Hört die Signale aus der Provinz!

Eine Studie zur Landtagswahl 2001 in Baden-Württemberg bekommt ihren Gegenstand nicht so richtig in den Griff

Spätestens seit dem Wahlerfolg von Gerhard Schröder gegen Helmut Kohl bei der Bundestagswahl 1998 gehört es auch in Deutschland zu den nahezu unumstößlichen Gewissheiten von Politikberatung und politischer Publizistik, dass Wahlerfolge eine Professionalisierung der Wahlkämpfe zur Voraussetzung haben. Die Vorbildfunktion kommt hierbei der inzwischen fast schon legendären "Kampa" der Sozialdemokratie von 1998 zu. Als parteiexterne Wahlkampfzentrale hat sie sämtliche Botschaften der SPD-Kampagne sozialwissenschaftlich getestet und abgesichert, (massen-)mediengerecht nach innen und außen kommuniziert und so nicht zuletzt auch ein einheitliches Erscheinungsbild quer durch die Republik und eine hohe Reaktionsbereitschaft im Verlauf des Wahlkampfes garantiert. Angesichts der zunehmenden Personalisierung der politischen Auseinandersetzung und der verbreiteten Neigung der Wählerinnen und Wähler zur Wechselwahl - so die landläufige Auffassung - haben die Methoden und Techniken der Werbe- und Marketingbranche im Medienzeitalter offensichtlich den Siegeszug angetreten.

"Moderner" Wahlkampf auf dem Dorf?

Nun sind die letzten Bundestagswahlkämpfe hinsichtlich ihrer Inhalte, Strategien und Vermarktungstechniken aus wissenschaftlicher Perspektive inzwischen gründlich vermessen worden. Eher offen bleibt bislang allerdings die Frage, ob und inwieweit sich diese "moderne" Wahlkampfführung auch auf Landtags- und Kommunalwahlen mit ihren je eigenen regionalen Bestimmungsfaktoren erfolgreich übertragen und anwenden lässt. In diese Lücke stößt nun der kürzlich von Josef Schmid und Honza Griese vorgelegte Sammelband zum baden-württembergischen Landtagswahlkampf 2001. Hierbei sollen, so die Herausgeber, aus unterschiedlichen Analyseperspektiven "die über Monate dauernden Prozesse der Strategiebildung, der Kommunikation und der Werbung - die Kampagne eben - in den Mittelpunkt gerückt" werden.


Die versammelten Beiträge von überwiegend jungen Wissenschaftlern, professionellen Wahlkämpfern und politischen Aktivisten lassen sich weitgehend zu zwei thematischen Schwerpunkten gruppieren. Martin Gerster, Jürgen Graner und Christian Matz diskutieren jeweils unterschiedliche Aspekte der These von der Amerikanisierung und Personalisierung von Wahlkämpfen am Beispiel der baden-württembergischen Landtagswahl 2001. Demgegenüber behandeln die Beiträge von Udo Zolleis/Josef Schmid, Honza Griese, Olaf Bentlage, Carsten Gilbert und Simone Thies jeweils nach Parteien getrennt die Instrumente und Strategien von CDU, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und den Republikanern. Hinzu kommen im Anschluss an die Einleitung der beiden Herausgeber ein Beitrag von Thomas Berg zu den Auswirkungen des baden-württembergischen Wahlsystems sowie eine abschließende wahlsoziologische Untersuchung und Einordnung der Landtagswahl 2001 von Oscar W. Gabriel, Isabell Thaidigsmann und Kerstin Völkl. Die Auswahl der Autoren verspricht vielschichtige Einblicke in die Struktur des baden-württembergischen Wahlkampfes, auch wenn unter parteipolitischen Gesichtspunkten die sozialdemokratische Perspektive wohl etwas stärker vertreten ist.

Hohe Sympathiewerte sind nicht genug

Zunächst verdeutlicht Thomas Berg die Eigenheiten des baden-württembergischen Landtagswahlrechts. So fallen 70 der 120 Landtagsmandate den Siegern in den Wahlkreisen zu. Die restlichen 50 Sitze werden auf der Basis des Verhältniswahlsystems je Regierungsbezirk und Partei nach der absoluten Höhe der erzielten Stimmen und nicht etwa nach von den Parteien erstellten Landeslisten vergeben. Es liegt auf der Hand, dass hierbei die Kandidaten in kleineren Wahlkreisen - besonders bei den kleineren Parteien - benachteiligt sind. Vor diesem Hinter-grund entwickelt Berg die empirisch allerdings nicht weiter belegte These, dass in Fällen nahezu aussichtsloser Kandidaturen die Anstrengungen und das Engagement im Wahlkampf deutlich zurückgingen.


Mit starkem Bezug zu den Methoden der modernen Wahlkampfführung in den Vereinigten Staaten diskutieren Martin Gerster, Jürgen Graner und Christian Matz daraus resultierende Anforderungen an eine erfolgreiche Kampagne. Besonders Gerster verdeutlicht auf der Blaupause amerikanischer Wahlkämpfe die zentrale Bedeutung der medialen Inszenierungen, die moderne Organisation und neuartige Konzeption der sozialdemokratischen Kampagne à la Kampa mit der Spitzenkandidatin Ute Vogt: Talkshow-Atmosphäre statt ermüdender Wahlkampfreden, Kinos und Theatersäle statt der üblichen Hinterzimmer und vor allem die Demonstration permanenter Dialogbereitschaft. Bei alledem bleibt allein die Frage offen, warum denn nun eigentlich der amtierende Ministerpräsident Erwin Teufel mit seiner, angesichts solch sozialdemokratischer Modernität als altbacken erscheinenden Kampagne die Wahl gewinnen konnte.


Eine größere Skepsis hinsichtlich der Bedeutung der Personalisierung von Wahlen lässt da schon Jürgen Graner erkennen. Auch wenn 2001 die kontrastreiche Konstellation der Bewerber um den Posten des Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg den Anforderungen einer medialen Vermarktung geradezu idealtypisch entsprach - hier der ältere, gesetztere Amtsinhaber Erwin Teufel, dort die jugendliche, dynamische Herausfordererin Ute Vogt -, stellen hohe Sympathiewerte ganz offensichtlich für sich genommen noch keine hinreichende Bedingung für einen Wahlerfolg dar. Graner hat Recht: Darüber hinaus müssen vor allem auch die strukturellen Verankerungen und öffentlich wahrgenommenen Kompetenzunterschiede der Parteien in den Blick genommen werden. Vergleichbares gilt für die Benutzung des Internets. Schlüssig bilanziert Christian Matz in diesem Zusammenhang, dass der mittelfristige Nutzen dieses Mediums wohl weniger in der direkten Wähleransprache als vor allem in einer Verbesserung der innerparteilichen Kommunikation und Kampagnenfähigkeit liegt.


Der zweite thematische Block widmet sich den Themensetzungen und strategischen Ausrichtungen der einzelnen Parteien bei der baden-württembergischen Landtagswahl 2001. Für die CDU relativieren Udo Zolleis und Josef Schmid die gängige These vom wahlentscheidenden Einfluss moderner Marketingmethoden. Ähnlich wie auch in Bayern kommt es demnach für die Union in einem ländlichen Bundesland vor allem darauf an, die Felder von Tradition und Modernität zugleich zu besetzen und dies mit entsprechenden politischen Positionierungen und Themen auch längerfristig glaubwürdig zu vertreten. Carsten Gilbert gelingt es, den Einbruch der Grünen in ihrem Stammland unter bundes- und landespolitischen Gesichtspunkten differenziert auszuleuchten. Das Dilemma der Grünen in Baden-Württemberg besteht nicht allein im brain drain Richtung Bundespolitik; hinzu kommt, dass relevante Teile der Partei(anhängerschaft) in Land und Bund noch immer in einer Oppositionsrolle verharren.

Kein Sieg der SPD ohne Wechselstimmung

Interessante Innenansichten der Konzeption und Dramaturgie des Wahlkampfes 2001 von SPD und FDP liefern Honza Griese und Olaf Bentlage, nicht zuletzt aufgrund ihrer jeweiligen parteipolitischen Nähe. Angesichts breiter Einblicke in das Seelenleben von liberalen Wahlkampfstrategen mag man da selbstdie Stilisierung des FDP-Spitzenpolitikers Walter Döring als "eigentlichen Landesvater" (Bentlage) hinnehmen. Folgenreicher gerade auch für zukünftige Wahlkampagnen der SPD erscheinen hingegen die Lobgesänge auf die sozialdemokratische Spitzenkandidatin und ihre jugendlich-moderne Kampagne durch Griese. Mit "neuem Politikstil" und ausgeprägter Vor-Ort-Präsenz errang Ute Vogt in Baden-Württemberg 2001 jedoch statt Kompetenz- vor allem Sympathiepunkte. Und überdies war dieser Flirt der Wählerinnen und Wähler mit der Herausfordererin allen bekannten Umfagedaten zufolge zu keinem Zeitpunkt durch eine Wechselstimmung im Land unterfüttert: Selbst die Hälfte der SPD-Klientel war mit der Arbeit der Landesregierung letztlich zufrieden. Drängende Fragen an die verantwortlichen Wahlkampfstrategen liegen da eigentlich auf der Hand.

Die Rigidität der Pietisten

Eher unbefriedigend ist der Beitrag von Simone Thies über die Republikaner geraten. Ähnlich wie übrigens auch im Elsass können in Baden-Württemberg rechtsextreme Wahlerfolge nur teilweise mit den Thesen von der sozialen Deprivation und zunehmenden Bindungslosigkeit erklärt werden. Hinzu kommen eben ganz entscheidend die längerfristig wirksamen Faktoren der politischen Kultur - die in den entsprechenden Teilen Baden-Württembergs vor allem durch die Rigidität und Politikferne des schwäbisch-pietistischen Protestantismus geprägt ist - sowie kurzfristig inszenierte Asylbewerber- (CDU/1992) beziehungsweise Aussiedlerdebatten (SPD/1996). Es zeigt zudem die mangelnde Vertrautheit der Autorin mit der Politik in Baden-Württemberg, wenn sie der Legislaturperiode 1992-1996 die "erste" gemeinsame Regierung der "beiden Volksparteien CDU und SPD" zuschreibt.


Den Abschluss des Bandes bietet eine in gewohnt souveräner Art ausgeführte wahlsoziologische Analyse von Oscar W. Gabriel, Isabell Thaidingsmann und Kerstin Völkl. Vor dem theoretischen Hintergrund des Ann Arbor-Modells des Wählerverhaltens (Parteibindungen, Themen- und Kandidatenorientierungen) widerlegen die Autoren die gängige These vom entscheidenden Duell der Spitzenkandidaten bei der baden-württembergischen Landtagswahl 2001: "Anders als in der Medienberichterstattung oft angenommen wurde, war die Bewertung der Spitzenkandidaten für das Abschneiden der CDU und der SPD bei weitem nicht so wichtig wie die Problemlösungskompetenz, und hierin lag vermutlich die Ursache des Wahlsiegs der CDU."

Bodenhaftung wird noch immer belohnt

Was bleibt also als Fazit? Wahlen werden in der Mediengesellschaft ganz ohne Zweifel nur unter Betätigung aller handwerklichen Register gewonnen. Eine gelungene Personality-Inszenierung oder ein Wahlkampfauftritt aus einem Guss können durchaus die wahlentscheidenden Reserven mobilisieren. Der hier vorgestellte Band bietet gerade auch mit den in vielen Beiträgen zu findenden Bezügen zur amerikanischen und bundesdeutschen Situation reichlich Anschauungsmaterial zu zeitgemäßen Techniken und strategischen Optionen des politischen Marketing; nicht nur für Spezialisten ist er gut lesbar. Allerdings bedarf der zielgerichtete Einsatz von Vermarktungstechniken immer auch der Reflexion über die anvisierten Adressaten.


Hierbei wäre verschiedenen Autoren eine stärkere Ausrichtung ihrer Untersuchung von Wahlkampagnen an nachvollziehbare Kriterien des Erfolgs anzuraten gewesen, dem gesamten Band hätte eine Ergänzung zur historisch-soziologischen Strukturierung des politischen Marktes in Baden-Württemberg gut getan. Denn wie etwa auch Bayern oder Rheinland-Pfalz ist Baden-Württemberg noch immer ein stark ländlich strukturiertes Land mit traditionsverhafteten Wählerschaften. Notwendige Modernisierungsprozesse müssen daher behutsam moderiert und abgefedert werden, andernfalls drohen massive Abkopplungserscheinungen in den Peripherien wie etwa unter der Regierungszeit des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth.


Zudem hat bei der Landtagswahl 2001 ja ganz offensichtlich die Bodenständigkeit, Rechtschaffenheit und politische Kompetenz des Ministerpräsidenten über die Mediengewandtheit und Sympathieausstrahlung der Herausfordererin gesiegt. Erwin Teufel findet möglicherweise nicht die Begeisterung der Journalisten, er erfährt bislang aber einen hohen Zuspruch bei vielen der in ländlich-kleinstädtischen Kontexten lebenden Wähler im Südwesten Deutschlands.


Auch unter Einsatz der modernsten Marketingstrategien hat die SPD - nach ihrem Absturz in den 1990er Jahren - einstweilen erst wieder ihr Niveau aus den 1980er Jahren erreicht, mehr aber auch nicht. Strukturelle Minderheitensituationen lassen sich mit kurzfristigen Medienstrategien eben nicht so einfach außer Kraft setzen. Wahlkämpfer tun gut daran, sich nicht nur auf die Situation in den Metropolen der Republik zu konzentrieren. Auch auf die Signale aus der Provinz sollten sie weiter hören.

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