Wie die SPD 2009 siegen wird

Nur wenn sich die Sozialdemokratie Emanzipation und sozialen Aufstieg für alle auf die Fahnen schreibt, kann sie dem populistischen Fürsorgegeschrei der Linkspartei wirksam entgegentreten - und bald wieder den Kanzler stellen

Beobachtet man in diesen Wochen und Monaten, wie orientierungslos sich die SPD von der Linkspartei vor sich hertreiben lässt, dann könnte man meinen, das Schicksal der Sozialdemokratie als 20-Prozent-Partei, als Senior- oder Juniorpartner in einer rot-roten Koalition sei unvermeidlich.

Es ist schon erstaunlich, dass sich die SPD nach Jahren hervorragender konzeptioneller Diskussion in der Partei, besonders in Bezug auf die Sozialpolitik, so schwer damit tut, wirksame Mittel gegen den populistischen Angriff von Oskar Lafontaine und seiner Linkspartei zu finden. Höchste Zeit, dass sich unsere Partei auf die Wurzeln ihrer eigenen Geschichte besinnt und die Kernbotschaft der demokratischen Arbeiterbewegung aufgreift, mit der sie die Bundestagswahl 2009 gewinnen kann: Emanzipation.

Der Gedanke der Emanzipation, der Aufklärung, die Idee vom „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ – das ist der Kristallisationskern der deutschen Arbeiterbewegung. Der eigentliche Grund der derzeit schwierigen Lage der SPD ist ein missverstandener Begriff von „sozialer Gerechtigkeit“. Damit wird heute eine Versorgungspflicht des Staates assoziiert, der keine Leistung gegenübersteht.

Werfen wir einen Blick zurück auf den Ursprung der deutschen Sozialdemokratie: Damals bat die deutsche Arbeiterbewegung nicht um Almosen, sondern verlangte eine Gesellschaft, in der die eigene Arbeit Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben sein sollte. Es war eine Bewegung von Menschen, die nicht als Bittsteller vor den Staat treten wollten, sondern als selbstbewusste Kraft auf der Grundlage der eigenen Leistung. Die Tradition der Arbeiterbildungsvereine war ein beredter Ausdruck dieses Willens. Auch für die ostdeutsche Sozialdemokratie, die aus dem Kampf gegen eine Diktatur entstanden ist, war dieser Emanzipationsbegriff Grundpfeiler des eigenen politischen Selbstverständnisses.

Dieses Selbstbewusstsein hat die moderne Arbeitnehmerschaft in Deutschland heute scheinbar verloren. Es gibt Tendenzen in unserer Partei, die SPD zu einer reinen Versorgungs- und Umverteilungspartei zu reduzieren. Obsiegen die, die dieser strategischen Neuausrichtung das Wort reden, wird die einstige Arbeitnehmerpartei zu einem Karitasverein mit parlamentarischem Arm: eine zweite Linkspartei. Mit solch einer Strategie wird die SPD die nächste Bundestagswahl verlieren.

Woran kein vernünftiger Mensch zweifelt

Der Grund dieser Neuorientierung liegt in einer falschen Aufarbeitung der Politik der Agenda 2010. Kein einigermaßer vernünftiger Menschen zweifelt heute noch daran, dass die damaligen Beschlüsse notwendig und richtig waren. Die erste Aufgabe der sozialdemokratischen Bundesregierung musste es sein, die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig zu machen. Was der SPD fehlte, war die Fähigkeit, dieser Reform den Sozialstaatsbegriff an die Seite zu stellen, den sie historisch vertreten hat. Man nahm die Reformen – sogar in der SPD selbst – als reine Kürzungsorgie wahr, während ihre positive Botschaft nicht kommuniziert wurde: Die Räson des Sozialstaats besteht nicht in der Fürsorge für jeden, sondern erstens in der Existenzsicherung der wirklich Bedürftigen, also derjenigen, die aus eigener Kraft nicht arbeiten können; und zweitens in der Herstellung von Chancengleichheit für alle andern. Jeder andere, erweiterte Begriff vom Sozialstaats führt unter den Bedingungen von Globalisierung und wissensintensiver Ökonomie in den finanziellen Ruin und somit zum Ende der Sozialstaatlichkeit selbst.

Der Begriff der Emanzipation ist deshalb so zentral, weil er das sozialdemokratische Ideal der Chancengleichheit für alle mit den Erfordernissen der Globalisierung auf intelligente Weise verbindet. Deutschland kann als ressourcenarmes Land im internationalen Wettbewerb nur bestehen, wenn es eine hochqualifizierte, selbstbewusste Arbeitnehmerschaft besitzt und seine Potenziale konsequent nutzt. Deshalb sind die Einführung der Gemeinschaftsschule, der Ausbau der für jeden bezahlbaren Kinderbetreuung und der Erhalt einer allgemeinen, effizienten Krankenversicherung nicht nur anständig, sondern auch standortsichernd.

Wettbewerbsfähigkeit und Aufstiegschancen

Gleichzeitig kommt es darauf an, die Erosion der Mittelschicht zu stoppen. Ein Land, das seine Mittelschicht verliert und in dem gleichzeitig die soziale Mobilität abnimmt, wird auch an sozialer und politischer Stabilität verlieren. Stabilität wird jedoch im zunehmenden Maße über Erfolg oder Misserfolg eines Standortes entscheiden. Daher ist ein moderater gesetzlicher Mindestlohn oberhalb des Existenzminimums überfällig. Dieser würde auch der Perversion ein Ende bereiten, dass der Staat die Abwanderung ganzer Branchen in den Niedriglohnbereich auch noch mit Steuergeldern subventioniert.

Die Sozialdemokratie muss wieder an Stimme in der Innovations- und Hochschulpolitik gewinnen. Es ist essentiell, dass sich die SPD in diesen für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes und die Aufstiegschancen junger Menschen entscheidenden Politikfeldern wieder profiliert. Die plakative Ablehnung von Studiengebühren reicht dazu nicht aus. Beispielhaft sei hier die Idee von Olaf Scholz genannt, den Zugang aus der Berufsausbildung in natur- und ingenieurwissenschaftliche Studiengänge an Fachhochschulen und Universitäten zu erleichtern. Dies würde das duale System der Berufsausbildung stärken, da der Unterricht in den Berufsschulen nicht als zusätzliche Belastung, sondern als Aufstiegschance wahrgenommen würden. Auch Olaf Scholz’ Gedanke, der Mindestlohn sei ein Innovationsmotor, da er die Konkurrenz durch gute, qualifizierte Arbeit zwischen den Unternehmen (statt qua Lohndumping) erzwinge, ist ein bestechendes Argument.

Warum der Sozialstaat befähigen muss

Die Botschaft für den Bundestagswahlkampf 2009 muss daher lauten: Die SPD kämpft für einen „befähigenden Sozialstaat“, der es allen körperlich und geistig dazu fähigen Bürgern ermöglicht, aus eigener Kraft würdevoll und ohne Existenzangst zu leben. Die Hebung des allgemeinen Bildungsstandards aller ist dazu genauso erforderlich wie die Stabilisierung der Mittelschicht durch einen gesetzlichen Mindestlohn. Dem Geist eines solchen Sozialstaates entspräche es auch, die Lohnnebenkosten für kleinere und mittlere Einkommen weiter zu senken und gleichzeitig weiterhin rigoros gegen jede Form des Missbrauchs staatlicher Leistungen vorzugehen. Für den befähigenden Sozialstaat müssen wir finanzielle Spielräume schaffen und sichern. Daher ist auch in Zukunft eine konsequente Politik der Haushaltskonsolidierung notwendig. Der Kampf um den Erhalt der bürgerlichen Grundrechte, auch in Zeiten der terroristischen Bedrohung, ist ein weiterer Kernpunkt eines wahrhaft emanzipatorischen Programms.

Der befähigende und dadurch vorsorgende Sozialstaat ist etwas grundsätzlich anderes als der materiell versorgende oder fürsorgliche Staat. In diesem Leitbild wird ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ daher keinen Platz finden. Dauerhafte staatliche Alimentierung zementiert Unmündigkeit und Abhängigkeit. Auch das ist eine Form sozialer Ausgrenzung. Für uns Sozialdemokraten war sozialer Aufstieg immer gekoppelt an eigene Leistung. Diese Leistung müssen wir würdigen und unterstützen – und wenn nötig auch einfordern.

Das Ziel, die wirtschaftliche und politische Emanzipation jedes Einwohners unseres Landes aus eigener Kraft zu ermöglichen, muss in der Außenwahrnehmung wieder das zentrale politische Ziel der deutschen Sozialdemokratie werden. Wir müssen unser traditionelles Versprechen des sozialen Aufstiegs erneuern. „Sozialer Aufstieg für alle, um Deutschland in der Globalisierung zukunftsfähig zu machen“ – das muss das zentrale Thema unseres Wahlkampfes werden. Damit könnten wir dem populistischen, den Standort gefährdenden Fürsorgegeschrei der Linkspartei effektiv entgegentreten. Gleichzeitig würden wir an unseren alten Platz zurückkehren, an dem wir stark geworden sind: als Partei der Arbeitnehmer – sowohl derjenigen, die zur breiten Mittelschicht gehören als auch derjenigen, die durch eigene Leistungen bald dazugehören wollen.

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