Die ungeklärte Frage: Netzwerk wofür - und wohin?

Dass diese Zeitschrift 15 Jahre alt wird - schön und gut. Doch ihre Herausgeber tun zu wenig, um die Orientierungskrise der SPD zu lösen

Gewiss, man soll die Feste feiern, wie sie fallen. Und dass die Berliner Republik dieser Tage 15 Jahre alt wird, ist in Zeiten grassierenden Zeitschriftensterbens fürwahr ein Grund zur Freude und Gratulation. Allerdings wäre es unehrlich, an dieser Stelle nicht die Lage der Sozialdemokratie 15 Jahre nach der Gründung des Blattes in den Blick zu nehmen. Und da kann von Freude keine Rede sein, die Lage sieht düster aus. Seit dem furiosen Wahlsieg von 1998, der den meisten Netzwerkern – der Jungen Gruppe oder Youngsters, wie sie sich damals noch selbst nannten – erst den Einzug in den Bundestag ermöglichte, hat die SPD die Hälfte ihrer Mitglieder und ihrer Wähler eingebüßt. Im Bund ist sie von 41 Prozent auf 25 Prozent abgestürzt. Aus der Mehrheitspartei wurde die Mehrheitsbeschafferin – und ein Ausstieg aus dem 20-Prozent-Turm ist weiterhin nicht in Sicht.

Zwar hat der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel die SPD taktisch klug (um Schwarz-Grün zu verhindern) in die Große Koalition gelotst. Doch darüber hinaus fehlt jede Regierungsperspektive, strategisch wie inhaltlich-konzeptionell. Zwar liegt der entscheidende Grund in der anhaltenden Verweigerungshaltung der Linkspartei bezüglich jeder realistischen Regierungspolitik, besonders in der Außen- und Sicherheitspolitik. Aber auch der SPD ist es bis heute nicht gelungen, über 2017 hinaus ein stringentes, überzeugendes Leitbild für diese neue Berliner Republik zu entwickeln.

Dabei war genau das der Anspruch jener „Generation Berlin“, die Heinz Bude wortgewaltig auf der Gründungsveranstaltung der Berliner Republik entwarf. Gesucht werde, so Bude, „eine Haltung jenseits von Formschwäche und Identitätswahn“. Dafür schien ihm gerade die neue Generation der Nach-Achtundsechziger geeignet. Dieser „Generation Berlin“ müsse es um einen „Neuanfang jenseits überkommener Konfrontationen“ und um eine neue Haltung jenseits der überkommenen Kritik der Achtundsechziger gehen – nämlich um „die Definition neuer Unterscheidungen und anderer Entscheidungsszenarien, die eine Berliner von der Bonner Republik absetzen können“.

Franz Walter hielt seinerzeit (ganz betont „provinziell“) die polemische Gegenrede. Seiner Ansicht nach fehlte dem „unzulänglichen Nachwuchs der Sozialdemokratie“ schon damals alles für eine neue Generation: der große Generationenkampf wie die großen Schlachten, die den Mythos einer Generation erst ausmachen. Und zudem sei auch kein „vorwärtsdrängender Leitwolf“ zu erkennen.

Dieser wuchs dem Netzwerk wenig später zu, eben mit Sigmar Gabriel (ihm zur Seite sein getreuer Thomas Oppermann). Mit Gabriel regiert heute kein Berliner, sondern ein bekennender Mann der Provinz – aus Goslar – als Vizekanzler diese Berliner Republik. Doch die von Bude reklamierte sozialdemokratische Definition unseres Landes steht weiterhin aus, seit Gerhard Schröders Agenda-Kurs erst die Partei, dann das Land gespalten und entsolidarisiert hat.

Franz Walter hat also Recht behalten. Die Generation Berlin war und ist bis heute eine Kopfgeburt, eine Generation am Reißbrett geblieben, und das „Netzwerk“ ist vor allem eins: eine politische Seilschaft. Noch immer ist ungewiss, wofür es eines Tages im Gedächtnis geblieben sein wird: für die Karriereorientierung seiner Mitglieder – oder für ein eigenes, dringend gebrauchtes neues sozialdemokratisches Konzept, das den so gefährdeten solidarischen Zusammenhalt dieser labilen Republik sichert, gegen die reaktionären Angriffe von AfD bis Pegida.

„Erneuerung beginnt im Kopf“, lautet die Überschrift der diesjährigen Jubiläumsveranstaltung. Wo denn auch sonst, möchte man hinzufügen. Zeit jedenfalls wird’s, der entkernten SPD eine neue Identität zu verleihen. Noch immer wartet vielleicht nicht die ganze Gesellschaft, aber doch der an Zusammenhalt orientierte Teil darauf, ob und wie die Sozialdemokratie endlich ihre Orientierungskrise löst. Heute, da sich die westliche Welt der vielleicht größten Bedrohung ihrer Werte seit 1945 ausgesetzt sieht, ist die Aufforderung Franz Walters von 1999 aktueller denn je: „Es geht in der Tat um die neue geistige Orientierung der Basis und des Mittelbaus, aber auch der Parteieliten, denn die haben ebenfalls Probleme anzugeben, wohin es gehen soll. Eine richtungs- und sprachlose Partei indessen wirkt abschreckend auf Wähler.“ An dieser fundamentalen Anfrage hat sich bis heute nichts grundsätzlich geändert. Im Gegenteil: In derart unübersichtlichen, radikal krisenhaften Zeiten ist klare Orientierung stärker gefragt denn je. Wofür steht, wohin will dieses Land? Und wofür steht die deutsche Sozialdemokratie? Diese doppelte Identitätskrise harrt einer Antwort. Noch ist offen, ob die Netzwerker zu „gut gelaunt Resignierten“ werden oder ob es ihnen doch noch gelingt, diesem Land ihren Stempel aufzudrücken. Der Berliner Republik wäre es zu wünschen.

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