Herrenwitze und Herrschaftswissen

Wie sich drei Arrivierte einmal mit dem Thema Praktikanten beschäftigten

Das Nachtleben-Autorenkollektiv will herausfinden, was Praktikanten des Bundestages so machen, vor allem abends. Nur hat, wer tagsüber umsonst arbeitet, abends wenig Geld für das Feierabendbier in der Tasche. Wir schauen uns trotzdem um. Bundestagspraktikanten treffen sich regelmäßig in der Politik-Kneipe Wahlkreis. Hier veranstaltet die Lüthke Politikberatung einen überparteilichen „Praktikantenstammtisch“.

Ein Praktikant wirft den Leitsatz: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ in den Raum. „Den habe ich auch auswendig gelernt“, meinen viele, „ganz einfach, durch häufige und regelmäßige Wiederho-lung (...)“ Das schöne an dieser Veranstaltung ist: Sämtliche Chefs sind ausgeschlossen. Alle zwei Wochen werden politiknahe Berufe und interessante Personen aus dem politischen Umfeld in Berlin vorgestellt.

Was reizt Praktikanten am Bundestag? Geld gibt es selten und eher wenig. Hilfreiche Kontakte schon häufiger. Ein Zeugnis, Reputation und den „Bundesadler im Lebenslauf“. Haben Praktikanten eigentlich Sex? Soll vorkommen, ist aber nicht die Regel. Ein Praktikant hat beim Praktikantenstammtisch seine derzeitige Freundin zum ersten Mal getroffen und kam gleich in der Hofeinfahrt nebenan mit ihr „ins Gespräch“. Zusammen hatten sie elf Praktika absolviert, auch noch nach dem Studium. Es gab ein Happy End: Aufgrund ihrer gesammelten Zeugnisse und Kontakte fanden beide einen Job.

Beim Praktikantenstammtisch erkundigen sich alle zunächst nach Arbeitsstätten und Parteizugehörigkeiten. Die Standardfrage „Wo arbeitet ihr denn?“ kann aber auch gefährlich sein. Praktikant Tim geriet einmal an den falschen Tisch und richtete sie an die beiden Abgeordneten Nina Hauer und Ute Vogt. Die antworteten: „Im Bundestag.“ Tim erkannte beide nicht und erzählte munter drauflos: „Ute Vogt ist super, das ist meine Landesvorsitzende!“ Die Damen genossen die Situation sichtlich und beleuchteten – zu Tims großem Entsetzen („Und Ihr seid wirklich in der SPD?“) – ausführlich die Schwachstellen von Ute Vogt.

Sozis sind sauer, wenn man sie nicht duzt

Die absoluten Highlights für jeden Bundestagspraktikanten sind die „Parlamentarischen Abende“ von Lobbyverbänden oder Unternehmen: „Da will ich hin!“ Praktikant Max erzählt, dass er sich bei einem Parlamentarischen Abend nicht richtig angemeldet hatte und den ganzen Abend mit dem Namensschild der Chefin herumlaufen musste. Aber auch die Kleidung will gründlich vorbereitet sein: Praktikant Martin freute sich den ganzen Tag auf einen Parlamentarischen Abend und hatte sich extra schick gemacht. Dann löste sich eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung eine Schuhsohle ab. „Versuchs doch mal mit Pritt“, rieten schlaue Kollegen – aber der Abend war gelaufen.

Ex-Praktikant Christian stößt zur Runde. Er hat schon mehrere Praktika im Bundestag hinter sich. Für ihn ist der ideale Praktikumsbeginn die Sitzungswoche: „In Stresssituationen lernt man am meisten. Ideal ist es im Wahlkampf.“ Chefs und Mitarbeiter würden in der Hektik nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, Praktis könnten dann auch vertrauliche Details mitbekommen. Ein echtes Problem ist für Christian, dass sich die SPD-Genossen alle duzen. Vor allem, wenn man auf Promis stößt. Teilweise werden die richtig sauer, wenn man sie nicht sofort duzt, was einem neuen Praktikanten ganz schön schwer fällt. Christian lobt den „Praktikantenreader“ aus dem Büro der Abgeordneten Nicolette Kressl: „Eine prima Sache, weil man sich vorher einarbeiten kann und weiß, was einen erwartet.“

Wir wechseln das Lokal. An der Grenze zum Wedding in Berlins Mitte versteckt sich die gemütliche Kneipe Hackethals, in die sich Einheimische und Teilzeit-Berliner allabendlich zurückziehen. Die Werbeagentur Scholz & Friends sitzt gegenüber, und etliche Abgeordnete wohnen in derselben Straße. Das Hackethals wirbt mit dem Motto: „Ich koche selbst. Kommen sie trotzdem.“

Entlohnung? Von welchem Geld denn?

Wir treffen auf einen Abgeordneten. „Praktikanten? Die müssen bei mir richtig schaffen“, sagt er. Fast immer habe er einen Praktikanten aus dem Wahlkreis in seinem Berliner Büro. Ein Bewerbungsgespräch ist Pflicht. Wer genommen wird, bekommt ein buntes Programm geboten: „Wo ich hingehe, gehen die Praktis mit“ – und zwar nicht nur zu den Berliner Terminen, sondern immer auch mindestens eine Woche im Wahlkreis. Wir fragen, ob er Praktikanten entlohnt. Er sagt: „Nein, warum und vor allem: mit welchem Geld? Es geht doch auch so!“ Den Ertrag, den Praktikanten hier erhalten, kann man in Euro nicht zählen. So kümmert sich dieser Abgeordnete intensiv um seine Schützlinge, führt mit jedem ein Abschlussgespräch und will ein „echtes Verständnis“ für den parlamentarischen Alltag erzeugen. Parteinähe ist für ihn übrigens kein Muss-Kriterium, unbedingte Loyalität schon.

Super Bewerbung, hässlicher Typ

Sein größtes Ärgernis? Er erzählt von einem Praktikanten aus den Vereinigten Staaten: „Super Bewerbung, super Zeugnisse, hollywoodmäßiges Foto.“ Das Büro war beigeistert. Tatsächlich kam aber ein „dicker, hässlicher Typ“, der sich nach wenigen Stunden Arbeit aus dem Staub machte und eigentlich nur die Stadt erkunden wollte.

Der Abgeordnete verlässt die Kneipe. Kaum ist er weg, tritt ein Lobbyist und Rechtsanwalt herein. Wir sprechen ihn auf unser Thema an. Seine Praktikanten sind überwiegend Rechtsreferendare. Zusätzlich zum Gehalt bekommen sie in seiner Kanzlei sogar einen Mietkostenzuschuss. Neben der klassischen juristischen Arbeit sind sie mit Organisation, Recherche und Events betraut. „Alle meine Praktikanten habe ich im späteren Verlauf ihrer Karriere wieder getroffen – darauf bin ich stolz!“

Überparteilicher Praktikantenstammtisch der LÜTHKE POLITIKBERATUNG – Vorstellung politiknaher Berufe (www.praktikantenstammtisch.de)
immer dienstags ab 19.00 Uhr im WAHLKREIS – politische Kneipe – Reinhardtstraße 37, Berlin Mitte

HACKETHALS– Kneipe und Restaurant – Pflugstraße 11, Berlin Mitte

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