"Wahlkampf können wir eben!"



Kann man das lernen? Gesine Schwan betritt die Presselobby der SPD-Bundestagsfraktion und beherrscht mit ihrer Präsenz den ganzen Raum. Sie trifft auf mehr als zwei Dutzend Kandidatinnen und Kandidaten der SPD für den nächsten Bundestag und legt los: "Meine Diagnose ist: Der allgegenwärtige Wettbewerb, den wir in den vergangenen Jahren als Wunderwaffe zur Mehrung von Wohlstand gepriesen haben, erweist sich in der Krise als unsere Geißel." Sie spricht über eine neue "Kultur der Gemeinsamkeit" und warum sozialdemokratische Antworten derzeit so gefragt sind. "Wer, wenn nicht wir Sozialdemokraten!", lautet ihre Botschaft. Und die kommt an. Die Genossinnen und Genossen, die auf Einladung der Berliner Republik aus allen Teilen des Landes nach Berlin gekommen sind, stehen am Anfang eines harten und voraussichtlich bis zur letzten Minute spannenden Wahlkampfes. Da tut es gut, eine Frau zu erleben, die sich weder von zum Teil hämischen Zeitungskommentaren noch von der blasierten Siegesgewissheit der Unionsparteien beirren lässt.

Einer der anwesenden Kandidaten ist Dietmar Tendler, der für den Rhein-Sieg-Kreis antritt. "Wenn man 33 Jahre Kommunalpolitik macht, dann kennt man die Sorgen und Probleme der Menschen sehr genau", sagt der 56-Jährige. Etwas jünger als Dietmars politisches Engagement ist die Cuxhavener Kandidatin Thurid Küber, die derweil neben Gesine Platz genommen hat und sofort mit ihr ins Gespräch kommt.

Blumenwiesen schützen reicht Gabriel nicht

Etwa zwei Stunden später treffen die Kandidatinnen und Kandidaten in dem vom Frank O. Gehry entworfenen Gebäude der DZ-Bank am Pariser Platz auf einen Gast, der ebenfalls für den Bundestag kandidiert. "Eigentlich dürftest Du hier gar nicht Referent sein, sondern nur Teilnehmer", sagt die Abgeordnete Nina Hauer augenzwinkernd zu Peer Steinbrück, der sich im Wahlkreis Mettmann zur Wahl stellt.

"Ich glaube, dass ′Krise′ eine unzureichende Beschreibung dessen ist, was wir gerade erleben", so der Bundesfinanzminister vor den gespannten Zuhörern. Die tief greifenden Erschütterungen an den Finanzmärkten hätten die machtvolle Rückkehr eines Akteurs bewirkt, der lange als hoffnungslos altmodisch und träge galt: der Staat. "Peer ist ein Politiker, den man jedem vorzeigen kann, der behauptet, die Politik könne heutzutage nichts mehr ausrichten", sagt Petra Crone, die für Olpe und den Märkischen Kreis kandidiert. Als langjährige Vorsitzende einer Stadtratsfraktion weiß sie, was es bedeutet, trotz knapper finanzieller Mittel gestaltende sozialdemokratische Politik durchzusetzen.

Mangelnden Gestaltungswillen kann man auch ihm nicht vorwerfen: Sigmar Gabriel, Erfinder der "Ökologischen Industriepolitik" hat mehrere große Kisten mitgebracht. Er verteilt "GreenTech made in Germany", einen Umweltatlas der besonderen Art. "Hier könnt ihr nachlesen, wie Umwelttechnologie in Euren Wahlkreisen Arbeitsplätze schafft", erklärt Gabriel und hält den eineinhalb Kilogramm schweren Wälzer hoch. "Was wir machen, ist mehr als Blumenwiesen schützen. Wir organisieren den Einstieg in eine völlig neue Industriegesellschaft." Gerade in Krisenzeiten sei es wichtig, die richtigen Weichen für die Wirtschaft der Zukunft zu stellen.

Es ist bereits dunkel und das Buffet mit Currywurst und Buletten abgeräumt, als die Kandidaten gemeinsam mit zahlreichen Parlamentariern in die Politkneipe Wahlkreis ziehen. Hier trinkt man Tannenzäpfle und schaut Fußball. Wenn der Bundestagsabgeordnete Rolf Stöckel dabei ist, dann wissen Eingeweihte: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er sich die Gitarre greift, Gesangsbücher verteilt und Arbeiterlieder singt. Natürlich war Rolf Stöckel an diesem (und am nächsten) Tag von Anfang an dabei.

"Und weil der Mensch ein Mensch ist...", singen alle gemeinsam eins der bekanntesten Lieder der Arbeiterbewegung "Das Einheitsfrontlied". Allen voran hört man Danial Ilkahinpour, der für Hamburg-Eimsbüttel kandidiert, textsicher den Ton angeben: "Drum links, zwei, drei! Drum links, zwei, drei! Wo dein Platz, Genosse, ist! Reih′ dich ein in die Arbeiter-Einheitsfront, weil du auch ein Arbeiter bist."

Voller Zuversicht zurück ins Allgäu

Ist es am Abend zuvor spät geworden? Zumindest merkt man das den Kandidaten nicht an. Frisch und fröhlich treffen sie am nächsten Morgen in den lichtdurchfluteten Räumen des Energieversorgers EWE ein. Bei Obstsalat, Croissants und Latte Macchiato erläutert Generalsekretär Hubertus Heil, warum die SPD die Union nicht zu fürchten braucht. "Fragt mal in der CDU, wer da eigentlich noch hinter Angela Merkel steht - das sind nicht allzu viele", weist Heil auf die in der Union aufbrechenden Flügelkämpfe hin. Mehr als eine Stunde nimmt sich der Generalsekretär der SPD Zeit, um die Kandidaten auf den Wahlkampf einzuschwören: "Mehr als 25 Prozent der Wähler haben sich beim letzten Mal erst einen Tag vor der Wahl entschieden, wo sie ihr Kreuz machen." Das werde dieses Mal kaum anders sein. Daher Heils Devise: "Kämpfen bis zur letzten Minute!".

Zum Schluss gibt′s noch einen Höhepunkt: Gut gelaunt und voller Elan betritt Frank-Walter Steinmeier den Raum. Beifall brandet auf. Keine Frage, hier steht ein Mann vor der Gruppe, der das Zeug zum Kanzler hat. Laut Umfragen ist Steinmeier einer der glaubwürdigsten und sympathischsten Politiker der Republik. Steinmeier umreißt die wichtigsten Ziele des Regierungsprogramms und lobt die SPD für ihre Geschlossenheit und ihr neues Selbstvertrauen. "Wahlkampf können wir eben", sagt Steinmeier und lacht. Wer ihn genau beobachtet, spürt: Da hat einer Großes vor.

Voller Zuversicht setzt sich Rolf Spitz wenig später in sein Auto und macht sich auf den Weg ins Allgäu. 669 Kilometer weit weg wird der Kandidat in seinem Wahlkreis Memmingen für die SPD um jede Stimme kämpfen.

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