Energiefaktor China

Europa und China haben allen Grund, in energie- und klimapolitischen Fragen so eng wie möglich zu kooperieren. Voraussetzungen dafür sind aber Chinas Integration in multilaterale Mechanismen und offener Austausch in allen energierelevanten Fragen

Die Benzinpreise purzeln. Das Tanken macht wieder Spaß. Doch freuen wir uns nicht zu früh: Wir haben den Höhepunkt der weltweiten Ölförderung, den gefürchteten „Peak Oil“, bereits überschritten. Mit sinkender Ölfördermenge und rasant gestiegener Nachfrage steigen die Preise am Weltmarkt – ein Trend, der bei aller Volatilität unumkehrbar ist.

Die Europäische Union debattiert seit Jahren Maßnahmen, die dazu geeignet erscheinen, die Versorgungssicherheit mit den Rohstoffen Öl und Gas zu gewährleisten. Europa verfügt nicht über genügend eigene Ressourcen, obwohl es überall noch Kohleförderung, Erdöl- und Gasvorkommen gibt, die in Wahrheit aber nur einen Bruchteil des Gesamtbedarfs decken können und kaum noch rentabel zu erschließen sind. Wenn die eigenen Rohstoffvorräte erschöpft sind, führt die Abhängigkeit von außereuropäischen Lieferanten zu einem Paradigmenwechsel in der Außenpolitik: Die Machtverhältnisse kehren sich um.

Diesen Rohstoffmangel teilen wir mit China. Zwar kann dort noch immer die Hälfte des Primärenergiebedarfs aus heimischen Kohlevorkommen befriedigt werden, aber zu welchem Preis? Der Abbau der Kohle ist lebensgefährlich, die Umweltbelastung im Land durch die Kohlefeuerung kann die Gesundheit der Bevölkerung bis über die Grenze des gesellschaftlich Erträglichen hinaus schädigen.

Im Mai 2008 haben einige Abgeordnete der SPD auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung und der chinesischen KP über die Sicherheit künftiger Energiegewinnung diskutiert. Wir waren uns einig: Zur gemeinsamen Verantwortung Europas und Chinas gehören die Sicherheit und Nachhaltigkeit der Energieerzeugung. Wir müssen dafür sorgen, dass die Effizienz der Stromerzeugung und des Energieverbrauchs erhöht wird, während wir ebenso intensiv die negativen Folgen unseres enormen Energiekonsums auf die Umwelt reduzieren. Die chinesischen Partner sprachen vom Ziel einer kohlendioxidfreien Wirtschaft und legten großen Wert auf Information und verlässliche Kooperation in diesen lebenswichtigen Fragen. Der Weg dahin scheint weit.

Mit Dialog und Offenheit fängt alles an

Unsere oberste Priorität im Verhältnis zu China sollte es zunächst sein, die Integration in den Weltenergiemarkt und in multilaterale Mechanismen und Institutionen zu befördern. Um China zu ermutigen, ein aktiver und verantwortlicher energiepolitischer Partner der EU zu werden, ist der offene Austausch von Informationen über Chinas eigene Energiedaten – Produktion und Verbrauch – und über Chinas Aktivitäten auf dem Sektor der Energiediplomatie, besonders in Afrika notwendig. Ohne einen solchen offenen Austausch kommt auch die Priorisierung erneuerbarer Energien ins Stocken, die doch letztlich die einzige Alternative zur Abhängigkeit von unseren begrenzten fossilen Rohstoffvorräten sind.

Auch die technische und ordnungspolitische Expertise Chinas kann gemeinsam mit europäischen Partnern verbessert werden, zum Beispiel bei der Drosselung des Energieverbrauchs, besserer Energieeffizienz und der Nutzung sauberer Energieformen wie Wind oder Solarenergie, oder zumindest solcher mit einer besseren Klimaschutzbilanz wie Biomasse oder nachwachsende Biokraftstoffe.

Die spezifischen Probleme eines Landes, das binnen kürzester Zeit ein rasantes Wirtschaftswachstum vorlegt, sind aus europäischer Sicht zu respektieren. Wir wissen aber auch, dass sich viele Chinesen der enormen volkswirtschaftlichen Kosten bewusst sind, die aus der Kohlenutzung und ihrer enormen Belastung für die Umwelt entstehen.

Was macht China in Afrika?

Europa entwickelt für sich einen „solidarischen Energiebinnenmarkt“, der als Modell für andere Regionen vielleicht nur bedingt verwendbar ist. Gelänge eine solche Entflechtung jedoch auch anderswo, könnte der Energiesektor langfristig in ein multilaterales Beziehungsgeflecht eingebettet werden, dessen Vorteile für die Versorgungssicherheit und für ein gemeinsames Auftreten der Abnehmer- gegenüber den Produzentenländern die sicherlich zähen Verhandlungen trotz alledem lohnend erscheinen lassen.

Ein Teil von Chinas Energieaußenpolitik ist aus Sicht des Westens durch diplomatische Bemühungen um Länder gekennzeichnet, die entweder bislang kaum in größerem Umfang am Rohstoffmarkt aufgetreten sind oder aus politischen Gründen von westlichen Abnehmern gemieden werden, obwohl sie über erhebliche Ressourcen verfügen. Bei allem Verständnis für die Gründe, zunächst dort zu investieren, wo keine Konkurrenz durch westliche Länder zu befürchten ist – es ist notwendig, das politische und wirtschaftliche Engagement Chinas in solchen Ländern, wie zum Beispiel dem Sudan und Iran, offen und kritisch zu diskutieren. Es macht Sorgen, dass solche Lieferbeziehungen auch für einen so großen „strategischen Kunden“ wie China nicht dauerhaft beherrschbar sind, wenn man es etwa mit despotischen Regimes wie jenem in Khartoum zu tun hat.

Dass China großen Wert auf eine intensive Zusammenarbeit zwischen den asiatischen Ländern im Bereich der Energiepolitik legt, ist sehr zu begrüßen. Entscheidend für die zukünftige Weichenstellung ist eine Erweiterung dieser gemeinsamen Plattform auch auf Japan. Die Konfrontation mit dem Nachbarn im Osten muss überwunden werden, jeder Schritt zur Vermeidung von Energiekonflikten etwa über beidseitig beanspruchte Gasvorkommen ist hilfreich, um die Sicherheit der Energieversorgung nicht nur für China und Japan, sondern für die gesamte internationale Staatengemeinschaft zu gewährleisten.

Der jüngste Besuch des chinesischen Premierministers in Japan hat zu erfreulichen Ergebnissen geführt. Die in einem gemeinsamen Kommuniqué der beiden Länder vereinbarten Klimaschutzziele stellen einen wesentlichen Beitrag zum internationalen Schulterschluss bei der Bekämpfung des Klimawandels dar. China mit seiner rasant wachsenden industriellen Basis und deren besonderer Bedürftigkeit nach klimaverträglicher Produktion und Logistik wird sich auf seine Partner in den Industrieländern verlassen können. Gemeinsam tätig werden können wir vor allem bei der Steigerung der Energieeffizienz. Die Energiesicherheit Chinas wird auch dadurch bedroht, dass der Verbrauch rasant steigt, ohne dass ein effizientes Energiemanagement im gleichen Tempo aufwüchse.

Unter teurem Öl leiden die Armen am meisten

Die gestiegenen Kosten für Öl und Gas treffen schon die Industrienationen hart, aber die Folgen für die Entwicklungsländer sind noch viel bedrohlicher. Seit der ersten Ölkrise 1973 gilt die Teuerung bei fossilen Brennstoffen als der Hauptgrund für die rettungslose Verschuldung vieler Entwicklungsländer, deren Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt bei vielleicht einem Zehntel der OECD-Staaten liegt, die für Öl aber dieselben Weltmarktpreise bezahlen müssen.

Geringe Exportquoten bei einer überdurchschnittlich hohen Abhängigkeit vom Öl – vor allem wegen mangelnder technischer Effizienz beim Energieverbrauch – führen in vielen Ländern Afrikas dazu, dass die ohnehin knappen Devisen schneller abgesaugt werden als die westliche Entwicklungshilfe sie jemals hineinpumpen könnte. Chinas Politik der Entwicklungshilfe, an die keine offenen Bedingungen geknüpft werden, der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, des Schuldenerlasses und subventionierter Kredite wird von den Ländern Afrikas gern angenommen. Hier spielt sicher auch eine Rolle, dass China sich nicht als Systemalternative präsentiert, den Kommunismus also nicht als Exportgut versteht. Der Entwicklung Afrikas, auch wenn die dortigen Eliten das anders sehen mögen, dient der Charakter der chinesischen Entwicklungshilfe nur wenig.

Die Exportoffensive chinesischer Unternehmen auf dem afrikanischen Kontinent hat überwiegend Konsumgüter und Güter ohne besondere Fertigungstiefe zum Gegenstand. Dies hilft auf Dauer weder China noch den Ländern Afrikas, sondern stellt ein strukturelles Problem dar. Dass daneben die Einhaltung internationaler Standards und die Nachhaltigkeit des Engagements in den afrikanischen Ländern buchstäblich überlebensnotwendig sind, hat China bereits schmerzlich erfahren müssen. Verschleppte und getötete Chinesen etwa in Äthiopien sind auch ein Indiz dafür, dass Chinas Rolle in Afrika sich langfristig diesen Standards annähern muss: Den Verantwortlichen kann nicht mehr egal sein, welches Regime in dem Land herrscht, in das chinesische Unternehmen investieren.


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