Wie halten wir es mit CCS?

Ohne die Option der Kohlenstoffeinlagerung werden die Klimaziele nicht zu erreichen sein. Die Gegner von CCS verbrämen ihren Egoismus als Gemeinsinn

Wenn über Energiepolitik diskutiert wird, mögen es die Deutschen gern grundsätzlich. Der diskursive Raum zwischen „unbedingt dafür“ und „absolut dagegen“ bleibt weitgehend unbespielt. Das dominante Muster der Debatte lässt sich vielmehr mit „policy-based evidence making“ beschreiben. So verhält es sich auch beim heftig umstrittenen CCS-Gesetz (Carbon Capture and Storage), das im September nach jahrelangem Streit im Bundesrat scheiterte und inzwischen  im Vermitt­lungsausschuss gelandet ist.

Das Gesetz betrifft eigentlich nur eine Detailfrage, nämlich die Regulierung der geologischen Speicherung von Kohlen­dioxid, das zuvor bei der Stromproduktion oder in energieintensiven Industrieanlagen abgetrennt wurde. Die Abschei­dungs­technologie selbst ist noch nicht ausgereift, bislang exis­tie­ren nur kleine Versuchsanlagen. Im Laufe dieses Jahrzehnts soll das CCS-Verfahren EU-weit in mittelgroßen Pilotprojekten erprobt werden, unter anderem in Bran­den­burg. Mit einer kommerziellen Anwendung in Großkraft­werken wird jedoch frühestens ab dem Jahr 2020 gerechnet. Parallel dazu muss auch die Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund erforscht und zu diesem Zweck ein vorläufiger regulativer Rahmen geschaffen werden – eben durch das besagte Gesetz.

Mit Pragmatismus ist nicht zu rechnen

Die Heftigkeit der Debatte aber zeigt, dass eine pragmatische Herangehensweise an energie- und klimapolitische Fra­gen auch nach der „Energiewende“ nicht zu erwarten ist. Sollte es denjenigen Bundesländern, die über die geologischen Voraus­set­zun­gen für Kohlendioxid-Lagerstätten verfügen, am Ende erlaubt werden, diese unter ihrem Hoheitsgebiet zu verbieten, hätte sich abermals eine weit verbreitete Haltung durchgesetzt: Wohl­klingende energie- und klimapolitische Ziele werden allseits unterstützt, die damit einhergehenden Belastungen aber gerne auf die Nachbarländer abgewälzt. Denn eine Behinde­rung der Speicherung von Kohlendioxid wird – anders als von den Befür­wortern häufig ins Feld geführt – keineswegs zur Folge haben, dass diese Technologie in deutschen Kraftwerken und Industrie­anlagen nicht angewendet wird. Vielmehr würde der Großteil des abgetrennten Kohlendioxids mithilfe von Pipelines und Schiffen ins europäische Ausland transportiert.

Wenn die deutsche Politik alleine darüber hätte befinden dürfen, ob Deutschland überhaupt ein nationales CCS-Gesetz braucht, wäre das heiße Eisen bislang wohl gar nicht erst angefasst worden. Zu groß ist der Widerstand einzelner Bundes­länder und der Bevölkerung in den betroffenen Regionen. Allerdings ist Deutschland verpflichtet, eine entsprechende EU-Richtlinie aus dem Jahr 2009 umzusetzen. Aufgrund der Verzö­gerung droht inzwischen ein Vertragsverlet­zungs­verfahren.

Der NIMBYismus liegt voll im Trend

Mit grundsätzlicher Unterstützung durch die Oppositions­par-teien haben die schwarz-gelben Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Niedersachsen dafür gesorgt, dass schon das im Bundestag verabschiedete Gesetz eine Ausstiegs­klausel für die Bundesländer enthält. Wenn aber zwei der drei Länder, die über die geeigneten geologischen Formationen verfügen, die Speicherung von Kohlendioxid untersagen, dann wird auch die CCS-freundliche Landesregierung von Branden­burg ihrer Bevölkerung nicht vermitteln können, warum Lagerstätten für Kohlendioxid ausgerechnet in ihrem Bundes­land „ungefährlich“ sein sollen.

Ein Gesetz, das die Speicherung von Kohlendioxid de facto verhindert, entspricht zwar dem Mehrheitswillen der Bevölke­rung, verdeutlicht aber auch die Widersprüche der Energie­wende: Es besteht ein breiter Konsens darüber, aus der Atom­ener­gie auszusteigen, ohne Abstriche bei den eigenen klima­­po­­litischen Zielen zu machen. Die damit verbundenen Lasten beim Aufbau neuer Infrastruktur – seien es Windparks, Strom­leitungen oder fossile Energieträger – will niemand tragen.

Die Exponenten einer klassischen NIMBY-Haltung („Not in my backyard“) sind stets bemüht, ihre Ablehnung nicht allzu egozentrisch aussehen zu lassen. Auch der Widerstand gegen die Abscheidungstechnologie kleidet sich stets in gemeinwohlorientiertes Vokabular. Da ist von gesundheitsgefährdenden „End­lagern“ die Rede – ganz so, als könne man Koh­len­­dioxid auf eine Stufe mit Atommüll stellen. Außerdem wird gerne behauptet, CCS diene lediglich dazu, dem „Klimakiller Kohle“ eine längere Lebensdauer zu verschaffen. Insofern sei die Ablehnung der neuen Technologie Ausdruck einer besonders fortschrittlichen klimapolitischen Position.
Besonders die klimapolitische Begründung verdient eine nähere Betrachtung: Richtig ist, dass in Europa vor allem die Kohle­industrie Lobbyarbeit für CCS macht, da der herkömmliche Einsatz von Kohle mittelfristig mit den klimapolitischen Zielen der EU kollidieren wird. Doch weitet man den Blick auf die klimapolitisch relevante Phase bis 2050, dann wird klar, dass die von Deutschland und der EU bis dahin angestrebten Emis­sionsreduktionen von 80 bis 95 Prozent im Vergleich zu 1990 nur erreicht werden, wenn CCS auch in anderen Sektoren eingesetzt wird.

Wie ernst ist es uns mit den Klimazielen?

Dies betrifft zum einen Produktionsanlagen in der energieintensiven Industrie, etwa bei der Verhüttung von Stahl und Aluminium oder bei der Zementproduktion. Vor allem aber betrifft es die bei den Umweltverbänden neuerdings so beliebten Gaskraftwerke. Will man im Zuge der deutschen Energiewende tatsächlich verstärkt auf den relativ klimafreundlichen Ener­gie­träger Erdgas setzen und entsprechende Kraftwerke nicht vor Ende ihrer technischen Lebensdauer abschalten, muss man sie ab spätestens 2035 mit CCS betreiben – jedenfalls dann, wenn man bis 2050 tatsächlich Emissionseinsparungen von 80 bis 95 Prozent erreichen will. Da die Gasversorger aber einen Imageschaden befürchten, halten sie sich in der gegenwärtigen CCS-Debatte vornehm zurück und überlassen den Kampf um die gesellschaftliche Akzeptanz der Technologie der Kohle­lobby. Vor allem für die emissionsintensive Braunkohle ist CCS schon jetzt zur Überlebensfrage geworden. Sollte die Techno­logie nicht binnen der nächsten zehn Jahre kommerziell nutzbar sein, dürften sich Braunkohlekraftwerke angesichts einer ehrgeizigen europäischen Klimapolitik kaum noch wirtschaftlich betreiben lassen.

Mehr noch: Ganz gleich, bei welchen fossilen Energie­trägern CCS einmal angewendet wird, die Technologie wird im Laufe des 21. Jahrhunderts wohl auch benötigt werden, um der Erdatmosphäre in größerem Maße Kohlendioxid zu entziehen! Fast alle klimaökonomischen Studien gehen davon aus, dass das vom UN-Klimagipfel 2010 in Cancún erstmals verabschiedete Zwei-Grad-Ziel nur dann erreichbar sein wird, wenn die Weltgemeinschaft bis zur Mitte des Jahrhunderts im Energie­sektor „Negativemissionen“ zustande bringt. Dies ist notwendig, weil es in Sektoren wie der Landwirtschaft oder dem Verkehr nicht oder nicht schnell genug möglich sein wird, die Treibhausgasemissionen auf annähernd Null zu reduzieren.

Um Negativemissionen zu erzielen, pflanzt man schnell wachsende Biomasse an, verbrennt diese in Kraftwerken zur Stromproduktion, scheidet dabei das Kohlendioxid ab und transportiert es in Kohlendioxid-Lagerstätten. Da das beim Pflanzenwachstum aus der Atmosphäre aufgenommene Koh­len­dioxid nach dem Verbrennen nicht wieder freigesetzt wird, ist die Netto-Emissionsbilanz von „Biomasse-CCS“ negativ. Der Einsatz solcher Verfahren mag aus heutiger Sicht wie Science Fiction anmuten, wird von renommierten Beratungs­unter­nehmen wie Prognos und dem Öko-Institut aber selbst für eine klimapolitische Vorreiter-Nation wie Deutschland empfohlen, weil die Emissionen angesichts der bereits bestehenden Infra­strukturen kaum kosteneffizient um 80 bis 95 Prozent gesenkt werden können. Auch der Sachverständigenrat für Umwelt­fragen und das Potsdam-Institut für Klimafolgenfor­schung schätzen das klimapolitische Potenzial von Biomasse-CCS positiv ein.

Festzuhalten bleibt: CCS ist im Kern eine klimafreundliche Technologie. Nach dem heutigen Wissensstand wird die Welt­gemeinschaft ohne diese Option außerstande sein, die Erder­wärmung auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Es ist ein Gebot der Redlichkeit, dass auch die Gegner der Abscheidungs­techno­logie solche Zielkonflikte zugeben. Während ihre Befürworter die Technologie häufig zu einem industriepolitischen Leucht­turmprojekt überhöhen, überwiegt bei Bürger­initiativen, Um­weltverbänden und Grünen eine „voluntaristische“ Auffassung von Klimapolitik: Sie betrachten den eigenen guten Willen als den entscheidenden Maßstab für das politisch und wirtschaftlich Mögliche.

Die Technologie zur Abscheidung von Kohlendioxid in fossilen und Biomasse-Kraftwerken sowie in Indus­trieanlagen wird eines Tages auch in Deutschland einsatzbereit sein. Wenn hierzulande aber nicht einmal die Erforschung der Kohlendioxid-Speicherung die notwendige Akzeptanz in Bevöl­kerung und Politik finden und die Lagerung von Kohlendioxid selbst unter dem Meeresboden dauerhaft abgelehnt werden sollte, dann bleiben im Grunde nur zwei Möglichkeiten. Entweder stehen wir dazu, dass wir unsere selbst gesteckten Klimaziele nicht erreichen können. Oder wir müssen versuchen, unsere Emissionen in die europäische Nachbarschaft zu exportieren. Vor allem in Norwegen gilt die Lagerung von Kohlendioxid als ein Ge­schäftszweig der Zukunft – und die EU-Mitgliedsstaaten als größte potenzielle Kunden. «

zurück zur Ausgabe