfall von Beschäftigung zu kompensieren. Heute arbeiten Leiharbeiter bis zu zwei Jahre in einem Betrieb. Frau Mast, erfüllt das betreffende Gesetz – das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – seinen Zweck überhaupt noch?

Mast: Nein. Denn Auftragsspitzen sind etwas anderes als Konjunkturspitzen. Uns ging es darum, dass Firmen via Leiharbeit Auftragsspitzen flexibel abarbeiten können, zum Beispiel während der Urlaubszeit. Es ging nie um Konjunkturspitzen. Und mir kann niemand erzählen, dass es sich nach 12 Monaten Beschäftigung von Leiharbeitern immer noch um Auftragsspitzen handelt. Im Gegenteil nutzen viele Firmen die Leiharbeit als dauerhaftes strategisches Instrument, um reguläre Arbeitsplätze zu ersetzen. Leiharbeiter werden auf nahezu allen betrieblichen Ebenen eingesetzt – sogar im Kernbereich der Produktion. Sie üben häufig exakt dieselben Tätigkeiten aus wie ihre festangestellten Kollegen, bekommen aber in der Regel nur die Hälfte des Lohns. Das wollen wir ändern.

Wie muss der Gesetzgeber reagieren?

Mast: Um es klar zu sagen: Anders als die Linkspartei wollen wir die Leiharbeit nicht abschaffen. Als Flexibilitätspuffer hat die Leiharbeit für uns ihre Existenzberechtigung. Aber wir wollen sie stark regulieren und das Equal-Pay-Prinzip durchsetzen. Derzeit steht im Gesetz sinngemäß: Leiharbeitnehmer müssen dasselbe verdienen wie die Stammmitarbeiter – es sei denn, ein Tarifvertrag regelt etwas anderes. Daraufhin wurde Deutschland mit nicht nur aus meiner Sicht unseriösen Tarifverträgen in der Zeitarbeitsbranche übersät. Deshalb wollen wir diesen zweiten Halbsatz streichen. Außerdem werden wir die Mitsprache- und Mitbestimmungsrechte der Leiharbeitnehmer in den Betrieben stärken. Und wir wollen, dass Leiharbeiter, die ein Jahr im Betrieb gearbeitet haben, fest eingestellt werden müssen – für die SPD ein Gebot der Fairness.

Drei von vier Zeitarbeitnehmer arbeiten für einen Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle; diese Schwelle liegt momentan bei ungefähr 1.800 Euro für einen Alleinstehenden. Herr Stolz, was spricht gegen das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“?

Stolz: Equal Pay ist zunächst mal nur eine Parole. Europaweit gibt es zwei grundverschiedene Systeme, wie Zeitarbeit organisiert wird: In Frankreich oder in den Niederlanden verläuft Zeitarbeit synchronisiert. Equal Pay gilt vom ersten Tag des Einsatzes; in Frankreich wird für Zeitarbeiter und alle anderen befristeten Arbeitsverhältnisse sogar eine Unsicherheitsprämie von zehn Prozent gezahlt. Und das leuchtet auch ein: Die Zeitarbeitsfirmen sind reine Arbeitsvermittlungen. Wenn eine Firma für drei Monate einen Schlosser sucht, macht sich das Zeitarbeitsunternehmen auf die Suche. Hat der Schlosser seinen Auftrag erfüllt, steht er wieder auf der Straße – keine Entgeltfortzahlung, kein Urlaubsgeld, kein Weihnachtsgeld. Das zweite System ist das unsrige: Die Zeitarbeitnehmer sind fest unter Vertrag. Wenn die Mitarbeiter von den Kundenbetrieben abgemeldet werden, ist es die Aufgabe der Zeitarbeitsfirma, einen Anschlussjob zu finden. Dem Mitarbeiter darf mindestens drei Monate nicht gekündigt werden, auch wenn kein neuer Einsatz ansteht – so die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Das ist das Risiko der Zeitarbeitsunternehmen. Aus diesem Grund verdienen die Zeitarbeiternehmer auch weniger. Übrigens dürfen wir nicht vergessen, dass wir zusammen mit den Gewerkschaften einen Tarifvertrag über einen Mindestlohn vereinbart haben, der Anfang des Jahres endlich auch für allgemeinverbindlich erklärt wurde. Er liegt derzeit bei 7,50 Euro im Osten und 8,19 Euro im Westen. Das kann sich sehen lassen …

Mast: … und ist allein der SPD zu verdanken. Wir haben unsere Zustimmung zum Bildungs- und Teilhabepaket von der Einführung des Mindestlohns in der Leiharbeitsbranche abhängig gemacht. Erst daraufhin hat die CDU ihre Blockadehaltung aufgegeben. Wenn es nach der SPD gegangen wäre, hätten wir diesen Mindestlohn schon in der Großen Koalition verabschiedet. Unser Argument ist, dass wir nicht auf der einen Seite Armut durch Transferleistungen bekämpfen können, aber auf der anderen Seite Erwerbsarmut zulassen, indem in der Leiharbeitsbranche miserabel bezahlt wird. Deshalb wollen wir im Übrigen auch einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Einmal abgesehen vom Mindestlohn – warum vertraut die SPD bei der Lohnhöhe nicht einfach den Tarifpartnern?

Mast: Weil sie sich auf das Equal-Pay-Prinzip von alleine niemals einigen werden. Das ist aber unklug, denn wir sind im demografischen Wandel und steuern auf einen Fachkräftemangel zu. Wenn Arbeitskraft ein immer knapperes Gut wird, sehe ich nicht, warum es dem Unternehmenskonzept der Zeitarbeitsfirmen widerspricht, dass ihre Mitarbeiter anständig bezahlt werden. Die müssen doch auch ein Interesse haben, dass ihre Mitarbeiter länger bei ihnen bleiben. Außerdem erbringen Leiharbeitnehmer ja noch eine Zusatzleistung, indem sie für Flexibilität sorgen und sich immer wieder in neuen Betrieb orientieren. Das darf doch auch etwas kosten. Die SPD hat hierzu einen Antrag in den Bundestag eingebracht.

Stolz: Das klingt ja alles schön, ist aber nicht praxistauglich. Nehmen wir an, Sie wären eine Unternehmerin und hätten eine Zeitarbeitsfirma. Nun setzen Sie eine Zeitarbeitskraft unter Equal-Pay-Bedingungen in verschiedenen Sektoren ein. In dem einen Bereich heißt Equal Pay dann vielleicht 7,50 Euro. Beim nächsten Einsatz müssen sie auf einmal 12 Euro zahlen. Selbst bei vergleichbaren Tätigkeiten kann die Lohnhöhe variieren – je nach Betrieb. Das wäre ein unheimlicher bürokratischer Aufwand.

Haben Sie einen anderen Vorschlag, wie das Equal-Pay-Prinzip verwirklicht werden könnte?

Stolz: In unseren Tarifverträgen versuchen wir, die Lohndifferenzen zwischen Zeitarbeitnehmern und Stammbelegschaften vernünftig und unbürokratisch auszutarieren. Damit es fair und gerecht zugeht. Das können die Tarifparteien besser als der Gesetzgeber. Der Gesetzgeber kennt nur den Holzhammer.

Was heißt das konkret?

Stolz: Gewerkschaften und Arbeitgeber haben Branchenzuschläge verhandelt, mit denen die Löhne schrittweise angeglichen werden. Die Zuschläge sind aufgrund der unterschiedlichen Lohnniveaus in den Branchen unterschiedlich geregelt. Im November sind sie zunächst für zwei Branchen – Metall und Elektro sowie Chemie – in Kraft getreten. So gibt es in der Metall- und Elektroindustrie nach der sechsten Arbeitswoche 15 Prozent Zuschlag auf den Tarifgrundlohn. Das steigert sich dann stufenweise. Nach dem neunten Monat wird mit 50 Prozent Erhöhung an das Stammentgelt angeglichen. Das ist nicht nur flexibel, sondern es ist auch ein sozial verträgliches System. Es ist differenziert und nimmt auf die Besonderheiten der Zeitarbeit Rücksicht.

Mast: Die Branchenzuschläge sind ein Schritt in die richtige Richtung, reichen aber nicht aus. Gerade im Dienstleistungsbereich erreichen viele Leiharbeiter die Stufen gar nicht, weil die Verweildauer im Betrieb zu kurz ist. Klar ist auch: Gleiches Geld für gleiche Arbeit heißt auch gleiche Zuschläge für Nacht- und Schichtarbeit. Dazu gibt es keine Vereinbarung für die Zeitarbeitsbranche.

Immer mehr Arbeitgeber verzichten ganz auf Leiharbeitnehmer und vergeben stattdessen Werkverträge. Wie lässt sich dieser Trend erklären?

Stolz: Die Zeitarbeit ist mittlerweile ziemlich streng reguliert. Hinzu kommt: Durch den Mindestlohn und die Branchenzuschläge sind die Kosten massiv gestiegen. Bei den Werkverträgen können die Betriebe machen, was sie wollen. Anstatt auf Zeitarbeit zurückzugreifen, lagern Firmen Tätigkeiten in Subunternehmen aus. Zum Beispiel vergeben viele Lebensmitteldiscounter für das Einräumen der Regale Werkverträge. Dann gibt es keine Tarifverträge zu beachten, und die Betriebsräte sind auch außen vor. Das Ganze unterminiert unser Geschäftsmodell. Was wir aufgebaut haben, auch im Hinblick auf die Sicherheit für Arbeitskräfte, wird wieder eingerissen und diskreditiert. Besonders ärgerlich ist, dass in der Öffentlichkeit Zeitarbeit und Werkverträge oft über einen Kamm geschoren werden.

Kann die Politik etwas dagegen tun?

Mast: Werkverträge sind das nächste Übel, das es zu regulieren gilt. Dem Missbrauch ist Tür und Tor geöffnet, besonders in denjenigen Branchen, in denen es viel prekäre Beschäftigung gibt. Das Problem ist, dass die Werkverträge individuell vergeben werden. Die Zeitarbeitsfirmen sind Arbeitgeber, mit denen ich mich darüber auseinandersetzen kann, ob alles fair zugeht oder nicht. Und die Betriebsräte haben bei Leiharbeitnehmern wenigstens ein minimales Mitspracherecht. Bei Werkverträgen ist gar nichts mehr transparent. Die Betriebsräte wissen überhaupt nicht, wer einen Werkvertrag hat und wer nicht. Das Thema ist die nächste große Debatte, die wir politisch führen werden. In der SPD-Bundestagsfraktion erarbeiten wir gerade einen entsprechenden Antrag. Gute Regelungen zu finden ist eine große Herausforderung, auch weil man im Gegensatz zu Leiharbeitern viel weniger statistisches Datenmaterial zur Verfügung hat. Fest steht, dass die Betriebsräte mehr Mitspracherecht bei Werkverträgen bekommen müssen und wir klare Kriterien für Werkverträge brauchen. Lohndumping – egal ob durch Werkverträge, Scheinselbständigkeit oder Leiharbeit – muss unterbunden werden.

Unterstützen Sie Frau Mast bei der Regulierung der Werkverträge?

Stolz: Werkverträge sind ja legal. Des Teufels sind nur Werkvertragskonstruktionen, die dem Lohndumping dienen. Aus diesem Grund haben unsere Mitgliedsunternehmen eine Selbstverpflichtung abgegeben: Wer Werkverträge einsetzt, darf das nur zum Zeitarbeitsmindestlohn tun. Damit haben wir ein deutliches Zeichen gesetzt. Erst vor kurzem haben wir erfahren, dass zwei Mitgliedsfirmen Werkverträge zu Dumpinglöhnen ausgegeben hatten. Die haben wir aus unserem Verband ausgeschlossen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

zurück zur Ausgabe