Senator Edward Kennedy - The Cause Endures

»Passing a new law won’t be any more glorious for you than the reputation you’ve made. Some people say you and Daniel Websterare the greatest senators of all time.« - Ted seemed taken aback, not by the prospect of retirement but at the suggestion that another senator might have achieved as much as he had. »What did Webster do?«, Ted responded in a jesting tone. Peter S. Canellos, Last Lion. The Fall and Rise of Ted Kennedy

Es wäre der Tag Edward Kennedys gewesen: Am 23. März setzte der amerikanische Präsident Barack Obama mit seiner Unterschrift die Gesundheitsreform in Kraft. Erstmals in der Geschichte der Vereinigten Staaten sollen fast alle Bürger Zugang zu einer Krankenversicherung erhalten. Ihre Einführung stellt den jungen Präsidenten in eine Reihe mit Franklin D. Roosevelt und Lyndon B. Johnson: Es gibt nun drei große Sozialreformer unter den amerikanischen Präsidenten des 20. und 21. Jahrhunderts.

Für diese Reform hatte Edward Kennedy gekämpft wie kein anderer Parlamentarier der Demokraten in den vergangenen Jahrzehnten. Er ist einer der Väter der allgemeinen Krankenversicherung. In den letzten Wochen seines Lebens, gezeichnet von seiner schweren Krankheit, ermutigte er den Präsidenten immer wieder, dieses wichtige Reformvorhaben auf keinen Fall aus den Augen zu verlieren. Aus seiner Sicht sollte es die erste Amtszeit des Präsidenten definieren. Der 23. März hat den großen Sozialpolitiker Edward Kennedy bestätigt.

Der Senator war einer der bedeutenden Parlamentarier und Gesetzgeber in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Er war die Stimme eines progressiven und liberalen („liberal“ im amerikanischen, also eher sozialdemokratischen Sinne gebraucht) Denkens in einer Zeit, in der ein religiöser und wirtschaftsliberaler Konservativismus Jahr um Jahr an Einfluss gewann. Kennedy gehört in die Reihe großer Gesetzgeber aus den Reihen des Senats, die manchmal im Einklang mit dem Geist der Zeit – oft aber auch gegen diesen – das Land voranbrachten, indem sie sich für die Emanzipation benachteiligter Bevölkerungsgruppen und (vor allem im 20. Jahrhundert) für größere soziale Gerechtigkeit einsetzten. Drei Senatoren werden in diesem Zusammenhang oft genannt: Daniel Webster und Charles Sumner aus Massachusetts – eloquente und entschiedene Gegner der Sklaverei und Ikonen der amerikanischen Gesetzgebung – und vor allem Robert F. Wagner, der große Sozialreformer aus New York. Wagner war unter anderem maßgeblich verantwortlich für den Social Security Act sowie den Labor Relations Act von 1935/36 („Wagner Act“), der eine wichtige Grundlage für die amerikanische Sozialgesetzgebung legte. Wagner war die Stimme des Rooseveltschen New Deal im amerikanischen Kongress. Edward Kennedy wurde sein Nachfolger.

Ted Kennedy wurde bedeutend, als der mit der Politik seiner Brüder verbundene Aufbruch der sechziger Jahre zu Ende ging. John F. und Robert Kennedy stammten aus einer älteren Zeit als ihr jüngerer Bruder. Und sie hatten andere politische Erfahrungen gemacht. Die Erlebnisse des Zweiten Weltkrieges, der McCarthyismus und sein Klima der Verdächtigungen und Denunziationen sowie die Diplomatie des Kalten Kriegs prägten ihre Sicht der Welt. John F. Kennedy wurde Präsident auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, er hatte die Kubakrise zu bewältigen. Aber zu Beginn der sechziger Jahre machte sich ein Wandel der amerikanischen Gesellschaft bemerkbar: die Bürgerrechtsbewegung, die Eroberung des Weltraums, auch der Krieg in Vietnam. Die tiefere Grundlage der Politik der Kennedy-Brüder war dennoch Franklin D. Roosevelts New Deal: Alle Amerikaner sollten am amerikanischen Traum teilhaben. Es war eine – oft zögerliche und Stückwerk bleibende – Politik der Emanzipation und Inklusion. Ted Kennedy machte sich diese Überzeugung zu eigen.

Kennedys Anfänge wurzeln in den sozialen und politischen Entwicklungen, aber auch den großen Enttäuschungen der sechziger Jahre. Die ersten Gesetze, die der Senator (mit)entwarf, auf den Weg brachte oder unterstützte, sind noch die großen gesetzgeberischen Vorhaben seiner Brüder, besonders der Civil Rights Act (1964) und der Voting Rights Act (1965), die maßgeblich dazu beitrugen, der Bürgerrechtsbewegung politische Durchschlagskraft zu geben. Dies war ein Anfang: Der Schutz der Bürgerrechte und die Sozialgesetzgebung wurden das Zentrum seines legislativen Wirkens. Schon früh fand er seine Berufung zum Gesetzgeber. Und obwohl er diese Tätigkeit das eine oder andere Mal aufzugeben bereit war, um seinen ermordeten Brüdern in ihren Bemühungen nachzufolgen, das Präsidentenamt zu erlangen, kehrte er schließlich wieder zu seiner eigentlichen Begabung zurück, der Gesetzgebung. Edward Kennedy wurde der große Gesetzgeber der Demokratischen Partei. Ob nun der Freedom of Information Act (1966), der Occupational Safety and Health Act (1970), der Americans with Disabilities Act (1990) oder zuletzt der Serve America Act (2009) – mindestens 300 Gesetze, zum Teil sehr komplexe und umfangreiche Werke, gehen maßgeblich auf die Arbeit des Senators zurück.

In konservativen Zeiten organisierte er die Opposition. Durchaus erfolgreich: Im Jahr 1988 nominierte Präsident Reagan den konservativen Richter und Rechtslehrer Robert Bork für den Supreme Court. Kennedy organisierte die Gegner im Senat und erreichte, dass die Kammer dem Präsidenten die für eine Ernennung notwendige Zustimmung verweigerte. Damit war die Reagan Revolution im Obersten Gericht (einstweilen) gescheitert. Der Senator aus Massachusetts entwickelte sich zum Gegenspieler des Präsidenten, der den New Deal für beendigt erklärt hatte. Damit wollte sich Edward Kennedy nicht abfinden.

Wie der liberale Senator zur Institution wurde

Es waren schwierige Jahre. Die Stimmung im Land war konservativ. Die Ideale Roosevelts hielt kaum mehr jemand hoch. Edward Kennedy stand oft allein. Aber über die Jahre erwarb er sich im Senat hohes Ansehen. Seine Integrität als Gesetzgeber und die Standfestigkeit, mit der er seine sozialen Ideale verteidigte, respektierten auch seine politischen Gegner. Konservative wie Senator John McCain bekannten sich – politische Überzeugungen hintanstellend – als seine Freunde. So wurde der liberale Senator zur „Institution“: 47 Jahre vertrat Ted Kennedy seinen Heimatstaat Massachusetts im Senat. Immer wieder hoffte er auf einen grundlegenden Wandel der Politik, er unterstützte die demokratischen Bewerber um das Präsidentenamt, auch Präsident Clinton. Freilich erfüllte auch der 42. Präsident der USA Kennedys Hoffnung auf einen grundlegenden Wandel nicht. Aber der Senator erhoffte ohnehin vor allem das Machbare. In den folgenden acht Jahren der Regierung George W. Bush war er der Anker der liberalen demokratischen Opposition.

Mit dem Auftreten Barack Obamas schienen sich die Wünsche des alten Senators schließlich zu erfüllen – oder, vorsichtiger formuliert, die Chance, eine grundlegende Veränderung der amerikanischen Politik herbeizuführen, schien endlich gegeben. In Kennedy fand Obama daher einen frühen und entschlossenen Verbündeten. Der Senator von Illinois und spätere Präsident wusste diese Hilfe zu schätzen. In seiner Erklärung zum Tod des Senators schreibt Präsident Barack Obama anerkennend: „50 Jahre lang trug buchstäblich jedes bedeutende Gesetz, das die Bürgerrechte sowie das gesundheitliche und wirtschaftliche Wohlbefinden der amerikanischen Bürger förderte, seinen Namen und ging auf seine Bemühungen zurück.“

50 Jahre sind eine lange Zeit. Die Anfänge des jungen Senators waren nicht einfach. Im Jahr 1962 wurde Ted als Nachfolger seines Bruders, des zwei Jahre zuvor gewählten Präsidenten, in den Senat entsandt. Zwei Jahre hatte er darauf warten müssen, da er 1960 – als John F. Kennedy Präsident wurde – erst 28 Jahre alt war. Es fehlten ihm noch zwei Jahre zum Mindestalter, um für einen Senatssitz zu kandidieren. Ted Kennedys Wahl war nicht unumstritten: In den Augen seiner Kritiker waren es nicht in erster Linie seine Fähigkeiten, sondern familiäre Bande, die ihn in Amt und Würden gebracht hatten. Der Posten solle verdient und nicht ererbt werden, klagte etwa sein Gegenspieler Edward J. McCormack Jr.. Doch Kennedy gewann die Wahl und es gelang dem jungen Senator, sich im Senat zu etablieren. Kennedys Naturell – sein freundliches Wesen, seine Umgänglichkeit, aber auch seine Beharrlichkeit – entsprach den Gepflogenheiten einer Institution wie dem amerikanischen Senat, deren Funktionsweise auf persönlichen Bindungen, Allianzen und Kompromissen beruht.

In den ersten Jahren waren es vor allem der Schutz und die Stärkung der Bürgerrechte, die den jungen Senator bewegten. Nach der Ermordung seines Bruders John F. Kennedy hielt er seine erste große Rede im Senat, in der er für die Verabschiedung des Civil Rights Act von 1964 plädierte – ein Gesetz, das, wie er betonte, „die Seele“ seines Bruders atme. Kurz darauf trat er mit großem Engagement für die Abschaffung der Wahlsteuer als Ergänzung des Voting Rights Act ein. Der junge Senator warb beharrlich für sein Anliegen und schaffte es gegen den Willen der Regierung Johnson beinahe, die erforderliche Mehrheit im Senat zu organisieren. Zwei Jahre später wurde die Steuer vom Obersten Gerichtshof für verfassungswidrig erklärt. Hatte Ted Kennedy vorher lediglich die Sympathien seiner Kollegen gewonnen, so erwarb er sich nun ihren Respekt.

Das erste Gesetz, das maßgeblich auf den Senator allein zurückging, war der Immigration and Nationality Act von 1965. Das Gesetz setzte die seit 1924 geltende Quotenregelung außer Kraft, die Einwanderer aus Nord- und Westeuropa stark begünstigte. Damit machte er den Weg frei für eine Einwanderungspolitik, die nicht auf ethnischen Kriterien, sondern auf einem Präferenzsystem beruhte, das Eignung und Leistung berücksichtigt. Dank seiner Erfolge bei der Überzeugungsarbeit und Mehrheitsbeschaffung wurde er bald zum „democratic whip“, zum „Einpeitscher“ der demokratischen Mehrheit im Senat.

Als Robert Kennedy – der Bruder, der ihm in seiner Familie am nächsten stand – im Jahr 1968 nach einer Wahlkampfveranstaltung in Los Angeles ermordet wurde, stieg Ted Kennedy zum Oberhaupt des Familienclans auf. Nach einer bewegenden Gedenkrede für Robert waren die Erwartungen hoch, dass er in die Fußstapfen seiner charismatischen Brüder treten und sich als Präsidentschaftskandidat zur Wahl stellen würde. Doch die Erwartungen waren allzu hoch. Denn Ted Kennedy war auch ein Mann mit großen Schwächen. Lange im Schatten seiner Brüder stehend, war es nicht einfach für ihn, eine eigenständige Rolle zu finden, zumal nach der Ermordung Johns und Roberts. Edward fühlte sich verpflichtet, eine Aufgabe zu übernehmen, für die er nicht vorbereitet war. Er suchte nach Anerkennung, erotischer Anerkennung vor allem, und er flüchtete sich in den Alkohol. Zweimal führten ihn diese Schwächen an den Rand des Ruins, zweimal schien seine politische Karriere am Ende.

Im Sommer 1969, sein Bruder war nur wenige Monate tot, blickte er erstmals in den Abgrund. Infolgedessen musste er seine Hoffnungen begraben, den Brüdern als Anwärter auf das Präsidentschaftsamt nachzufolgen. Die Geschichte der Ereignisse des Sommers 1969 ist bis heute undurchsichtig: Die Ferienwochen verbrachte der Senator auf der amerikanischen Insel Martha’s Vineyard. Es war der späte Abend des 18. Juli 1969. Kennedy hatte ein Treffen für Mitarbeiter organisiert, die in der Wahlkampfmannschaft seines Bruders mitgearbeitet hatten. Die kleine Feier fand in Chappaquiddick statt, einer Martha’s Vineyard vorgelagerten Insel. Kennedy brachte die damals 28-jährige Mary Jo Kopechne nach Hause, eine ehemalige Mitarbeiterin seines Bruders. Was in dieser Nacht geschah, bleibt bis heute zu einem großen Teil im Dunkeln. Kennedy gab an, er habe die junge Frau in ihr Hotel in Edgartown bringen wollen. Auf dem Weg kam das Fahrzeug auf einer unbefestigten Straße von der Fahrbahn ab und stürzte ins Wasser. Der Senator konnte sich befreien, Mary Jo ertrank im Wagen. Später sagte Kennedy, er habe versucht, seine Begleiterin zu befreien, ohne Erfolg. Dann sei er im Schock zu seinem Hotel gelaufen, die Bucht habe er durchschwommen. Erst am nächsten Morgen meldete er den Unfall. War er betrunken und wollte das kaschieren? In welchem Verhältnis stand er zu Mary Jo? Viele Fragen blieben offen. Kennedy plädierte selbst auf schuldig – schuldig, unvorsichtig gefahren zu sein und schuldig der Fahrerflucht. Er wurde zu einer zweimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. 

So konnte er nicht Präsident werden. Die Präsidentschaftswahlen 1972 und 1976 ließ er verstreichen. Er suchte nicht nach der Nominierung durch seine Partei; er blieb im Hintergrund. Dann aber wagte er im Jahr 1980 den Kampf gegen Jimmy Carter und forderte damit den amtierenden Präsidenten der Demokratischen Partei heraus. Eigentlich verband ihn viel mit dem Mann aus Georgia. Daher vermochte er die Anhänger der Demokraten auch nicht zu überzeugen, warum die Partei auf einen anderen Kandidaten setzten sollte. Etwas verloren sprach er von der Gesundheitsreform, die Präsident Carter dem amerikanischen Volk schuldig geblieben war. Kühl bemerkten Kommentatoren, der Senator suche eher seine Rehabilitation, als dass er eine glaubhafte Alternative zur Politik des glücklosen Präsidenten biete. Seine Kampagne blieb ohne Schwung. Eine echte Chance gegen den Präsidenten hatte er nicht. Jimmy Carter gewann die erneute Nominierung, und Kennedy begrub seine Ambitionen. Das Weiße Haus war in weite Ferne gerückt. Eigentlich unerreichbar. Er nahm seine Rolle an.

Doch in der Stunde seiner größten Niederlage hielt er auf der National Democratic Convention in Memphis seine denkwürdigste Rede, die mit den Worten schließt: „For me, a few hours ago, this campaign came to an end. For all those whose cares have been our concern, the work goes on, the cause endures, the hope still lives, and the dream shall never die.“ Diesem Bekenntnis zu einer auf sozialer Fairness gründenden progressiven Politik würde er sein Leben lang verpflichtet bleiben.

Er knüpfte an seine Anfänge an und konzentrierte sich auf seine Aufgaben als Sozialpolitiker. Kennedy macht sich zum Fürsprecher der Schwachen, der Benachteiligten, der Minderheiten. Vor allem die Sozialgesetzgebung und die Gesundheitspolitik waren die bestimmenden Themen dieser Jahre. Er initiierte Programme wie „Meals on Wheels“, das ältere Menschen zu Hause mit Mahlzeiten versorgt. Im Jahr 1972 brachte er das Programm „Women, Infants and Children Nutrition“ (WIC) auf den Weg, das einkommensschwachen Frauen und Kindern einen besseren Zugang zum Gesundheitssystem verschaffte. Er unterstützte und ergänzte den Fair Housing Act (Civil Rights Act) um Bestimmungen, die auch Behinderte und Familien mit Kindern einschließen. Und er trug zur Einrichtung der Occupational Safety and Health Administration (OSHA) bei, die Verletzungen und Unfälle am Arbeitsplatz durch entsprechende gesetzliche Regeln und Standards verhindern soll.

Kennedys größtes Ziel aber war stets eine grundlegende Erneuerung des amerikanischen Gesundheitswesens und die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung für alle Amerikaner. Dies bezeichnete er als das große Versprechen, das die Demokraten dem amerikanischen Volk schuldig geblieben seien. Hatte er Nixons Plan einer umfassenden Gesundheitsreform in den siebziger Jahren noch als nicht weitgehend genug verworfen, so musste er nach dessen Präsidentschaft erkennen, dass die Chancen auf eine solche Reform unter Präsident Carter und erst recht unter den konservativen Präsidenten Ronald Reagan und George Bush drastisch gesunken waren. Der letzte ernsthafte Versuch einer grundlegenden Gesundheitsreform misslang in den ersten Jahren der Regierung Clinton. Damals scheiterte Hillary Clinton, die federführend für den Entwurf verantwortlich war, am organisierten Widerstand zahlreicher Gruppen und vor allem an der diffusen, aber verbreiteten Angst vor einem „sozialistischen“ Gesundheitsregime, das den amerikanischen Werten scheinbar widersprach.

Kennedy lernte aus diesen Niederlagen, konzentrierte sich auf das Machbare und nutzte die rechte Gelegenheit. Nach den Kongresswahlen von 1986 erlangten die Demokraten wieder die Kontrolle über den Kongress, und Kennedy wurde Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Wohlfahrt. Er galt mittlerweile als „der beste Stratege im Senat, der wusste, wann ein Gesetzesentwurf die besten Chancen hatte“ (Joe Biden). Die Gesundheitsreform blieb freilich Stückwerk, aber Kennedy bemühte sich erfolgreich um Verbesserungen, wo sie möglich waren. So ermöglichte es im Jahr 1986 der Consolidated Omnibus Budget Reconciliation Act (COBRA) Arbeiternehmern, nach einem Jobverlust in einer Übergangszeit krankenversichert zu bleiben.

Kennedys bester Verbündeter war ein konservativer Mormone

Kennedy bemühte sich auch darum, die Gesundheitsversorgung von HIV-Infizierten und AIDS-Kranken zu verbessern und Forschungsgelder zu mobilisieren – in einer Zeit, in der die Krankheit noch stigmatisiert wurde und Kritiker staatliche Hilfen als Förderung von Homosexualität und Drogensucht anprangerten. Gegen diese Widerstände brachte Kennedy 1990 den Ryan White CARE Act auf den Weg: das erste große Bundesprogramm, das die Gesundheitsversorgung von AIDS-Kranken sicherstellt. Noch heute beziehen 500.000 der etwa 900.000 AIDS-Patienten in den Vereinigten Staaten ihre Gesundheitsleistungen zu großen Teilen über dieses Programm.

Verbündeter im Kampf für ein besseres und gerechteres Gesundheitssystem war oftmals Senator Orrin Hatch aus Utah, ein konservativer Republikaner mormonischen Bekenntnisses. Zu Beginn seiner Amtszeit im Jahr 1977 war es noch dessen erklärtes Ziel gewesen, Ted Kennedy zu bekämpfen. Doch das ungleiche Paar – der exzessive Lebemann Kennedy und der asketisch-abstinente Hatch – schweißte der Zwang zur Zusammenarbeit im Ausschuss zusammen, und mit der Zeit entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis, das lange Jahre die Grundlage einer erfolgreichen parteiübergreifenden Zusammenarbeit war.

Ebenfalls mit der Unterstützung von Hatch brachte Kennedy eines seiner wichtigsten Gesetze auf den Weg, den Americans with Disabilities Act des Jahres 1990. Das Gesetz verpflichtet öffentliche Einrichtungen zur Behindertengerechtigkeit und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Akzeptanz von Behinderung in der amerikanischen Gesellschaft. Es ermöglicht behinderten Menschen ein besseres Leben.

Viele Themen, denen er sich politisch zuwandte, hatten zugleich mit seinen eigenen familiären Problemen zu tun: Im Jahr 1973 erkrankte sein Sohn Edward Kennedy Jr. an einer seltenen Krebsform, die zur Amputation seines Beins führte. Ted Kennedys Schwester Rosemary verbrachte ihr Leben nach einer misslungenen Lobotomie in einer psychiatrischen Klink. Sein zweiter Sohn Patrick kämpfte viele Jahre gegen seine Drogensucht. Auch andere Familienmitglieder kennen Suchtprobleme. Nicht zuletzt auf diese Erfahrungen gehen sein Engagement und seine gesetzgeberischen Initiativen für die Integration behinderter Menschen und die Anerkennung und Gleichbehandlung psychischer Leiden zurück.

Seine Dämonen verließen ihn nicht. Während Kennedys berufliche und politische Produktivität nicht abbricht, war sein Privatleben in den achtziger Jahren von Skandalen geprägt, mit denen er erneut seine politische Karriere aufs Spiel setzt. Im Jahr 1982 wurde die Ehe von Joan und Ted Kennedy geschieden. Schon vorher hatte er einen Ruf als Frauenheld. Doch die Exzesse seiner zweiten Junggesellenzeit schadeten seinem Image erstmals erheblich. Gesellschaftsmagazine dokumentierten seine zyklischen Gewichtsschwankungen, sein Gesicht war oft aufgedunsen, und es kursierten Witze über den Senator, der stets „eine Flasche in der Hand und eine Blondine im Arm hält“. 1991 waren seine Umfragewerte so schlecht wie nie zuvor.

Im März 1991 erreichen die Negativschlagzeilen einen Höhepunkt – die Erfahrungen der Wochen von Chappaquiddick leben erneut auf. Ein Vorfall beherrscht die Schlagzeilen der internationalen Presse für eine Weile, der nie vollständig aufgeklärt worden ist. So viel ist bekannt: Der Senator begab sich mit seinem Sohn Patrick und seinem Neffen William Kennedy Smith auf eine Zechtour. Sie trafen junge Frauen, eine davon brachte der junge William Kennedy Smith nach Hause. Sie klagte ihn wenig später der Vergewaltigung an. Kennedy wurde als Zeuge geladen und Smith freigesprochen. Die tatsächlichen Ereignisse der Nacht verblieben im Dunkeln. Wieder ließ die Kombination aus Frauen und Alkohol Kennedy in einem fahlen Licht erscheinen, das skrupellos genutzte Aphrodisiakum der Macht und die bitterlich ersehnte Zuflucht vor den Dämonen des eigenen Lebens, die Flucht in Alkohol und Vergessen. Aber er überwand auch diese Krise. Noch im Sommer 1991 heiratete er Victoria Reggie, damals 37 Jahre alt. Sie gab seinem Leben neue Stabilität.

Kennedy organisierte die Opposition gegen die Gingrich-Revolution

In dieser Zeit kam Kennedys Rolle des „(sozial)liberalen Löwen“ im Senat voll zur Geltung. Im Jahr 1995 übernahmen die Republikaner die zweite Kammer und wollten unter Führung von Newt Gingrich, dem berüchtigten Sprecher des Repräsentantenhauses, die konservative Revolution einläuten. Dass ihnen das nicht recht gelang und viele konservative Gesetzesentwürfe den Senat nicht passierten, lag vor allem an Ted Kennedy, der die demokratische Opposition organisierte.

Nahezu alle demokratischen Gesetzesinitiativen dieser Zeit kamen aus dem Kennedy-Lager: 1996 sorgte Kennedy für eine Erhöhung des Mindestlohnes. Im gleichen Jahr entwarf und verabschiedete er gemeinsam mit der republikanischen Senatorin Nancy Kassebaum den Health Insurance Portability and Accountability Act, der die Übertragbarkeit des Versicherungsschutzes nach einem Jobwechsel ermöglichte. Kennedys Mental Health Parity Act verpflichtete Versicherungen, Patienten mit psychischen Erkrankungen gegenüber Patienten mit anderen Erkrankungen gleichzustellen. 1997 war der Senator maßgeblich mitverantwortlich für das State Children’s Health Insurance Program (SCHIP), das die größte Ausweitung des Krankversicherungsschutzes für Kinder aus einkommensschwachen Familien seit der Gründung von Medicaid in den sechziger Jahren bedeutete. Nach der Neuauflage 2009 werden dank dieses Gesetzes elf Millionen Kinder versichert sein.

Zu Kennedys Erfolg trug vor allem seine Fähigkeit bei, ungewöhnliche Allianzen auch über Parteigrenzen hinweg zu schmieden. Er war – um der Sache willen – nie ein Ideologe. Diese Herangehensweise brachte ihn zeitweise auch in die Kritik: So unterstützte er im Jahr 2001 Präsident George W. Bushs No Child Left Behind Act. Mit diesem Programm weitete der Bund die finanzielle Förderung der Grund- und weiterführenden Schulen massiv aus. Die Förderung war allerdings an Leistungskontrollen der Schulen und Lehrer geknüpft, die viele Demokraten mit Blick auf die Probleme in sozial schwachen Bezirken als diskriminierend und wirklichkeitsfremd ablehnten. Doch aus der Erfahrung der verpassten Gesundheitsreform heraus wollte Kennedy die Gelegenheit nicht verstreichen lassen und hoffte, durch spätere Novellierungen des Gesetzes Schritt für Schritt zu einer angemessenen Lösung zu kommen.

Trotz seiner Fähigkeiten, ideologische Gräben zu überwinden, gab Kennedy nie seine Überzeugungen auf und bewahrte seine politische Urteilskraft – auch gegen den Trend. Der Senator war einer von nur 23 Senatoren, die am 4. Oktober 2002 im Senat gegen den Irak-Krieg votierten. Er bezeichnete dieses Nein als seine beste Entscheidung in seiner damals 44-jährigen Karriere.

Als die Ära Bush zu Ende ging und sein langjähriger Freund Christopher Dodd als Präsidentschaftskandidat ausschied, stellte sich der Polit-Patriarch überraschend hinter Barack Obama. Der junge Senator aus Illinois erinnerte ihn an den jungen John F. Kennedy. Die Chance für einen Wechsel schien endlich gekommen. Auf dem Wahlparteitag der Demokraten sprach sich der alte und seit langem schwer kranke Senator für seinen jungen Amtskollegen aus, von dem er glaubte, er würde seine Ideale weitertragen: „I have come here tonight to stand with you to change America, to restore its future, to rise to our best ideals and to elect Barack Obama president of the United States.“

Im Mai 2008 hatten die Ärzte bei Kennedy einen Gehirntumor diagnostiziert. In seinen Memoiren notierte er lapidar: „As my story draws to a close, I am living with cancer. And I know that I will die with it and likely from it. But I don’t dwell on that. I have good days and not-so-good days.“ Sein unvollendetes Projekt, die Gesundheitsreform („the great cause of my life“), sollte ausgerechnet in einem Moment Gestalt annehmen, als der Senator bereits kaum noch in der Lage war, seine Rolle als Vorsitzender des Gesundheitsausschusses wahrzunehmen. Am 15. Juni 2009 verabschiedete der zuständige Ausschuss des Senats die Konturen des Reformvorhabens, dessen Kernstück eine staatliche Krankenversicherung ist. Nur wenige Senatoren und Kongressabgeordnete können mit größerem Recht in Anspruch nehmen, zu den Initiatoren und geistigen Vätern dieses Gesetzes zu gehören, als Edward Kennedy.

Im Sommer 2009 verstarb der Senator, betrauert von den Bürgern seines Heimatstaates und seiner Heimatstadt Boston und denjenigen Amerikanern, die das Amerika Franklin D. Roosevelts den politischen Ideen Reagans und der Bush-Familie vorziehen. Präsident Obama verlor einen seiner großen Verbündeten. Er wird an den Senator gedacht haben, als er am 23. März das Gesetz zur Reform des Gesundheitswesens, „the great cause“ des Senators Edward Kennedy, unterzeichnete.

Norman J. Ornstein, ein Politikwissenschaftler am konservativen American Enterprise Institute schrieb anlässlich seines Todes über Kennedy: „Er war ein Überlebender. Er war nicht der strahlende Stern, der hell brannte und verglühte. Sein Schein war lang und stetig. Vergleicht man den Einfluss der Kennedys auf die amerikanische Politik, dann war er bei weitem der bedeutendste.“ Eine kluge Einschätzung. Viele Jahre zuvor hatte ein Journalist über Robert F. Wagner geschrieben: „He has placed on the books legislation more important and far-reaching than any American in history, since the days of the Founding Fathers.“ Dies gilt auch für Edward Kennedy, den anderen großen amerikanischen Sozialgesetzgeber – und einen der großen politischen Köpfe des 20. Jahrhunderts. «

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