War gewesen

Wie Otterndorf und Osterrauderfehn, Norderney und Osnabrück der Kanzlerin einen dicken Strich durch die Rechnung machten

Fahl kommt der Wahlabend über Berlin. Niedersachsen ist rum. Berlin freut sich auf den Fasching in der Ständigen Vertretung, die ja bekanntlich früher auch in der Hannoverschen Straße lag. Aber dieses Wissen ist heute nur noch was für Genießer, von denen es leider immer weniger in diesem Preußendorf gibt.

Heute verbringt in der alten, der echten STäV die liebe Annette Schavan ihre letzten Tage vor dem Umzug oder dem Amtsverzicht – was in jedem der beiden Fälle dem normalen Berliner voll am Arsch vorbei geht.

Wie auch die an sich genommen schon skurrile Äußerung besagter Dame, sie müsse „der deutschen Wissenschaft wegen“ erneut für den Bundestag kandidieren. Auch wenn wir dieses politische wie persönliche Opfer nicht hoch genug schätzen dürfen: Annette erinnert immer irgendwie an Birgit Homburger, von der ihr Kollege Koppelin gesagt haben soll, sie sei so unsichtbar in der Politik, dass sie alle paar Jahre wieder als neue Kraft für den Bundesvorstand kandidieren könne.

Doch wir schweifen ab. Fahl also war der Wahlabend über Berlin gekommen. Joachim hatte müde zum ZDF geblickt, sich Gedanken über Patt und Puts und Patterchon gemacht und war dann erneut in seinen Tabellen versunken. Auch heute würde die gemeinsame Wohnung am Kupfergraben wieder leer stehen. Er hatte seine Pritsche im Institut und sie schlief auf dem Sofa beim Pofalla, der seit Monaten nicht mehr in seinem Büro gesichtet worden war.

Leise graunzelte sie verstimmt vor sich hin. Beate brachte einen Früchtetee und Eva die neuesten Zahlen aus Otterndorf und Osterrauderfehn. Vor ihr lag das seit Wochen vom Planungsstab ausformulierte Schreiben an den Vizekanzler. So schöne, geschliffene, so freundschaftliche Worte hatte die zuständige Abteilung gefunden: hoher Respekt, glanzvolle Leistung, enge Kooperation zum Wohle

der Republik. Jetzt war alles für die Tonne. Norderney und Osnabrück hatten ihr einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Sie rechnete: Noch x Tage bis zur Bundestagswahl. x minus (Wochen mit Kabinett mal Koalitionsrunden minus Reisen) = viel zu viel Rösler unterm Strich.

Sie rief Joachim an, um das Ergebnis abzugleichen. Er ging nicht ran. Lilagrün kratzte ihr Stift über das Briefpapier. Beate brachte einen Früchtetee. Diesmal hatte sie weniger Rum beigetan als üblich. Ein Zeichen, dass es wohl schon später war. Beate hatte daheim eine Katze zu versorgen.

Schwer wie Blei flossen ihr die Worte aus der Feder: „Lieber Kollege Rösler!“ Das angeblich vertrauliche „Du“ hatte sie ihm nie angeboten. Er behauptete es zwar, aber sie ließ ihn ob seines moribunden politischen Zustandes gern gewähren. „Lieber Kollege Rösler! Ich gratuliere Ihnen sehr zu Ihrem Ergebnis von über vier Prozent in Niedersachsen.“

Eva brachte die neuesten Zahlen. Auch Emden und Leer waren gefallen. Sie brauchte einen Schnaps. Beate brachte Früchtetee. Was hatte sie nicht alles getan, um diesen Kampf zu gewinnen, diese Niederlage abzuwenden. Persönlich war sie in den Norden gereist. Hatte sich in Haselünne und Meppen auf dem Marktplatz positioniert im eigenen Ungefähren, hatte den MacWieauchimmer auf einen Bauernhof und sogar zu einer Versammlung begleitet.

Dass alles nichts geholfen hatte, versetzte ihr einen Stich oberhalb ihres normalen Empfindungsvermögens. Sie erinnerte sich an einen Spruch ihres Hausarztes: „Wenn du noch so viel chirurgst, es kommt der Tag, da du vermurkst.“ Fast hätte sich eine Träne von Selbstmitleid angekündigt.

„Lieber Kollege Rösler! Ich gratuliere Ihnen sehr zu Ihrem Ergebnis von über vier Prozent. Das ist ja sehr schön. Auch für Berlin.“

Eva kam nicht mehr. Beate hatte den Fahrer zur Katze geschickt. Wo war nur die Rumflasche geblieben, die der Präsident von Guatemala ihr jüngst überreicht hatte? Joachim rief nicht zurück.

Fahl war der Abend über Berlin gewesen. Warum lag das Kanzleramt ausgerechnet an der Willy-Brandt-Straße? Alte Wunden brachen in der Regierungschefin auf. Beates Katze hatte sich über Karsais Teppichfransen hergemacht. Wahrscheinlich gab es auch Brake nicht mehr. Alternativloses Patt. „Lieber Kollege Rösler! Ich gratuliere. Mehr als vier Prozent. Auch in Berlin. Auch in Deutschland.“

Eva verabschiedete sich. Beate meldete das Sofa bei Pofalla bereit. Peer ade. Rösler jausa. Sie fand den Rum aus Guatemala. Fahl kam der Montag über Berlin. Joachim rief nicht an. Auf dem Sofa von Pofalla schlief Altmaier. Alles würde gut.

zurück zur Person