Reloaded oder stillgelegt?

Die SPD will ihre Organisationsstrukturen erneuern. Das Vorhaben wird scheitern, wenn sich die Beteiligten in die Tasche lügen. Klar ist: Die Parteien der Zukunft werden völlig anders sein - und könnten dabei trotzdem besser funktionieren

Vier alte Männer sitzen um den Tisch im Hinterraum einer erzgebirgischen Dorfkneipe. Das ist die SPD. Tiefste Provinz und sozialdemokratische Diaspora. Ein Ortsverein, dessen Kontogebühren höher sind als die monatlichen Mitgliedsbeiträge. Ist das die Zukunft der Partei? Wird hier vorgelebt, wie die geschrumpfte SPD der Zukunft aussieht?

Alle Jahre wieder steht die Parteireform vor der Tür. Alle Parteien diskutieren in unabänderlicher Wiederkehr die Frage, wie sich ihre Organisation den veränderten Zeiten anpassen müsste. Viel Papier wird beschrieben, Parteitage beschäftigen sich damit, es wird etwas beschlossen - und nach ein paar Jahren geht diese Prozedur von vorne los.

In Heft 5/2003 der Berliner Republik haben Carsten Stender und Hubertus Heil die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen samt ihren Auswirkungen auf die SPD-Parteistruktur bereits ausführlich beschrieben. Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Lediglich der Hinweis auf die neuen Länder ist zu ergänzen. Denn dort hat sich die SPD 1989 neu gegründet. Sie musste neue Kommunikationskanäle aufbauen, konnte auf traditionelle Bindungen und einen eingespielten Parteiapparat nicht zurückgreifen. Statt- dessen musste die SPD in Ostdeutschland mit - für westdeutsche Verhältnisse - extrem dünner Mitgliederbasis Politik im Umbruch gestalten, Wahlkämpfe organisieren, Personal für politische Ämter bereitstellen. Und das hat sich bis heute nicht geändert.

Manch einer mag das als Horrorszenario ansehen. Aber vieles spricht dafür, dass die Zukunft der "westdeutschen" Parteien in Ostdeutschland zu finden ist und eben nicht in modernisierten Strukturen der westdeutschen siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts - Strukturen, die kaum noch mit den heutigen Rahmenbedingungen kompatibel sind. Sieben Einsichten und Erfordernisse ergeben sich aus dieser Entwicklung:

Erstens, die Zukunft liegt bei 250.000 Mitgliedern. Was hat sich verändert? Erstens muss sich die SPD endlich darauf einrichten, dass sie in 10 oder 15 Jahren nur noch 200.000 bis 300.000 Mitglieder haben wird. Die Zeiten der Massenpolitisierung und der "Partizipationsrevolution" sind endgültig vorbei. Und es sieht nicht so aus, als würden sie so schnell wiederkommen. Die Parteimitglieder, die in den sechziger und siebziger Jahren in die SPD (und übrigens auch in die CDU) eingetreten sind, sind alt geworden. Teilweise prägen sie die Partei noch immer, aber nach und nach werden sie aus dem aktiven Leben der Partei verschwinden. Heute sind 48 Prozent (!) der SPD-Mitglieder zwischen 50 und 69 Jahre alt - das ist die Generation, die in den siebziger Jahren zur Sozialdemokratie gestoßen ist. In den kommenden Jahren wird dieser "Mitgliederberg" abschmelzen.

Mit Masseneintritten ist nicht zu rechnen

Das Schrumpfen der SPD hat also zum einen demographische Gründe. Daneben aber gibt es auch politische Ursachen, die es wenig wahrscheinlich machen, dass die SPD im Jahr 2020 bei 600.000 oder 700.000 Mitgliedern stehen wird: Eine allumfassende neue "Idee", die Millionen begeisterte und für die Politik mobilisierte, ist derzeit nirgendwo zu erkennen. Das muss nicht heißen, dass es nicht auch neue Beitrittswellen geben kann. So hat die Labour Party in den 1990er Jahren in Großbritannien ihre Mitgliedszahlen binnen weniger Jahre fast verdoppelt - so groß waren Zorn und Frust über die konservativen Regierungen. Doch die Ernüchterung darüber, dass auch Tony Blair nicht übers Wasser laufen kann, ließ die Labour Party in den vergangenen Jahren auch wieder um 300.000 Mitglieder schrumpfen. Mitgliedskonjunkturen wird es also sicherlich weiterhin geben, auch für die SPD. Ob sie nachhaltig sind, ist indes zweifelhaft. Auch die Begeisterungswelle für die SPD von 1998 führte nur dazu, dass die Partei nicht wie in den Vorjahren weiter schrumpfte. Ein großer Mitgliederzuwachs blieb damals aus.

Weniger Mitglieder und trotzdem glücklich

Doch auch eine SPD mit einer Viertelmillion Mitglieder wäre noch eine Massen- und Volkspartei - und wohl nach wie vor die größte Partei Europas. Zu überlegen ist deshalb, wie die Struktur solch einer Partei aussehen kann, wie die politische Arbeit organisiert sein muss, wie eine SPD dieser Größe ihre Mitglieder einbeziehen sollte. Gelingen darauf überzeugende Antworten, dann wird die SPD auch in Zukunft für Menschen attraktiv sein - die ihr dann auch beitreten werden. Politische Inhalte und Strukturen lassen sich dabei nicht voneinander trennen, sondern müssen im Zusammenhang gesehen werden.

Punkt eins der Parteireform heißt also: Die SPD darf nicht über ihren Mitgliederschwund jammern, sondern sollte sich proaktiv auf die zu erwartenden Mitgliederzahlen einstellen. Das wäre schon die halbe Miete.

Mehr Glaubwürdigkeit wagen. Der zweite Punkt betrifft politisches Vertrauen. Parteien sind nicht (mehr) allmächtig. Sowohl CDU-Kanzler ("Wir werden die Arbeitslosigkeit halbieren") als auch SPD-Regierungschefs ("Wir wollen die Zahl der Arbeitslosen auf unter 3,5 Millionen senken") haben erkennen müssen, dass es sehr riskant ist, Dinge zu versprechen, auf die sie keinen oder nur wenig Einfluss haben. Wer kann heute schon genau sagen, wo der Ölpreis in einem halben Jahr stehen wird? Wie sich das Konsumvertrauen in den USA entwickelt? Welche Auswirkungen das auf uns haben könnte. Welche Bilanzen in den kommenden Jahren als gefälscht dastehen werden und die Börsen einbrechen lassen usw. usf.

Der Staat, die Regierung, Parlamente und Parteien haben nur noch einen geringen Einfluss auf alles Ökonomische. Das ist nicht neu. Neu wäre es aber, wenn Parteien sich dies selbst und anderen endlich eingestünden und sich auf diejenigen Themen konzentrierten, bei denen sie Lösungen nicht nur glaubwürdig beschreiben, sondern auch verwirklichen können. Dabei würden sie ein höheres Maß an politischer Glaubwürdigkeit gewinnen. Viele Wähler haben diesen Schritt längst vollzogen. Zwar wird Arbeitslosigkeit in jeder Umfrage verbal als das mit Abstand wichtigste Thema genannt - real, bezogen auf Wahlentscheidungen, treten die ökonomischen Themen jedoch immer mehr in den Hintergrund. Der Sieg der SPD bei der Bundestagswahl 2002 war nicht der erste Wahlsieg einer Partei mit miserabler ökonomischer Bilanz.

Der Kulturschock im Ortsverein

Sinnvoll wäre es also, wenn sich die SPD stärker als bisher auf Felder konzentrieren würde, auf denen sie wirklich etwas bewegen kann. Dazu gehören Bildung und Wissenschaft, Politik für Familien und Kinder, eine Rechtsstaats- und Innenpolitik und das breite Feld der Stadtentwicklung. Eine Konzentration auf diese Themen würde der SPD neue Glaubwürdigkeit verschaffen und ihr langfristig auch eine höhere Anziehungskraft bei politisch Engagierten geben. Zumal sich in diesen Bereichen jenes bürgerschaftliche Engagement konzentriert, auf dass politische Parteien bauen könnten.

Neue Gruppen anziehen und nicht abschrecken. Das führt zum dritten wichtigen Punkt, den "Mitgliederreserven". Man verlaufe sich heute in einen x-beliebigen Ortsverein, und die Defizite werden relativ schnell deutlich. Frauen sind die größte "Minderheit" in der SPD. Weibliche Mitglieder machen gut 30 Prozent der gesamten Mitglieder aus. Wenn sich eine junge Frau heute entscheidet, in die SPD zu gehen, wird sie spätestens bei ihrer ersten Ortsvereinssitzung einen Kulturschock erleben. Da sitzen dann viele alte Männer, die die Welt unter sich aufgeteilt haben. Sitzungen finden in der Regel abends statt - und dauern "ewig".

Wenn dann eine junge Frau auftaucht, wird sie sofort mit Aufgaben und Ämtern überhäuft und darf - oder muss - in Vorstände, auf Parteitage und in Kommunalparlamente. Die Art und Weise, wie die Partei arbeitet, ist nicht frauenfreundlich. Von den Themen ganz abgesehen. Kinderbetreuung, Familien- und Bildungspolitik, der alters- und kindergerechte Umbau von Städten und Gemeinden: Das alles sind Themen, die Frauen meist in besonderer Weise ansprechen - und wegen derer sie auch bereit sind, sich politisch zu engagieren. Auf der Agenda stehen diese Themen aber meist weit unten.

Wer tritt der SPD in der schwersten Krise bei?

Eine andere Gruppe, die sich bisher kaum in der Mitgliedschaft widerspiegelt, sind die so genannten neuen Inländer. Auch hier ist eine Strategie nötig, um die SPD für diese Gruppe stärker als bisher attraktiv zu machen.

Junge Menschen, Schüler, Lehrlinge oder Studenten stehen schon seit jeher im Fokus der SPD - wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. Die positiven Erfahrungen gerade auch mit den "Jungen Teams" haben dazu geführt, dass die Partei jungen Menschen gegenüber offener geworden ist. Hier darf die SPD nicht nachlassen, denn auch sie sind nach wie vor eine wichtige Ressource zur Gewinnung neuer Mitglieder. Man denke nur an die 11.000 Eintritte in die SPD in ihrem schwersten Krisenjahr 2003. 56 Prozent dieser Neumitglieder sind unter 40 Jahre alt - und deshalb jung (genug), die Partei in den nächsten Jahren langsam, aber sicher zu verändern und zu gestalten, zu erneuern und zu verbesern.

Arbeitsgemeinschaften abschaffen und als Netzwerke neu organisieren. Was bedeutet dies alles nun, viertens, für die Parteistruktur selbst? Auch hier kommt es zuerst darauf an, ehrlich zu sein. Viele Strukturen, auch Parallelstrukturen, sind in den vergangenen Jahrzehnten entstanden - gerade bei den Arbeitsgemeinschaften. Die AGs haben wichtige Brücken in bestimmte gesellschaftliche Gruppen geschlagen. Zu fragen ist jedoch, ob sie heute noch in der Lage sind, Diskussionen um politische Fragen zu führen und mit der gesellschaftlichen Umwelt zu kommunizieren.

Viel ist in den letzten Jahren von der stärkeren Projekt- und Ad hoc-Orientierung der Parteiarbeit geredet worden, gerade auch, um auf diese Weise Nichtmitglieder stärker einzubinden. Die zum Teil verselbständigten Strukturen der Arbeitsgemeinschaften der Partei auf Orts-, Unterbezirks- und Landesebene stehen dem jedoch oft entgegen. Auch die Frage nach Legitimation und Repräsentation lässt sich mancherorts mit Recht stellen. Die Arbeitsgemeinschaft der Selbständigen hat in manchem ostdeutschen Unterbezirk nur eine Hand voll aktiver Mitglieder, die dann einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter wählen. Wenn diese dann in der Öffentlichkeit als die "Unternehmervertreter der SPD" auftreten, macht sich schnell der Eindruck breit, dass da Könige ohne Königreich auftreten.

Warum die Fraktionen wichtiger werden

Eine Neuorganisation der Arbeitsgemeinschaften ist deshalb unerlässlich. Eine Neuorganisation, die dann in der Tat eine stärkere Projektarbeit ermöglicht, eine höhere Anziehungskraft auf Außenstehende hat und sich weniger mit sich selbst und der eigenen Organisation beschäftigen muss. Dabei lässt sich ein Trend nutzen, der in den vergangenen Jahren besonders in den Ländern zu beobachten ist. Dort nämlich wird der Schwerpunkt der politischen Arbeit in den Landtagsfraktionen geleistet.

Deshalb ist es sinnvoll, Arbeitsgemeinschaften zu bestimmten Themen über die Fraktionen zu organisieren und sie dort in die politische Arbeit einzubeziehen. Das hätte den Vorteil, dass die Vernetzung der Fraktionen stiege und von Anfang an eine Verkoppelung von Fachinteressen und politischen Anliegen gegeben wäre. Eine starke Projektorientierung wäre ebenfalls gesichert, da sich Fraktionen mit sehr vielseitigen, vor allem aber sehr konkreten Fragestellungen beschäftigen (müssten). Die Fraktionen könnten darüber hinaus diese neuen Arbeitsgruppen angemessen fachlich und organisatorisch begleiten - eine Dienstleistung, die sich die Parteiorganisation der SPD aufgrund sinkender Mitgliedsbeiträge durch geringere Mitgliedszahlen immer weniger wird leisten können.

Mainstream statt verblühende Randmilieus

In der Konsequenz könnte die Partei ihre eigenen Arbeitsgemeinschaften und -gruppen abschaffen. Alle? Nun ja, vielleicht nicht alle. Es wäre sinnvoll, drei "Querschnitts-AGs" zu erhalten - die Jusos, die AG 60plus und die Arbeitsgemeinschaft der Frauen - und diese zu einem politischen Netzwerk umzugestalten. Die Jusos sind als Nachwuchsorganisation nach wie vor wichtig für die Partei; gleichwohl ist ihre Bedeutung in den vergangenen Jahren stark geschrumpft.

Den Jusos gelingt es immer weniger, den jugendlichen Mainstream zu repräsentieren und nicht bloß ein eher linksalternatives Randmilieu. Dieser Umstand hat zusammen mit der steigenden Personalnot der Mutterpartei dazu geführt, dass sich viele junge Politikinteressierte den "Umweg" über die Jusos sparen und gleich in der Partei selbst aktiv werden. Die ASF hat ebenfalls Tendenzen, ein verblühendes Milieu und weniger die konkreten Lebenslagen heutiger Frauen in Deutschland zu repräsentieren. Dabei müsste die ASF doch gerade ein Netzwerk für Frauen sein, die sich gegenseitig stützen und so dafür sorgen, dass mehr Frauen in politisch verantwortliche Positionen gelangen.

Mit der konsequenten Beseitigung der verdoppelten Entscheidungsstrukturen der Arbeitsgemeinschaften würde der Parteiapparat der SPD deutlich schlanker werden - vorbereitet auf sinkende finanzielle Zuflüsse, befreit von alten Zöpfen und vorgestrigen Biotopen. Die Querschnitts-AGs könnten so übergreifende Themen behandeln und gleichzeitig ein sich wechselseitig stabilisierendes politisches Netzwerk sein.

Darüber hinaus könnte auf diese Weise auch die notwendige stärkere Verknüpfung von Parlamentsfraktionen, Parteiarbeit, Abgeordneten, Parteiapparat, Mitgliedern und Interessenten entstehen. Die teilweise sehr willkürliche Trennung von politischer Arbeit in Parlamentspartei und Mitgliederpartei lässt sich auf Dauer nicht beibehalten - und die Bürger interessiert in Wahrheit wenig, ob ihm nun gerade die Landtagsfraktion oder die Landesgeschäftsstelle geholfen hat. Mitglieder wichtiger machen. Die Mitgliedschaft in den Parteien muss, fünftens, auch weiterhin ein hohes Gut bleiben. Dabei rückt die Frage in den Mittelpunkt, warum Menschen überhaupt Mitglieder von Parteien werden - von Organisationen also, die im Ansehen auf der Prestigeskala ziemlich weit unten stehen. Kurioserweise weiß die SPD heute verhältnismäßig wenig über ihre eigenen Mitglieder, obwohl diese ihre wichtigsten Multiplikatoren sind. Tätigkeit oder Beruf werden beim Eintritt erfasst - und dann nie wieder. Man ändert die Adressen beim Umzug, ab und zu vielleicht noch den Beitragssatz - aber im Übrigen wird der Mitgliederstamm nur wenig "gepflegt". Jedes moderne Unternehmen würde sich die Finger nach mehreren Hunderttausend Kunden lecken - und deren Daten permanent aktualisieren. Nun sind Parteimitglieder zwar keine Kunden, das wichtigste Gut der SPD sind sie gleichwohl. Deshalb muss ihr kommunikatives Potential in Zukunft besser genutzt werden, deshalb sollten sie in die Parteiarbeit stärker einbezogen werden.

Mehr als fader Sabine-Christiansen-Ersatz

Das heißt aber auch, dass die Mitglieder stärker in Entscheidungsprozesse einbezogen werden sollten. Bereits seit Jahren diskutieren die SPD und andere Parteien neue Möglichkeiten der Mitgliederbeteiligung. Wir haben auf diesem Gebiet eher ein Umsetzungs- als ein Erkenntnisdefizit. Lebendiges Parteileben kann nicht darin bestehen, abzunicken, was vorher verkündet wurde; es bedeutet Einbeziehen und Mitdiskutieren. Ein Beispiel dafür ist die Agenda 2010. Nachdem der Kanzler sie mit der Regierungserklärung angekündigt hatte, blieb der Parteibasis nichts weiter übrig, als den neuen Kurs zu akzeptieren. Warum aber hat es nicht im Vorfeld Parteikonferenzen zur Zukunft des Sozialstaates oder der Arbeitswelt gegeben, die manche Entscheidungen hätten vorbereiten und erläutern können? Spätestens im Herbst 2002 war allen Beteiligten klar, dass Veränderungen in der Politik der Bundesregierung nötig sein würden. Warum dann aber auf eine so große Ressource wie die Mitglieder der SPD verzichten? Wenn Mitglieder nur noch zum Ratifizieren von zuvor Entschiedenem da sind, stiftet Mitgliedschaft nur wenig Sinn. Denn Menschen, die heutzutage Parteimitglieder werden, sind politisch interessiert und wollen politisch diskutieren - und das möglichst exklusiv. Sonst ergibt Parteimitgliedschaft nur wenig Sinn und wäre bloß Sabine-Christiansen-Ersatz: Es wirkt politisch, es vermittelt den Anschein, man sei dabei - doch der Wirkungsgrad liegt bei Null. Allein zum Plakatekleben werden die Mitglieder der Zukunft immer weniger Lust haben.

Die Mitgliedschaft lässt sich noch weiter aufwerten. Entsprechende Vorschläge verstauben seit Jahren in den Parteiarchiven, realisiert werden sie selten. Die Brandenburger SPD hat für die kommende Landtagswahl den Präsidenten des Bauernverbandes - Repräsentant einer wichtigen Wählergruppe im Land - aufgestellt. Nun ist der Chef der Brandenburger Bauern nicht Mitglied der SPD; genau das verhinderte bisher seine Kandidatur bei Landtagswahlen. Diese Hürde hat der außerordentliche Bundesparteitag im März 2004 endgültig aus dem Weg geräumt - und ist damit einen großen Schritt vorwärts gegangen. Die Brandenburger SPD wird im Herbst Parteigeschichte schreiben, wenn sie den ersten Parteilosen in ihrer neuen Landtagsfraktion begrüßt. Die SPD wird diesen Weg sicherlich in den kommenden Jahren öfter beschreiten, ja beschreiten müssen. Wie dünn ihre Personaldecke zum Teil bereits geworden ist, lässt sich beispielhaft in Sachsen beobachten, wo die SPD derzeit ernsthafte Schwierigkeiten hat, alle Landtagswahlkreise mit Kandidaten zu besetzen.

Von der Besorgnis der jungen alten Hasen

Viele andere Instrumente wie Vorwahlen, Mitgliederentscheide, Urwahlen von Kandidaten für Landtags- und Bundestagswahlen liegen jedoch immer noch in der verschlossenen Schublade mit der Aufschrift "Parteireform". Einzelne Maßnahmen allein werden nicht ausreichen. In vielen Teilen Ostdeutschlands werden die Wahlkreiskandidaten der SPD per Urwahl bestimmt - ohne dass dies zu einer nennenswerten Belebung der Partei vor Ort geführt hätte. An anderen Stellen wird dies nicht gemacht - auch aus rein machtpolitischen Erwägungen. Sicher lassen sich Entscheidungen nicht so einfach steuern, wenn alle Mitglieder wählen dürfen - selbst viele "junge Hasen" sehen dies mit Besorgnis. Wichtig ist aber die Umsetzung aller Teile einer Parteireform. Machtpolitisch bedeutet dies für viele Strippenzieher einen Einflussverlust. Doch welchen Einfluss würden sie noch ausüben, wäre die Partei restlos vertrocknet und alles kreative Potential abgeschreckt?

Kaderpartei von morgen. Bleibt, sechstens, ein Blick auf das politische Personal von morgen. Eine der zentralen Aufgaben von Parteien ist es, Personal für politische Ämter bereitzustellen. Gerade in Zeiten, da politische Inhalte zu einem großen Teil über Personen vermittelt werden (können), muss es die SPD zu ihrem wichtigsten Anliegen machen, Menschen auf politische Führungsaufgaben vorzubereiten. Hier steckt die Partei noch in den Kinderschuhen. Die Kommunalakademie kann nur ein Anfang sein, ebenso wie die permanente Weiterqualifizierung des hauptamtlichen Apparats der Partei. Dieser Apparat wird für die Partei zunehmend wichtig - und muss vorbereitet sein auf die moderne Medien- und Netzwerkwelt. Es soll an dieser Stelle darauf verzichtet werden, ein detailliertes Qualifizierungs- und Qualifikationsprofil zu entwerfen - Carsten Stender und Hubertus Heil haben dies bereits getan.

"Kaderpolitik": Klingt nicht gut, ist aber nötig

Sinnvoll für die kommenden Jahre ist eine stringente "Kaderpolitik", die politische Talente früh erkennt, einbezieht und fördert - und nicht demotiviert. Auch viele Kommunalpolitiker brauchen stärkere Unterstützung und Beratung. Ein enges Netzwerk und die professionelle Vorbereitung auf politische Ämter können helfen, Defizite auszugleichen. Diejenige Partei, der dies am schnellsten und besten gelingt, wird in Zukunft am ehesten politische Ämter besetzen können. Denn die Personalnot ist in allen Parteien groß - bereits heute gibt es Orte, wo geeignete Kandidaten für Bürgermeisterwahlen rar sind. In einer Großstadt wie Dresden ist es vor drei Jahren weder SPD noch PDS oder CDU gelungen, einen unumstrittenen und kompetenten OB-Kandidaten aufzustellen.

Rote Sonne mit strahlender Korona. Neben einer neuen Personalpolitik wird die SPD, siebtens, auch ihr politisches Netzwerk ausbauen und um Komponenten professioneller Beratung ergänzen müssen. Die Parteien werden in Zukunft Schwierigkeiten haben, einen Apparat aufrecht zu erhalten, der politische Sacharbeit bewältigen kann. Deshalb werden die Fraktionen inhaltlich mehr und mehr die Führung übernehmen. Den Parteizentralen wird die Koordinierung bleiben - und eine externe Beratung. Durch ein Netz qualitativ hochwertiger (!) Think Tanks im sozialdemokratischen Umfeld kann die Politik der SPD nur gewinnen.

Mit Think Tanks könnte das politische Management verbessert werden. Vor allem aber lässt sich mit ihnen "politisch denken" - eine Eigenschaft, die in den von Alltagsaufgaben häufig überlasteten und kurzfristig denkenden Parteizentralen mit ihren Planstellen und Arbeitsplatzbeschreibungen immer weniger erbracht wird. Mit sozialdemokratischen Think Tanks (und warum soll es nicht mehrere, auch regionale geben?) lassen sich inhaltliche Vorarbeiten sicherstellen, Debatten in Gang setzen und führen, ohne dass gleich die hehre Parteidisziplin in Gefahr gerät. Und sie hätten den angenehmen Nebeneffekt, dass man dort auch neue Talente für die Partei ausbilden und "zwischenparken" könnte.

Keine Zukunft ohne Kreativität

Die SPD von morgen wird also mehr ein Zentrum mit einer Korona von neuen (und alten, aber verschlankten) Strukturen sein. Die SPD wird nur durch eine Politik-, Glaubwürdigkeits- und Beteiligungsoffensive nach außen attraktiver werden - und zwar mit allen drei Komponenten. Nach innen bedeutet Parteireform, ein stärkeres Augenmerk auf die Professionalisierung des politischen Personals und die Koordination politischer Akteure zu richten. Wenn sich Kreativität und Innovation schon nicht mehr in die Partei selbst hineinholen lassen, müssen sie wenigstens in die Korona der Partei eingebunden werden. Nach außen heißt dies alles, offener und ehrlicher mit Themen und Problemen umzugehen und neuen Mut zur Diskussion zu entwickeln.

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