Gespenst oder Partei?

Oskar Lafontaine will "Die Linke" zur populistischen Sammlungsbewegung aller Frustrierten machen. Zur Stimmung im Land passt das nicht: Die meisten Deutschen sind weder links noch sozialistisch eingestellt. So droht der "Linken" die Isolation

Einen derartigen „Bruderkrieg“ kennt man eigentlich nur aus dem Gaza-Streifen. Da beschimpft der einstige SPD- und neue Linkspartei-Vorsitzende Oskar Lafontaine seine ehemalige Partei, weil sie ihre Prinzipien aufgegeben und den deutschen Sozialstaat zerstört habe, weshalb sie mittlerweile „Sozialabbau-Partei Deutschlands“ genannt werden müsse. Die SPD koffert zurück und bezeichnet die neu gegründete „angebliche Linke“ (Peter Struck) als „PDS/ML“ – PDS mit Lafontaine. Der neue Chef der Linkspartei sei gar ein „Helfershelfer der Taliban“ (Sigmar Gabriel). Man sollte eigentlich meinen, linke „Streitkultur“ im Jahr 2007 sähe anders aus.

 

Hier zeigt sich, dass die Gründung der neuen Partei „Die Linke“ keineswegs für die Einheit der Linken steht. Es ist Sophismus, wenn Gregor Gysi immer wieder behauptet, mit der Gründung der Linkspartei werde die „Einheit der Linken“ und damit die „Einheit Deutschlands“ vollendet – es sei denn, diese angeblich vereinigte Linke gedenkt, sich dauerhaft mit den rund zehn Prozent zufrieden zu geben, die sie derzeit in den Umfragen erhält. Dann aber wäre sie, zur Freude ihrer Gegner, keine nennenswerte politische Kraft in Deutschland mehr.

 

In Wahrheit stehen die Gründung der Linkspartei und ihre absehbare Etablierung im Westen der Republik für die Spaltung der Linken. Fraglich ist bloß, ob sich die Linke gerade in zwei sozialdemokratische Parteien zerlegt, oder ob die Linkspartei zu einer irgendwie anders gearteten sozialistischen Partei wird, die ein irgendwie anders geartetes System anstrebt.

 

An dieser Stelle besteht innerhalb der Linkspartei ein erheblicher Klärungsbedarf; bis zur nächsten Bundestagwahl hat sie noch einen weiten Weg vor sich. Denn momentan will „Die Linke“ alles – und damit nichts. Noch hat sie die Frage nicht beantwortet, ob sie als Gespenst des Kommunismus-Sozialismus umgehen oder eine reformorientierte Partei des Sozialismus-Sozialdemokratismus werden will.

 

Hauptsache, es schadet der SPD

 

Dabei müsste die politische Ausrichtung ihrer Politik angesichts der Biografien vieler ihrer Mitglieder eigentlich klar sein, besonders was die WASG anbelangt. Die meisten WASG-Mitglieder sind Fleisch vom Fleische der Sozialdemokratie, vom einstigen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine ganz zu schweigen. Doch die neue Linke hat den Anspruch, alles zu bedienen. Sie will die große linke Sammlungsbewegung sein, weshalb sie sich sowohl auf das Erbe Willy Brandts als auch auf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht beruft, aller faktischen Unvereinbarkeit zum Trotz.

 

„Wir geben den demokratischen Sozialismus als Idee, als Ziel nicht auf“, heißt es bei der Linkspartei. Ein Satz, der durchaus mit der Programmatik der SPD übereinstimmt. Gleichzeitig stellt die neue Linke „die Systemfrage“, ohne in irgendeiner Weise auszubuchstabieren, was sie darunter eigentlich versteht.

 

Mit diesem unklaren, interpretations- und projektionsoffenen Programm erhofft sich „Die Linke“ eine größtmögliche Wirkung als Protestpartei. Besonders Oskar Lafontaine will die Partei zur Sammlungsbewegung aller Frustrierten und letztlich zur stärksten Kraft auf der Linken machen – sei es, um damit der SPD so viel Schaden wie möglich zuzufügen, sei es, um für eine spätere große Vereinigung von SPD und Linke gerüstet zu sein. Sollte Lafontaine einen Zusammenschluss tatsächlich anstreben, ist seine gegenwärtige Abgrenzungspolitik jedoch denkbar kontraproduktiv.

 

Im Prinzip reklamiert die neu gegründete Partei schon mit ihrem Namen „Die Linke“ den Alleinvertretungsanspruch, was selbst Gregor Gysi als „etwas anmaßend“ bezeichnet. Auf diese Weise will Oskar Lafontaine die SPD vor sich hertreiben – zum Teil mit jenen national-populistischen Konzepten, die auch sein Intimfeind Gerhard Schröder verfolgte. Außenpolitisch plädiert die Linkspartei für einen „deutschen Weg“ (Gerhard Schröder) direkt ins nationale Ghetto, weshalb sie gegen jegliche Militäreinsätze, selbst unter UN-Mandat, votiert. Und wenn Hugo Chavez tatsächlich das neue Vorbild sein soll, würde mit der Linkspartei innenpolitisch die sozialistische Isolation drohen. Damit erfindet man zwar eine neue „Wohlfühl-Linke“ aus Anhängern, die gegen das ganze „System“ eingestellt sind. Akzeptanz- und Stimmengewinne verspricht diese Strategie jedoch nicht.

 

Diffuser Protest allein macht die Linkspartei noch nicht zu einer gestaltenden Kraft. Sie muss erkennen, dass sie zusammen mit der SPD und den Grünen zwar theoretisch eine Mehrheit bilden kann, dass aber diese strukturelle Mehrheit in Wirklichkeit nur eine virtuelle Mehrheit ist. Mit der mentalen Situation im Land hat sie nichts zu tun. Die Deutschen sind mehrheitlich nicht links, geschweige denn sozialistisch eingestellt, was eingedenk der jüngeren deutschen Geschichte auch nicht verwunderlich ist. Zudem existiert in Deutschland kein nennenswertes Medium, dass für eine Regierungsbeteiligung der Linken derzeit besondere Sympathien hegt.

 

Auch bei der Bevölkerung hat „Die Linke“ bisher keinen Vertrauensvorschuss erworben, von der rot-roten Koalition in der Hauptstadt einmal abgesehen. Doch einerseits kooperiert die Linkspartei in Berlin mit der SPD, andererseits wirft sie ihr „Neoliberalismus“ vor. Auf dem Gründungsparteitag der „Linken“ mussten der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf und der Berliner Landesvorsitzende der Linkspartei Klaus Lederer sogar darum bitten, von ihren eigenen Genossen „solidarischer“ kritisiert zu werden. Dies weckt unangenehme Erinnerungen an den einstigen rauen Wind gegen die „Sozialfaschisten“: Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Die Folgen dieser Spaltungspolitik sind bekannt.

 

Wenn die Linkspartei tatsächlich regieren will, wie es Oskar Lafontaine unentwegt behauptet, kommt sie nicht ohne Kontakt zur gesellschaftlichen Mitte aus – und für diesen kann allein die SPD sorgen. Nur gemeinsam können SPD und Linkspartei Wahlen gewinnen und dann regieren. Das setzt voraus, dass beide Seiten pfleglich miteinander umgehen. Oskar Lafontaine sagte auf dem Gründungsparteitag, das biblische Gebot „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ müsse übersetzt werden mit „Du sollst deinen Genossen lieb haben, dir gleich“. Damit meint er jedoch offensichtlich ausschließlich die Genossen seiner eigenen Partei.

 

Wie die SPD reagieren kann

 

Wie kann die SPD auf die neue, populistische Konkurrenz von links reagieren? Es gibt zwei Optionen: Erstens, sie schlägt selbst einen populistischen Kurs ein. Diese Variante ist jedoch als Regierungspartei an der Seite der Union schier ausgeschlossen, wie der missglückte, an die Union gerichtete „Neoliberalismus-Vorwurf“ von Parteichef Beck belegt. Zweitens, die SPD lernt, mit dem Populismus der Linkspartei zu leben. Etwas anderes wird ihr in der Tat nicht übrig bleiben.

 

Der Linkspartei und speziell Oskar Lafontaine lediglich Populismus zu unterstellen, bringt die SPD nicht aus der Defensive. Kaum etwas im politischen Geschäft ist billiger als der Populismus-Vorwurf. Der Populist ist immer der Andere. Augenblicklich trägt er meistens den Namen Oskar Lafontaine. Aber auch Gerhard Schröder hat bekanntlich Populismus betrieben, um an die Macht zu gelangen oder sie zu behalten.

 

Dämonisierung hilft nicht weiter

Hinzu kommt, dass die vox populi durchaus ein demokratischer Adelstitel ist. Wer dem Volk aufs Maul schaut, folgt einem urdemokratischen Impuls und wird regelmäßig mit der Macht belohnt. Hier liegt das eigentliche Dilemma der SPD: Bis 1998 schlugen beide Seelen in ihrer Brust, sowohl die realpolitisch-pragmatische als auch die populistische. Ein letztes Mal gelang diese Bündelung des Widersprüchlichen im Jahr 2005 Gerhard Schröder, als er Wahlkampf gegen die eigene Agenda-Politik machte. Das Problem der SPD besteht auch darin, dass sie heute keinen Populisten mehr in ihren Reihen hat.

 

Die Dämonisierung Lafontaines hilft nicht weiter. „Lafontaine ist der Scheinriese der deutschen Politik“, stellte ein offenbar lernwilliger Sigmar Gabriel zu Recht fest. „Je näher man ihm kommt, desto kleiner wird er.“ Auch Regierungsverantwortung hat schon so manchen Lautsprecher ganz schnell sehr kleinlaut werden lassen. Der Lafontaine des Jahres 1999 war dafür das beste Beispiel. Noch ist allerdings offen, ob die SPD Lafontaine tatsächlich an sich herankommen lassen wird und ob Lafontaine irgendwann auf die SPD zugeht. Dann könnte eine ernsthafte Auseinandersetzung über konkrete Politik und Projekte beginnen. Momentan sieht es nicht danach aus.

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