Was Schill bedeutet

Im September schockte der Erfolg der Hamburger "Partei Rechtsstaatlicher Offensive" SPD und CDU gleichermaßen. Jetzt will Roland B. Schill expandieren. Kann der Amtsrichter von der Elbe das deutsche Parteiensystem umkrempeln?

Wenn in der Bundesrepublik von "Rechtspopulismus" die Rede war, richtete sich der Blick bislang fast immer nach "draußen". Sorgenvoll oder mitleidig registrierten deutsche Beobachter, wie sich ein unappetitlicher Typus von Parteien in den westlichen Demokratien breit machte. Die Namen ihrer Führer waren in aller Munde: Le Pen, Bossi, Berlusconi, Haider. Dagegen fristeten die Rechtsextremisten der Bundesrepublik ein Schattenda-sein. Sicher, unter Franz Schönhubers konnten die Republikaner von 1989 bis 1992 bei Landtags- und Europawahlen einzelne Erfolge erzielen. Von dauerhafter Etablierung blieb die Partei aber so weit entfernt wie ihre rechtsextremen Konkurrenten DVU und NPD oder mildere Rechtspopulisten wie die Statt-Partei oder der Bund Freier Bürger. Die Bundesrepublik schien immun.

Seit dem 23. September ist diese Gewissheit perdu. Das sensationelle Ergebnis der "Schill-Partei" bei der Hamburger Bürgerschaftswahl hat gezeigt, dass der Rechtspopulismus hierzulande so gute Erfolgschancen besitzt wie anderswo - wenn nur die Voraussetzungen stimmen. Der Vergleich innerhalb Europas zeigt, dass hierfür drei Dinge zusammenkommen müssen: ein Nachlassen traditioneller Parteibindungen, passende politische Gelegenheiten und eine "charismatische" Partei, die in der Lage ist, diese Gelegenheiten zu nutzen.

Die erste Voraussetzung ist in Deutschland nicht weniger erfüllt als andernorts. Die Rede von der Erosion der parteibildenden Milieus ist gängige Münze; in den neuen Bundesländern konnten sich stabile Parteiorientierungen seit der Wende erst gar nicht herausbilden. Die Schwäche der Rechtsparteien in Ostdeutschland verdankt sich so gesehen fast ausschließlich der PDS, die das populistische Feld von links besetzt. Wie die Erfolge der DVU in Sachsen-Anhalt und Brandenburg gezeigt haben, ist aber selbst darauf kein Verlass.

Wie wichtig "passende politische Gelegenheiten" sind, hat die Wahl in Hamburg bewiesen. Die Schill-Partei hat in der Hansestadt das Thema Kriminalität praktisch monopolisiert. Dass es von den anderen Parteien in seiner Brisanz unterschätzt wurde, ist erstaunlich, weil die Innere Sicherheit schon im Wahlkampf 1997 eine herausragende Rolle gespielt hatte. Selten ist es einem Außenseiter geglückt, seine politischen Konkurrenten in einer Frage so vor sich her zu treiben.

Stigmatisierung funktioniert bei Schill nicht

Der dritte Faktor ist Schill selbst. Die "Partei Rechtsstaatlicher Offensive" ist mit der Person ihres Gründers untrennbar verbunden. In der Öffentlichkeit hieß sie von Anfang an nur "Schill-Partei". Für den Wahlerfolg spielte es sicher eine Rolle, dass Schill in Hamburg kein Unbekannter war; als "Richter Gnadenlos" hatte er jahrelang von sich reden gemacht. Ausschlaggebend für den Erfolg waren aber zwei andere Dinge. Erstens war Schill im bürgerlichen Lager salonfähig. Ole von Beusts Ankündigung, mit Schill zusammengehen zu wollen, dürfte nicht wenige CDU-Wähler in dessen Arme getrieben haben; mit einem Stimmenverlust von 4,5 Prozent zahlte die Union für den so ermöglichten Machtwechsel einen hohen Preis. Über genügend Reputierlichkeit verfügte der Kandidat aber auch ohnedies. Dafür sorgte neben seinem Beruf als Amtsrichter auch eine untadelige Herkunft, die es unmöglich machte, Schill als Rechtsextremisten abzustempeln. Das Schicksal der Stigmatisierung, das Republikaner und DVU in Hamburg nie über fünf Prozent hatte hinauskommen lassen, blieb der Schill-Partei erspart.

Zum anderen profitierte Schill von seinen populistischen Qualitäten. Diese wurden von den anderen Parteien sträflich unterschätzt. Gewiss, Schill ist kein Volkstribun wie Le Pen, es fehlt ihm auch jene beißende Intelligenz, die Jörg Haider zum best gehassten Mann Europas machte. Dennoch ist dem Amtsrichter das Charisma zugewachsen, das einen erfolgreichen Populisten ausmacht. Von kalkulierter Angstmache (Hamburg als "Hauptstadt des Verbrechens") über gezielte Provokation (Forderung der Kastration von Sexualstraftätern) bis hin zur Aufstellung von Verschwörungstheorien (Vorwurf des Wahlbetrugs), verstand es Schill, auf der rechtspopulistischen Klaviatur zu spielen und die Nähe zum Volk herzustellen.

Die politischen Beobachter streiten nun darüber, ob es der Schill-Partei gelingen wird, ihren Sensationserfolg über die Grenzen Hamburgs hinaus zu tragen. Schill selbst macht aus seinen Ambitionen keinen Hehl; die Gründung weiterer Landesverbände steht kurz bevor oder ist bereits im Gange. Selbst wenn sie wollte, könnte sich die Partei dieser Entwicklung nicht entziehen. Das Interesse an Schill ist so groß, dass sich die Ableger notfalls auch ohne den Segen des Hamburger Originals bilden würden. Trittbrettfahrer aus dem rechtsextremen Lager könnten auf den Zug aufspringen. Der Gefahr der Unterwanderung ist bisher noch keine rechtspopulistische Neugründung entgangen. Sie ist gerade in der Bundesrepublik immens, weil es für rechtsextreme Kräfte eine willkommene Möglichkeit darstellt, der Stigmatisierung zu entgehen. Neben der Statt-Partei hat das auch der Bund Freier Bürger schmerzhaft erfahren müssen. Der Druck von rechts führte bei ihm zu Richtungskonflikten, die das öffentliche Bild der Partei ruinierten. Eine hastig ausgeweitete Schill-Partei dürfte dasselbe Schicksal erleiden.

Die organisatorischen Probleme einer Ausweitung wiegen umso schwerer, als sich die Partei auch in Hamburg erst noch konsolidieren muss. Auch hier könnte sie zum Opfer des eigenen Erfolgs werden. Durch das hohe Wahlergebnis sind unerwartet viele ihrer Kandidaten in das Landesparlament und die sieben Bezirksversammlungen eingezogen. Dadurch erwachsen Mitwirkungsansprüche der Parteibasis, denen sich die Führung nicht einfach verweigern kann. Schon dringt aus der Partei lautes Murren über Schills autoritären Führungsstil. Dass es sich bei den Funktionsträgern der Schill-Partei fast nur um politische Amateure handelt, verschärft das Problem.

Hinzu kommt die Regierungsbeteiligung. Rechtspopulistische Parteien sind ihrem Wesen nach oppositionell. Dass sie auf Anhieb regieren wollen, passt da schlecht ins Bild. Für Schill war es jedoch keine Frage, dass er selbst nach dem erhofften Regierungswechsel das Amt des Innensenators übernehmen würde. Nachdem er in den Koalitionsverhandlungen ein Wahlversprechen nach dem anderen zurücknahm, darf sich Schill nun an der harten Wirklichkeit des Regierungsgeschäfts die Zähne ausbeißen. Dass ihm das nicht gut bekommen wird, lässt sich leicht voraussagen. Dies bestätigen Erfahrungen aus Österreich und Italien, wo populistische Parteien in der Regierungsrolle rasch entzaubert wurden.

Populismus ist immer auch Opportunismus

Dennoch können die anderen Parteien nicht einfach gelassen abwarten. Dies gilt besonders für die Union, deren Wähler in Hamburg scharenweise zu Schill überliefen. Es gilt aber auch für die SPD, in deren früheren Hochburgen Schill seine besten Resultate erzielte. Die Volksparteien scheinen zu glauben, dass Schills Erfolg andernorts nicht wiederholbar sei. Begründet wird dies mit den besonderen Umständen der Hamburger Politik. In der Tat ist es schwer vorstellbar, dass das Thema Innere Sicherheit in anderen Städten oder auf dem flachen Land vergleichbar mobilisierend gewirkt hätte. Es reicht jedoch zum Verständnis des Phänomens nicht aus, die Schill-Partei als "Ein-Punkt-Partei" abzutun, wie es in den meisten Kommentaren nach der Wahl leider geschehen ist.

Doch diese Charakterisierung verdeckt mehr als sie erklärt. Auch in Hamburg wäre Schills Erfolg so nicht eingetreten, wenn hinter dem Kriminalitätsthema kein tiefer verwurzeltes Unsicherheits- oder Entfremdungsgefühl gestanden hätte. Dieses Unsicherheitsgefühl lässt sich auch an anderen Themen festmachen, wie in der Vergangenheit die Debatte um das Asylrecht 1992/1993 oder die von der CDU betriebene Kampagne gegen das neue Staatsbürgerschaftsrecht 1999 gezeigt haben. Schills Populismus ist also anschlussfähig. Auch anderswo haben rechtspopulistische Parteien ihre Themen scheinbar beliebig ausgetauscht - je nach politischer Konjunktur und Stimmungslage. So sattelten die skandinavischen Fortschrittsparteien in den achtziger Jahren vom Steuerprotest auf das Thema Einwanderung um, was ihnen an der Wahlurne neuen Zulauf bescherte. Der Opportunismus ist dem Rechtspopulismus gewissermaßen Programm. Er funktioniert allerdings nicht ohne einen ideologischen Fundus, aus dem sich die wechselnden Schwerpunkte speisen können. Um über Hamburg hinaus erfolgreich zu sein, müsste die Schill-Partei ihre programmatischen Anstrengungen gewaltig verstärken und sich einen solchen Fundus erst einmal zulegen.

Dabei mangelt es an Mobilisierungsthemen für Rechtspopulisten in Deutschland keineswegs. Auf der Liste ganz oben steht die Einwanderung, die auch für Schill - vermittelt durch das Kriminalitätsthema - eine wichtige Rolle spielt. Die SPD hat ein vehementes Interesse, das Thema aus den kommenden Wahlkämpfen herauszuhalten. Innenminister Schily wird der Union daher breiteste Zugeständnisse machen, um ihre Zustimmung zum geplanten Zuwanderungsgesetz zu erreichen. Dass sich die Unionsparteien einem solchen Kompromiss am Ende verweigern könnten, ist schwer vorstellbar. Gerade damit würden sie aber der rechten Konkurrenz ein Feld überlassen, das sich für die populistische Stimmungsmache wie kein anderes eignet.

Wenn Schill scheitert, dann an sich selbst

Das Dilemma wiegt um so schwerer, als die CDU ohnehin geschwächt ist. Bei den Wahlen in Hamburg und Berlin büßte sie nicht nur in der Mitte Stimmen ein, sondern auch innerhalb des bürgerlichen Lagers. Paradox ist, dass sich gerade daraus neue strategische Optionen ergeben könnten. Schon Franz Josef Strauss war einst auf die Idee verfallen, die strukturelle Mehrheitsfähigkeit der Union durch eine bundesweite vierte Partei zurück zu gewinnen. Eine rechtspopulistische Partei, die im bürgerlichen Lager salonfähig ist, könnte heute dieselbe Funktion erfüllen. Das rechtsextreme Stimmenpotenzial, das bei den Bürgerschaftswahlen 1993 und 1997 jeweils über 10 Prozent betrug, wurde von Schill in der Hansestadt nahezu vollständig absorbiert und stand damit für eine Regierungsmehrheit jenseits von Rot-Grün zur Verfügung. Ein ähnliches Szenario wäre demnächst auch in Sachsen-Anhalt vorstellbar, wo die DVU bei der Landtagswahl 1998 fast 13 Prozent der Stimmen erzielte.

Käme es zu einem solchen Erfolg in Sachsen-Anhalt, wäre das eine Initialzündung. Prominente Funktionsträger, ja komplette Ortsverbände aus dem bürgerlichen Lager könnten dann zu Schill überlaufen und dessen Reputation vergrößern; dies könnte der Partei auch organisatorisch helfen. Sollte Schill dagegen scheitern, wird es nicht an fehlenden politischen Gelegenheiten liegen, sondern an der Schwierigkeit, diese zu nutzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Schill-Partei mit ihrer Bundesausweitung überfordert, ist groß; allein ihre Regierungsbeteiligung in Hamburg dürfte für genug internen Konfliktstoff sorgen. Es könnte also sein, dass die Karriere des Ronald Barnabas Schill ihren Zenit schon überschritten hat. Verlassen sollte man sich aber nicht darauf.

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