Wie viel Sicherheit verträgt die SPD?

Mit dem Thema Innere Sicherheit werden Wahlen gewonnen - oder verloren. Nur wenn die Sozialdemokratie auch auf diesem Politikfeld überzeugende Antworten gibt, wird sie es den brachialen Vereinfachern entreißen können

Mit dem Thema Innere Sicherheit lassen sich Wähler mobilisieren und Wahlen gewinnen - wenn die Wahl zur Hamburger Bürgerschaft eines aufs Neue gezeigt hat, dann dies. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass Wahlen auch verloren gehen können, wenn die Regierenden wesentlichen Sicherheitsbedürfnissen und -ansprüchen der Wähler nicht Rechnung tragen.

So konnten Ronald "Richter Gnadenlos" Schill und seine rechtspopulistische Single-issue-Partei mit einem Rekordergebnis in die Hamburger Bürgerschaft einziehen. Hoffnungen, die außenpolitische Großwetterlage nach dem Terrorangriff auf die Vereinigten Staaten werde den etablierten Parteien nützen, erfüllten sich nicht, ja verkehrten sich im Falle der Hamburger CDU augenscheinlich sogar in ihr Gegenteil. Es würde hier zu weit führen, die Gründe für das Wahlergebnis detailliert zu untersuchen (vgl. dazu den Beitrag von Frank Decker in diesem Heft). Interessant ist jedoch, dass Sicherheitsthemen die sonst üblicherweise wahlentscheidenden Themengebiete Wirtschaft, Arbeit und Soziales vom obersten Rang der Problem-Agenda verdrängt haben.

Während Hamburg nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung im Ländervergleich bei wirtschaftlicher Kompetenz mit Abstand den ersten Platz belegt, reicht es bei der Sicherheit nur zu Platz 14. Der Senat von Ortwin Runde ist gleichsam "erfolgreich gescheitert": Ökonomische Fragen wurden unbestritten erfolgreich angepackt. Doch verloren diese Themen genau deshalb für die Wähler an Wichtigkeit. Es vollzog sich in den vergangenen Jahren ein Prioritätenwandel, den die regierenden Sozialdemokraten offensichtlich nicht rechtzeitig erkannten oder im Rahmen des Üblichen für gestaltbar hielten. Bis zum Amtsantritt von Olaf Scholz als Innensenator ein paar Monate vor der Wahl blendete der rot-grüne Senat das Thema Innere Sicherheit fast völlig aus.

Mit der Sicherheit hatte es die SPD nie leicht

In der Vergangenheit ist die SPD stets in Schwierigkeiten gekommen, wenn Sicherheitsthemen im Vordergrund der Wahlauseinandersetzung standen. Konservativen Parteien und Politikern wird eher zugetraut, Verbrechen zu bekämpfen und das Sicherheitsgefühl der Bürger zu erhöhen. Aus diesem Grund fällt es ihnen leichter, in Wahlkämpfen das Thema Innere Sicherheit emotional und argumentativ zu besetzen. Sozialdemokraten haben es andererseits schwer, hier Kompetenz zu vermitteln. Der SPD werden eher soziale Kompetenzen zugetraut - etwa in Fragen der Gerechtigkeit, der Bildung oder des Abbaus von Arbeitslosigkeit.

In vergangenen Wahlkämpfen haben Parteien des rechten Spektrums daher immer dann an Akzeptanz gewonnen, wenn sie den Wählern vermittelt haben, dass das gesellschaftliche Gut Innere Sicherheit gefährdet sei und sie diese Sicherheit besser gewährleisten könnten. Die SPD konnte auf diesem Terrain bislang in Wahlkämpfen keine Punkte machen - eher im Gegenteil. Bei den Wahlen in Bremen 1991 und bei der Europawahl 1994 haben Sicherheitsthemen für sie nicht gezogen und statt dessen der CDU und sogar REP und DVU Stimmengewinne verschafft. Warum ist das so? Hat die SPD hier wirklich keine Kompetenzen?

Die Bilanz der Bundesregierung seit 1998 spricht dagegen. Zwar gibt der Anstieg bestimmter Deliktstypen Anlass zur Sorge. So sind beispielsweise im Bereich der Computerkriminalität und beim Kreditkartenbetrug dramatische Steigerungsraten von bis zu 40 Prozent zu verzeichnen. Die polizeiliche Kriminalstatistik belegt aber, dass Deutschland weiterhin zu den sichersten Ländern der Welt gehört. Von Bedeutung für das Sicherheitsgefühl ist daneben auch die Quote der aufgeklärten Straftaten: Sie steht mittlerweile auf dem höchsten Stand seit 1966.

Was alles schon getan ist ...

Diese Erfolge kommen nicht zufällig. Nach der Kompetenzverteilung ist die polizeiliche Gefahrenabwehr zwar in erster Linie eine von den Ländern im Rahmen ihrer Polizeihoheit wahrzunehmende Aufgabe. Der Bund hat demgegenüber Zuständigkeiten bei grenzüberschreitender Zusammenarbeit und bei der Bekämpfung bestimmter Erscheinungsformen der Kriminalität. Er kann zudem die Maßnahmen der Länder flankieren und Rahmenbedingungen der Polizeiarbeit beeinflussen. In der Koalitionsvereinbarung vom November 1998 wurde vereinbart, die Kriminalität und alle ihre Erscheinungsformen systematisch zu bekämpfen und der Begehung von Straftaten vorzubeugen. Hierzu gehört sowohl die empirisch-wissenschaftliche Aufarbeitung aller Kriminalitätsfaktoren sowie eine wirkungsvolle Kriminalprävention. Bislang war Kriminalprävention in erster Linie eine von den Kommunen angenommene Aufgabe. Die Bundesregierung kann einen wichtigen und sinnvollen Beitrag leisten, wenn sie ein Forum schafft, das die gesellschaftlichen Kräfte miteinander vernetzt. Die zu Beginn der Legislaturperiode beschlossene Gründung des Deutschen Forums Kriminalprävention (DFK) ist - gemeinsam mit den meisten Ländern - inzwischen verwirklicht.

Auch der erste periodische Sicherheitsbericht ist vom Kabinett im Juli 2001 beschlossen worden. Er soll Zusammenhänge aus den verschiedenen Polizei- und Justizstatistiken aufzeigen und so die Grundlage liefern, auf der eine realistische Beurteilung der Kriminalitätslage erfolgen kann, die weitgehend frei von populistischen Einflüssen ist. Erst auf dieser Grundlage können konkrete gesetzgeberische Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung erfolgen.

Darüber hinaus setzt die Bundesregierung neue Akzente bei der Ahndung der so genannten White-collar-Kriminalität, etwa was internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Geldwäsche und anderer Formen der organisierten Kriminalität angeht. Die Haushaltsansätze für die Sicherheitsbehörden des Bundes (Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz, Zollkriminalamt, Bundesamt für Sicherheit in der Datenverarbeitung) wurden - trotz allgemeiner Sparzwänge - auf hohem Niveau gehalten oder sogar aufgestockt. Mit den vielerorts erfolgreichen Sicherheitspartnerschaften sind neue Wege der Zusammenarbeit von BGS und Länderpolizeien beschritten worden. Sie entlasten die Polizei (etwa hinsichtlich der Sicherung von Flughäfen oder der Unterstützung bei Demonstrationen), erhöhen die Effizienz der Gefahrenabwehr und stärken so das Sicherheitsempfinden der Bürger.

... und wieso es trotzdem schwierig bleibt

Sozialdemokraten können den Bürgern also Antworten geben, sie haben auch messbare Erfolge vorzuweisen. Das spiegelt sich auch in der öffentlichen Wahrnehmung der Spitzenpolitiker. Vor allem Innenminister Otto Schily wird in Umfragen Vertrauen ausgesprochen. Interessant ist dabei, dass der SPD nach einer Umfrage von Infratest/dimap eher zugetraut wird, Terrorismus und organisierte Kriminalität einzudämmen, während die CDU demoskopisch bei der Bekämpfung "einfacher" oder "Alltagskriminalität" in Führung liegt. Es gelingt Sozialdemokraten also immer noch nicht, optimal die eigenen Kompetenzen zu vermitteln. Warum ist das so?

Bereits das Thema Sicherheit als solches ist konservativ und bewahrend. Es hat mit Ruhe und Ordnung zu tun, also mit konservativen Werten. Schon deshalb ist es für viele Sozialdemokraten ein unattraktives Politikfeld. Sozialdemokratische Innenpolitiker, erst recht Justizpolitiker scheinen - abgesehen von der aktuellen politischen Diskussion - ein Schattendasein zu führen. Weil ihre Themen keine "Gewinnerthemen" sind, haben sie es schwer, die Aufmerksamkeit zu erreichen, die anderen Politikfeldern zukommt. Das verwundert zunächst, da eine Grundabsicherung der Lebensbedingungen ein allzu menschliches Bedürfnis ist, das gerade bei klassischen SPD-Wählern besondere Bedeutung besitzt.

Eine Erklärung für dies Phänomen könnte der aus der Geschichte der SPD herrührende "anti-obrigkeitsstaatliche Reflex" sein. Der Staat - und besonders der frühere Obrigkeitsstaat - begegnete der Sozialdemokratie mit Distanz und Ablehnung. Diese Erfahrung reicht von den Sozialistengesetzen der Bismarck-Ära über die Verfolgung durch das NS-Regime, den gesellschaftspolitischen Stillstand in der Adenauer-Zeit bis in die jüngste Vergangenheit.

Staat oder Freiheit, der alte Widerspruch

Zugleich fand jener Staat, den die Sozialdemokratie akzeptierte und als ihren eigenen verteidigte - die Weimarer Republik - nur Ablehnung und Verachtung in konservativen Kreisen. Eine Abwehrhaltung gegen Obrigkeitsstaatlichkeit und klassische repressive Staatsfunktionen ist daher eine konsequente Folge, die auch im Sozial- und Leistungsstaat der Bundesrepublik nie wirklich überwunden werden konnte. Als Folge des staatlichen Gewaltmonopols ist die Innere Sicherheit aber zwangsläufig ein sehr staatsbezogenes Thema.

Hinzu kommen spannungsgeladene Wechselbeziehungen zu anderen Politikfeldern. Ebenso wie bei der Wirtschaftspolitik im Verhältnis zur Sozialpolitik gerät man auch bei der Inneren Sicherheit schnell in Konflikt mit traditionellen Positionen der Sozialdemokratie. Soll man zum Schutz der persönlichen Sicherheit persönliche Freiheiten einschränken? Wenn ja, welche? Und wie sehr? Welche Hürden sollen zur Sicherung eingebaut werden? Besonders deutlich wurde diese Konfliktlage, als Mitte der neunziger Jahre CDU und CSU im Kampf gegen die organisierte Kriminalität Grundrechte einschränken wollten. Die SPD hat sich dem heftig widersetzt. Auch in der FDP war die Sache nicht unumstritten; der Streit gipfelte im Rücktritt der damaligen Justizministerin Leutheuser-Schnarrenberger. Ein Vorstoß der SPD-Fraktion, im Geldwäschegesetz wirksame Instrumente zur Abschöpfung kriminell bemakelter Vermögen einzubauen, scheiterte aber interessanterweise an der christdemokratisch-liberalen Parlamentsmehrheit. Die Eigentumsgarantie, hieß es, sei ein unüberwindbares Hindernis.

Sicherheit ist mehr als Verbrecher fangen

In der Frage des Umgangs mit dem Politikfeld der Inneren Sicherheit wird umzudenken sein. Wenn es zutrifft, dass die Gruppe der Stammwähler einer Partei stetig schrumpft und die Fähigkeit, ausschließlich sie anzusprechen und zu mobilisieren an Bedeutung verliert, müssen andere Wählergruppen gewonnen werden. Das gelingt Parteien nur, wenn sie möglichst viele Politikbereiche kompetent abdecken. Das Ergebnis der letzten Bundestagswahl belegt diese These. Schließlich ist die "Neue Mitte" nichts anderes als eine flexible Koalition von alten und neu gewonnenen Wählergruppen. Die SPD gewann 1998, weil die Wähler nunmehr auch ihr wirtschaftspolitische Kompetenz zutrauten. Will sie auch in Zukunft erfolgreich sein, müssen die Wählergruppen erneut so organisiert werden, dass sie die Stimmenmehrheit sichern.

Der Umgang mit der Neuen Mitte ist fürwahr eine anspruchsvolle Aufgabe der Politikgestaltung. Um diese Koalition stabil zu halten, bedarf es überzeugender Angebote an den Schnittstellen zunehmend heterogener Lebenslagen. Das Bedürfnis nach Sicherheit in einer Welt des raschen Wandels ist eine solche Schnittstelle - wenn der Wunsch nach Sicherheit als legitimes Interesse an stabiler, verlässlicher, gestaltbarer und natürlich auch gewaltfreier Lebenswelt verstanden und politisch konzipiert wird. Sicherheit geht weit über die Bekämpfung von Kriminalität hinaus, sie verlangt aktive Gestaltung auf allen Ebenen, gerade nicht hingegen konservatives Beharren und die Abschottung vor Veränderung.

Bei der Inneren Sicherheit geht es um nicht weniger als die Balance zwischen der Bewahrung einer offenen und rechtsstaatlichen Gesellschaft einerseits und einem Höchstmaß an erfahrbarer public safety. Das kann etwa bedeuten, die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen einzuschränken, etwa wenn besonders gefährliche Orte durch Videoüberwachung gesichert werden sollen. Andererseits lässt das Erfordernis der persönlichen Freiheit eine flächendeckende Überwachung öffentlicher Räume nicht zu. Und es kann sich zwar auch empfehlen, gegebenenfalls die Möglichkeiten zu erweitern, unter denen für Sexualstraftäter Sicherungsverwahrung angeordnet werden darf. Doch sollte eine - oftmals durch reißerische Berichterstattung der Medien - aufgeheizte Stimmung in der Bevölkerung wiederum nicht dazu führen, eine Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe zu beginnen.

Die Bundesregierung hat sich der Aufgabe, öffentliche Sicherheit neu zu bestimmen und inhaltlich zu füllen, entschlossen und nüchtern gestellt. Es spricht nichts dagegen, dass Sicherheit für eine moderne Sozialdemokratie zu einem Gewinnerthema werden kann

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