Generation Schlumpfine

Endlich der Illies für Mädchen: In ihrem Buch Generation Ally will Katja Kullmann erklären, "warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein" - und schreibt doch wieder nur über Esprit-Sweatshirts und Caipirinhas. Soll das denn wirklich alles sein?

Mit dem Auftritt des Autoren-"Ichs" in journalistischen Texten ist es so eine Sache. In angelsächsischen Zeitungen und Büchern gefällt es mir recht gut, weniger hingegen in den sensiblen Ausarbeitungen mancher Kollegen vom ehemaligen Spiegel-Reporter. Geschmackssache.

Auf jeden Fall ist das ehrliche "Ich" immer noch besser als ein "Wir", das irgendwie soziologisch daherkommt, in Wirklichkeit aber auch nur "Ich" bedeutet - oder sogar "Ichichich" bedeutet. Katja Kullmann hat ihr Buch Generation Ally in just diesem nervtötenden "Wir"-Modus geschrieben. "Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein", will sie erklären. "Frau" bedeutet dabei: wenn man zwischen 1965 und 1975 geboren ist, Lifestyle-Phänomene für entscheidend hält, viel Zeit vor dem Fernseher verbringt und offenbar noch nie Verantwortung für irgend etwas Bedeutungsvolles - für einen Mit-menschen oder ein politisches Anliegen, eine ernsthafte berufliche Aufgabe oder ein paar Meerschweinchen - übernommen hat. Wer diese Kriterien nicht erfüllt, was ja für sie (oder ihn) spräche, wird beim Lesen permanent in die Distanzierung gezwungen: "Heute", schreibt die Autorin zum Beispiel, "verbinden wir das Reisen gern mit dem Nützlichen: Wir unternehmen einen Weekend-Trip nach Paris, zum Shoppen; jetten eben schnell nach Verona, zur Oper in die Arena, wegen der Kultur; hüpfen flugs über den Kanal, zum Notting Hill Carnival nach London oder übern Teich (sic!) zum Christopher Street Day nach New York, um den Anschluss nicht zu verpassen; mieten uns in ein Ayurveda-Ressort in Thailand ein, der Schönheit und der Balance wegen."

Nein, kann man dazu nur sagen, das tun wir eigentlich nicht, jedenfalls nicht wir alle. Genau genommen kenne ich niemanden, der so lebt oder sich auch nur so ausdrückt, es sei denn, er versuchte, das Abziehbild der allerbescheuertsten Illustriertenwelt zu sein. Aber vielleicht bin ich aus der Provinz und habe keine Ahnung.

Merkwürdig flache Beziehungen

Bedarf an einem analytischen, politischen Portrait der jüngeren Frauengeneration bestünde natürlich durchaus. Und daher wird sich Kullmanns Anspruch, die 25- bis 35-Jährigen verstanden zu haben, bestsellerlistenmäßig fast sicher lohnen: Wenn die Leute das Buch bezahlt haben, ist es schließlich egal, ob sie ihn eingelöst finden. Der rosafarbene Lackpapierumschlag macht die Kaufentscheidung zusätzlich leicht, das Buch sieht aus wie einer der Habenwollen-Markenartikel, die darin vorkommen, aus dem Sortiment "Barbie" vielleicht. Da greifen "wir" aus der Generation Ally fast automatisch zu: Endlich der Illies für Mädchen, nur mit Schlumpfine statt Playmobil-Männchen.

Katja Kullmann schreibt in acht Kapiteln über ihre eigene Biografie, über ihre Pubertät, das Eigenheim ihrer Eltern (in Friedrichsdorf bei Frankfurt/Main), Esprit-Sweatshirts, ihre erste Regel und das erste Knutschen, über ihr effizient durchgezogenes Studium und die zahllosen Praktika vor dem Berufseinstieg, über ihre merkwürdig flachen Beziehungen zu Männern der entsprechenden Jahrgänge, die ersten Hochzeiten im Freundeskreis, die erste Lustlosigkeit am endlich ergatterten ersten Arbeitsplatz; über Karrierehindernisse, haushaltstumbe Macker, den Kinderwunsch und die Bindungsangst.

Was sagt uns das alles, abgesehen von der Tatsache, dass die Autorin sich offenkundig für eine interessante Persönlichkeit hält? Vor allem doch, dass diese Generation, unsere Generation, muss ich wohl sagen, bisher wirklich keine sonderlich spannende Geschichte hat. Man könnte dafür einfach dankbar sein; man kann das bedauern. Man kann Schuldige anprangern, wie ich persönlich es gerne tue: die Achtundsechziger, die meiner Meinung nach erst die gesamten in dieser Gesellschaft vorhandenen Ressourcen an Jugendlichkeit verschlungen haben und jetzt die Erwachsenenwelt besetzt halten, während die Unter-40-Jährigen auf Dauer in die Vorschule verbannt bleiben sollen (man kann das anders sehen). Was man aber eigentlich nicht kann, ist, ein weiteres Buch über die Banalitäten dieses friedlichen Aufwachsens zu schreiben, 217 Seiten über Caipirinhas, Soaps, Fit-for-Fun, H&M-Klamotten und 501-Jeans.

Vielleicht sollten wir noch einmal nachdenken

"Keine Frauengeneration vor uns war so gut ausgebildet", schreibt Kullmann, "so aufgeklärt und "befreit′ wie wir ... Und trotzdem sind wir nicht wirklich glücklich. Das ist Allys Geheimnis, und es ist gleichsam unser aller Geheimnis, das große Glücksrätsel, das es zu lösen gilt. Die Produzenten von Ally McBeal machen sich einen Spaß daraus, und wir amüsieren uns, denn anders als mit (Selbst-)Ironie ist dieser Zustand ja nicht auszuhalten, meinen wir. Vielleicht sollten wir noch einmal darüber nachdenken."

Ja, das wäre sicher gut. Denn schließlich ist diese coolleidende Selbstironie seit etwa zehn Jahren die Masche der jungen Männer vom Berliner Feuilleton. Mit dem richtigen Leben hatte diese Haltung nie viel zu tun, und jetzt wird sie langsam sterbenslangweilig - leider auch in ihrer weiblichen Variante. Wie kann eine Trendjournalistin das übersehen haben?

Außerdem gebührt der ironischen Pose sowieso Misstrauen: Es kann ja sein, dass Kullmann Sätze wie "Ist es schlecht, wenn eine Frau ein Kind aus Lifestyle-Gründen kriegt?", nicht ernst meint. Oder solche: "Wer kennt sie nicht, die doppelt und dreifach belasteten Mütter, die einem auf den Geist gehen können, weil sie mehrmals die Woche früher aus dem Büro verschwinden, bloß weil der Nachwuchs die Masern hat oder von der Klavierstunde abgeholt werden muss. Die keinen Millimeter von ihren Urlaubsplänen abrücken oder von der mühsam ausgehandelten Einteilung der Wochenenddienste, weil sie ja schließlich Familie haben." Es kann aber auch sein, dass diese Sekundarstufen-II-Ironie nur verbrämen soll, was einfach sehr unsympathisch ist: totalen Egoismus, und das vollständige Fehlen jeglichen Einfühlungsvermögens, außer in eigene Belange und Wehwehchen.

Irgendwo im Buch bezeichnet Katja Kullmann ihre politische Einstellung als "sozialdemokratisch", aber das muss sozialdemokratisch im Sinne irgend einer extraterrestrischen Neuen Mitte bedeuten. Vom Prinzip Solidarität ist sie jedenfalls nicht angekränkelt, und offenbar hat ihr auch nie ein Ortsvereinsvorsitzender erklären dürfen, dass für uns Sozialdemokraten alle Menschen gleich viel wert sind, und dass wir auf niemanden herabsehen, auch nicht auf Fleischereifachverkäuferinnen, die der Autorin insofern Schmerzen bereiten, als jede Mode exakt dann als erledigt gelten muss, wenn sie bei ihnen angekommen ist: "Wenn ein Lifestyle-Trend stirbt, dann kann das richtig wehtun. Etwas geht verloren."

Natürlich braucht auch die Das-Leben-ist-schwer-weil-nichts-Richtiges-passiert-Attitüde eine Philosophie, ein theoretisches Backing. Und natürlich muss es der längst abgelutschte Rekurs auf die Postmoderne sein: "Stilkenntnis und -verwendung ist ein Signet für postmoderne Bildung", schreibt Katja Kullmann, und: "Wir sind Experten für Oberflächen, seit wir denken können. Aber es ist trotzdem nicht so, dass wir oberflächlich wären. Das wäre die schlimmste aller Beleidigungen, zumindest für diejenigen unter uns, die Köpfchen haben. Nein, ganz im Gegenteil, wir sehnen uns danach, Meinung zu haben, unabhängig zu sein." Wahrscheinlich liegt für die "Wirs", die sich hier angesprochen fühlen, kein Trost darin, dass man sich manche Beleidigungen vollkommen mutwillig auf den Hals zieht - und dass man dieser ungünstigen Lage ganz leicht entgehen könnte, wenn man es nur vermiede, wie eine Sprechpuppe der Jugendforschung herumzuplappern.

Meerschweinchen pflegen wäre ein Anfang

Nein, ohne einen richtigen Erwachsenen-Habitus wird es wohl nicht gehen - und offenbar hängt der doch stärker, als ich es für möglich gehalten hätte, an der Frage, ob jemand Kinder hat, ob er oder sie einmal gezwungen worden ist, auch nur für fünf Minuten von seinem eigenen kostbaren Ego abzusehen. "Mindestens ein Drittel meines Lebens ist vorbei, und ich habe nichts Greifbares, auf das ich zurückblicken kann", klagt die Autorin: "Ich habe in den vergangenen 31 Jahren keine Geschichte gemacht, obwohl ich stets vorangegangen bin." Arme Kleine, möchte man sagen, bevor einem wieder einfällt, dass die Frau über 30 ist, eine gute Ausbildung genossen hat, und sich einfach anders benehmen oder in eine andere Richtung "vorangehen" könnte.

Der virtuelle Kindergarten, in dem heute gewiss viele, aber eben bei weitem nicht alle Anfangdreißiger leben, hat keine echten Mauern. Jeder kann raus. Darüber zu jammern, dass man selbstverantwortlich seine Chancen vertan hat, ist - einem hochgeschätzten Kollegen von der FAZ sei Dank für diesen Begriff - Insuffizienzterrorismus.

Der kann einen besonders ärgern in einer Zeit, die genug drängende Probleme zu bieten hätte, über die unerfreuliche Tatsache hinaus, dass wir dem Alter der ganz jungen Chicks entwachsen sind: Ein echter Kulturpessimist sieht sich doch heute eher in Lumpen gehüllt an einem Tonnenfeuer stehen, im Hintergrund die rauchenden Ruinen des Reichstags und des Brandenburger Tors nach einem islamistischen Kamikaze-Angriff, als in einem schlecht eingerichteten Wohnzimmer zum Träger einer S.Oliver-Hose sprechen. Eine wahre Kulturpessimistin fragt sich doch nicht, ob ein Kind ihr die Figur oder die Karriere ruiniert, sondern eher, ob es von egomanen Singles aus der Generation Ally totgeschlagen würde, wenn es im Treppenhaus weinte. Oder ob es in Schulen, in denen Lehrer mit der Fernsehsozialisation der Generation Ally unterrichten, noch Lesen und Schreiben lernen wird.

Wie bringt man Relevanz in sein Leben? Wahrscheinlich am besten, indem man sich einen Bezugspunkt außerhalb seiner selbst sucht. Man kann ja klein anfangen. Meerschweinchen, zum Beispiel. Sie sind nett, sie können auf überraschend vielfältige Weise kommunizieren, aber wenn man sie nicht tränkt oder füttert, dann sterben sie. Kinder sind natürlich besonders gut geeignet, die Fixierung aufs Ich zu erschüttern (wobei zu einer schönen Kindheit sicher mehr gehört, als von den Eltern für eine Naturtherapie gehalten zu werden). Dann gibt es noch den Partner, wie geht es dem eigentlich? Oder die eigenen Eltern: Wann hatte man denen das letzte Mal richtig zugehört? Politische Parteien, die so leicht zu verachten sind, und so schwer zu ersetzen, kommen ebenfalls für die Sinnstiftung in Frage. Und Berufe, die die Arbeitszeit wert sind. Der Beruf der Publizistin gehört zweifellos dazu. Es kommt nur darauf an, worüber man schreibt.

Katja Kullmann, Generation Ally: Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2002, 217 Seiten, 14,90 Euro

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