Kritischer Konsum wird überschätzt

zu Tanja Busse, Jeder Einkauf ist politisch, Berliner Republik 2/2011

Wann immer eine Ölplattform havariert, ein Fleischskandal auffliegt, ein Klimagipfel scheitert, werden Stimmen laut, die das entscheidende gesellschaftliche Veränderungspotenzial beim „kritischen Konsumenten“ verorten. Auch Tanja Busse ruft seit geraumer Zeit die „Einkaufsrevolution“ aus. Ist consumerism wirklich ein vielversprechender Ansatz politischer Veränderung? Oder nur ein erfolgreiches Konzept, um postmaterielle Wählerschichten zu binden? Oder am Ende gar eine ungemein praktische Ausrede für die Politik, sich den Mühen der Regulierung auf Gebieten wie Energie, Klimaschutz und Lebensmittelsicherheit zu entziehen?

Den ernsthaften Versuch eines nachhaltigen Konsum- und Lebensstils unternimmt lediglich eine kleine gesellschaftliche Minderheit, die sich vor allem durch höhere Bildungsabschlüsse und mindestens durchschnittliche Einkommen auszeichnet – politisch-kulturell eher die Klientel der Grünen als die der SPD. Den finanziellen wie zeitlichen Zusatzaufwand, den diese Gruppe alltäglich in Kauf nimmt, lässt sie sich auf anderen Ebenen rückvergüten. Sie erzielt einen sicheren „Distinktionsgewinn“ (Pierre Bourdieu) im Vergleich mit anderen, weniger avantgardistischen Menschen – sei es in der eigenen Nachbarschaft oder in den USA und China. Der nachhaltige Lebensstil geht oft mit einer Individualisierung und Moralisierung politischer Fragen einher, wobei soziale und ökonomische Dimensionen gerne ausgeblendet werden. Aus Sicht der LOHAS („Lifestyle of Health and Sustainability“) ist das eigene Verhaltensrepertoire das Maß der Dinge: „Es geht doch, wenn man nur will.“

Während dem eingegrünten Protestanten das gut gemeinte schon als gut gemacht gilt, rechnet der sozialdemokratisierte Kleinbürger lieber noch einmal nach: Misst man den Ansatz einer nachhaltig ausgerichteten Alltagspolitik an seinen eigenen Ansprüchen, so fällt die Bilanz der vergangenen dreißig Jahre relativ bescheiden aus. Versuche einer bewussten Lebensführung haben zwar mit dazu beigetragen, das Konzept der Nachhaltigkeit in westlichen Industriegesellschaften populär zu machen. Dass kritische Konsumenten die Unternehmen zu einer signifikant ökologischeren und weniger ausbeuterischen Produktpolitik gezwungen hätten – davon kann nicht die Rede sein. Der Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen hat sich kaum verändert. Nicht einmal Energiesparlampen, Pfandflaschen und verbrauchsarme Autos haben sich bislang am Markt durchsetzen können, allem Umweltbewusstsein in der Bevölkerung zum Trotz. Dies ist auch, aber nicht in erster Linie eine Frage des Haushaltseinkommens. Am Ende siegt in der Regel die Bequemlichkeit, denn der menschliche Alltag besteht im Wesentlichen aus dem wiederkehrenden Versuch routinierter Aufwandsminimierung, nicht aus dem beständigen Einholen und Bewerten neuer Informationen über „gute“ und „schlechte“ Produkte.

Das Unbehagen politisch interessierter Verbraucher hat selbstverständlich seine Berechtigung. Es ist jedoch primär von symbolischem Wert. Anders als von Tanja Busse beschworen, verändert bewusstes Einkaufsverhalten die Produktionsstrukturen allenfalls minimal, und es dient ganz sicher nicht zur „Lösung politischer Aufgaben, die die Politik in Zeiten der Globalisierung zu lösen versäumt hat“. Es sollte vielmehr skeptisch machen, dass die Zahl der Freunde des „mündigen Verbrauchers“ nicht eben gering ausfällt: Da gibt es Nicht-Regierungsorganisationen, die ihre Themen möglichst breit verankern möchten; Wirtschaftspolitiker, die vor staatlicher Überregulierung warnen und deshalb die besondere Verantwortung der Konsumenten betonen; Unternehmen, die Produkte mit grünem Image verkaufen wollen; auch Umwelt- und Verbraucherpolitiker, die sich in Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen können.

Kritischer Konsum schadet sicher nicht, aber er raubt Zeit und Aufmerksamkeit für die wirklich wichtigen Arenen. Die Zukunft des Energiesystems, des Weltklimas und der Landwirtschaft entscheidet sich nicht an der Supermarktkasse, sondern in den Parlamenten, im EU-Ministerrat oder an den Verhandlungstischen der internationalen Klimadiplomatie. Wenn der Einzelne auf Belange des Gemeinwesens Einfluss nehmen will, sollte er sich nicht in erster Linie als Konsument verstehen, sondern vor allem als Staats- und Weltbürger. «

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