Plagiator ante portas

Noch rechtzeitig zur Wiederkunft: Eine Abrechnung der Wissenschaft mit dem Trickbetrüger Guttenberg

„Politik bedeutet ein starkes, langsames Durchbohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“, sagte Max Weber in seinem Vortrag „Po­litik als Beruf“. Alles andere als langsam verlief Karl-Theodor zu Guttenbergs kometenhafter Aufstieg. Und seine sprunghafte Amtsführung sowie seine durch eine Collage von Plagiaten erschlichene Disser­ta­tion zeigen, dass das Bohren dicker Bret­ter nicht gerade sein Metier ist. Sein Erfolg basierte auf einer enorm erfolgreichen Inszenierung. Insze­nierung als Beruf heißt folgerichtig auch der Sammelband, in dem die Wissen­schaft nun zu Wort kommt, die zur Auf­klärung des Falls Guttenbergs ja maßgeblich beigetragen hatte. 

Nur  13 Tage dauerte der jähe Absturz des Verteidigungsministers. Eingeläutet hatten ihn die Recherchen des Rechts­wis­sen­schaftlers Andreas Fischer-Lescano, der bei seiner Besprechung von Gutten­bergs Dissertation für die Fachzeitschrift Kritische Justiz auf erste Plagiate gestoßen war. Die vielleicht entscheidende Wende in diesen bemerkenswerten Tagen im Februar 2011 – der „Kairos“, wie Gutten­berg selbst wohl sagen würde –, war die öffentliche Erklärung des Bayreuther Staatsrechtlers Oliver Lepsius. Der Nach­fol­ger auf dem Lehrstuhl von Peter Hä­berle, Guttenbergs Doktorvater, bezeichnete den Minister vor laufenden Kameras als Betrüger, der mit Vorsatz gehandelt habe.

Bis dahin schien noch offen, ob die Vorwürfe am „Teflon-Minister“ wieder abperlen würden wie zuvor in der Kunduz- und Gorch-Fock-Affäre. Aber schon am folgenden Tag warfen Dokto­ran­den und wissenschaftliche Mitar­bei­ter Guttenberg in einem offenen Brief „massive, systematische Täuschung“ vor. Auch diese Aktion trug dazu bei, dass sich der bis dahin so populäre Minister trotz Rückendeckung von Kanzlerin und Bild-Zeitung schließlich zum „schmerzlichsten Schritt seines Leben“ gezwungen sah.

Die Überlegenheit des organisierten Schwarms

Zwei Monate nach Guttenbergs Rück­tritt versammelte Oliver Lepsius gemeinsam mit dem Potsdamer Lite­ra­turwissen­schaf­tler Reinhart Meyer-Kal­­kus im Berliner Wissenschaftskolleg Kol­legen, um den Fall aufzuarbeiten. Aus diesem Workshop entstand der vorliegende Sammelband. „Die Wissenschaftler handelten als Ci­toyen. Sie verteidigten nicht nur ihre Institutionen, sondern nehmen auch staatsbürgerlich Pflichten war, klären auf und beziehen Stellung“, schreibt Lepsius im Vorwort. An anderer Stelle im Buch formuliert er weiter: „Selten konnte in der Öffentlichkeit eine solch konkrete und anschauliche Werte­debatte geführt wer­den.“ Publizis­ten, Literatur­wissen­schaf­tler, Philoso­phen, Medienwissenschaftler, Soziolo­gen und sogar ein Archäologe spannen in dem Buch ein vielfältiges Ana­lyse­spek­trum auf.

Im ersten Teil des Sammelbandes diskutieren die Autoren den öffentlichen Dis­kurs in der Affäre – von der Medien­condoterie über das missglückte Krisen­management des Verteidigungsministers bis zur Logik der Skandalisierung im digitalen Zeitalter. Die Medienwissen­schaf­tler Henne Detel und Bernhard Pörksen heben die Rolle der Internetgemeinde gegenüber den klassischen Medien hervor: „Die Mitarbeiter der Spiegel-Dokumen­tation (die gehören zu den besten Re­chercheuren der Republik) finden in den einzelnen Phasen nur einen Bruchteil der Belege und können, da durch Redaktions­schluss und Druck­ter­mine blockiert, natürlich keine unmittelbare Aktualisie­rung des Skandal­ge­sche­hens liefern. Demgegenüber erzeugt der organisierte Schwarm eine enorme Ent­hül­lungsge­schwindigkeit, die auch das Ad-hoc-De­menti des Ministers unmittelbar wieder zu Staub zerfallen lässt.“

Publizistischer Selbsthass ausgerechnet im Hause „Zeit“

Im zweiten Teil des Buches setzt sich der FAZ-Journalist Nils Minkmar kritisch mit der Rolle der Medien auseinander. Am eindeutigsten bezog das „Fanzine“ Guttenbergs Stellung, die Bild-Zeitung. Nachdem Franz Josef Wagner („Scheiß auf den Doktortitel“) und der „Volks­entscheid“ erfolglos ins Feld geführt waren, forderte die Zeitung nach seinem Rücktritt allen Ernstes eine Rehabilitie­rung ihres Idols. Begründung: Auch Ostdeutsche, die über Marxismus promoviert hätten, würden den Doktortitel führen. Minkmar bescheinigt der Bild denn auch ein Guttenberg-Syndrom: „Da wurde kurzerhand die moralische Bench­mark für den einstigen Erneuerer der Wahrhaftigkeit bürgerlicher Politik auf den Level von Stasi-Unis gesenkt, als würde ein Missstand den anderen aufheben.“

Minkmar macht aber auch Journa­listen aus seriöseren Medien aus, die in der Causa Guttenberg versagten. Zum Beispiel habe Frank Plasberg in der ARD über die Impotenz des investigativen Jour­nalismus jubiliert, der gegen Gut­tenbergs Popularität (zumindest zeitweise) nichts auszurichten vermochte. Dabei ging es ja, so Minkmar, um die Bewer­tung einer objektiven Verfehlung, über die nicht mit einem Mehrheitsvotum von repräsentativ ausgewählten Bundes­bürgern abgestimmt werden könne.

Schwer nachvollziehen kann Nils Minkmar auch die Haltung der Zeit, die den Promotionsbetrug unter der Willy-Millowitsch-Kategorie „Wir sind alle kleine Sünderlein“ verbuchen wollte, vergleichbar mit dem im Leitz-Ordner versteckten Eierlikör. Minkmar erkennt in dem Fall gar „publizistischen Selbsthass“ und „eine Art Depression, die eigene Haltung zähle nichts angesichts der guten Umfragewerte eines Ministers“. Die große Popularität des smarten Franken habe Journalisten eingeschüchtert.

Diese Einschätzung mag etwas einseitig sein, schließlich haben viele Journa­listen, etwa auch von der Frankfurter Allge­­meinen, klar gegen Guttenbergs Ver­­fehlung Stellung bezogen. Für die Be­richterstattung zum Plagiatsfall erhielten die Redaktionen der FAZ vom „Netz­werk Recherche“ gerade den Journa­listenpreis „Leuchtturm“.

Was einer ist, was einer war, das wird beim Scheiden offenbar

Im dritten und ausführlichsten Teil des Buches untersuchen die Autoren Gut­ten­bergs Stil und Rhetorik. Dort wird etwa das Phänomen Guttenberg im Spiegel des römischen Heerwesens analysiert oder seine Pressefotos werden mit Renais­san­ce-Porträts verglichen. Der His­­to­­riker und Autor der Süddeutschen Zeitung Gustav Seibt erörtert die Rolle der adligen Her­kunft des Lügenbarons Guttenberg.

Seibt zieht eine Parallele zum hessischen Adligen und CDU-Politiker Casi­mir Prinz Wittgenstein, der sich einst in die abstruse Behauptung verstieg, das Schwarz­geld der hessischen CDU stamme aus jüdischen Vermächtnissen. Bei Guttenberg habe man „schon wieder ein virtuoses Stück dieser gummiartig beweglichen und zugleich wetterfest tannenhaften aristokratischen Prinzipien­stärke anstaunen dürfen“.

Mit besonderer Akribie widmet sich der Autor Sebastian Diziol Guttenbergs Rücktrittsrede. Denn wie schon der große Lyriker Hans Carossa wusste: „Was einer ist, was einer war, das wird beim Scheiden offenbar.“ Diziol seziert den über­bor­den­den Pathos („mit viel Herz­blut“) der Rede und analysiert Gut­ten­­bergs gekonnte Inszenierung als Märty­rer.

Der Minister stellt sich vermeintlich einsam und letztlich wehrlos vor seine Schutzbefohlenen ins Kreuzfeuer seiner Gegner. Schließlich gebe er nicht allein wegen seiner „so fehlerhaften Doktor­arbeit“ auf. Sondern auch, so Gutten­berg in der dritten Person über sich, weil „die öffentliche und mediale Betrach­tung fast ausschließlich auf die Person Gutten­berg und seine Dissertation statt beispielsweise auf den Tod und die Ver­wun­dung von 13 Soldaten abzielt. So findet eine dramatische Verschiebung der Auf­merk­sam­keit zulasten der mir Anver­trauten statt.“

Der Konflikt werde, so der Minister, auf dem Rücken der Soldaten ausgetragen, die ihm doch so sehr ans Herz gewachsen seien. Damit deutet Guttenberg die Geschehnisse geschickt um: Er handelt stets verantwortungsbewusst, während seine Kritiker moralisch fragwürdig agieren.

Was gegen den schlechten Zustand der deutschen Politik getan werden müsste

Das Buch enthält 13 überaus lesenswerte Aufsätze. In einem Jahr, in dem „Plagiat“ das Wort des Jahres werden könnte, und in dem sich die Frage stellt, ob zur Causa Guttenberg überhaupt noch etwas Neues zu sagen ist, fügt das Buch einer bereits ausführlich und leidenschaftlich geführten Debatte eine Reihe neuer und gut reflektierter Aspekte hinzu. Der Sammel­band leistet einen wichtigen Bei­trag, um Beharr­lichkeit und Augen­maß in der Politik von leerer Inszenie­rung trennen zu können.

Diese Fähigkeit dürfte schon bald wieder gebraucht werden. Der katholische Herder-Verlag hat soeben einen Inter­view-Band herausgebracht, in dem Guttenberg laut Verlagsankündigung unter anderem über „den schlechten Zustand der deutschen Politik und Par­teien und was dagegen getan werden müs­ste“ spricht. Ge­sprächspartner ist Zeit-Chef­redakteur Gio­vanni di Lorenzo, der noch wenige Tage vor Guttenbergs Rücktritt für dessen Verbleib im Amt plädiert hatte. Das Interviewbuch kündigt ein baldiges Wiedersehen an. Es heißt: „Vor­erst gescheitert“. «

Oliver Lepsius und Reinhart Meyer-Kalkus (Hrsg.), Inszenierung als Beruf: Der Fall Guttenberg, Frankfurt: Suhrkamp Verlag 2011, 215 Seiten, 10 Euro

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