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Wo Angela Merkel Recht hat, hat sie Recht: Wenn der Euro scheitert, dann scheitert auch die Europäische Union. Eine Erwiderung auf Fritz W. Scharpf

Fritz W. Scharpf ist einer der wenigen, die die deutsche Debatte über die Krise der Europäischen Währungsunion voran­brin­gen. Im Gegensatz zu vielen anderen Kom­mentatoren bemängelt er nicht, dass in den Krisenländern zu früh in Rente gegangen, eine laxe Budgetpolitik betrieben und nicht genug exportiert werde. Scharpf sieht, wie er in Ausgabe 4/2011 der Berliner Republik erläutert hat, das Problem vielmehr darin, dass eine ein­­heitliche Zins­po­litik für eine un­ein­heit­liche Wäh­rungs­union die Unter­schie­de zwischen Ländern verschärft. Nie­drige und sogar negative Real­zinsen be­günstigten Blasen­bildung in Märkten mit relativ hohen Inflations­ra­ten; hohe Real­zinsen übten weiteren Lohndruck in den Ländern aus, die bereits eine geringe Bin­nen­nachfrage aufweisen. Eine Kern­wäh­rungsunion sei deshalb sozial und politisch verträglicher als die gegenwärtige Form der Wäh­rungs­union, in der deutsche Stabilitäts­normen allen anderen aufgenötigt werden, obwohl Deutschland haus­halts­­po­litisch keineswegs das Maß aller Dinge ist.

Warum die Währungsunion nicht zum Scheitern verurteilt ist

Diese Diagnose ist im Prinzip richtig: Die einheitliche Geldpolitik hat zur spezifisch europäischen Krise beigetragen. Der Euro­päischen Zentralbank (EZB) ist vorzuwerfen, dass sie das hinlänglich bekannte Pro­blem pro-zyklischer Real­zin­sen in einer heterogenen Währungs­­uni­on nicht offensiv genug angegangen hat. Und es ist für das langfristige Ge­lin­gen der monetären Integration in der Tat notwendig, dass die destabilisierenden Wir­kungen eines einheitlichen Geld­zin­ses eingedämmt werden. Man muss Fritz W. Scharpf dafür dankbar sein, dass er das Nach­denken über eine Kernwährungs­union nicht den Hans-Olaf Henkels dieser Welt überlässt, deren einziges Ziel die Aufrechterhaltung des merkantilistischen Modells Deutsch­land ist. Denn dieses Modell ist nicht verallgemeinerbar, solange die Welt keinen gewinnbringenden Exportüberschuss mit dem Mond erzielen kann. 

Jedoch ergibt sich aus seiner Dia­gnose weder, dass die Wäh­rungsunion zum Scheitern verurteilt ist, noch dass die Un­einheitlichkeit der Realzinsen eindeutig auf der Kostenseite monetärer Inte­gration verbucht werden muss. Die Wäh­rungs­union kann mit ihren Unter­schie­den leben, es vermag aus ihnen sogar ein Vorteil für die Stabilisierungspolitik erwachsen. Unterschiedliche Realzinsen können auch eine Chance für beschleunigtes nachholendes Wachstum bieten. All dies war das Versprechen der Wäh­rungsunion. Aber diesem Versprechen müssen Taten, und nicht das immer gleiche Gerede von Diszi­plin und Stabili­täts­kultur folgen. Ge­schich­te ist nicht umkehrbar: Die Rück­kehr zur Deutschen Mark oder auch nur zu einer Kernwäh­rungs­union würde Euro­pas Volkswirt­schaften nicht stabilisieren, sondern alle Beteiligten ärmer machen.

Wirtschaftliche Unterschiede sind nicht nur die Grundlage für Handel, Kre­dit­verkehr und Mobilität, sondern auch für wirtschaftspolitische Koordination. Die theoretisch fragwürdige Idee eines optimalen Währungsraumes hat dies in Vergessenheit geraten lassen, weil dahinter die Vorstellung steckt, dass nur möglichst homogene Wirtschaftsräume einen Vorteil aus der Währungsintegration ziehen. Wenn man eine Währungsunion dagegen als ein Versicherungs­arrange­ment ansieht, dann bedeuten solche Unterschiede mögliche Diversifikation und damit Verringerung von Risiken für jedes Mitglied des Versicherungspools. Eurobonds zu einem einheitlichen Zins­satz würden einen solchen Versiche­rungs­pool schaffen. Sie schützen einzelne Mitglieder dagegen, dass die natio­­na­len Staatsschuldtitel aufgrund niedrigen Wachs­tums plötzlich unter Druck geraten – was das Wachstum weiter schwächt und in der Kombination mit hohen Zin­sen über kurz oder lang die Solvenz jedes souveränen Schuldners gefährdet.

Auch die deutsche Währungsunion hat zwei sehr verschiedene Räume integriert

Unterschiedliche Realzinsen bieten eine Gelegenheit, aufholendes Wachstum zu beschleunigen. Exakt dies fand vor der Kri­se statt; die nationalen Einkommen konvergierten. Niedrige Zinsen bedeuten nie­drigere Barrieren für Investitionen und Konsum. Aber die Begleiter­schei­nun­gen hohen Wachstums, nämlich hohe Kapitalimporte und Angebots­eng­pässe, die zu Preissteigerungen und negativen Realzinsen führen, gefährden genau dieses aufholende Wachstum. Eine einheitliche Zinspolitik ist überfordert, aber Finanzmarktregulierungen können dafür sorgen, regionale Kreditmarkt­bla­sen einzudämmen. Genau das hat der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht jetzt eingeführt. Fiskalische Innova­tio­nen könnten ebenfalls helfen, beispielsweise eine kontrazyklische Abgabe für Hausverkäufe, die mit anormalen Preis­stei­gerungen einhergehen. Zugegebener­maßen muss ein solches Instrumenta­rium erst noch entwickelt werden. Aber stattdessen zu verlangen, die Währungs­union aufzugeben, ist ungefähr so, als würde man fordern, jeden Aufschwung zu unterdrücken, nur weil er Inflations­gefahren in sich birgt. Nicht einmal der konservativste Bundesbanker würde diese Po­sition vertreten.

Besser ist es daher, den Stier bei den Hörnern zu packen und die Eurozone bereits jetzt als einen einheitlichen Wirt­schafts­raum zu betrachten. Auch die innerdeutsche Währungsunion hat zwei sehr unterschiedliche Wirtschaftsräume zwangsintegriert, und die Bundesbank musste eine einheitliche Zinspolitik für Ost- und Westdeutschland betreiben. Ge­sellschaftlich zumutbar war das nur mit einer erheblichen Umverteilung von West nach Ost mittels des Solidaritäts­zuschlags und der Bundesagentur für Arbeit, verbunden mit einer kräftigen Wanderungswelle von jungen Ost­deut­schen nach Westdeutschland. Man käme noch nicht einmal auf die Idee, das chronisch klamme Pleiteland Berlin aus dem Euro zu entlassen, dessen wirtschaftliche Sanierung aus eigener Kraft ähnlich utopisch ist wie die von Griechenland. Des­halb sollte der Instrumentenkasten der Wiedervereinigung für die Lösung der Eurokrise durchforstet werden. Wir sollten Mobilität fördern und ermöglichen. Dafür muss niemand zwangseuropäisiert werden. Mittelfristig werden auch in Westeuropa Wanderungsbewegungen einsetzen, wie es bereits aus den osteuropäischen Beitrittsländern der Fall ist. Das ist in jedem Fall besser als ein Auseinan­derbrechen der Eurozone.     

Deutschlands Stärke untergräbt die Wettbewerbsfähigkeit der Peripherie

Allerdings hat die Eurozone keine europä­ische Zentralregierung, die zwischen den Regionen einen Ausgleich schaffen kann, etwa über einheitliche soziale Siche­rungs­systeme oder gar einen innereuropäischen Finanzausgleich. Der Haushalt der Euro­päischen Union beträgt wenig mehr als ein Prozent des europäischen Bruttosozial­produkts. Die Solidarität der Deutschen mit den Griechen (oder Iren oder Ita­lie­nern) ist begrenzt. Für die Berliner wird der Bund dagegen immer geradestehen. Einer europäischen Zen­tral­regierung, die Vo­raus­setzung für eine Gesamthaftung aller Mitgliedsländer der Eurozone wäre, mangelt es an Kompe­ten­zen und politischer Legitimation aufgrund des kaum vorhandenen europä­ischen Demos und der Schwäche des Eu­ro­päischen Parla­ments. Und Sprach­bar­rieren begrenzen Wande­rungs­bewegungen.

Was ist also zu tun? Die deutsche Wirt­­­schaft hat sich aus der strukturellen Be­nach­teiligung durch den Euro mithilfe einer langfristigen Strategie der Lohn­­zu­rückhaltung herausgewunden. Ihre neue Leistungskraft ist eine Voraus­set­zung für die Behauptung der Euro­zone in der Welt­wirtschaft und kann nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Gleichzeitig untergräbt sie aber die Wett­bewerbs­fähigkeit der Peripherie­länder und verschärft das strukturelle Un­gleich­­gewicht.

Warum Eurobonds Anreize für mehr Stabilität setzen würden

Die Emission von Eurobonds würde positive Anreize dafür schaffen, sich an stabilitätsförderliche Abmachungen zu halten, weil man andernfalls stärker der Willkür der Märkte und hohen Zins­kos­ten ausgesetzt ist. Die jährliche Gesamt­emission müsste der konjunkturellen Situation des gesamten Euro-Raumes Re­chnung tragen, der Anteil jedes einzelnen Landes an dieser Emission dagegen der konjunkturellen Sondersituation des einzelnen Mitgliedslandes. Mit einem solchen Instrument des gemeinsamen Schuldenmanagements wird es geradezu ein Vorteil, dass die nationalen oder regionalen Konjunkturzyklen nicht vollständig synchronisiert sind. So glättet sich der Gesamtzyklus – und eine Kon­junk­turpolitik für die Eurozone muss keine großen Kehrtwendungen bewerkstelligen.

Die EZB kann und muss ihre eigenen Kriterien definieren, mit denen sie solche Bonds am Diskontfenster akzeptiert. Es lässt sich privaten Marktteilnehmern nicht verbieten, Eurobonds von Kredit­agenturen bewerten zu lassen. Aber es ist schlicht ein Skandal, dass sich die EZB de facto von Spekulanten vorgeben lässt, ob ein Land für kreditwürdig hält. Ferner macht sie sich damit von genau jenen pro-zyklischen Marktbewertungen abhängig, die sie stabilisieren soll. Die Defi­nition dieser Kriterien gäbe der EZB außerdem ein Instrument der Nach­­steu­erung an die Hand, zum Beispiel können die Kri­terien verschärft oder entschärft werden, wenn sich die Emission in einem Jahr als zu hoch beziehungsweise zu niedrig erweist. Das ist vollständig vereinbar mit dem expliziten oder impliziten Mandat, das jede Zentralbank hat, nämlich die Stabilität des Finanzsystems zu garantieren. Die Emission von Eurobonds kann zu Meinungsverschiedenheiten mit den fiskalischen Autoritäten führen. Aber die Zeiten, in denen die EZB den Regie­run­gen einseitig wohlfeile Ratschläge geben konnte, sind ohnehin vorbei. Und das muss nicht zum Schaden der Qualität der Wirtschaftspolitik sein. Eine Gesamt­emission von Bonds für den Euroraum würde beide Seiten dazu anhalten, sich rechtzeitig und kontinuierlich ins Be­nehmen zu setzen.

Eine Kernwährungsunion wäre ständigen Spekulationen ausgesetzt

Das bringt uns abschließend zum Thema Kernwährungsunion. Es gibt kein politisches und legales Ausstiegsszenario aus der Eurozone. Der Ausstieg ist in den europäischen Verträgen auch nicht vorgesehen. Aus gutem Grund: Zum einen würde die griechische Volkswirtschaft zusammenbrechen; im Vergleich dazu ist der Konflikt in Griechenland um die derzeit stattfindende Sparpolitik ein Kin­dergeburtstag. Zum anderen wäre der Ausstieg eines Eurolandes eine permanente Gefahr sowohl für andere Aus­stiegs­kandidaten als auch für die gesamte EU. Wenn Griechenland mit seinem Anteil von drei Prozent des Brutto­so­zialprodukts in der Eurozone nicht unterstützt werden kann, wie sollen dann Spanien oder Italien langfristig in der Eurozone bleiben können? Und wer kann garantieren, dass Frankreich die angeblich notwendige Lohn- und Budget­zu­rückhaltung immer einhalten kann? Die Kernunion wäre jedes Mal der Speku­­lation ausgesetzt, ob ein Land den Klub verlassen muss. Die bereits heute fragile So­lidarität zwischen den europäischen Mit­­gliedsstaaten würde nur noch unter Vorbehalt gewährt und jeder weitere Inte­grationsschritt wäre angstbehaftet. Über kurz oder lang würden nationale antieuropäische populistische Strömungen Brüs­­sel die Legitimation zunehmend absprechen. In diesem Punkt hat Angela Merkel Recht: Wenn der Euro scheitert, scheitert auch die Europäische Union. Geschichte ist nicht umkehrbar. «

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