Preußenjahr und Preußens Ende

In diesem Jahr wurde Preußen 300 Jahre alt. Das hat Preußenhasser und Preußenfans gleichermaßen auf den Plan gerufen. Doch von Preußens Ende in der Weimarer Republik war selten die Rede - dabei lässt sich daraus noch jede Menge lernen

Das "Preußenjahr" 2001 geht zu Ende. Viel haben die einen von Aufklärung, Toleranz und Rechtsstaat geredet. Anderen kamen Militarismus, Junkertum und ein reaktionärer Obrigkeitsstaat in den Sinn. Gemeinsam war Verklärern und Kritikern, dass es ihnen meist allein um das monarchische Preußen ging. Dagegen kam, da der Gründung des preußischen Staates als Königreich vor 300 Jahren gedacht wurde, wieder einmal die republikanische Vergangenheit dieses einst größten deutschen Landes zu kurz. Deshalb ist es angebracht, auch an den Freistaat Preußen und seine Bedeutung für Bestand und Verfall der ersten deutschen Demokratie zu erinnern. Welche Verantwortung Sozialdemokraten für das Ende Preußens beim Untergang der Weimarer Republik trugen und was uns Preußens damaliges Schicksal heute noch bedeutet - diese Fragen sind weiterhin aktuell.

Im Jahr 1932 hatte die Krise in Deutschland einen neuen Höhepunkt erreicht: Sechs Millionen Arbeitslose, anschwellende Wahlerfolge von Kommunisten und Nazis sowie die Zunahme der politischen Gewalt linker und rechter Extremisten kennzeichneten die Verhältnisse. In dieser Lage gab der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg den drängenden Einflüsterungen seiner Kamarilla aus Militärs und Großagrariern nach. Er berief den rechtsgerichteten Franz von Papen als Reichskanzler an die Spitze eines reaktionären, mit zahlreichen Adligen besetzten "Kabinetts der Barone", dem im Reichstag jeder parlamentarische Rückhalt fehlte. Diese Regierung hatte zwar kein politisches Konzept, wusste sich aber einig in der Gegnerschaft zur Verfassungsordnung der Weimarer Demokratie.

Die Regierung Papen bedeutete eine Kampfansage an die verbliebenen verfassungstreuen und demokratischen Kräfte, besonders an die preußische Landesregierung. Aus dem einst politisch rückständigen Preußen war seit 1918 das "Bollwerk der Republik" schlechthin geworden: Hier bestand noch bis zu den Wahlen im Frühjahr 1932 eine republikanische Landtagsmehrheit; mit seinem seit 1920 regierenden Ministerpräsidenten, dem Sozialdemokraten Otto Braun, war das Land ein Hort der relativen Stabilität. Hier hatte es eine vergleichsweise konsequente Republikanisierung der hohen Beamtenschaft gegeben. Preußen hatte sich deshalb gerade in den Krisen der Demokratie im Reich als stabil erwiesen.

Nirgends kam es zu handfestem Widerstand

Allerdings war das Verhältnis zwischen der Reichsregierung und der preußischen Regierung nicht unproblematisch. Das lag schon daran, dass das Riesenland Preußen allein drei Fünftel des Reichsgebiets umfasste. Vor allem in Zeiten unterschiedlicher parteipolitischer Zusammensetzung war es zwischen den beiden Regierungen zu spannungsreichem Dualismus gekommen. Unter dem Eindruck zunehmender wirtschaftlicher Probleme und schwindender Erfolge der Politik erklang daher seit Ende der zwanziger Jahre immer lauter der Ruf nach der Beseitigung der bundesstaatlichen Ordnung.

Sofort nach ihrem Amtsantritt hob die Regierung Papen das Verbot der SA im Reich auf. Mit dem Gewährenlassen der Nazi-Schlägertruppen wollte sich die Regierung zum einen die Unterstützung Hitlers und der NSDAP sichern. Zum anderen sollte die damit zwangsläufige Zuspitzung der politischen Gewalt einen Vorwand liefern, um gegen die vermeintlich tatenlose preußische Landesregierung einzuschreiten und die verfassungstreuen Kräfte, vornehmlich die So-zialdemokratie, von den letzten Schalthebeln der Staatsmacht zu verdrängen.

Zumindest das zweite Kalkül ging auf: Nach dem so genannten Altonaer Blutsonntag, an dem nach Schießereien zwischen preußischer Polizei, Kommunisten und Nazis 18 Tote zu beklagen waren, holte die Reichsregierung zum "Preußenschlag" aus. Am Morgen des 20. Juli 1932 erging eine Verordnung des Reichspräsidenten, mit der die preußischen Minister ihrer Ämter enthoben und Franz von Papen zum Reichskommissar für Preußen ernannt wurde. Zeitgleich wurde über Berlin und die Mark Brandenburg der militärische Ausnahmezustand verhängt. Die Reichswehr verhaftete den Berliner Polizeipräsidenten und andere hohe preußische Polizeibeamte. Bei seiner Vertreibung aus dem eigenen Dienstzimmer erklärte Preußens sozialdemokratischer Innenminister Carl Severing zwar, er weiche nur der Gewalt - aber er gab seinen Protest nur zu Protokoll. Nirgends kam es zu handfestem Widerstand. Statt dessen erhoben die abgesetzten Minister noch am gleichen Abend eine Verfassungsklage beim Staatsgerichtshof.

Kapitulation vor den Zerstörern?

Das Verhalten der preußischen Regierung und besonders der SPD wird bis heute viel diskutiert: Kein militärischer Widerstand der preußischen Polizei und des republikanischen Wehrverbandes "Reichsbanner", kein Aufruf zum Generalstreik seitens der Gewerkschaften, keine Massendemonstrationen der SPD. Das ist bisweilen als kampflose Hinnahme der eigenen Niederlage gewertet worden, als Kapitulation vor den Zerstörern der Weimarer Republik. Schon damalige Zeitgenossen, zumal junge Sozialdemokraten, zeigten sich von der Haltung ihrer Führer enttäuscht und wurden damit vielfach ein Opfer der eigenen Parteipropaganda. Denn Braun war keineswegs der "Rote Zar von Preußen", als den ihn seine Parteipresse bis zuletzt glorifiziert hatte - er war ein gesundheitlich angeschlagener Mann, der, zermürbt und resigniert, in den Ruhestand strebte.

Die Demoralisierung der Demokraten

Im Übrigen konnte sich die Kritik am "Preußenschlag" nach Lage der Ding nur gegen den Weg einer gewaltsamen Reichsreform richten, kaum aber gegen das Ergebnis selbst: Die bundesstaatliche Ordnung des Reiches galt vielen Sozialdemokraten als antiquiertes Erbe der Monarchie, daher hatte die Idee der Zusammenfassung von Reich und Preußen unter Sozialdemokraten zuvor durchaus Zustimmung gefunden. Und schließlich war auch Preußen längst kein "Bollwerk der Republik" mehr. Allein der späte Termin der Landtagswahlen hatte lange verschleiert, dass auch hier keine Mehrheit mehr für die Weimarer Republik bestand. Seit dem Frühjahr war die Preußen-Regierung nur noch geschäftsführend im Amt. Daher darf auch die Loyalität der preußischen Polizei nicht überschätzt werden, zumal sich diese Attacke gegen die Weimarer Verfassung in formaler Legalität vollzog und von den Amtsträgern selbst ausging. Der Versuch militärischen Widerstands hätte zum Bürgerkrieg geführt, aber angesichts der Überlegenheit der Reichswehr kaum Aussicht auf Erfolg gehabt.

Nur aus heutiger Sicht, in Kenntnis dessen, was nach der Weimarer Republik kam, fällt es daher leicht, den Verzicht auf den Widerstand (und dessen dann unvermeidliche Opfer) als Fehlentscheidung zu bewerten. Allerdings wäre wohl eine deutlichere Geste des Willens zur Selbstbehauptung auf Seiten der verfassungstreuen Kräfte geboten gewesen. Statt dessen wurden die verbliebenen Demokraten durch die Passivität ihrer Führer demoralisiert und die Feinde der Republik geradezu ermuntert. Aber selbst hierbei sind die Zwänge der Zeit zu bedenken. So wäre etwa ein Generalstreik angesichts der Massenarbeitslosigkeit unmöglich gewesen. Dass Sozialdemokraten es vorzogen, den Weg zum Verfassungsgericht einzuschlagen, statt aktiv Widerstand zu leisten, bewies noch einmal die tief verwurzelte rechtsstaatliche Gesinnung dieser Partei - noch zu einem Zeitpunkt, als die Republik bereits in der Hand ihrer Feinde war.

Vom Wert der föderalen Gewalten

Der Staatsgerichtshof entschied wenig später, dass die Absetzung der preußischen Minister ungültig, die Übernahme ihrer Amtsbefugnisse durch Reichskommissare dagegen zulässig sei. Das Urteil war die konsequente Folge eines positivistischen Rechtsverständnisses, das die Verfassung allein nach ihren Buchstaben auslegte, die dahinterstehenden Ideen und Sinnzusammenhänge aber ausblendete. Im Ergebnis führte das Urteil dazu, dass eine preußische Landesregierung formal fortbestand, aber keinerlei Regierungsbefugnisse besaß: Preußen wurde vom Reich mitregiert. Nach dieser Gleichschaltung der preußischen Exekutive mit der Reichsregierung hatte Preußen aufgehört, ein Staat zu sein. Bei ihrem Kampf gegen die demokratische Republik hatten die altpreußischen Eliten, allen voran Hindenburg, Papen und Reichswehrchef Kurt von Schleicher, die Staatlichkeit Preußens preisgegeben.

Die Landesregierung von Otto Braun führte noch eine Schattenexistenz bis sie nach Hitlers Machtergreifung endgültig vertrieben wurde. Ihre letzten Sitzungen fanden im März 1933 in Hinterzimmern von Restaurants des Berliner Regierungsviertels statt, stets bedroht von der Aushebung durch die SA. Für die Nazis erwies sich der "Preußenschlag" als Glücksfall: Mit der Regierung im Reich fiel ihnen gleichsam automatisch auch die Macht in Preußen zu. Göring konnte als Reichskommissar für das Innenministerium seine SA zur preußischen Hilfspolizei machen und jenen staatlichen Terror entfesseln, mit dessen Hilfe die Nazis ihre Herrschaft in kurzer Zeit festigten. So beschleunigte das Ende des einstigen Königsstaates Preußen den Untergang der Weimarer Republik und die Errichtung der Nazi-Diktatur.

Heute erklärt das Grundgesetz die bundesstaatliche Ordnung für unabänderlich. Dennoch wird auch in Föderalismus-Debatten der Gegenwart vordergründig allein mit Kosten- und Effizienzgründen argumentiert. Föderale Teilhaberechte werden als Instrumente der Blockade gegeißelt, statt dem Prinzip der checks and balances wird forscher Durchsetzung das Wort geredet. Dabei verbirgt sich hinter der Verfassungskritik am föderalen Status quo nicht selten der Versuch, die Verantwortung für eigenes politisches Unvermögen zu verschleiern. Das Ende Preußens und seine Rolle beim Untergang der Weimarer Republik sollten nicht zuletzt Sozialdemokraten an die Bedeutung der föderalen Gewaltenteilung bei der Sicherung des demokratischen Rechtsstaates erinnern.

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