Der Feind sitzt in den Zentralen

Schockiert über das Desaster des Finanzkapitalismus nehmen bisher marktfrohe "rechte" Publizisten Zuflucht zu linkem Gedankengut. Sie sollten begreifen, dass ihr Ökonomismus das genaue Gegenteil von konservativ war - während Linke erkennen müssen, dass wirkliche Konservative heute nicht ihre Gegner sind

Nein, so einfach ist es nicht, wie Frank Schirrmacher uns weismachen will. „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“, überschrieb er – in Anlehnung an den konservativen britischen Publizisten Charles Moore – seinen Artikel in der FAZ vom 15. August. Aber nicht die Linke hatte Recht, sondern Marktgläubige, die sich Konservative nennen, merken spät, vielleicht zu spät, dass sich eine entfesselte Finanzökonomie nicht mit dem Bewahren verträgt. Denn was ist der klassische Konservativismus anderes als eine Bewegung, die sich gegen die Abstraktionen vermeintlich rationaler Gesellschaftsentwürfe richtet, gegen die Anrufung der Menschheit wider die Unvollkommenheiten des Menschen, gegen gesellschaftliche Entwürfe vom Reißbrett, die Traditionen und Erfahrungen von Jahrhunderten außer Acht lassen, gegen eine Räson des Staates, die den Staatszweck losgelöst von den Menschen definiert, gegen die Vergötzung des Marktes sowie gegen alle Spekulationen, die von einem neuen Menschen träumend die menschliche Gesellschaft neu erfinden und Verfassungen auf ein leeres Blatt Papier schreiben wollen.

Thatcher war keine Konservative

Es kommt nicht darauf an, wie sich einer nennt, sondern was einer ist. Margaret Thatcher nannte sich eine Konservative und war doch nichts anderes als eine blindwütige Revolutionärin, die nicht nur die englischen Gewerkschaften, sondern auch die britische Industrie und – wie man anhand der jüngsten Unruhen besichtigen kann – die englische Gesellschaft zerstört hat. Sie wollte nicht in Burkescher Tradition das Land Stück für Stück reformieren, sondern das Oberste zuunterst kehren, die Gier des Einzelnen freisetzen, um so jener Marktgesellschaft zum Durchbruch zu verhelfen, die das Ideal Milton Friedmanscher Reißbrettentwürfe ist. Sie tat genau das, was Konservative nicht tun sollen – ohne Rücksicht auf Gewohnheiten und Traditionen den Marktkräften freien Lauf zu lassen, um an die Stelle der zerklüfteten englischen Klassengesellschaft die angeblich rationale Macht des Marktes zu setzen. Heute besitzt England keine industrielle Basis mehr, lebt allein von seinen Finanzdienstleistungen und kann weder seine Flotte noch seine Luftwaffe (oder was davon noch übrig ist) im eigenen Land versorgen und ausrüsten. Und auch die britische Auto- und Maschinenbauindustrie ist nur noch ein sentimentaler Erinnerungsposten. Wer das konservativ nennt, hat schon vor der Finanzkrise seine Maßstäbe eingebüßt, er mochte ein Marktliberaler sein, ein Konservativer war er nicht. Mit linker Renaissance hat das wenig zu tun, mit geistiger Verwirrung auf der Rechten schon eher.

Bismarck sah die Dinge so wie Marx

Dabei hatte schon Karl Marx in seinem Kommunistischen Manifest auf den revolutionären Furor eines enthemmten Kapitalismus verwiesen: „Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die bunt scheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpfen, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übrig gelassen, als das nackte Interesse, als die gefühllose ,bare Zahlung‘. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. (…) Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheines entkleidet.“ Darüber haben Burke, Bismarck und Disraeli nicht viel anders gedacht. Dass diese Marxsche Analyse nie gelebte Realität wurde, hatte viel mit Gegenkräften – linken wie konservativen – zu tun, die den Prozess zähmten, die Gesellschaft im Gleichgewicht hielten. Dazu
gehörten Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie ebenso wie Bismarcks aristokratisch patriarchalische Sozialpolitik, Disraelis konservative Wahl- und Sozialreformen, Roosevelts New Deal und Adenauers vorausschauende Sozialpolitik. Dass auch das so genannte sozialistische Lager und die in ihm verkörperte bedrohliche Alternative ein Faktor der konservativen Stabilisierung des westlichen Kapitalismus war, hat viel mit jener Dialektik zu tun, die offensichtlich Ronald Reagan und Margaret Thatcher nicht mehr verstanden haben. Statt den Staat als konservative Gegenkraft zu Markt und Globalisierung zu stärken, wurden die in ihm verkörperten Barrieren abgeräumt, wurde seine Schutzfunktion als Hindernis auf dem Wege zu unbegrenzter gesellschaftlicher Wohlfahrt durch die entfesselten Marktkräfte dämonisiert.

Left and right – unite, unite!  

Doch das alles war lange vor der Finanzkrise sichtbar und hätte nur einer mutigen Analyse und klaren Sprache bedurft. Versagt haben dabei nicht nur jene Rechte, die konservativ nicht von marktliberal zu unterscheiden wussten, auch Tony Blair, Gerhard Schröder und Hans Eichel waren vom Virus des alles regelnden Marktes infiziert. Auch die Linke schien Sprache und Analysefähigkeit eingebüßt zu haben und war trotz aller marxistischen Analysen wie benebelt vom vermeintlichen Erfolg unbegrenzten Wirtschaftens. Dass auch Linke nicht rechtzeitig gesehen und gewarnt haben, hat viel mit ihrer Anfälligkeit für
jenes Reißbrettdenken zu tun, das die Menschheit gern an die Stelle des Menschen setzt und den systematischen Neuanfang sucht, statt konkrete Verbesserungen in Angriff zu nehmen. Die Linke konnte aus ihrer Vergangenheit am Ende so wenig Gegenkräfte mobilisieren wie die Rechte, und die Irrtümer von New Labour sind mindestens so groß, wenn nicht größer als die der thatcherisierten Tories. Die Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse ist eben weder rechts noch links, sie zerstört die heiligen Güter der Rechten wie Nation, Staat und Familie genauso gründlich wie das linke Mantra der sozialen Gerechtigkeit. Und wenn das Schleifen der Inseln bürgerlicher Verantwortung bei Banken und Kreditinstituten wie die ökonomische Durchrationalisierung des Wissenschaftsbetriebes langfristig am bürgerlichen Selbstverständnis rütteln, so tun das die gebrochenen Erwerbsbiografien der prekär beschäftigten SPD-Wähler am Selbstverständnis einer Partei, die seit Ferdinand Lasalle den dauerhaften Aufstieg des vierten Standes zum Inhalt ihrer politischen Arbeit wie zum Maßstab ihres Erfolges gemacht hat. Nicht die politische Linke hatte Recht gegen die Rechte, sondern alle sind im Recht, die der Überwältigung der Gesellschaft durch die Ökonomie politische Inhalte entgegensetzen wollen. Das können Nation und Glauben ebenso sein wie die soziale Gerechtigkeit. Der Feind steht nicht rechts, er sitzt in den Vorstandsetagen jener multinationalen Banken und Konzerne, denen die Nation wie die soziale Gerechtigkeit Hekuba sind. Deshalb bitte keine neuen Frontstellungen, die nur dem gemeinsamen Kampf schaden. Der Geist der ökonomischen Überwältigung muss zurück in die Flasche, sei es in die der Nation, des Staates, des Glaubens oder der sozial befriedeten Gleichförmigkeit. Andernfalls brauchen wir uns über die Unterschiede zwischen links und rechts keine Gedanken mehr zu machen, da sie zusammen mit dem Politischen im globalen Finanzkapitalismus verschwinden werden. « 

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