Frauen Macht Politik

EDITORIAL

Frauen werden in diesem Jahr die Bundestagswahl entscheiden - so wie sie mit ihren politischen Präferenzen auch früher schon regelmäßig den Ausschlag in die eine oder die andere Richtung gegeben haben. Bis in die sechziger Jahre hinein konnte die Union wie selbstverständlich auf Mehrheiten unter den Frauen zählen. Dann brachen neue Zeiten an. Eine jüngere Generation von Wählerinnen trug 1969 maßgeblich dazu bei, dass mit dem kulturellen Wandel, der die Republik in jenen Jahren erfasste, auch der Wechsel zu einer Mehrheit links von der Union möglich wurde. Weit überdurchschnittlich entschieden sich Frauen damals für Willy Brandt - aber Frauen, gerade jüngere, waren es dann in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren auch wieder, die sich aufs Neue den Christdemokraten zuwandten, als diese zeitweilig den Anschein erweckten, für eine modernere Frauen- und Familienpolitik zu stehen. Diese Hoffnungen wurden in der späteren Ära Kohl tief enttäuscht, weshalb es 1998 wiederum nicht zuletzt die Stimmen der Wählerinnen waren, die den Wahlsieg von Gerhard Schröder und der SPD in der, so gesehen, tatsächlich neuen Mitte der Gesellschaft ermöglichten. Ob diese Wählerinnen der Mitte treu bleiben oder wieder nach rechts abwandern - das ist eine der Fragen, auf die es am 22. September ankommen wird.

"Noch sieht es so aus, als ob die Frauen Rot-Grün 2002 die Stange halten", schreibt die Politologin Ursula Birsl in diesem Heft. Tatsächlich sind Frauen dem frühen Stoiber-Hype nach dessen Nominierung kaum aufgesessen. Und wenig spricht dafür, dass sich das noch ändern wird. In kultureller Hinsicht trifft die Union schon längst nicht mehr den Ton, der Frauen aus der Mitte dieser Gesellschaft mehrheitlich ansprechen könnte. Ebenfalls in diesem Heft berichtet die junge Bundestagsabgeordnete Ute Vogt geradezu ungläubig von der Vorstellungswelt eines ehemaligen CDU-Ministers, für den "richtige Frauen" noch immer "zu Hause sind und eine wirkliche Erfahrung als Frau haben". Dass der weltanschauliche Kosmos, dem diese Mentalität entstammt, noch einmal mit Macht sein Haupt erheben könnte - das, so sollte man meinen, werden die moderne Frauen (und Männer) aus der Mitte dieser Gesellschaft am Wahltag zu verhindern wissen.

Dennoch werden die Frauen weiter aufpassen müssen. "Das Frauenthema hat derzeit Konjunktur, aber im Wesentlichen aus ökonomischen Gründen", sagt Ute Vogt. "Frauen sollen qualifiziert werden, ... aber doch nur, weil die Frauen als Arbeitskräfte entdeckt werden." Wäre das schon alles, es wäre in der Tat enttäuschend. Aber es ist ganz unwahrscheinlich, dass Frauen sich aufs Neue instrumentalisieren lassen, diesmal von der Ökonomie statt vom Patriarchat. Dazu verstehen sie heute viel zu viel davon, ihre politischen Interessen sehr handfest zu organisieren. Auch davon handelt deshalb diese Ausgabe der Berliner Republik.

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