Auf die Offenheit kommt es an

EDITORIAL

Die aktuelle Konjunktur des Elitendiskurses in Deutschland ist eher ein Krisensymptom als ein Quell hilfreicher Hinweise für den künftigen Kurs unserer Gesellschaft. Das liegt daran, dass diese Debatte von zwei gleichermaßen zerstörerischen Triebkräften befeuert zu werden scheint: dem dringenden Wunsch der einen, sich angesichts des als ungenügend empfundenen deutschen Mittelmaßes gegen „die da unten“ abzuschotten; und der – eher unartikulierten, aber tief empfundenen – Panik vieler anderer, sie könnten von „denen da oben“ im Stich gelassen werden. „Things fall apart; the centre cannot hold“, schrieb William Butler Yeats. Eben dieses beklemmende Grundgefühl, scheint in der deutschen Gesellschaft um sich zu greifen. Die Folge ist eine Elitendebatte, in der es allzu oft nicht um die positive Frage geht, welche Art von Eliten diese Gesellschaft braucht, um insgesamt zu prosperieren, sondern darum, wer sich selbst nach oben aussortiert – oder nach unten aussortiert wird. In der Mitte klafft dann bald ein großes Loch.

Wir setzen dieser Polarisierung Texte entgegen, die wir in der Summe durchaus für Beiträge zu einer modernen „sozialdemokratischen Elitentheorie“ (Birger P. Priddat) halten. Völlig klar ist: Diese Gesellschaft braucht Eliten, aber es müssen offene Eliten sein, zugänglich allen, die sich kraft ihrer Leistung für herausgehobene Aufgaben qualifizieren; offen auch nach unten hin für diejenigen, die erwiesenermaßen besonderen Ansprüchen nicht gewachsen sind. Dabei bleiben offene Eliten ein leeres Versprechen, solange nicht möglichst alle Menschen dazu befähigt werden, ihre Potenziale zur Gänze zu nutzen. In Finnland übrigens funktioniert es genau so. „Es ist sehr wohl möglich“, schreibt Anne Overesch in diesem Heft, „gleichzeitig eine Gruppe von Spitzenschülern mit herausragenden Fähigkeiten sowie ein leistungsstarkes Mittelfeld hervorzubringen und den Kompetenzwettbewerb von der sozialen Herkunft der Kinder abzukoppeln.“ In Finnland sind es daher allen voran Sozialdemokraten, die auf die unbedingte Geltung des Leistungsprinzips pochen. Diskurse über Eliten führen die Finnen hingegen nicht. Sie haben sie ja. Und offen sind sie auch.

Aus der Enge mancher unserer eigenen Debatten werden wir uns nur befreien, wenn wir unseren Blick auf das weiten, was in unserem Jahrhundert out there in der Welt geschieht. In dieser Ausgabe widmen wir uns unter anderem der „Zukunft der untersten Milliarde“ (Paul Collier) vor allem in Afrika. Wir diskutieren die enormen Modernisierungserfolge Chinas und der Türkei und fragen nach den langfristigen Perspektiven Indiens. Wir blicken auf den laufenden Wahlkampf in Amerika, erörtern die Chancen des neuen progressiven Partito Democratico in Italien, warnen vor Chaos auf dem westlichen Balkan, wundern uns über den französischen Präsidenten und vergleichen die Besorgnis erregenden Entwicklungen in den Parteienlandschaften Europas. Wie ganz direkt das alles uns hier in Deutschland betrifft, liegt eigentlich auf der Hand. Vielleicht sollten unsere Eliten ein bisschen vernehmbarer darüber sprechen.

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