"Stoiber ist blabla, Schröder ist bla"

Ein Abend unter den Menschen der Neuen Mitte

Alle wollen ganz dringend die Neue Mitte begreifen. Die Profis trommeln Fokusgruppen zusammen und geben teure Umfragen in Auftrag. Sie sollten uns fragen, wir wissen genau, wie die Neue Mitte tickt.

Lange gibt es sie noch gar nicht, erst seit zwei Jahren ungefähr. Aber sie hat den Charme der späten Sechziger. An einigen Ecken ist sie modernisiert. Sie ist sauber. Aber es sind manchmal wenig Menschen da. Es gibt ein linkes und ein rechtes Lager, und zwischen beiden moderiert der Chef. Die Neue Mitte hat einen Sparverein, und man schaut gemeinsam Fußball. So weit, so unspektakulär.

Es ist kurz vor neun an einem Freitag abend, als wir Die neue Mitte in der Kurfürstenstraße betreten. Nach der Berliner Bezirksreform gehört die Neue-Mitte-Straßenseite tatsächlich zum Bezirk Tiergarten-Mitte , die gegenüber liegende zu Schöneberg. Als Rainer Fiebitz das Lokal übernahm, suchte er nach einem Namen. "Alles sprach von Neuer Mitte und wollte da hin", sagt er. Damit war die Sache geklärt.

An der Theke steht Messer-Dieter, älteres Semester, spricht nicht viel. Er steht schon länger hier. "Die Hauptzeit ist am Nachmittag, nach Feierabend. Viele kommen auch schon um 11 Uhr, wenn wir öffnen", erklärt Wirt Rainer. "Der Laden läuft aber am Besten, nach dem 1. und dem 15., also wenn es Geld gab. Viele der Gäste haben noch nicht den Dreh raus, mit dem Euro umzugehen." Messer-Dieter empfiehlt das billige Bier (0,3 Liter Weidmann Pils zu 1,50 Euro). Es ist solide gezapft, hat eine feste Krone und schmeckt. Messer-Dieter hat seinen Arbeitsplatz in der Textilbranche verloren. Nun zieht er von Gaststätte zu Gaststätte und schleift Messer. Freundlich, aber wankend ("Is jetz Zeit für mich") verabschiedet er sich kurz nach neun Uhr.

Man kennt sich, in der neuen Mitte. Sparverein, Würfelbecher, Grillabende auf der Straße oder richtige Feiern wie Sylvester schaffen Zusammenhalt. Es gibt BVG-Rainer, der so heißt, damit er nicht mit dem Wirt verwechselt wird und BVG-Johnny, der immer in Cowboystiefeln und Westernhut kommt. Es gibt Ecki, der immer an der gleichen Ecke steht, Horstele, der so genannt wird, weil Schulmeister-Horst nicht so toll klang, und Yugo-Micha, einen Jugoslawen, der eigentlich ganz nett sei, aber nach fünf Bier zuweilen etwas aufdringlich.

"Der Ali von nebenan, das ist was anderes"

Das mit den Ausländern sein schon ein Problem in der Gegend, sagt Rainer, der Wirt: "Bei 90 Prozent Ausländeranteil müsste da drüben mal vernünftig saniert werden", meint er und weist auf die andere Straßenseite, nach schöneberg. "Wir kennen sie doch alle: Zum Beispiel die Kosovo-Albanerin. Die hat vier Kinder von vier verschiedenen Männern. Lebt natürlich auf Sozialhilfe, fährt dann aber standesgemäß mit dem Taxi vor. Ich kann das ja von hier aus sehen." Die Tür steht offen, man könnte es sehen. Gegen halb zehn kommt kurz ein dunkelhäutiger Bodybuilder rein, unterhält sich nett mit Rainer und holt Zigaretten. Danach sind wir wieder alleine.

Um 22.47 Uhr betritt Micha das Lokal. Lange graue Haare, Vollbart, wohnt seit "20 Jahren um die Ecke" und ist "freischaffender Künstler". Er gesellt sich an den Tresen und wird mit einem Pils verarztet. Was sagt Micha zum Thema Ausländerfeinlichkeit? Das sei nicht so tragisch: "Der Ali von nebenan, das ist was anderes. Das denken alle hier. Den kennt man, denn der hat einen Namen," erklärt Micha. "Den fragt man auch, ob er mal auf die Wohnung aufpasst. Is doch klar", ergänzt Rainer.

Ausländer sind immer wieder Thema in der neuen Mitte. "Wir haben hier ein eher rechtes und ein eher linkes Lager. Manchmal muss ich dazwischen", sagt Rainer. Auf der einen Seite steht die alte Garde der Willy-Brandt-SPD. Und auf der anderen? "Von denen nehme ich ab und zu mal einen nach hinten ins Büro, damit der nicht so rechtsradikale Sprüche klopft", sagt Rainer. Als Wirt sei er schließlich auch Psychologe, Wirtschaftsberater.

Welche politischen Themen diskutiert die Neue Mitte? Nahostkonflikt, Bankenskandal und 11. September, erfahren wir. "Solidarität heißt nicht Auslandseinsätze der Bundeswehr", erläutert Rainer. "Was sollen unsere Jungs am Horn von Afrika?" Er hat sich mit ein paar Marinesoldaten unterhalten und weiß jetzt Bescheid: "Weder die Klimaanlage noch die Motorenkühlung der Schiffe ist für Afrika gemacht. Die müssen da unten alle paar Meter den Motor abstellen und abkühlen lassen."

Um kurz vor elf betreten zwei Paare um die 50 das Lokal und bestellen Molle und Korn. Sie kommen aus dem Musical und im Übrigen aus dem Ostharz, sagen sie. Der Taxifahrer habe sie in einer typischen Berliner Kneipe absetzen sollen. So sind sie in der Neuen Mitte gelandet.
"Liberale gibt es hier auch zwei", sagt der Wirt, einer stehe hinter der Theke: "Der gehört aber nicht zu den Besserverdienenden." Und Stoiber? "Warten wa ma ab", analysiert Rainer. "Der hat sich ja noch jar nich jeäußat."

Um 22.58 Uhr betritt Yukka den Laden, auch älteres Semester, Jugoslawin, abgekämpft, kommt von der Arbeit, putzt in der Uni und in Schulen. Sie wird von Micha und dem Wirt begrüßt, setzt sich alleine an einen Tisch und trinkt ein Bier. Später setzt sich Micha dazu, und Rainer schaut mit drei Kümmerling vorbei. Ihr Kommentar zur deutschen Politik? "Jugoslawien-Politiker, Deutschland-Politiker, Bayern-Politiker: Alles dasselbe!". Micha zählt sich eher zum linken Lager: "Stoiber ist blabla, Schröder ist bla".

Nur ein PR-Begriff der SPD? Keine Spur

Die Stimmung steigt. Um kurz vor Mitternacht erscheinen zwei weitere jüngere Leute und bestellen Schwarzbier. Die beiden sind eher zufällig in der Neuen Mitte, wollen noch einen Absacker trinken und stellen sich als Kommunikationswissenschaftler vor. Sie erklären, die Neue Mitte sei "nur so ein PR-Begriff der SPD", eine "PR-Mitte" also. Markige Sprüche werden geklopft: "Stoiber ist echt cool, solange er in Bayern bleibt." Und: "Ein Grund zur Wahl zu gehen ist, dass Stoiber nicht dran kommt." Ein bisschen später knuddeln Micha und Yukka ein wenig. Um zehn vor zwei kommt auch noch Heidi Fiebitz vorbei, die Wirtin. "Wir haben liebe Gäste", diktiert sie der "Presse" in den Block. Das wissen wir aber schon. Es war ein schöner Abend. Ganz normal. Unter ganz normalen Menschen aus der Neuen Mitte.

* Vielen Dank an die KAMPA-Unterstützung durch Friederike Schubart und Inka Jörs.

Die Neue Mitte - Gaststätte - Kurfürstenstr. 20 - 10785 Berlin - 030 / 26557023 - Öffnungszeiten: 11.00-24.00 Uhr, bei Bedarf länger, So. & Feiertags ab 14.00 Uhr

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