Spechte, Milben, Schimmelpilze

Heizen ist wieder billiger geworden. Doch langfristig werden die Energiepreise weiter steigen. Deshalb fördert die Bundesregierung die energetische Sanierung von Gebäuden. Nicht immer mit dem Ergebnis, das Eigentümer und Bewohner wünschen

Sie recken sich in den Himmel, auf den Spitzen ein rotes Mützchen mit aufgerolltem Rand. Davor steht Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee und wirbt für energetische Gebäudesanierung. Mit jährlich 1,4 Milliarden Euro von 2006 bis 2009 fördert die Bundesregierung Hausbesitzer und vor allem Wohnungsbaugesellschaften, die Heizenergie sparen wollen. Das Programm wird noch einmal aufgestockt. Bei hohen Preisen für Gas und Öl ein attraktives Angebot, bei dem zugleich das Klima geschont wird. 1,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid seien in den Jahren 2006 und 2007 eingespart worden, so Minister Tiefensee. Eine geradezu exemplarische Win-Win-Situation sollte man meinen, denn das Programm sichert auch noch Arbeitsplätze: 25.000 pro investierte Milliarde. Über die Risiken und Nebenwirkungen des Programms wird allenfalls in Expertenkreisen diskutiert. Oder im Internet. Eine Kostprobe:

„Hilfe! Ein Specht hat unsere Fassade mit Wärmeschutzisolierung für sich entdeckt. Wie bekomme ich diesen Vogel wieder los?“ Wer die Stichwörter „Specht“ und „WDVS“ (Wärmedämmverbundsystem) im Netz eingibt, lernt das Leid von Hausbesitzern kennen: „Mein Nachbar hat dasselbe Problem. Zuerst hat der Specht ein ꆱ
Loch in die Styro-Fassade gemacht, weil dahinter ein Hohlraum war, und sich sein Nest gebaut, und kaum ist er wieder ausgezogen, sind die Eichhörnchen eingezogen und wohnen bis heute drin.“

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Unter dem Stichwort „Spechtschäden an Fassaden“ findet sich im Netz auch eine Immobilienanzeige für Spechte in Fassadenhöhlen: „Bequem zu erreichende, wohligwarme Nisthöhle, in von Raubtieren bestens geschützter Höhenlage, mit Futtergarantie, samt Telefonanschluss, kostenlos zu vergeben“, sagt der österreichische Bausachverständige Michael Hladik. Und schreibt ganz lakonisch weiter: „Ist der Specht erstmal eingezogen, lässt er sich schwer wieder vertreiben.“

Zwölf Liter Kondenswasser pro Tag

Wer nun meint, dabei handele es sich um eine ärgerliche Randerscheinung energetischer Gebäudesanierung, liegt falsch. Die Probleme sind gravierender, vor allem können sie die Gesundheit gefährden. Das Stichwort heißt Schimmel. Eine vierköpfige Familie produziert durchschnittlich zwölf Liter Kondenswasser pro Tag. Das ist in einer Woche eine Badewanne voll Wasser. Allein beim Schlafen gibt ein Mensch pro Nacht einen Liter Feuchtigkeit ab. „Die Notwendigkeit und die Forderung, teure Energie einzusparen, bringt mit sich, dass Wohnungen und Häuser durch moderne Fenster und Türen immer ‚luftdichter‘ werden und dadurch verbrauchte, mit Feuchtigkeit angereicherte Luft kaum noch durch frische Luft ersetzt wird“, konstatiert das Bayerische Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz.

Die Folge: Wo es kälter ist, kondensiert die Feuchtigkeit, beispielsweise an den Außenwänden, vorzugsweise von ungeheizten Schlafzimmern oder Vorratskammern, in Ecken, in die keine Heizungsluft kommt, hinter Möbeln, die dicht an der Wand stehen. Wo es feucht ist, bildet sich Schimmel. Als Gegenmaßnahme empfiehlt das Staatsministerium, die Außenwände zu dämmen. „Hier werden Wärmeverluste durch die Wand minimiert. Die Wand nimmt fast Raumtemperatur an, dadurch wird auch die Taupunkttemperatur angehoben. Feuchte Ecken und Schimmel werden vermieden.“

Soweit die Theorie. Dass die mit Feuchtigkeit angereicherte Luft in einem abgedichteten Wohngebäude nur noch unzureichend ausgetauscht wird, daran ändert die Dämmung von Außenwänden nichts. Das hat auch das Umweltbundesamt (UBA), vehementer Verfechter von Energieeinsparungen, erkannt: Normalerweise werde die Innenluft eines Gebäudes mindestens einmal pro Stunde ausgetauscht, so das UBA. Denn die feuchte, warme Innenluft entweicht durch undichte Fugen und Ritzen in Türen und Fensterrahmen. „In Gebäuden, die nach den Vorgaben der Energieeinsparverordnung errichtet sind, liegt der Austausch teilweise weit unter einem halben Raumvolumen“, warnt das UBA. Das heißt, nur noch die Hälfte der Raumluft wird pro Stunde ausgewechselt. Dadurch könne „dicke“ Luft entstehen, so die UBA-Experten weiter.

Isolierte Räume machen krank

Konrad Fischer, Architekt und Experte für die Restaurierung denkmalgeschützter Altbauten, weist schon seit Jahren auf die negativen Folgen von energetischer Gebäudesanierung hin. „Die ab-isolierten, bestenfalls künstlich gelüfteten Räume, machen die Bewohner krank. Neben der hohen Giftbelastung aus modernen Baustoffen bevölkern viel zu viele Milben, Keime, Schimmelpilze und Algen inzwischen fast jedes zweite Haus. Bald sind wir Weltmeister in Asthma und Allergie.“ Und Jens Fehrenberg, Professur für Baukonstruktion an der Fakultät Bauwesen der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim und vereidigter Sachverständiger der IHK Hannover, konstatiert: „Über Deutschland rollt die zweite Schimmelwelle hinweg.“

Dagegen hilft nur konsequentes Lüften, auch wenn dabei die so teuer angewärmte Luft wieder entweicht. Experten empfehlen, mindestens morgens und abends, besser dreimal am Tag, einen kompletten Luftwechsel. Ziemlich unpraktisch und in den Tagesablauf von Berufstätigen oft kaum zu integrieren. Die Fensterhersteller haben darauf reagiert und bieten neuerdings Fenster mit eingebauter Belüftung an – vom Fensterbanklüfter über beschlagsgeregelte Lüfter über ventilatorgetriebene Lüftungsgeräte mit und ohne Wärmerückgewinnung. Damit könne eine der häufigsten Ursachen für Schimmelbildung und damit ein Großteil an Schadensfällen verhindert werden, so das Institut für Fenstertechnik in Rosenheim. Die Belüftung muss gewährleisten, dass mindestens zwischen 0,5 und 0,8 Prozent der Raumluft pro Stunde ausgetauscht wird, sonst wird die Luft im Gebäude zu feucht. Natürlich gibt es all das nur für einen Aufpreis.

Ein Trost für Energiesparer, die sich keine superteure Belüftung mit Wärmerückgewinnung leisten können: Kalte Luft enthält weniger Feuchtigkeit als warme. Und je trockner die Luft ist, umso schneller lässt sie sich wieder erwärmen. Zudem sollte man die Türen zu ungeheizten oder kaum geheizten Räumen geschlossen halten und die Heizung nicht ganz abstellen, wenn man nicht da ist. Ganz Schlaue empfehlen, außer einem Thermometer auch ein Hygrometer aufzuhängen. Damit lässt sich die Luftfeuchtigkeit in den Räumen messen. Sie sollte zwischen 40 und 70 Prozent liegen.

Verdummt uns die Dämmstoffbranche?

Was also tun? Ohne gute Beratung geht es nicht. Das Problem: Sie muss unabhängig sein. Daran können zuweilen Zweifel angebracht sein, da auch Heizungs- oder Fensterbauer solche Beratungen durchführen. „Trau, schau, wem – ein leichtgläubiger Kunde ist für Bauernfänger ein einfaches Opfer. Macht Euch kritisch auf die Suche, nehmt nicht den billigsten Anbieter, sondern klopft sie auf ihre Position ab“, rät Architekt Fischer. Wie für alle Baumaßnahmen gilt: Wer beim Architekten spart, spart an der falschen Stelle. Zudem sollte jeder für sich nachrechnen, ob die Ausgaben im Verhältnis zur Einsparung stehen, denn die Einsparpotenziale werden häufig überschätzt. Eine Rundumsanierung mit Dämmung, neuen Fenstern, neuer Heizanlage und Lüftungsanlage kostet leicht um die 80.000 Euro. Selbst wenn man jedes Jahr 2.000 Euro weniger an Heizkosten zahlt, würde die Investitionssumme nach 20 Jahren erst zur Hälfte wieder eingespart. Es könnte jedoch sein, dass dann schon die ersten Reparaturen anstehen.

Gerade in puncto Fassadendämmung sind Zweifel angebracht, ob sie sich in jedem Fall lohnt. Bausachverständiger Fehrenberg hat die Energieverbrauchsdaten größerer Wohnungsbauten über 20 Jahre hinweg untersucht. Zehn Jahre Urzustand, dann zehn Jahre mit nachträglich gedämmten Außenfassaden. Im Schnitt komme eine Energieeinsparung von 7 Prozent heraus. Geworben werde aber häufig mit „leicht 50 Prozent“ und mehr an Ersparnis. Fehrenberg: „Das ist eine Werbungslüge. Das finde ich schlimm! Und die Dämmstoffbranche – bis auf eine Ausnahme – hält schön still beim Verdummen der Bürger; weil ihnen nun das Geld aus der Tasche gezogen wird, sozusagen gesetzlich abgesegnet.“ Harter Tobak, aber keine Einzelmeinung. Auf die Frage, ob er den Mietern raten würde, einer energetischen Gebäudesanierung zuzustimmen, empfiehlt der Sprecher des Mietervereins Hamburg, Michael Korff: „Eher nicht. Der Mieter zahlt danach sehr viel mehr, spart aber auf der anderen Seite kaum.“

Was sich wirklich lohnt

Realistisch für Eigenheimbesitzer ist ohnehin nicht das teure Komplettprogramm. Ihnen sei deshalb das Ergebnis einer Untersuchung von „Stiftung Warentest“ aus dem Jahr 2007 ans Herz gelegt. Diese hat verschiedene Maßnahmen untersucht – in Bezug auf Kosten und Nutzen, also Energie- beziehungsweise Kosteneinsparung. Für ein Einfamilienhaus, Baujahr 1973, 150 Quadratmeter, 3.650 Liter Heizölverbrauch im Jahr kommt sie zu folgendem Ergebnis:

Dämmen der obersten Geschossdecke: Kosten circa 2.250 Euro, Energieeinsparung in 20 Jahren 5.654 Euro
Dämmen der Kellerdecke: Kosten rund 1.500 Euro, Einsparung nach 20 Jahren 5.059 Euro
Einbau einer neuen Heizung (Brennwertkessel): Kosten etwa 5.930 Euro, Einsparung nach 20 Jahren 13.392 Euro
y Dämmen der Fassade: 15.020 Euro, Einsparung nach 20 Jahren 15.772 Euro
Erneuerung der Fenster: 10.500 Euro, Einsparung nach 20 Jahren 2.678 Euro.

Ergebnisse, die Jens Fehrenberg bestätigt: „Das deckt sich exakt mit meinen langjährigen Feststellungen.“ Fehrenberg weiter: „Wenn Ihre Wände 24 Zentimeter dünn sind, mag das Dämmen der Fassade noch einen Sinn haben. Wenn Ihr Haus jedoch 40 Zentimeter dicke Wände zum Beispiel aus Ziegelsteinen hat, dann rutscht eine Dämmaßnahme ganz an das Ende einer Reihenfolge von sinnvollen Maßnahmen zur Einsparung.“

Ein Trost für Besitzer von Häusern mit schönen alten Klinker- oder Stuckfassaden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Hamburger Architektin Petra Merten, Expertin für Niedrigenergiehäuser: Mit einem Rundumprogramm lasse sich der Energieverbrauch eines Altbaus um 60 bis 80 Prozent senken, sagt sie. Allein das Dämmen der oberen Geschossdecke bringe 20 bis 30 Prozent, der Kellerdecke noch einmal 10 bis 20 Prozent. Mit einer wichtigen Einschränkung: Wer in einem Haus oder einer Wohnung mit Fenstern wohnt, die nicht richtig schließen, die womöglich nur einfach verglast sind, heizt in der Tat für draußen.

Eine letzte Warnung. „Wir machen Wärmestrahlung für Sie sichtbar!“ Oft wird als Teil der Energieberatung eine Thermografie angeboten. Dabei wird das Haus mit einer Infrarotkamera fotografiert, um zu zeigen, wo Wärme abgegeben wird, wo also energetisch saniert werden muss. Je mehr rot die Aufnahme enthält, umso schlimmer steht es um das Objekt. Thermografien sind plakativ. Doch Vorsicht ist geboten. Bei Sonneneinstrahlungen im Vorfeld der Messungen seien grundsätzlich keine Analysen möglich, warnt Sönke Krüll vom Bundesverband für angewandte Thermografie. Prinzipiell sollten mindestens zwölf Stunden vor den Infrarotaufnahmen keine Sonne auf das Gebäude geschienen haben. Zudem müsse mindestens zwölf Stunden lang ein Temperaturunterschied von mindestens 15 Grad zwischen drinnen und draußen geherrscht haben.

Auch die in Zeitschriften und Prospekten beliebten Aufnahmen eines Gebäudes vor und nach der Dämmung sind von zweifelhafter Beweiskraft. Architekt Fischer erklärt: „Eine massive Wand, zum Beispiel aus Ziegeln, kann die empfangene Sonnenenergie voll speichern. Die Dämmstoffwand mit ihrer dünnen Kunststoffbeschichtung nicht. Wenn die Thermografie kurz nach oder kurz vor Sonnenaufgang gemacht wird, kann eine Ziegelwand immer noch Sonnenwärme vom Vortag abstrahlen. Die Dämmstoffkonstruktion dagegen ist eisig kalt und sieht auf dem Bild entsprechend blau aus. Das sagt aber nichts aus über den Wärmedurchfluss von innen nach außen.“

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