Mehr Rechte verhindern Ausbeutung

Bis 2002 waren Prostituierte in Deutschland nahezu rechtlos. Das rot-grüne Prostitutionsgesetz hat diesen Zustand juristisch erstmals beendet. Dennoch bleibt viel zu regeln, um die betroffenen Frauen wirksam zu schützen. Dabei würde sich die Kriminalisierung der Prostitution als Irrweg erweisen

Kaum ein gesellschaftspolitisches Thema erregt die Gemüter in Talkshows und Magazinen so sehr wie das Thema Prostitution. Zwei Positionen stehen sich unversöhnlich gegenüber: Die Vertreter eines Verbots verkünden missionarisch, dass Prostitution niemals freiwillig sein kann, sondern immer unter Zwang ausgeübt wird. Sie sprechen den Prostituierten die Entscheidungskompetenz ab, wollen Bordelle und Prostitution verbieten und Freier bestrafen. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die Prostitution tolerieren und als Teil des Selbstbestimmungsrechts von Frauen ansehen, wenn sie freiwillig erfolgt. Sie argumentieren, durch die Stärkung der Rechte von Prostituierten könne ihrer Ausbeutung entgegengewirkt werden.

Handschrift der Frauenhändler?

In einem Appell an die Bundesregierung forderte Alice Schwarzer, die Herausgeberin der Frauenzeitschrift Emma, 2013 ein Ende der Prostitution. Seitdem ist es um sie still geworden; die eigenen (Steuer)Sünden verlangen ihren Tribut. Schwarzer macht das Prostitutionsgesetz dafür verantwortlich, dass es in dem Gewerbe negative Entwicklungen gibt und behauptet, das Gesetz trage die Handschrift der Frauenhändler. Bemerkenswerterweise hat den Appell auch die Vorsitzende der CDU-Frauenunion, Maria Böhmer, unterschrieben – und sich damit quasi selbst zum Handeln aufgefordert. Immerhin hatte sie als Staatsministerin acht Jahre dafür Zeit. Aber wäre mit einer Rücknahme des Gesetzes die Welt wirklich wieder in Ordnung?

Vor dem Jahr 2002 befanden sich die in der Prostitution tätigen Menschen in einer nahezu rechtlosen Situation. Obwohl das Verbot der Prostitution schon 1927 aufgehoben wurde, stuften die Gerichte sie als sittenwidrig ein. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte noch im Jahr 1965, Prostituierte seien mit Berufsverbrechern gleichzustellen. Sie waren Bürgerinnen zweiter Klasse – stigmatisiert und diskriminiert. Ihnen war es nicht möglich, Verträge mit Kunden oder Arbeitgebern zu schließen, da diese aufgrund von Sittenwidrigkeit nichtig waren. Prostituierte konnten weder ihren Entgeltanspruch gegen Freier gerichtlich geltend machen, noch sich kranken- oder rentenversichern. Auch fehlte ein Anspruch auf Umschulung, was den Ausstieg aus der Prostitution erschwerte. Die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsumfeld waren katastrophal, denn wegen des Paragrafen „Förderung der Prostitution“ war es für Bordellbetreiber strafbar, gute und hygienische Arbeitsbedingungen zu schaffen. Kurz gesagt: Je miserabler die Räume, desto legaler deren Vermietung. Viele verdienten an diesem Zustand: Wohnungsvermieter, Bar-Besitzer, Zuhälter. Sogar der Staat verfuhr nach dem Motto „Geld stinkt nicht“ und kassierte aus dem sittenwidrigen Geschäft Steuern. Für die Frauen selbst blieb oft nicht viel übrig.

Erst in den neunziger Jahren kam Kritik an diesen unhaltbaren Zuständen auf (zum Beispiel von der Bundeskonferenz der Frauenministerinnen), und auch die übergroße Mehrheit der deutschen Bevölkerung sprach sich für rechtliche und soziale Verbesserungen für Prostituierte aus. In diesem gesellschaftlichen Klima entstand 2002 das Prostitutionsgesetz, das vor allem die rechtliche Stellung der Prostituierten stärken sollte. Es legt fest, dass rechtswirksame Verträge geschlossen werden können, die zum besonderen Schutz der Prostituierten ausschließlich einseitig verpflichtend sind. Das heißt, eine Frau kann ihr Arbeitsverhältnis von einem Tag auf den anderen kündigen, sie kann bestimmte Kunden und unerwünschte Sexualpraktiken ablehnen. Ein möglicher Arbeitgeber hat dagegen ein eingeschränktes Weisungsrecht. Er darf lediglich den Ort und die Zeit für die Tätigkeit festlegen. Durch das Gesetz wurden auch der Anspruch auf Zahlung für erbrachte Leistungen und der Zugang zur Sozialversicherung sowie der Umschulungsanspruch bei einem Ausstieg geregelt. Die Streichung des Straftatbestandes „Förderung der Prostitution“ ermöglicht es Bordellbetreibern jetzt, legal ein angenehmes und hygienisches Umfeld zu schaffen oder auch Kondome zur Verfügung zu stellen. Strafbar bleiben hingegen die Ausbeutung von Prostituierten und die Einschränkung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit.

In den Bundesländern fehlt der Wille

Trotz des Gesetzes unterliegt Prostitution aber weiterhin rechtlichen Verboten und Einschränkungen. So war damals allen Beteiligten klar, dass das als reines Bundesgesetz verabschiedete Werk nur einen ersten Schritt darstellt und weitere rechtliche Regelungen notwendig sind, um die Betroffenen wirkungsvoll zu schützen – etwa im Gewerberecht oder im Polizeirecht der dafür zuständigen Länder. Doch eine von der Bundesregierung einberufene Bund-Länder-Arbeitsgruppe scheiterte sehr schnell an der mangelnden Kooperation der Länder.

Bereits die Evaluation im Jahr 2007 deutete an, dass die Wirkung des Gesetzes sehr begrenzt ist. Zwar hat es die Rechtssituation der Betroffenen verbessert, es kann aber weder Prostitution umfassend regulieren, noch die Arbeitsbedingungen allgemein verbessern. Zudem fehlt in den Ländern bis heute der Wille, das Bundesgesetz umzusetzen. In Bayern kommt es per Dienstanweisung sogar nicht einmal zur Anwendung. Dort wird davon ausgegangen, dass ein Vertrag zwischen Bordellbetreiber und Prostituierter den Tatbestand der Zuhälterei erfüllt und daher nichtig ist – obwohl ein Gericht dem ausdrücklich widersprochen hat.

Den Erfolg des Gesetzes an der Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse zu messen, ist vor diesem Hintergrund sicher ein untaugliches Mittel. Problematisch ist zudem, dass viele Betroffene das Gesetz sowie die ihnen zustehenden Rechte nicht kennen und diese deshalb auch nicht einfordern. Diese Situation nutzen einige Bordellbetreiber offensichtlich aus. Auswüchse wie Flatrate-Sex oder Gang-Bang-Partys hätten durch frühzeitige gewerberechtliche Regelungen, wie man sie jetzt diskutiert, verhindert werden können. Damals fand die notwendige gesellschaftliche Debatte nicht statt. Das rächt sich nun umso mehr.

Heute wird die Diskussion unter vollkommen neuen Vorzeichen geführt. Neben einem gesellschaftlichen roll-back hat sich das Prostitutionsgewerbe auch durch Armutsmigration stark verändert und bedarf dringend verbindlicher Standards. Oft wird kritisiert, dass der Anteil der Migrantinnen in den Bordellen enorm hoch ist, und man schließt daraus, dass sie alle Opfer von Menschenhandel seien. Aber Prostitution und Menschenhandel gleichzusetzen, verharmlost dieses abscheuliche Verbrechen und verhöhnt die Opfer.

Warum Schweden kein Vorbild ist

Viele Bulgarinnen und Rumäninnen haben die EU-Osterweiterung im Jahr 2007 genutzt, der Armut in ihrem Lande zu entfliehen und legal nach Deutschland zu kommen. Arm, ohne Sprachkenntnisse und mit geringer Bildung suchen einige von ihnen eine Verdienstmöglichkeit in der Prostitution, um sich und ihre Familie im Herkunftsland zu ernähren. Oft ist es nicht ihr eigener Wille, sondern sie werden von ihren Familien nach Deutschland geschickt. Um dieser Zwangslage zu entgehen, brauchen diese Frauen Hilfen und eine Alternative zur Prostitution. An dieser Stelle gibt es Überschneidungen zum Menschenhandel, da auch organisierte Banden diese Situation ausnutzen. Das muss mit allen Mitteln bekämpft werden, etwa durch Polizeikontrollen in Bordellen, die weiterhin möglich sind. Der Handel mit Frauen ist aber keine Folge des Prostitutionsgesetzes.

Bevor Entscheidungen über Änderungen am Gesetz getroffen werden, sollte zunächst das Verhältnis zwischen Staat und Individuum geklärt werden: Wollen wir weiterhin in einem liberalen Wohlfahrtsstaat leben, in dem Menschen das Recht haben, so zu leben, wie sie wollen, solange sie die Freiheit anderer nicht einschränken? Oder streben wir einen kommunitären Wohlfahrtsstaat an, in dem der Staat allgemein gültige Werte und Normen für die gesamte Gesellschaft festlegt, denen sich die Menschen unterzuordnen haben, wie es in Schweden der Fall ist?

Das schwedische Modell gilt manchen in Deutschland als Vorbild; es hat allerdings viele Schattenseiten. Dort gelten seit 1999 ein Verbot des Sexkaufs und eine Bestrafung der Freier, während der Sexverkauf straffrei bleibt. Eigentlich absurd. Es käme doch auch niemand auf die Idee, den Käufer von Alkohol zu bestrafen, aber gleichzeitig den Verkauf zu erlauben. Zwar ist Prostitution in Schweden nicht mehr so häufig auf der Straße sichtbar, aber die Frauen leben seitdem gefährlicher. Sie werden an unsichere Orte verdrängt, verabreden sich über das Internet. In Schweden hat ein Polizeioffizier deshalb das Recht, eine Überwachung oder Hausdurchsuchung, sogar eine Telefonüberwachung, wenn sie nicht in größerem Ausmaß stattfindet, ohne richterlichen Beschluss durchzuführen. Wollen wir in einem solchen Staat leben? Von einer Verhältnismäßigkeit der Mittel kann wohl kaum gesprochen werden, wenn in Schweden weniger als eine Anklage gegen Freier pro Tag erhoben wird und in den vergangenen Jahren vier Männer für Sexkauf ins Gefängnis mussten. Für einen liberalen Rechtsstaat wie Deutschland ist so etwas glücklicherweise undenkbar.

Auch ein Komplettverbot ist für uns unrealistisch. In China, Saudi-Arabien oder Iran steht auf Prostitution die Todesstrafe. In den Vereinigten Staaten werden jährlich 60 000 Frauen wegen Prostitution verhaftet, diese finden danach keine Arbeit – und gehen weiterhin der gleichen Tätigkeit nach.

Was hilft den Menschen wirklich?

Wenn es allen – wie gern behauptet wird – um die verbesserte Situation der Prostituierten ginge, müsste die Leitfrage für jede vorgeschlagene Maßnahme lauten: „Was hilft den Menschen, die in der Prostitution arbeiten, wirklich?“ Dann wären viele populistische Vorschläge, die das eigene Ego beruhigen, sofort vom Tisch. Dennoch besteht ein erheblicher Handlungsbedarf bei der Verbesserung der Arbeitssituation. Hier hätten die Länder, die bis zur Föderalismusreform für das Gewerberecht zuständig waren, längst handeln müssen. Nun ist der Bund am Zuge. Die schwarz-gelbe Koalition hatte 2013 einen Versuch unternommen – ohne Erfolg.

Jetzt wollen CDU / CSU und SPD die allgemeinen Aussagen im Koalitionsvertrag mit Leben füllen. Über die konkreten Regelungen gibt es allerdings in vielen Punkten Streit. Einigkeit besteht bei der gewerberechtlichen Erlaubnispflicht für Prostitutionsbetriebe mit entsprechenden Auflagen, um unhygienische und unzumutbare Arbeitsbedingungen zu beenden. Dabei muss auch die Zuverlässigkeit der Betreiber geprüft werden, anderenfalls darf es keine Erlaubnis geben. Ähnliches ist bei der Nichteinhaltung vorgeschriebener Auflagen vorzuschreiben. In diesem Fall sollte die Genehmigungsbehörde die Erlaubnis entziehen können und die Einrichtung schließen. Mit diesen Maßnahmen könnten bereits viele Missstände beseitigt werden. Eine Anmeldepflicht für jede einzelne Prostituierte hingegen dient nicht zur Unterscheidung zwischen legaler Prostitution und strafbarer Zwangsprostitution, sondern nur der Kontrolle mit immensen Datenschutzproblemen.

Neben dem Bund sind allerdings auch die Kommunen gefragt. Angesichts ihrer knappen Kassen haben allein in Nordrhein-Westfalen 13 Gemeinden eine Sexsteuer eingeführt und nehmen dadurch 300.000 Euro jährlich ein. Dieses Geld sollten sie in Beratungsstellen stecken, die über die rechtliche Situation, Gesundheits- und Arbeitsschutz sowie Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten informieren. Unglücklicherweise erleben wir gerade das Gegenteil. So wurde beispielsweise in Dortmund die Finanzierung für ein Projekt gestrichen, das bulgarischen Prostituierten in ihrer Heimatsprache Hilfe angeboten hatte.

Schutz für die Opfer des Menschenhandels

Die von der CDU vorgeschlagene Heraufsetzung des Mindestalters von 18 auf 21 Jahre, „um die stetige Nachfrage nach immer jüngeren Frauen“ einzudämmen, entbehrt nicht nur jeder Statistik, sondern ist auch keine sinnvolle Maßnahme. Die jungen Volljährigen würden sicherlich in die Illegalität gehen und keinerlei Schutz genießen. Es dürfen rechtlich keine anderen Maßstäbe an Prostituierte angelegt werden als etwa an Soldatinnen, die mit 18 Jahren sogar ihr Leben in Gefahr bringen können. Auch die von der CSU ins Spiel gebrachten Zwangsuntersuchungen stigmatisieren Menschen, die in der Prostitution arbeiten. Untersuchungen hatten gezeigt, dass das Risiko übertragbarer Krankheiten bei ihnen nicht größer ist als im Durchschnitt der Bevölkerung.

Noch wesentlich mehr uneingeschränkte Hilfe und Unterstützung des Staates als bisher brauchen aber vor allem die Opfer des Menschenhandels. Eine effektivere Verfolgung der Täter ist ebenso unabdingbar, wie den Betroffenen Schutzwohnungen bereitzustellen und das Aufenthaltsrecht unabhängig von der Aussagebereitschaft anzubieten. Italien hat es uns vorgemacht und damit die Zahl der Aussagen gegen Menschenhändler sogar erhöht. Ein Zeugnisverweigerungsrecht für spezialisierte Beratungsstellen hilft den Opfern, Vertrauen aufzubauen und über ihre furchtbaren Erlebnisse zu berichten. Daneben ist es notwendig, den Straftatbestand Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung neu zu fassen, damit die Bestrafung der Täter nicht länger von der Aussage der Opfer abhängt. Denn bisher ist die Rechtlosigkeit der Opfer der beste Täterschutz. An diesem Punkt ist der Staat besonders gefragt.

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