Was die SPD von Obama lernen kann

In strategischer und professioneller Hinsicht hat die Wiederwahlkampagne des amerikanischen Präsidenten neue Maßstäbe gesetzt. Unter weitaus schwierigeren Bedingungen als vor vier Jahren hielt Barack Obama seinen Herausforderer klar auf Distanz. Der Schlüssel hierfür war herausragende Mobilisierungsfähigkeit an den gesellschaftlichen Graswurzeln. »Bring the ground level back in«, lautet der Schluss, den deutsche Wahlkämpfer aus Obamas Wahlsieg ziehen müssen

Die Analyse amerikanischer Wahlkampagnen für die Wahlkämpfer der deutschen Sozialdemokratie erinnert immer ein wenig an den Film „Asterix der Gallier“, in dem die Römer verzweifelt versuchen, den vom Druiden Miraculix gebrauten Zaubertrank in die Hände zu bekommen. War es das Internet, das den Sieg bescherte? War es die neue Form der Kommunikation über Social Media? Obamas Rhetorik? Die Graswurzel-Mobilisierung? Ausgefeilte Umfrageanalysen? Oder einfach ein blasser Gegenkandidat einer zunehmend radikalen Republikanischen Partei?

Den Rat, angesichts anderer Verhältnisse denselben Zaubertrank zu mischen, wird dieser Beitrag nicht geben. Bereits der niedrige Institutionalisierungsgrad der Parteien, die finanziellen Rahmenbedingungen und die starke ideologische Polarisierung in den Vereinigten Staaten machen einen Vergleich unmöglich. Die Inszenierung der Auseinandersetzung, absurde Unterstellungen, das ausgeprägte Negativ-Campaigning, der moralische Pathos – der deutsche Durchschnittswähler würde sich bei alledem eher die Augen reiben und den Fernsehsender wechseln.

Noch beeindruckender als 2008

Dennoch gibt es drei Phänomene, denen deutsche Wahlkämpfer mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 ihre Aufmerksamkeit schenken sollten, denn das Resultat der Obama-Kampagne 2012 ist aus strategischer Sicht durchaus beeindruckender als der historische Wahlsieg von 2008. Als Präsident hat Obama seinen einstigen Status als Underdog längst verloren; das pathetische Versprechen eines grundlegenden Politikwandels ist den Mühen tagespolitischer Herausforderungen gewichen, in denen das eigensinnige und zudem von den Republikanern dominierte Repräsentantenhaus dem Regierungschef das Leben schwer macht. Die Bilanz des Präsidenten – vor allem auf dem Feld der Wirtschaftspolitik – ist umstritten. Viele Amerikaner haben heute nicht das Gefühl, es gehe ihnen besser als vor vier Jahren. Die Umfragen vor der Wahl sahen den Herausforderer Mitt Romney auf Augenhöhe mit dem Präsidenten.

Und dennoch: Als die Wahlnacht zu Ende ging, hatte sich Obama in allen wichtigen Swing States durchgesetzt und verteidigte bis auf die beiden republikanischen Hochburgen North Carolina und Indiana sämtliche Bundesstaaten, die er 2008 gewonnen hatte. Die Wahlkampagne 2012 setzt Maßstäbe in ihrer Professionalität. Sie ist jedoch auch ein Beleg dafür, dass geringe Bereitschaft zum politischen Engagement und niedrige Wahlbeteiligung in modernen westlichen Demokratien keine Zwangsläufigkeit sein müssen. Obamas Wahlkampf hat gezeigt, dass erstens die Inszenierung von Politik als mediale Angelegenheit ihre Grenzen hat; dass zweitens eine hohe Wählermobilisierung nur dann funktioniert, wenn auf der lokalen Ebene vitale Strukturen existieren; und dass drittens die Ansprache politischer Zielgruppen in einer individualisierten Gesellschaft besonders sensibel auf die Bedürfnisse dieser Gruppen abgestimmt sein muss.

Keine Frage: Für das Image eines Kandidaten und einer Partei ist der Wahlkampf über die Medien weiterhin bestimmend. Von der massiven Negativ-Kampagne der Demokraten im Sommer hat sich Mitt Romney nie erholen können; die erste Fernsehdebatte hat Obama um seinen sicheren Vorsprung gebracht; und das Krisenmanagement nach dem Hurrikan „Sandy“ dürfte Obama in der letzten Woche vor der Wahl geholfen haben. Auf lange Sicht ist der mediale politische Wettbewerb allerdings ein Nullsummenspiel. Die Sympathien von Medien oder Publikum werden allenfalls kurzfristig verteilt. Hinter jeder Ecke lauert ein Skandal, und am Ende jeder Wahlkampagne fühlen sich allein die Zyniker in der politischen Talkshow-Welt noch wohl. Im allabendlichen Nachrichtenrauschen gehen politische Aussagen bald verloren, die Deutungshoheit über die eigene Politik wird aus der Partei an Medien delegiert, die aufgrund des technischen Fortschrittes immer hektischer und oberflächlicher agieren. Deshalb dringen über das Fernsehen kommunizierte politische Botschaften entweder sowieso nicht durch – oder die Zuschauer nehmen sie etwa so ernst wie Eröffnungstermine von Berliner Flughäfen. Und da solche medienvermittelten Botschaften zudem einseitig aus der politischen Sphäre auf die Wähler niederprasseln, passen sie im Grunde nicht zu der Erwartungshaltung einer aufgeklärten und emanzipierten Bürgerschaft, auf deren aktive Beteiligung demokratische Politik ja gerade angewiesen ist.

Mit dem Trend zur Mediatisierung von Politik geht ein schleichender Glaubwürdigkeitsverlust der politischen Akteure einher, was wiederum zu einem Glaubwürdigkeitsproblem der demokratischen Politik insgesamt führt. Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland wird der Aufstieg des Fernsehens als politisches Leitmedium begleitet von zunehmendem Rückzug der Bürger aus dem politischen System, zurückgehendem Engagement und sinkender Wahlbeteiligung. Dies hat nicht zuletzt die SPD zu spüren bekommen.

Auch die deutschen Sozialdemokraten haben ihre Anhängerschaft mehr und mehr zu passiven Zuschauern des Medienzirkus degradiert, Politik und Kampagnen in die Büros von Umfrageforschern und Kommunikationsexperten auslagert – und auf diese Weise einen Kommunikationskanal in die Bürgerschaft teilweise aufgegeben. Die Entwicklung der Partei erlaubt Zweifel am Erfolg dieser Strategie: Die erhebliche Differenz zwischen der generellen Sympathie für die SPD und der Wahlentscheidung für die Partei bei der Bundestagswahl 2009 war genauso eklatant wie schmerzhaft. Vor allem jüngere Menschen teilen zwar die Werte der Sozialdemokratie, doch gleichzeitig empfinden sie den Politikstil der SPD häufig als angestaubt, ihre Organisationsstruktur und -kultur als überholt. Viele, die sich für das demokratische Gemeinwesen engagieren wollen, wenden sich deshalb inzwischen weniger hierarchischen, flexibleren und innovativeren Organisationen zu wie den Umwelt- oder Menschenrechtsbewegungen, oder – in jüngster Zeit – den Piraten.

Die Wähler wollen überzeugt werden

Vor diesem Hintergrund hat sich die von Beginn an praktizierte Strategie Obamas, einen zweiten Kommunikationskanal zu den Wählern zu eröffnen, als ebenso plausibel wie erfolgreich erwiesen. „Bring the ground level back in!“ – so lautet die zentrale Erkenntnis Obamas, die er während seiner Zeit als community organizer in Chicago gewonnen hat. Sie beruht auf der Annahme, dass Wähler nicht nur informiert, sondern in erster Linie überzeugt werden wollen, dass postalische und elektronische Wahlwerbung einen verschwindenden Einfluss auf die Wahlentscheidung hat, während persönliche Gespräche den größten Einfluss auf die Meinungsbildung ausüben. Für linke Parteien, deren organisatorische Kraft über viele Jahrzehnte auf die enge Verzahnung ihrer Mitglieder mit verschiedenen Teilen der Gesellschaft fußte und deren Kampagnenfähigkeit ganz wesentlich auf dem Engagement aktiver Mitglieder vor Ort, in den Betrieben, Universitäten und Nachbarschaften gründete, sollte diese Erkenntnis eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

Es bleibt dabei: »All politics is local«

Die Einsicht, dass die Bürger jede Politik in ihrem unmittelbaren Alltag und ihren täglichen Begegnungen wahrnehmen, steht am Beginn eines tiefergehenden Verständnisses der Obama-Kampagne. Oder in den legendären Worten des amerikanischen Politikers Tip O’Neill: „All politics is local.“ Deshalb muss Politik genau dort anfangen und die Fähigkeiten der Unterstützer vor Ort als politische Variable ernst nehmen. Die Wichtigkeit lokaler Kampagnenstrukturen muss sich dabei in der Ressourcenverteilung der Wahlkampagne widerspiegeln – sowohl strukturell und finanziell als auch ideell. Dies hat die Obama-Kampagne intensiv berücksichtigt. So wurde die Binnenkommunikation als ein eigenständiger Organisationsstrang innerhalb der Kampagne etabliert. Eine zeitgemäße Nutzung des Internets und sozialer Netzwerke sind auch dafür wichtige Voraussetzungen.

Doch letztlich bietet Technologie immer nur die Plattform für erfolgreiche Kommunikation, gewonnen wird ein Wahlkampf mit starker Organisation und einer starken Botschaft. Deshalb wandte Obamas Kampagne erhebliche Mittel auf, um Büros anzumieten, Aktivisten zu schulen und die Strukturen mit Hilfe hauptamtlicher Kräfte zu verstärken. Stetiges Engagement entsteht nur, wenn dem ehrenamtlichen Engagement eine professionelle Struktur auf lokaler Ebene zur Seite steht, die die Angebote und Bedürfnisse der Aktiven kanalisiert und permanente Verantwortlichkeiten institutionalisiert.

„They join because of the candidate, they stay because of the staff”, lautete ein Organisationsprinzip der Obama-Kampagne. Ehrenamtliche Helfer zu rekrutieren reicht nicht, sie müssen sinnvolle Aufgaben übernehmen können, die zu ihren Fähigkeiten passen. Eine aufmerksame und empathische Organisationsführung auf lokaler Ebene ist deshalb ebenso wichtig wie authentisch gelebte Werte. Jede Vorstellungsrunde (und auch viele Reden Obamas folgen diesem Muster) begann mit dem Erzählen der eigenen Geschichte und der Motivation für das Engagement, dem Bewusstsein für die gemeinsame Geschichte und der aktuellen Herausforderung der Bewegung. Jeder Freiwillige war, so der Leitgedanke, Teil einer Bewegung, die auf den individuellen Erfahrungen und der Motivation jedes Einzelnen fußte. Obama wurde dabei als Sprecher der Bewegung inszeniert, die nur durch aktives gemeinsames Engagement und gegenseitige Solidarität ihre Ziele erreichen kann – auch dies ist ein Rückgriff auf die politische Kultur der Arbeiterbewegung. Konsequent setzte sich dieses Muster auch in Obamas Siegesrede am Wahlabend fort: „Mit euren Geschichten und euren Kämpfen kehre ich gestärkt ins Weiße Haus zurück und bin noch motivierter als bisher für die Arbeit, die anliegt, und unsere Zukunft. Heute habt ihr Tatkraft gewählt, nicht Politik nach altem Schema. Ihr habt uns gewählt, damit wir uns um eure Jobs kümmern, nicht um unsere eigenen.“

Partizipation und Motivation

Der Ehrgeiz der Freiwilligen wurde angetrieben von einem neuen Bewusstsein eigener Möglichkeiten und eigenen Könnens, das der Desillusion des modernen Politikbetriebes gegenüberstand. „Unsere Zukunft wird durch uns bestimmt“, lautete ein Obama-Slogan, wenn auch – zugegebenermaßen – im Hintergrund der mächtige organisatorische Apparat und die zentralisierten Kommunikationsstrategien durchschimmerten. Richtig ist nämlich auch, dass die Grenze zwischen dem politischen Establishment und dem ground level nur scheinbar verschwamm. Die Binnenkommunikation wurde straff hierarchisch aufgebaut, Botschaften und Kampagnentaktiken zentral vorgegeben. Ein diskursiver Bottom-up-Prozess und kritische Reflexion politischer Inhalte waren kaum vorgesehen. Dem Engagement der Freiwilligen stand ein Angebot zur Partizipation gegenüber, dessen Grenzen ziemlich eng und top-down vorgegeben waren. So blieb die Teilhabe an der Meinungsbildung eine Illusion. Dafür gaben die Campaigner vor Ort intensive Feedbacks zur Resonanz der Kampagne und waren damit sensible Seismografen für Optimierungspotenziale.

Welche Erfolge konnte diese Kampagne, die ganz wesentlich auf die professionelle Organisation und die permanente Motivation der ehrenamtlichen Aktivisten abzielte, letztlich vorweisen? Sie sind in der Tat enorm. Politische Beobachter und Wahlkampfstrategen sind sich einig, dass angesichts einer Patt-Situation in den meisten Umfragen die organisatorische Überlegenheit der Obama-Kampagne den wesentlichen Ausschlag für Obamas Sieg gab. Der Schlüssel zum Sieg war demnach die bessere organisatorische Fähigkeit, die eigenen Anhänger über den Zustand der passiven Zustimmung hinaus zum aktiven Wählen zu bewegen. Kern der „Get out the vote“-Kampagne Obamas waren hunderttausende Freiwillige, die in den Tagen vor der Wahl an die Haustüren der potenziellen Obama-Wähler klopften und deren Telefonnummern wählten. Die aus den jeweiligen Vierteln und Nachbarschaften rekrutierten Freiwilligen, die mit den Wählern oftmals persönlich bekannt waren, erwiesen sich dabei im Vergleich zu den bezahlten „Freiwilligen“ der Romney-Kampagne als deutlich effektiver.

Im Ergebnis hat Obama nicht nur die milliardenschweren Spender der Republikaner, die mittels so genannter Super PACs praktisch unbegrenzt Geld in den Wahlkampf pumpen konnten, in die Schranken gewiesen. Der Wahlsieg gelang vor allem dadurch, dass die Wählerschaft aufgrund der starken Mobilisierung junger Wähler und vor allem der afroamerikanischen und hispanischen Minderheit signifikant erweitert wurde. So waren in Ohio im Jahr 2008 rund 11 Prozent der Wähler afro-amerikanisch, im Jahr 2012 waren es 15 Prozent – bei einem Vorsprung Obamas von gerade einmal 2 Prozent.

Die Schlagkraft der freiwilligen Campaigner wurde dabei durch ein professionelles Mikrotargeting-System ergänzt, das die Genauigkeit der Wähleransprache maximiert. In Zeiten knapper Ressourcen und einer immer individueller werdenden Gesellschaft sind für verschiedene Wähler ganz unterschiedliche Themen relevant. Daher ist eine zielgenaue Ansprache der Wähler entscheidend. Das bedeutet nicht, dass man jedem erzählt, was er hören will, sondern dass die Werte und Ziele der Kampagne auf die verschiedenen Lebenswirklichkeiten der Menschen heruntergebrochen werden. In diesem Sinne gehört es genauso zum strategischen Handwerk, Makrotrends zu erkennen, wie die daraus resultierenden Botschaften in identifizierte Mikrotrends einzubetten. Das grundsätzliche Versprechen Obamas, größere Chancengleichheit in der amerikanischen Gesellschaft zu schaffen, wurde deshalb für den Autofabrikarbeiter in Ohio anders übersetzt als für den von Studiengebühren geplagten College-Absolventen oder für die alleinerziehende Mutter, die sich keine Krankenversicherung leisten kann.

Die Schwierigkeit dieses Vorgehens liegt in einer möglichst genauen Identifikation von Zielgruppen und in der Einordnung möglichst jedes Wählers in eine Gruppe. Die Kampagne soll weder die Anhänger des Mitbewerbers mobilisieren, noch Informationen und Argumente liefern, die bei den Adressaten nicht gewünscht sind. Argumente, die ihre Interessen nicht berühren, sind verschenkte Zeit, Informationen für Wähler, die seit Jahr und Tag eine andere Partei wählen, verschwendetes Geld. Ein Wahlkampfflyer, der möglichst alle gleich ansprechen soll, wirkt inhaltsleer und oberflächlich, die Originalität von Plakatslogans ist vergleichbar mit dem Unterhaltungswert ablaufenden Badewassers. Wahlwerbung, die eine signifikante Relevanz für die Wahlentscheidung der Wähler haben soll, muss zur Orientierung des jeweiligen Ansprechpartners im politischen Raum passen. Da zunehmend selbstbewusste Bürger ein Bedürfnis nach der Sendung eines Feedbacks haben, sind dialogoffene Formen klassischen Mailings überlegen – auch hier erweist sich das traditionelle Türklopfen eines Aktivisten aus der Nachbarschaft am erfolgreichsten.

In den USA ist das Mikrotargeting seit Anfang des Jahrtausends perfektioniert worden. Gewann George W. Bush die Wahl 2004 noch, weil er ein straßengenaues Targeting nutzen konnte, hatte die Obama-Kampagne von 2012 bereits hunderte von Informationen über jeden einzelnen Haushalt. Dies ist in europäischen Ländern kaum möglich und verursacht nicht nur bei Datenschützern berechtigtes Stirnrunzeln, fließen doch Wählerregistrierungsdaten genauso ein wie das aktuelle Kreditrating oder das Familieneinkommen. Und: Die Entwicklung präziser Algorithmen und die notwendigen Daten verschlingen Millionen.

Erste Erfahrungen der Partij van de Arbeid (PvdA) in den Niederlanden zeigen jedoch, dass auch eine abgespeckte Version des Mirkotargetings durchaus erfolgreich ist. Entscheidend ist, dass die Erfahrungen der Aktivisten vor Ort systematisiert und für kommende Wahlen archiviert werden können: Wenn mich ein konservativer CDU-Wähler schon vor vier Jahren vom Hof jagte, warum soll ich da beim nächsten Mal wieder hin? Wenn jemand vor vier Jahren die SPD unterstützen wollte, warum klingele ich nicht bei ihm und frage, ob er schon gewählt hat? Wenn sich eine Wählerin für das Thema Bildung interessiert – warum lade ich sie dann nicht zu einem regionalen Kongress ein?

Warum die SPD umdenken muss

Das ground game der Obama-Kampagne kann sicherlich nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen werden, und manche Elemente werfen aus demokratietheoretischer Sicht eher Fragen auf, als dass sie Antworten auf Herausforderungen der SPD bieten. Dennoch sollte die SPD im Wahlkampf 2013 nicht einfach zum business as usual übergehen. Die Fähigkeit der Sozialdemokraten, potenzielle Anhänger zu mobilisieren, war in den vergangenen Wahlkämpfen mäßig, Wahlerfolge sind eher auf die Schwächen der Mitbewerber oder die Stärke einzelner Personen zurückzuführen als auf den Erfolg einer kohärenten Wahlkampfstrategie. Die Partei ist nicht flächendeckend kampagnenfähig. Viele Ortsvereine leiden unter schleichender Entpolitisierung und einem anachronistischen Wahlkampfverständnis. Sie beglücken vielleicht die Kugelschreiberjäger auf dem Wochenmarkt und die Luftballonsammler in der Einkaufspassage, eröffnen aber keine neuen Räume für den Dialog mit den Bürgern. Immer weniger Menschen der jüngeren Generationen finden ihren Weg in die Partei – und wenn sie ihn finden, gibt es oft kein adäquates Angebot zum Engagement. Eine Ausweitung der eigenen Wählerschaft auf neue gesellschaftliche Gruppen ist seit 1998 nicht mehr gelungen.

Neues Leben in ermüdete Strukturen

Es kann nicht darum gehen, die vielen dauerhaft institutionalisierten Ortsvereine, die der Startpunkt innerparteilicher Demokratie sind, in erfüllungswillige und hierarchisch organisierte Kampagnenbüros zu verwandeln. Das kontinuierliche und institutionalisierte Bottom-up-Engagement innerhalb der SPD ist ein echter Mehrwert im Vergleich zur Demokratischen Partei in den USA. Die Obama-Kampagne zeigt ja gerade, dass auch in unserer mediatisierten politischen Welt lokale Strukturen in Wahlkampfzeiten alles andere als überflüssig sind, sondern einen wirklichen strategischen Vorteil bieten. Die stärkere Beteiligung der Menschen an politischen Prozessen, das Empowerment von Nichtwählern und die Mobilisierung der eigenen Anhänger – das alles kann nicht über die Medien, sondern nur durch aktive lokale Strukturen gelingen. Gleichzeitig bieten Kampagnen, in denen das ground level eine echte Rolle spielt, ein Partizipationsangebot für Menschen, die sich eher kurzfristig und pragmatisch für die SPD engagieren und jenseits der wichtigen Gremienarbeit aktiv sein wollen. Es muss daher darum gehen, die Graswurzelstrategie der Obama-Kampagne mit dem Anspruch einer lebendigen und demokratisch organisierten Partei zu verbinden.

Es wird Zeit, den ermüdeten Strukturen an der Basis neues Leben einzuhauchen, sie nicht als Stiefkind eines mediatisierten Wahlkampfes, sondern als zentralen Bestandteil einer erfolgreichen Wahlkampagne zu begreifen und sie zu diesem Zweck angemessen auszustatten. Barack Obama hat gezeigt, dass Politik dazu in der Lage ist, Menschen aus ihren Komfortzonen heraus und in den politischen Raum zu holen, sie zu aktivieren und gemeinsam mit ihnen politischen Fortschritt zu ermöglichen. Die SPD sollte die Herausforderung annehmen, eine effektive Kampagnen-Bewegung mit einem demokratisch organisierten Bottom-up-Prozess in Einklang zu bringen.

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