Was eigentlich ist gerade das Problem?

Wenn unser Staat in der Lage sein soll, die Gesellschaft vor Terror und Gewalt zu schützen, müssen seine Akteure Mut zur Sache und zur Vernunft beweisen. Unsere Sicherheit verteidigen wir gerade nicht, indem wir kopflos das aufgeben, was Terroristen und geistigen Brandstiftern am meisten zuwider ist: unsere Freiheit

Die Angst vor dem Terror ist zurück. Die grauenhaften Anschläge von Paris, Brüssel und Nizza haben die Menschen verunsichert. Und auch die drei furchtbaren Taten von Bayern haben, so verschiedenartig sie auch waren, ihre Spuren im öffentlichen Bewusstsein hinterlassen.

Nach Würzburg, München und Ansbach wird wieder intensiv darüber diskutiert, wie der Staat sich aufstellen sollte, um auf derartige Bedrohungen wirksam reagieren zu können. Die Menschen erwarten völlig zu Recht, dass der Staat schlüssige Antworten liefert. Der Staat steht hier unmittelbar in der Pflicht: Er muss sein Möglichstes tun, um seine Bevölkerung zu schützen und Anschlägen effektiv vorzubeugen.

Kein Zweifel, dies alles verlangt eine Menge Mut, von Staat und Politik ebenso wie von der Gesellschaft insgesamt. Aber was bedeutet das in diesem Kontext genau? Es ist nicht mutig, sich vor den erstbesten Karren spannen zu lassen, mit dem die Populisten bereits wenige Augenblicke nach schlimmen Ereignissen hervorpreschen. Mut bedeutet auch nicht, sich in Schnellschüssen zu ergehen, hektisch in der politischen Altkleidersammlung zu wühlen oder den Staub von Forderungskatalogen zu pusten, die längst eingemottet waren. Mut bedeutet vielmehr, gerade in aufgeregten Zeiten einen kühlen Kopf zu bewahren und nüchtern zu analysieren, was der eigentliche Kern der jeweiligen Probleme ist. Erst dann können Lösungen entstehen, die tatsächlich weiterhelfen. Wer auf diese Analyse verzichtet, nur um schnell irgendetwas präsentieren zu können, der legt die Basis für eine ganze Kaskade an Fehlschlüssen.

Was selbstverständlich klingt, ist keineswegs in allen Köpfen angekommen. Anders ist jedenfalls kaum zu erklären, dass nun gleich mehrere politische Verantwortungsträger zu Hardliner-Forderungen greifen, die wir bereits überwunden geglaubt haben. So wurde – um nur ein Beispiel zu nennen – kurz nach dem schrecklichen Abend von München die alte Forderung aufgewärmt, das Grundgesetz zu ändern, um die Bundeswehr verstärkt im Inland einsetzen zu können. Es sollte also nicht weniger als eine Verfassungsänderung sein – und dies, obwohl bis heute niemand schlüssig erklären kann, wie die Bundeswehr die Lage in München oder anderswo besser hätte regeln sollen, als es der Polizei gelungen ist.

Was soll der Ruf nach der Bundeswehr?

Schon heute lässt das Grundgesetz einen gewissen Spielraum, mit dem die Bundeswehr innerhalb Deutschlands eingesetzt werden kann. Dies gilt etwa für Naturkatastrophen oder auch bei komplizierten Terrorlagen. In solchen Fällen können die Fähigkeiten unserer Streitkräfte durchaus wertvoll sein. Deshalb spricht im Grundsatz auch nichts gegen gemeinsame Stabsübungen. Derartige Übungen müssen allerdings gut vorbereitet sein, mit klarem Muster und klarem Ziel. Eine reine PR-Show hilft dagegen niemandem weiter. Sie schafft nur falsche Erwartungen, die niemand erfüllen kann. In München jedenfalls hat sich die Polizei zeitnah und professionell auf eine überaus heikle Lage eingestellt. Umso mehr verwundert es, dass ausgerechnet der oberste Dienstherr der bayerischen Polizei nun nach der Bundeswehr ruft – und so unweigerlich den Eindruck erweckt, die Polizei alleine wäre nicht Herr der Lage.

Die neue Aufgeregtheit im öffentlichen Diskurs lässt sich an anderer Stelle sogar noch deutlicher beobachten, etwa bei der Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft. Die Erkenntnis, dass Integration durch die doppelte Staatsbürgerschaft gefördert und nicht behindert wird, schien sich eigentlich durchgesetzt zu haben. Zumindest schrieben CDU/CSU und SPD diese sozialdemokratische Position vor drei Jahren im gemeinsamen Koalitionsvertrag fest. Auf dieser Grundlage wurde ein großer Teil der alten Hürden abgebaut; die schwarz-rote Vereinbarung half vielen Menschen weiter.

Wenn die Innenminister der Union jetzt plötzlich zur Kehrtwende ansetzen und die doppelte Staatsbürgerschaft wieder abschaffen wollen, dann mag man das bewerten, wie man will. Allerdings: Die Tatsache, dass diese Forderung in einem sicherheitspolitischen Papier auftaucht, ist in hohem Maße verantwortungslos. Menschen mit Doppelpass in einen Zusammenhang mit der aktuellen Bedrohungslage zu stellen, heißt schlicht, sie zu verunglimpfen. Tatsache ist: Ein großer Teil der betroffenen Menschen ist von Geburt oder von Kindesbeinen an in Deutschland aufgewachsen. Die meisten von ihnen sind voll integriert, nicht zuletzt auch wegen des Doppelpasses. Ihnen nun den Stempel des potenziellen Sicherheitsrisikos aufzudrücken, ob nun implizit oder explizit, ist geradezu infam. Dabei sollte niemand glauben, aus solchen Konstruktionen politisches Kapital schlagen zu können. Denn wer auf diese Weise Fremdenfeindlichkeit schürt, der gibt den Populisten genau das Futter, das sie erst groß gemacht hat.

Auf die Polizei kommt es weiterhin an

Auch das hat die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern gezeigt: Die Vorstellung, die Hardliner auf der Hardliner-Spur überholen zu können, ist falsch. Da helfen kein noch so hohes Tempo und auch keine noch so markigen Sprüche – auf der Ziellinie werden immer die Populisten warten, ganz nach dem Motto: „Wir sind schon da!“

Es bleibt eben dabei: Angst ist ein schlechter Ratgeber, wenn es darum geht, Probleme zu lösen. Die zukünftige Diskussion sollte deshalb stärker von dem Mut zur Sache und zur Vernunft geprägt sein. Wer die Sachlage vernünftig beurteilen und seriöse Schlussfolgerungen ziehen will, benötigt zunächst einen differenzierten Blick auf das, was eigentlich geschehen ist. Denn so erschütternd die Taten waren, die sich auch in Deutschland abgespielt haben, so unterschiedlich waren auch die Motive der Täter. Nehmen wir den Fall München: Wir wissen inzwischen, dass der Amoklauf mitnichten einen islamistischen Hintergrund hatte, entgegen der aufgeregten Unkenrufe und Spekulationen, die bereits kurz nach der Tat zu vernehmen waren. Wie wichtig dagegen Besonnenheit ist, das hat die Münchner Polizei am Abend des 22. Juli gezeigt: Sie hat bei diesem komplexen Einsatz mit hoher Professionalität gehandelt, sowohl operativ als auch kommunikativ.

Die Polizei ist und bleibt deshalb auch künftig der Schlüssel, um Lagen der inneren Sicherheit zu bewältigen. Aus gutem Grund ist es schließlich genau diese Institution, die wir in Deutschland seit Jahrzehnten dafür ausbilden. Klar ist aber auch, dass die Polizei für ihre Aufgaben vernünftig ausgestattet sein muss, personell wie finanziell. Polizeiarbeit muss immer wieder innovativ ausgerichtet werden, denn nur so können wir Licht in dunkle Ecken bringen – etwa in das Darknet, wo sich der Amokläufer von München seine Tatwaffe beschafft hatte.

In den kommenden Jahren muss deshalb spürbar in die Polizei investiert werden, von der Ausbildung bis hin zur technischen Ausstattung. Vor allem aber muss Schluss sein mit dem neoliberalen Sparkurs, der über Jahre betrieben wurde. Auch Schein- oder Billiglösungen wie die so genannten Hilfspolizisten können solche Lücken nicht schließen. Im Grunde ist es unverantwortlich, Menschen in Crashkursen für derart zentrale

Aufgaben auszubilden und dann womöglich noch mit Waffen loszuschicken. Es führt kein Weg daran vorbei: Nur ein starker Staat ist für die künftigen Anforderungen gewappnet, ein abgemagerter Staat wird dagegen immer wieder an seine Grenzen stoßen.

Grenzen müssen wir auch an anderer Stelle überwinden, etwa bei der internationalen Zusammenarbeit. Wir müssen hier dringend aufholen, allerdings nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Besonders deutlich wird dies etwa bei der Sicherung der Außengrenzen – eine Aufgabe, die heute mehr schlecht als recht funktioniert, auch weil die zuständigen Stellen viel zu dünn besetzt sind. Dies ist umso fataler, weil gesicherte Außengrenzen im Grunde untrennbar mit dem Gedanken von Schengen verbunden sind.

Starker Staat, starke Gesellschaft

Europa ist aber nicht das Problem. Europa kann die Lösung sein, wenn alle dazu beitragen, dass es funktioniert. Wenn wir die EU-Grenzen nach außen wirksam schützen, erübrigen sich die Fragen nach mehr innereuropäischer Grenzsicherung. Ein Schutz nach außen bedeutet dabei mitnichten, dass sich Europa abschotten sollte. Europa muss aber wissen, wer sich innerhalb seiner Grenzen aufhält. Nur so können wir im nächsten Schritt geordnete Verfahren gewährleisten, von der Registrierung über die Zuordnung bis hin zur Integration von Flüchtlingen.

Auch an anderer Stelle kommt mehr Zusammenarbeit allen EU-Staaten zugute, zum Beispiel bei der Terrorabwehr. Die heutigen Bedrohungslagen haben längst eine internationale Dimension erreicht. Dies ist bekannt und steht außer Frage, was aber nicht zu dem Irrglauben führen darf, man könne sich in einer globalisierten Welt einfach abschotten. Die Probleme lassen sich nicht aussperren, indem man der EU die nationalstaatliche Tür vor der Nase zuschlägt. Im Gegenteil: Je globaler die Bedrohungen, desto internationaler müssen unsere Sicherheitsbehörden handeln können.

Wichtige Schritte haben wir bereits eingeleitet. Ein gutes Beispiel ist das Europäische Zentrum für Terrorismusbekämpfung, das derzeit bei Europol aufgebaut wird. Dieser Weg muss konsequent weitergegangen und weiterentwickelt werden. Denn es ist im gegenseitigen Interesse aller Partner, Informationen und Knowhow zwischen den europäischen Sicherheitsbehörden verlässlich und effektiv auszutauschen. Auch die operative Zusammenarbeit zwischen den Polizei- und Justizbehörden der EU-Mitgliedsstaaten sollte unbedingt gestärkt werden.

Ohne Frage: Es handelt sich dabei um große Aufgaben. Und als Europäer wissen wir, dass für Vorhaben dieser Kragenweite ein langer Atem vonnöten ist. Dies führt zu einem weiteren Dilemma, denn angesichts der Bedrohungen müssen wir zügig vorankommen, um die Bevölkerung wirksam zu schützen. Zwar wird es wohl kaum von heute auf morgen ein europäisches FBI geben, auch wenn dies langfristig erstrebenswert wäre. Umso mehr gilt es, Möglichkeiten auszuloten, wie wir mit kleineren Schritten vorankommen können. Einzelne Staaten könnten dabei vorangehen, zum Beispiel indem sie sich im Rahmen einer europäischen Sicherheitskonferenz austauschen.

Doch wie auch immer der weitere Weg verlaufen wird, eines sollte stets beherzigt werden: Wir müssen im ersten Schritt denken und erst danach reden und handeln. Wir kommen nicht weiter, wenn wir hyperventilieren und uns aufgrund von äußerem Druck dazu verleiten lassen, unsere Freiheit gegen die Sicherheit auszuspielen. Dieser Merksatz gilt für Berlin, aber er gilt auch für Brüssel und für alle anderen Hauptstädte auf dem Kontinent.

Unsere Sicherheit verteidigen wir nicht, indem wir das aufgeben, was den Terroristen und den geistigen Brandstiftern zuwider ist. Wir sollten deshalb auf allen Ebenen für das eintreten, was uns wichtig ist: einen starken Staat, der seine Bevölkerung mit funktionierenden Sicherheitsbehörden schützt, und eine starke Gesellschaft, die sich durch Freiheit, Zusammenhalt und Mitmenschlichkeit auszeichnet.

zurück zur Ausgabe