Wie reagiert die Kanzlerpräsidentin auf Peer Steinbrück?

Im Wahlkampf 2013 bietet die Sozialdemokratie einen Spitzenkandidaten auf, gegen den Merkels Leib- und Magentaktik der »asymmetrischen Demobilisierung« nicht verfangen wird. Denn die Person Steinbrück und die Perspektive Rot-Grün werden mobilisierend wirken - auf allen Seiten. Die am liebsten in präsidentielle Sphären entrückende Kanzlerin muss notgedrungen ihren Matchplan ändern

Die Kanzlerkandidatur ist das ranghöchste politische Ehrenamt, das in dieser Demokratie zu vergeben ist. Zugleich ist es in der Geschichte Deutschlands das am wenigsten Erfolg versprechende. Bei den meisten Bundestagswahlen bestätigten die Deutschen die amtierenden Kanzler. Von den acht Bundeskanzlern seit 1949 kamen als Kanzlerkandidat einer Oppositionspartei nur Gerhard Schröder im Jahr 1998 und Angela Merkel im Jahr 2005 durch Bundestagswahlen ins Amt. Hinzu kommt: Wie kaum ein anderes Spitzenamt lebt die Kanzlerkandidatur von der Aura des Heldenmotivs. Einer gegen alle! Die extreme Personalisierung ist ein Tribut an die Spielregeln der Mediendemokratie. Aufmerksamkeit ist die Prämie der Macht. Personen sind allemal interessanter als Sachprobleme.

Wird die Union Steinbrück umarmen?

Nun also Peer Steinbrück. Klug und konfrontativ wird er den Schlagabtausch mit der Kanzlerin suchen. Für die Union ist mit der sehr frühen Festlegung der SPD ein gut nutzbares Zeitfenster entstanden; ein volles Jahr lang können die Christdemokraten ihre Kanzlerpräsidentin gegen den ehemaligen engen Mitarbeiter im Kabinett der Großen Koalition positionieren. Dabei vermögen sie mit einem Umarmungswahlkampf zu punkten: Danke an Steinbrück, dass er in der ersten Finanzkrise 2008 unsere Sparkonten mit rettete! Der Gegner wird umarmt, weil er eine ideale Ergänzung zur Grundmelodie des Wahlkampfs ist: Zusammen retten wir den Euro und damit die EU! Bundeskanzlerin Angela Merkel gilt als Anwältin und Sachwalterin des deutschen Steuerzahlers. Mittels einer Strategie forcierter Passivität bahnte sie sich in den europäischen Machtlandschaften ihren Weg. „Ich passe auf unseren Euro auf! Mir gäbet nix!“, scheint sie – ganz schwäbische Hausfrau – zu formulieren. An ihrer Seite sucht sich die Euro-Retterin den Helden (Peer Steinbrück), der die Macht der Banken brechen möchte.

Steinbrück bahnte sich seinen Weg mit Attacken auf Steuerhinterzieher und das Schweizer Bankgeheimnis. Erstmals seit Monaten punktete er für die SPD mit einem Papier zur Finanzmarktregulierung. Aus Wählersicht handelt es sich um das ideale Personalpaket: Die Wunsch-Große-Koalition zwischen der Euro-Retterin und dem Bankenrebellen – Sparen und Retten im Doppelpack. In der deutschen Aushandlungs- und Schlichtungsdemokratie hat der romantische Wunsch nach überparteilicher Zusammenarbeit und nutzenorientierter Problemlösung starke Befürworter. Daran ändert auch die taktisch clevere öffentliche Festlegung nichts, dass Steinbrück unter keinen Umständen als Minister in einem Kabinett Merkel III zur Verfügung stehen wird. Die politische Ikonografie wirkt nach. Das improvisierte Partnerbild von Merkel und Steinbrück vor laufenden Kameras im Jahr 2008, als beide zusicherten, die Bankeinlagen seien sicher, hat sich in unser Gedächtnis eingegraben. Bilder machen Sieger. Sie sind Evidenz auf einen Blick. Dieses Bild suggerierte Tatkraft, Kompetenz, Vertrauen – und gleichzeitig ein ganz bestimmtes Rollenverständnis: Die Chefin und ihr wichtigster Mitarbeiter arbeiten weitsichtig und partnerschaftlich zusammen.

Die Wahl- und Wahlkampfforschung relativiert freilich solche Zuspitzungen. Politik wird weitgehend medial vermittelt. Deshalb dominiert im Kampagnenmanagement die Personalisierung. Doch die Bindung an eine Partei ist für die Wahlentscheidung immer noch wichtiger als die Sympathie für einzelne Politiker, eine bestimmte politische Situation oder aktuelle Themen. Die Wähler vertrauen parteipolitischen Orientierungspunkten wie den Anmutungen von konservativ, liberal oder sozial, die sie wiedererkennen und auf die sie sich verlassen können. Parteien dienen als Filter für politische Informationen. Die Beurteilungen von Parteien sind nach den Ergebnissen der Wahlforschung eindeutig wichtiger als die Beurteilungen der jeweiligen Spitzenkandidaten, die selbstredend von den Kandidaten wiederum beeinflusst und überlagert werden können. Vertrauenswürdigkeit und Kompetenz schlagen den Sympathiefaktor allemal.

Koaliert Merkel mit den Piraten?

Auch diese Ergebnisse führen im Lager der Union sicher nicht zur Resignation vor dem Kandidaten Steinbrück. Denn sowohl Merkel als auch Steinbrück haben mit der jahrelangen Modernisierungspolitik ihrer Parteien die Kern-Anhängerschaften verunsichert. Die SPD hat durch die Agenda-Politik bis heute an Mobilisierungskraft im eigenen Lager verloren (obwohl die ökonomischen Folgen der Reformen extrem positiv ausfallen). Als sichtbares Zeichen und als Erinnerung an diese Modernisierungspolitik begegnet dem Bürger auf dem Wahlzettel neben der SPD noch immer die Linkspartei. Auf der anderen Seite kommt die Union geradezu normativ entkernt daher. Kaum ein Thema, bei dem die CDU-Vorsitzende nicht ausrief: „Jede gute Idee ist mir willkommen!“ Ultrapragmatisch zeigte sie sich als geschickte Themendiebin und gewann damit an Attraktivität gegenüber nutzen- und nicht bindungsorientierten Wählern. Häufig wird unterschätzt, wie viele Bürger primär an zurückhaltender, lautloser, effektiver Problemlösung durch die Politik interessiert sind – egal von welcher Partei. Doch die Tages-Einzelfall-Entscheidungs-Politik der CDU-Vorsitzenden hat ihren Preis. Die Kern-Klientel lockt man auf diese Weise nicht an die Wahlurne.

Vorteile erwachsen aus so einem Tagespragmatismus aber in Bezug auf die Multikoalitionsfähigkeit der Kanzlerinnenpartei. Auch Halloween-Koalitionen zwischen Union und Piratenpartei sind denkbar, falls nach dem Wahlabend eine Mehrheit für Merkel III anders nicht erreichbar ist. Für die CDU / CSU wären die Piraten eine Bereicherung, trotz eines sicher schwer kalkulierbaren Politikmanagements der Piraten im Alltag dieser Koalition. Moderne Themen der Informationsgesellschaft wie Transparenz und Partizipation im Bereich digitaler Willensbildung, die Inklusion junger Wählerschichten und vor allem die Chance auf eine Annäherung des Privaten an das Politische – das wären Zugänge, die sich der Union in einer Halloween-Koalition eröffnen könnten.

Steinbrück bringt Leben in die Bude

Für Steinbrück hingegen bleibt auf dem Koalitionsmarkt nur die grüne Perspektive. Diese Konstellation ist mit Blick auf seine Amtszeit als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident eher als Koalition der Differenz vorstellbar und weniger als Schnittmengen-Szenario. Bei dem Kernanliegen, den Industriestandort Deutschland zu erhalten und auszubauen, liegt die Mitte-SPD programmatisch näher an der Union als an den Grünen.

Die Finanzkrise wird 2013 nicht abebben. Die Wahlkämpfer müssen mit einem relativ entspannten Fatalismus der Bürger rechnen. Haushaltsdisziplin hat bei den Wählern oberste Priorität. Zu erwarten ist, dass sich die Auseinandersetzungen im Wahlkampf tendenziell um Sicherheit und nicht um Gerechtigkeit drehen werden. Allein schon die mediale Begleitung der Krisentreffen wird dazu beitragen. Im Wahlkampf geht es um die Deutungshoheit über die Eurokrise. Dabei ist die Exekutive klar im Vorteil. Zumal die Wähler, wie es sich jetzt abzeichnet, keinesfalls die Wahl haben werden, tatsächlich über unterschiedliche Szenarien der Eurorettung oder differenzierte Integrationsangebote für die EU zu entscheiden. Beim Thema Europa ist der Parteienwettbewerb der Mitte erneut suspendiert. Der Integrationskonsens durchzieht alle Wahlprogramme. Davon profitiert die Union, denn sie steht für Sicherheit und für Europa, überdies hatte sie bei allen wichtigen Euro-Entscheidungen im Bundestag die SPD mit im Boot. Auch an dieser Stelle wird die Union die Umarmungsstrategie forcieren.

Im Gegenzug wird die SPD versuchen, eigene Themen abseits von Euro und Krise zu setzen. Sie wird den Wahlkampf über Verteilungsgerechtigkeit inszenieren und sich als Kümmerer für die sozialen Verlierer der Krise als einzig gerechte Wahloption anbieten. Dabei kommt ihr zugute, dass der Union in der Koalition mit der FDP die soziale Kompetenz abhanden gekommen ist. In einer solchen sozialen Ausweichstrategie der SPD lassen sich problemlos strategische Versatzstücke aus dem Wahlerfolg der SPD in Nordrhein-Westfalen einsetzen. Zwar kann Peer Steinbrück nicht Hannelore Kraft imitieren. Denn seine souveräne Krisenkompetenz hat die Kehrseite, dass er wenig soziale Wärme und heimelige sozialdemokratische Arbeiter- und Lehreraura verkörpert.

Doch Steinbrück macht den kommenden Wahlkampf für die Wähler lebendig. Und auf stimmungsflüchtigen Wählermärkten dreht sich der Wind schnell. Im kommenden Jahr muss Steinbrück Stimmung für sich generieren auf dem schmalen Grat zwischen Mitte-Positionierung und Abgrenzung von der Kanzlerin. Zugleich muss er sich den erdrückenden Umarmungen seitens der Kanzlerin erwehren. Merkel hingegen reicht die präsidiale Verteidigung der Stellung der Union als stärkster Partei, um damit möglicherweise als erste deutsche Regierungschefin in drei unterschiedlichen Koalitionen regiert zu haben.

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