Die Erfindung ist das Edle!

Gespräch zwischen THOMAS BRUSSIG und MICHAEL ROTH über kreative Tage, Schröder und skrupellose Knochen

Roth: Im Sommer vergangenen Jahres sind die Bundespolitiker in Berlin eingefallen. Macht sich das aus Ihrer Sicht in der Stadt bemerkbar?

Brussig: Eigentlich nicht, es gibt nur noch mehr Baustellen. Die Regierung und der Bundestag gehören eben nach Berlin! Sie ist derzeit die interessanteste Stadt in Deutschland und wird es wahrscheinlich auch auf absehbare Zeit bleiben. Politik muss da gemacht werden, wo sie auch mit ihren Entscheidungen konfrontiert wird. Das war in Bonn durchaus anders. Ich habe mal gelesen, dass Peter Hintze noch keinen Obdachlosen gesehen hat, bis er nach Berlin kam. Das finde ich unsäglich, denn Armut gehört leider zu unserer Gesellschaft; das müssen die Abgeordneten wissen.


Sie haben die Baustellen in Berlin angesprochen. Was erwarten Sie von der Baustelle, dem Labor Berlin?

Berlin wird zur Zeit ziemlich hochgejubelt. Berlin ist sicher nicht die einzig lebenswerte Stadt in Deutschland. Berlin ist eben recht anstrengend, weil vieles einfach noch nicht so richtig funktioniert. Die Lebensart ist hier nicht so zu Hause wie beispielsweise in München. Aber in Berlin wird nach neuen Lösungen gesucht und nicht einfach Althergebrachtes reproduziert. Berlin ist nun wirklich nicht Provinz, obwohl es aus dem Rathaus provinziell regiert wird. Ich finde es recht spannend, in Berlin zu leben.

Wir haben unserer Zeitschrift einen Namen gegeben, der durchaus umstritten ist und nicht wenige provoziert. Was verbinden Sie mit der Berliner Republik?

Durch die Einheit hat sich im Osten alles verändert und im Westen nichts. Nur Bonn ist nicht mehr Hauptstadt. Berliner Republik heißt für mich, dass hier etwas Neues und Modernes entsteht. In Bonn blickte man stets sehr selbstzufrieden auf den eigenen Erfolg. In Berlin prallen die Widersprüche zwischen Reich und Arm viel stärker aufeinander. Berlin ist Ost und West zusammen. Wir sind hier näher an Osteuropa. Berlin kann auch ein größeres Innovationsbewusstsein in unsere Gesellschaft implantieren. Hier ist es bewegter als in Bonn.


Sie sind 1965 in Ost-Berlin geboren und verbrachten Ihre gesamte Kindheit und Jugend in der Hauptstadt der DDR. Sie arbeiteten in etlichen Jobs, zum Beispiel als Möbelträger, Museumspförtner und Hotelportier. Sie erklären immer wieder stolz, nicht jahrelang Philosophie studiert zu haben. 1990 haben Sie dann aber doch das Studium der Soziologie und 1993 der Dramaturgie aufgenommen.

Ich habe im Osten nicht studiert, weil man als Student in der DDR in ein Klima der Abhängigkeit kam. Man durfte nicht sagen, was man dachte, und nicht tun, was man wollte. Das konnte ich jedoch in diesen Jobs. Parallel dazu habe ich angefangen zu schreiben. Soziologie hat mich wirklich interessiert. Es gibt viele Fragen, die ich an das Leben habe. Ganz naive Fragen: Warum stehen wir mit einem Wecker auf, obwohl wir den Wecker hassen? Offenbar beruht unsere Zivilisation darauf, dass wir uns gegen unseren Widerwillen mobilisieren. Wie konnte sich etwas durchsetzen, obwohl alle etwas dagegen haben? 1991 veröffentlichte ich meinen ersten Roman. Aufgrund meiner Kontakte mit Filmleuten begann ich 1993 mein Dramaturgie-Studium.

Warum haben Sie Ihr erstes Werk "Wasserfarben" 1991 unter einem Pseudonym veröffentlicht?

Damals war ich schlicht zu schüchtern. Ich war Mitte zwanzig, das Buch war in Teilen autobiographisch. Ich wollte nicht von jedem darauf angesprochen werden. Mittlerweile gibt es das Buch aber unter meinem Namen.

Sind Ihre schriftstellerischen Aktivitäten auch zu verstehen als Aufarbeitung Ihres eigenen Erlebens der DDR?

Natürlich fließt eigenes Erleben ein. Es sind aber nicht private, persönliche Probleme, die ich durch das Schreiben lösen möchte.

Waren der Zusammenbruch der DDR und die staatliche Vereinigung für Sie eine Initialzündung zum Schreiben?

Nein, ich habe schon in der DDR geschrieben, weil es die Bücher, die ich gerne lesen wollte, in der DDR nicht gab. So entschloss ich mich irgendwann dazu, selbst zu schreiben. Es war so profan! Ich habe mich hingesetzt und angefangen. Das erste Buch hat vier Jahre gedauert. Ich habe es mir richtig abgerungen.


Haben Sie etwa Angst vor der leeren Seite?

Als ich noch in der DDR mein erstes Buch schrieb, hatte ich Angst, es nicht beenden zu können. Ich habe aber keine Angst vor dem Schreiben.


Konsalik - bitte sehen Sie mir diesen Vergleich nach - soll tagein tagaus zehn bis zwanzig Seiten geschrieben haben. Arbeiten sie auch so diszipliniert-bürokratisch oder schreiben Sie nach Lust und Laune?

Ich schreibe schon recht regelmäßig, da kommen aber nicht täglich so viele Seiten heraus. Ich habe zwei bis drei kreative Tage im Monat, an denen mir wirklich etwas glückt. An den restlichen Tagen versuche ich zu ordnen, was mir während meiner kreativen Tagen geglückt ist.


In der deutschen Literatur sorgt gegenwärtig eine Truppe junger Schriftsteller für Furore. Zwischen Benjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht und Florian Illies wirken Sie irgendwie fremd. Heben Sie sich als einziger Ossi in dieser Riege bewusst ab von deren modernistischen Selbstbeleuchtungen?

Für mich gibt es ein Damals und ein Jetzt. Die Erfahrung des Bruches ist sehr wichtig für mich. Ich erlebte eine DDR, die sich immer als sehr starr und fest gefügt darstellte, sich dann jedoch als so fragil entpuppte. Das ist für einen Schriftsteller eine hervorragende Ausgangsbasis. Mit den genannten Autoren kann ich nicht viel anfangen, bin ihnen auch nie begegnet. Die machen etwas ganz anderes als ich. Während für mich die Erfindung das Edle ist, wird dort beobachtet, sortiert und die Zeit betrachtet. Modeerscheinungen und Trends werden beschrieben. Das interessiert mich nicht besonders. Gleichaltrige Westdeutsche sehen ihr Leben als eine lang anhaltende Gegenwart; die Erfahrung des Bruches ist nicht vorhanden. Ihre Biographie ist im Grunde eine Abfolge von Moden und Trends. Ich habe ein anderes Erleben, weil die Politik in mein Leben eingegriffen und es mitbestimmt hat.

Sind Sie deshalb ein politischer Autor?

Das ist eine schwierige Frage, weil man nicht mehr weiß, was eigentlich politisch ist. Die Einflussmöglichkeiten der Politik auf den Alltag sind heute zum Glück recht beschränkt. In den ersten 23 Jahren meines Lebens waren die Einflüsse der Politik doch erheblich größer. Ich interessiere mich für die Zeit, in der ich lebe und für die Menschen, die mich umgeben. Wichtige Literatur entsteht für mich dann, wenn man sich damit beschäftigt, wie Politik ein Leben beeinflußt. Ich bin aber kein politischer Autor, der zu allem, was vorgeht, ein Statement abgibt. Ich werde zwar regelmäßig angerufen und gefragt, habe aber keine Lust mich zu äußern. In meinen Büchern nehme ich Stellung.


Mit politischer Besserwisserei sind Ihre Bücher zum Glück ja nicht durchtränkt. Über Ihren Roman "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" ist viel gelacht, er ist sogar erfolgreich von Leander Haußmann verfilmt worden.

Das Buch habe ich geschrieben, weil ich mich für das Phänomen der Ostalgie interessierte. Als die DDR noch existierte, haben alle über sie gestöhnt. Jetzt gibt es sie nicht mehr, und plötzlich wird sie in Schutz genommen und verklärt. Diesen nostalgischen Impuls habe ich aufgegriffen und ein Buch geschrieben, in dem die DDR schöner ist, als sie jemals wirklich war. Viele Ostler ziehen sich auf die deutsche Einheit zurück, was sie unfähig macht, sich den gegenwärtigen Problemen zu stellen. Die Westdeutschen fühlen sich durch diese Haltung mit Recht beleidigt. Wenn die DDR schöner gewesen sein soll als die Bundesrepublik, dann zweifelte ich als Westdeutscher auch an der Zurechnungsfähigkeit der Ostler.


Stoßen Ihre Werke eher bei Ossis oder bei Wessis auf Resonanz?

"Am kürzeren Ende der Sonnenallee" ist natürlich eher bei Ostdeutschen ein Erfolg, weil aus einer Zeit erzählt wird, die viele Ostdeutsche so erlebt haben. Allerdings wird meine Arbeit international sehr wahrgenommen. In Westdeutschland eher nicht. Der Osten interessiert den Westen nicht so. Dieses Buch interessiert den Osten, es interessiert den Rest der Welt - aber nicht Westdeutschland.

In Ihrem Roman "Helden wie wir" rechnen Sie mit dem Politikmythos in der DDR gründlich ab. Sie geben diesen Mythos der Lächerlichkeit preis, indem Sie einen überdimensionalen Männerschwanz in das Zentrum des Geschehens rücken.

"Helden wie wir" rechnet eigentlich mit dem Mythos der Maueröffnung ab. Nicht das Volk hat die Mauer zum Einsturz gebracht, sondern ein Einzeltäter. Man sehe sich die Ostdeutschen an: Vor der Maueröffnung waren sie verpieft, nach der Maueröffnung waren sie verpieft. Wie wollen die je die Mauer umgeschmissen haben? Das ist die eigentliche Botschaft und Provokation. Ich mache einen Antihelden zum Urheber der Deutschen Einheit. So verkorkst wie dieser Held ist, so verkorkst ist die Deutsche Einheit geworden. Über das Resultat sind wir ja alle nicht froh. Dieser Held ist eine Art DDR-Forrest-Gump, der diesen ganzen Mythos auch noch ernst nimmt. Ich habe einen Helden geschaffen, der an das glaubt, was die Ideologie ihm verkündet. Damit scheitert er immer wieder.

Sie haben mit Ihren Werken großen Erfolg gehabt und er scheint zu tragen. Sie gehören zur kleinen Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern, die von ihrer schriftstellerischen Arbeit existiere können. Wie lebt es sich als junger Erfolgsautor?

Ich bin sehr glücklich. Ich könnte mich als Schriftsteller nicht wirklich ernst nehmen, wenn ich nicht von meiner Arbeit leben könnte.

Spielt Geld für Sie eine große Rolle?

Natürlich ist es schön, wenn ich Geld verdiene. Wenn mich jemand anruft und mit mir arbeiten will, dann höre ich mir erst mal an, um was für ein Projekt es geht. Erst anschließend kommen die Vertragsverhandlungen. Es gibt Sachen, die ich auch für Geld nicht mache, zum Beispiel Werbung. Da frage ich gar nicht erst, was ich dafür bekäme. Ich lehne gleich ab!


Stellen Sie sich vor, Gerhard Schröder würde Sie anrufen und um Rat fragen. Was würden Sie ihm sagen?

Schröder wurde gewählt, weil Kohl einfach nicht mehr zu ertragen war. Viel mehr als diese Botschaft "Kohl muß weg" ist mir bei Schröder nicht hängen geblieben. Das Wahlversprechen der Schaffung neuer Arbeitsplätze ist erst eingelöst, wenn wir nur noch 2,5 Millionen Arbeitslose haben. Erst das würde ich als einen Erfolg stehen lassen. Am Anfang ist viel falsch gemacht worden. Laut Machiavelli muss man die Grausamkeiten am Anfang begehen. Ich habe an der SPD-Wahlparty bei der Bundestagswahl teilgenommen und werde nicht vergessen, wie erschrocken die SPD darüber war, mit den Grünen zusammen regieren zu müssen. Die Niederlage der CDU war so deutlich, dass nur Rot/Grün kommen konnte. Am Wahlabend haben sich aber nur die Jusos gefreut. Ich hätte mir einfach gewünscht, dass die Regierung noch mehr Zeichen setzt. Inzwischen hat die Regierung Tritt gefasst. Was Eichel macht, finde ich auch vernünftig. In den letzten Jahren der Kohl-Regierung bestanden die Nachrichten ja nur noch aus Haushaltslöchern. Ich finde es gut, dass eine Trendwende eingeleitet wurde.


Mit welchen lebenden oder toten Politikern würden Sie sich denn gerne mal treffen?

Es gibt Politiker, die mir imponieren, weil sie über ihren eigenen Schatten gesprungen sind - Willy Brandt oder auch Michail Gorbatschow gehören dazu. Es reicht mir aber aus, die beiden aus der Distanz zu bewundern. Dem Dalai Lama würde ich gerne alles Gute dafür wünschen, dass Tibet endlich wieder unabhängig wird. Dieses Anbiedern an China, auch wenn es ein großer Markt ist, finde ich unanständig. Das würde ich gerne dem deutschen Außenminister sagen.

Die "Berliner Republik" ist ein Projekt junger sozialdemokratischer Abgeordneter. Was halten Sie von der jungen Politikgarde?

Bislang habe ich die jungen Politiker noch nicht wirklich wahrgenommen. Am Rande einer Talkshow traf ich mal Andrea Nahles. Wir unterhielten uns nach der Sendung noch eine Stunde. Einen wirklichen Dialog gibt es aber nicht. Ich weiß auch gar nicht, was die jungen Politiker überhaupt wollen. Wahrscheinlich müssen Sie sich in dem ganzem Apparat erst mal etablieren. Wenn ich mir die so genannten "Jungen Wilden" der CDU betrachte, dann möchte ich nie so alt werden, wie die jetzt schon sind. Roland Koch ist einer der Politiker, die ich am meisten verabscheue. Der Finanzskandal der CDU hat das Vertrauen in die Politik ganz massiv erschüttert. Das ist ein anderes Kaliber als eine Putzfrauen- oder eine Flugaffäre. Ein brutalstmöglicher Aufklärer, der über Wochen wichtige Dinge verschweigt, macht sich total unglaubwürdig. Er hofft darauf, dass das alles bis zur nächsten Wahl vergessen ist. Der ist für mich kein junger Wilder, sondern ein alter, skrupelloser Knochen.

Thomas Brussig wurde 1965 in der "Hauptstadt der DDR" geboren. Er lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Zu seinen großen Erfolgen gehören die Romane "Helden wie wir" und "Am kurzen Ende der Sonnenallee".

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