Politik in harten Zeiten oder: Sell! Sell! Sell!



Die Finanzkrise hat meine Familie bislang 5.000 Euro gekostet. Der Niedergang unserer Fondsanteile ist mir schon deshalb peinlich, weil wir sie im Jahre 2000 gekauft haben, kurz bevor die New-Economy-Blase platzte. Damals war die „Diversifizierung des Anlageportfolios“, bei dem Wertpapiere nicht fehlen durften, für jeden klar Denkenden fast ein Muss. Schon die Erfahrung im Jahr 2001 hätte uns zum Verkauf bewegen sollen. Stattdessen sagten wir uns, langfristig werde alles schon wieder gut. Allerdings ähnelten die zögerlichen Aufwärtsbewegungen unserer Fonds fortan einer Sparbuchverzinsung. Von der Finanzblase haben wir jedenfalls nie profitiert – ihr Zerplatzen hingegen trifft uns durchaus.

Auch deshalb reagierte ich abwehrend, als mich eine Redakteurin des Vorwärts in einem Interview fragte, ob nicht die Finanzkrise auch etwas mit der Gier des kleinen Mannes nach unrealistischen Renditen zu tun habe. Gier? Die Gier nach einem eigenen Haus? Nach einer Verzinsung von Erspartem über der Inflationsrate? 5,65 Prozent bot die Kaupthing Bank aus Reykjavik im April dieses Jahres für Tagesgeld. Von der angepeilten Eigenkapitalrendite der Deutschen Bank in Höhe von 25 Prozent ist man damit noch weit entfernt. Man sollte diejenigen, die jetzt den Schaden haben, nicht automatisch mitverantwortlich machen. Ich habe jedenfalls ausschließlich Bankberater erlebt, die die langfristige Rentabilität von Wertpapieren betonten. Und selbst jene Berater, die ihren Ratschlägen selbst folgten und ihr eigenes Erspartes auf dem Kapitalmarkt anlegten, handelten im Rahmen der Vorgaben ihrer Vorgesetzen und eines Systems, das darauf abzielt, der höheren Rendite den Vorzug gegenüber Sicherheit zu geben.

Gibt es überhaupt Verantwortliche? Oder geht das Desaster nur auf Fehler im System zurück? Eine Antwort auf diese Fragen findet man in dem brillanten Buch The Smartest Guys in the Room von Bethany McLean und Peter Elkind über den Kollaps von Enron. Sie beschreiben die politischen Voraussetzungen für ein Geschäftsmodell, das auf ausgedachten Gewinnerwartungen, undurchschaubaren Produkten und systematischen Manipulationen von Investoren, Mitarbeitern, Kunden und Regulierungsbehörden beruhte. Ken Lay, Gründer von Enron, war für George W. Bush „Kenny Boy“ und sah eine seiner Hauptaufgaben in der politischen Unterstützung des Unternehmens. Sein Nachfolger Jeff Skilling perfektionierte das Modell, indem er seine Leute aktiv dazu anhielt, Grenzen zu überschreiten und Skrupel zu überwinden.

Was uns alarmieren sollte

Enron ist Geschichte, Jeff Skilling im Gefängnis und als Reaktion auf den Verlust hunderttausender Arbeitsplätze und Betriebsrenten haben die Amerikaner im Sarbanes-Oxley Act die Unternehmensaufsicht deutlich verschärft. Dennoch hat die neue Regulierungsrunde die Finanzmarktkrise nicht verhindert. Das sollte uns alarmieren. Die Verflechtung zwischen Finanzunternehmen und Politik hat in den Vereinigten Staaten in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen; Finanzminister Henry Paulson als ehemaliger CEO von Goldman Sachs ist nur ein Repräsentant unter vielen.

Zentraler Bestandteil der neuen Finanzarchitektur sollte eine neue Balance der handelnden Personen zwischen Sachkunde und Interessenvertretung sein. Interessenkonflikte zwischen Regulierung und Geschäftserwartungen müssen nicht nur offengelegt, sondern auch ausbalanciert werden. Das öffentliche Interesse muss als solches tatsächlich repräsentiert und nicht von sachkundigen Investoren verdrängt werden. Sonst heißt es nur noch: Sell! Sell! Sell!

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