Wozu die Alt-Achtundsechziger noch gut sind

Bettina Munimus bricht eine Lanze für die alternden Volksparteien

Die Volksparteien altern unaufhaltsam. Mittlerweile haben die Mitglieder der CDU wie auch die der SPD mehrheitlich das 60. Lebensjahr überschritten. Der Grund: Nach einer gewaltigen Eintrittsflut Ende der sechziger und in den frühen siebziger Jahren ebbte der Neumitgliederzufluss stark ab und ließ die Mitgliederbestände von SPD und CDU altern. Parteienforscher sehen deshalb die Volksparteien auf dem Weg in die Sklerotisierung und inneren Verödung.

Bettina Munimus widerspricht dem und will mit ihrer Studie Alternde Volksparteien aufzeigen, wie es wirklich mit den Folgen der Alterung von SPD- und CDU-Mitgliedschaft bestellt ist. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Älteren, also die über 60-jährigen Parteimitglieder. Diese Gruppe teilt Munimus in zwei Untergruppen ein: die so genannten jungen Alten (60 bis 70 Jahre) sowie die noch älteren Parteimitglieder. Diese Vorgehensweise ist allemal aufschlussreich, weil so die physisch und mental noch fitten jungen Alten, die weitgehend mit der Generation der Alt-Achtundsechziger identisch sind, genauer unter die Lupe genommen werden. Zwei Fragen sollen so beantwortet werden: Welche innerparteiliche Macht fällt den Älteren in SPD und CDU aufgrund ihres numerischen Gewichts und ihrer Zusammenfassung in der Senioren-Union (CDU) beziehungsweise der AG 60plus (SPD) zu? Und welchen organisatorischen Nutzen haben sie für die Parteiarbeit?

Der Vorstellung, Ältere schlügen aus ihrer numerischen Stärke machtpolitisches Kapital und begründeten damit eine „Herrschaft der Alten“, stellt Munimus eine ganz andere Wirklichkeit entgegen. Gemessen an ihrer anteilsmäßigen Vertretung im Bundestag, in den Landtagen und in den Spitzengremien der Parteien kommt nämlich umgekehrt eine „Repräsentationslücke“ zum Vorschein: Je höher die Ebene, desto breiter die Lücke. Und ganz im Gegensatz zu einer Vormachtstellung der Älteren ist seit 2000 sogar eine deutliche Verjüngung des Spitzenpersonals von CDU und SPD festzustellen. Nur in den Orts- und Kreis- beziehungsweise Unterbezirksvorständen sind die Älteren noch in der Stärke ihres Mitgliederanteils vertreten. Bettina Munimus erklärt dies damit, dass die Älteren nicht mehr nach Ämtern streben. Ob dies jedoch, wie Munimus meint, daran liegt, dass sich die Älteren von den Jüngeren angemessen vertreten fühlen, wäre genauer zu untersuchen.

So gründlich wie Bettina Munimus dann die beiden Seniorenorganisationen von CDU und SPD ins Blickfeld nimmt, ist dies bislang noch nirgendwo geschehen. Auch hier ergibt sich, dass Senioren-Union und AG 60plus als vermeintliche Machtbasis zur Förderung von politischen Karrieren der Älteren ungeeignet sind. Umgekehrt besiegeln sie für diejenigen, die sich mit ihnen altersbedingt einlassen, „den Abstieg des politischen Karriereverlaufs“. Selbst in programmatischer Hinsicht fallen Senioren-Union und AG 60plus aus, um der älteren Generation als „machtvolle Interessenvertreter“ dienen zu können. Bar erkennbarer Schlagkraft besitzen sie nur defizitäre Anziehungskraft und fristen mit ihrer durch über 70-jährige und noch Ältere dominierten Mitgliedschaft ein eher randständiges Nischendasein. Mit ihrer betagten Alterskohorte perpetuieren sie die alten Kernmilieus von SPD und CDU und halten ideologisch einen christlich-konservativen beziehungsweise arbeiterlich-solidargemeinschaftlichen Traditionalismus aufrecht. Die Pflege von Erinnerungskultur und Geselligkeit haben Vorrang. Hohes Alter und wachsende Sterberaten dezimieren Senioren-Union wie AG 60plus und lassen um deren Regenerationsfähigkeit fürchten. Dies gilt umso mehr, als die jungen Alten keinesfalls zu den Alten gezählt werden wollen – die Alt-Achtundsechziger schon gar nicht – und sich deshalb als Nachwuchs für die Seniorenorganisationen verweigern.

Um zu ermitteln, wie stark sich die Älteren als „strategische Organisationsressource“ in das Binnenleben und die Parteiarbeit einbringen, hat sich Munimus auf die Kreisebene von CDU und SPD begeben und ohne Anspruch auf Repräsentativität per teilnehmender Beobachtung und schriftlicher Befragung älterer Parteimitglieder in ausgewählten Einheiten des großstädtischen Bereichs (Hannover und Stuttgart) und des ländlichen Raums (Freudenstadt und Northeim) umgesehen. Die schriftliche Befragung von 191 über 60-Jährigen ergab, dass diese Alterskohorte auf lokaler Ebene ungeschmälertes Engagement zeigt und organisatorische Aufgaben übernimmt. Meist führen erst Krankheiten dazu, die Aktivität einzuschränken.

Für die Älteren ist die Ortsverbands­ebene ämtermäßig ein Rückzugsbereich, wobei sie sich allenfalls noch als Delegierte oder als Ehrenamtliche bis zur Kreis-/Unterbezirksebene wählen lassen. Der Anreizwert politischer Einflussnahme und die Debattierlust lassen bei ihnen merklich nach, während umgekehrt der Wunsch nach apolitischer Geselligkeit steigt.

Keine Lust auf „APO im Alter“

Wie wichtig die Älteren als strategische Organisationsressource für die Parteiarbeit sind, wird daran deutlich, dass sie pflichtbewusst ihre Beiträge zahlen und als „Parteisoldaten“ den Straßenwahlkampf unterstützen. Noch bedeutsamer ist für Munimus die aktive Botschafter- und Multiplikatorenrolle, die sie innerhalb der ja ebenfalls alternden Gesamtgesellschaft ausüben.

Im Fazit stellt Bettina Munimus heraus, dass die Älteren, speziell die jungen Alten, mit ihrem erprobten und nicht nachlassenden Engagement Ressourcen bereitstellen, ohne die die Volksparteien in der Tat veröden würden. Dabei halten sich die Älteren aus freien Stücken aus den innerparteilichen Karrierekämpfen heraus, ohne sich über ihren Machtrückzug zu grämen. Auch wenn sie früher einmal Teil der Protestgeneration waren, haben die aus dem Berufsleben ausgeschiedenen Älteren keinen Hang zur aufmüpfigen „APO im Alter“. Solange ihr Engagement anerkannt wird, sind sie zufrieden.

Mit ihrer politikwissenschaftlichen Dissertation, betreut von Wolfgang Schroeder (Kassel) und Franz Walter (Göttingen), legt Bettina Munimus eine im Methodenmix originelle, inhaltlich hochinteressante sowie ausgesprochen anschaulich und lesbar geschriebene Studie vor. Sie zwingt die Parteienforschung dazu, vom Zerrbild des welken Altenheimcharmes der Volksparteien abzurücken. Und sie räumt mit der Vorstellung auf, ältere Parteimitglieder klammerten sich an die Macht und zählten zum nichtsnutzigen alten Eisen.

Bei so viel Positivem, das sie der Alterung der Parteien abgewinnt, blendet Bettina Munimus allerdings aus, dass fehlende Blutzufuhr längst die Erneuerung der überalterten Mitgliedschaft von CDU und SPD gefährdet. Noch dazu sind die vorgelegten neuen Erkenntnisse hinsichtlich ihrer Datenbasis noch zu schmal, um empirisch belastungsfest zu sein. Deshalb wäre es interessant, als Nachfolgeuntersuchung den umfänglichen Datensatz der deutschen Parteimitgliederstudie von 2009 mit 17.000 Befragten daraufhin zu analysieren, inwieweit sich die gewonnenen Befunde verallgemeinern lassen.

Damit sich die Älteren etwas Gutes tun, wird ihnen die Lektüre des Buches wärmstens empfohlen. Die Jüngeren sollten es ebenfalls lesen – damit ihnen bewusst wird, was sie an den älteren Parteimitgliedern haben.

Bettina Munimus, Alternde Volksparteien: Neue Macht der Älteren in CDU und SPD?, Bielefeld: Transcript Verlag 2012, 378 Seiten, 35,80 Euro

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