Zusammen können wir das Land herumreißen!

Jürgen Neumeyer isst und trinkt mit Martin Sonneborn, dem ehemaligen Chefredakteur der Titanic und Bundesvorsitzenden von Die Partei in der "Ersten Austrothek Josef",Leonhardtstraße 1, 14057 Berlin-Charlottenburg (www.restaurant-josef.de)

Seine erste Frage lautet, ob ich seiner Partei nicht einen Sponsor besorgen könnte. „Gazprom oder so.“ 100.000 Euro würden reichen, dann könnten sie ein „zweites großes Wahlplakat“ drucken. Er würde sich auch verpflichten, das Logo des Sponsors am Kragen zu tragen. „Die SPD würden wir auch als Sponsor nehmen.“ Der Wahlkampf in Berlin steht an – „gegen Wowereit und Künast“ –, und in der Parteikasse befänden sich derzeit etwa 3.300 Euro.

Martin Sonneborn ist der Bundesvorsitzende der „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative – DIE PARTEI“. Ihr Zentralorgan ist die Satirezeitschrift Titanic; die Gründungsmitglieder rekrutierten sich 2004 weitgehend aus der Redaktion. Um ein Alleinstellungsmerkmal zu haben, forderten sie zunächst die Wiedererrichtung der Mauer. Zudem ist Sonneborn freischaffender Satiriker. Er arbeitet für die heute-show des ZDF und die Rubrik „Spam“ bei Spiegel online, er gibt Lesungen und schreibt Bücher.

Wir treffen uns in dem österreichischen Restaurant Josef in Berlin-Charlottenburg. Der Wirt Ronnie ist Wiener und hat seine „Austrothek“ vor rund anderthalb Jahren eröffnet. Die Karte ist übersichtlich und bietet einige Klassiker vom Tafelspitzmenü über Wiener Schnitzel bis zum Palatschinken. Ronnie ist stolz, dass er keinen Tiefkühler braucht: „Bei uns ist immer alles frisch.“ Sonneborn entscheidet sich für einen Gulyas (Gulasch) mit gerösteten Serviettenknödeln (14,90 Euro). Ich bestelle das Backhendl mit Backkartoffeln und Salat für 13,90 Euro. Als Vorspeise trinken wir drei Bier (Hirter Pils, 0,3 Liter à 2,70 Euro).

Sonneborn liegt das Thema am Herzen, wie in unserer Demokratie mit den kleineren Parteien umgegangen wird. Eindringlich schildert mir der Parteivorsitzende seine Erfahrungen vor dem Bundeswahlausschuss. Dass der Bundeswahlleiter eine Partei einfach von der Wahl ausschließen kann und de facto keine Möglichkeit bestehe, dagegen rechtlich vorzugehen, ärgert ihn maßlos. Der Wahlleiter hatte seiner Partei „mangelnde Ernsthaftigkeit“ unterstellt. Das weist Sonneborn entschieden zurück: „Die echte Spaßpartei ist die FDP!“ Außerdem habe man die formalen Kriterien erfüllt: Sonneborn verweist auf neun Landesverbände und die anstehende Gründung in Thüringen. DIE PARTEI habe sogar Auslandsortsvereine in der Schweiz, in Österreich und auf Mallorca vorzuweisen. Auch ein Programm liegt vor. Die ersten Überschriften lauten „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Angeblich hat der Justiziar Tim C. Werner das Programm höchstselbst bei den Grünen „abgeschrieben und kopiert“. Um bei der nächsten Bundestagswahl antreten zu dürfen, will DIE PARTEI das Bundesverfassungsgericht anrufen, notfalls vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Auch mit Wahlbeobachtern der OSZE habe es schon Gespräche gegeben.

Sonneborn nervt, dass die kleinen Parteien Unterstützerlisten vorlegen müssen, um antreten zu können. „Die etablierten Parteien wissen gar nicht, wie anstrengend das ist. Du brauchst Adressen und Unterschriften, die sehr detailliert geprüft werden.“ Aus diesem Grund befinde sich DIE PARTEI dauerhaft im Straßenwahlkampf. Als Giveaway laufe übrigens Tomatenmark am Besten. Über Himmelfahrt war Sonneborn zum Beispiel in Kreuzberg unterwegs, um Unterstützer für die Kandidatur der PARTEI zur Berliner Abgeordnetenhauswahl zu werben. Genau 2.200 Unterschriften benötigt er für die Zulassung. Weil es bei Lidl keine kleinen Tomatenmarkdosen gab, kaufte er mehrere Kartons mit Tütensuppen „Huhn“ – und lockte die Menschen auf der Straße mit dem Spruch an „DIE PARTEI lädt Sie zum Essen ein“. Etwa 600 Unterschriften sammelte er an diesem Wochenende.

Viele von Sonneborns Aktionen sind unvergessen: Als Deutschland sich im Jahr 2000 um die Austragung der Fußball-Weltmeisterschaft bewarb, schickte die Titanic-Redaktion den Mitgliedern des Auswahlkomitees Faxe, in denen ihnen zum Lohn für ihre Stimmen Kuckucksuhren und ein „Fresskorb mit Bierkrug“ angeboten wurden. Den damaligen parlamentarischen Geschäftsführer der CDU, Eckart von Klaeden, sowie Bundesgeschäftsführer Willi Hausmann bestellte er nach Luzern, um die Herkunft von mehreren Millionen Schweizer Franken auf einem angeblichen schwarzen Konto der CDU zu klären. Als vermeintlicher DVU-Mann rief er zum Marsch auf Berlin und mobilisierte folgsame Nazis. In Georgien traf er sich mit einer 25-köpfigen Delegation der Oppositionspartei, unterzeichnete Kooperationsverträge, legte Kränze nieder und zelebrierte einen Kniefall. Denn: „Das wurde seit Willy Brandt mal wieder erwartet.“

Eigentlich sitzt Martin Sonneborn lieber um die Ecke im Gasthaus Lentz am Stuttgarter Platz, wo er seinen Arbeitstag oft mit Zeitungen und einem Milchkaffee beginnt. Seine elf Jahre als Chefredakteur der Titanic musste er in Frankfurt verbringen, der „dümmsten, hässlichsten und langweiligsten Stadt Deutschlands“. Das Team und die Redaktionsgelage in einer nahen Kneipe hielten ihn über Wasser. Irgendwann musste sich die Titanic-Redaktion verjüngen, und Sonneborn hatte das Bedürfnis nach „Kaffeehäusern“. Beides sprach für die Selbständigkeit in Berlin.  

Zwischendurch hatte Sonneborn Angebote aus dem Springer-Verlag. Doch er wollte die herzliche Feindschaft nicht gefährden, die er zu dem Unternehmen pflege. In Oliver Welkes heute-show fand er dann eine „überraschend aggressive und komische Sendung“. Ich frage Sonneborn, wie er mit ernsten Themen wie der Reaktorkatastrophe in Fukushima umgehe. „Satire kann meist nicht sofort ein Ereignis aufnehmen, sondern erst die Reaktionen der Politiker danach.“ Auch er sei am 11. September 2001 natürlich zunächst fassungslos gewesen. Erst Gerhard Schröders Satz „Wir sind alle Amerikaner“ konnte die Titanic aufgreifen. Satire lebe von den „Phrasen und verlogenen Floskeln“.

Immer wieder war auch die SPD Ziel seiner satirischen Aktionen. In Bayern zog er sogar in den Wahlkampf zugunsten der Sozialdemokraten. Motto: „Wir geben auf“. Nach dem Sieg von New Labour telefonierte er in gebrochenem Englisch lange mit der Troika Schröder-Scharping-Lafontaine, lud die drei zur Siegesfeier ein und besprach das Protokoll der Reise. In Hessen machte er als SPD-Spitzenkandidat Bökel Basiswahlkampf von Haus zu Haus. Und erst kürzlich begleitete Sonneborn für die heute-show die 50. Spargelfahrt des Seeheimer Kreises in einem Schlauchboot, um herauszufinden, wer der nächste Kanzlerkandidat wird. Schließlich machte er den ehemaligen Coburger Bundestagsabgeordneten Carl-Christian Dressel als geeigneten Kandidaten aus. Unter Sigmar Gabriel werde es keine Koalition mit der PARTEI geben. „Aber für Dr. Carl-Christian Dressel würde ich zurücktreten. Über die Berliner Republik möchte ich ihm ein Gesprächsangebot machen: Zusammen können wir das Land herumreißen!“

Wir finden beide, dass das Essen sehr gut war. Sonneborn reserviert sogleich einen Tisch für das kommende Wochenende. Am Nebentisch erklärt Wirt Ronnie, wie man Fiaker-Gulasch zubereitet. Da kann Sonneborn mitreden. Nach durchzechten Nächten mit seinem Bruder sei das die ideale Mahlzeit am Morgen – „mit aufgeplatzter Wurst und Gurken“. Früher habe er mehr Alkohol, andere Drogen („Der SPD empfehle ich Pilze”) und längere Nächte vertragen. Heute verzichten wir auf Wein und Edelbrand und beschließen den Abend bei einem weiteren Hirter-Pils. Kaum hundert Meter entfernt vom S-Bahnhof Charlottenburg versammelt sich im Josef auch abends um halb elf gut situiertes Bürgertum um die Bistrotische auf dem Trottoir. Sonneborn fühlt sich wohl: „Auch weil ich hier zu den Jüngsten gehöre.“ «

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