Wider den Prostitutionsirrtum



Bei manchen Themen laufen Linke mit ihrem Fortschrittsbegriff zielstrebig in die falsche Richtung. Sie propagieren Ziele, die rückständig und inhuman sind. Und man fragt sich wirklich, warum. Die Debatte um das Prostitutionsgesetz ist so ein Thema.

In der Prostitutionsdiskussion gibt es zwei Positionen. Die eine lautet: Prostituierte sind Sexarbeiterinnen. Sie vollziehen eine Dienstleistung am Menschen. Diese Dienstleistung muss nicht jedem gefallen, aber wenn beide sich einig sind, sollte man sie nicht verbieten. Wir wollen keine Schlafzimmer kontrollieren, sondern Sexarbeiterinnen unterstützen. Menschenhandel – sollte er wirklich stattfinden – müssen wir durch verbesserten Opferschutz bekämpfen. Zugleich wollen wir die Sexarbeiterinnen in die Gesellschaft integrieren.

Die andere Position besagt: Prostitution ist frauenverachtend, denn Frauen werden zur Ware degradiert. Daher ist Prostitution mit der Menschenwürde nicht vereinbar. Prostitution hat negative Folgen für unser Frauenbild und ist Ausdruck des Machtungleichgewichts zwischen den Geschlechtern.

Rot-Grün ist mit dem Prostitutionsgesetz 2002 der ersten Position gefolgt. Seitdem hat die Prostitution deutlich zugenommen. Flatrate-Bordelle wurden gegründet. Massen von jungen Mädchen aus Osteuropa arbeiten mittlerweile in der Branche. All dies konnte die Befürworter der Liberalisierung nicht umstimmen. Dabei geht es in dieser Diskussion nicht einmal um das Verbot von Prostitution oder die Kriminalisierung von Frauen, sondern im besten Fall um eine mögliche Strafandrohung gegen Freier.

Aber selbst die Strafbarkeit würde nach Ansicht von Irmingard Schewe-Gerigk in der Berliner Republik 5/2014 das Selbstbestimmungsrecht von Prostituierten untergraben. Geflissentlich übersieht die Autorin, dass dadurch in erster Linie die Freier eingeschränkt würden. Schewe-Gerigk spricht sich auch gegen die Heraufsetzung des Mindestalters von Prostituierten aus – mit der Begründung, damit würden gerade junge Prostituierte in die Illegalität getrieben. Folgt man dieser Logik, könnte man die Altersgrenze gleich ganz abschaffen. Dann müssten auch 16-Jährige nicht mehr illegal anschaffen gehen. Vielleicht wäre es bei einer höheren Altersgrenze aber auch riskanter für Freier und Bordelle, allzu junge Mädchen anzuwerben?

Wir wissen, dass tausende junge Osteuropäerinnen nach Deutschland kommen. Ihre Hoffnung auf ein besseres Leben wird bitter enttäuscht. Wir wissen auch, dass neben den Freiern Bordellbetreiber und Stadtkämmerer die eigentlichen Profiteure der Sexindustrie sind. Und dass die selbstbewusste Hure zwar in Talkshows den Ton angibt, aber mit der Realität nicht viel zu tun hat.

Ich wünsche mir, dass SPD und Grüne ihren Irrtum erkennen. Ich hätte mir auch gewünscht, Schewe-Gerigk wäre ihren Kolleginnen bei Terre des Femmes – deren Vorsitzende sie immerhin war – gefolgt und würde Prostitution als Verstoß gegen die Menschenwürde ablehnen. Denn Prostitution, ob am Straßenrand oder im Flatrate-Bordell, erniedrigt Frauen und belastet das Verhältnis von Männern und Frauen zusätzlich. Die meisten Frauen landen deshalb in der Prostitution, weil sie dazu gezwungen werden oder sich in einer Notsituation befinden.

Warum fällt das Umdenken so schwer? Viele Befürworterinnen der Prostitution wurden in einer Zeit sozialisiert, als es darum ging, gegen das strenge Moralkorsett der fünfziger und sechziger Jahre zu kämpfen. Die Solidarität mit Prostituierten war damals ein subversiver Akt gegen den Konservatismus der Adenauerjahre. Die Gesellschaft war noch nicht derartig übersexualisiert und die Armutsmigration noch nicht so ausgeprägt. Aber diese Gesellschaft gibt es nicht mehr.

Ich komme in Berlin fast täglich durch die Kurfürstenstraße. Den Frauen, die dort rund um die Uhr stehen, ist die Verzweiflung, Sucht und Scham ins Gesicht geschrieben. Anstatt ihnen zu helfen, wird den Anwohnern und umliegenden Kindergärten geraten, Kondome auf dem Spielplatz als Zeichen der Großstadt zu akzeptieren. Dass man diese Mädchen und die Anwohner zugunsten der veralteten sozialromantischen Konzeption der selbstbewussten Hure im Stich lässt, ist das eigentliche Drama in der derzeitigen Debatte.

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