Partei der soliden Finanzen

Nur wo Bürger den Staat für leistungsfähig halten, können Sozialdemokraten erfolgreich sein. Darum haben gerade sie allen Grund, haushaltspolitisches Augenmaß zu ihrem Markenkern zu machen

Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist nicht nur eine ökonomische Zäsur. Ihre Folgen verändern auch unser Bild vom Staat – aber noch ist offen, in welcher Weise. Einerseits verlangen die hohen Schuldenberge den europäischen Staaten für viele Jahre große Sparanstrengungen ab. Wobei hinzu kommt, dass Europas Konservative und Liberale den angeblich überdehnten, „sozialdemokratischen“ Staat für die Schuldenkrise verantwortlich machen, um den Abbau staatlicher Leistungen und ihre Steuersenkungen zu legitimieren. „Der Schuldendiskurs wird Staat, Politik und soziale Demokratie auf Dauer als Problem statt als Lösung definieren“, lautet die Prognose von Wolfgang Streeck, dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung. Andererseits aber war es ja der Staat, der mit Konjunkturprogrammen und klugen sozialen Maßnahmen den Wirtschaftseinbruch nach 2008 abfederte. Gerade in der Krise zeigte sich, dass staatliches Handeln für eine funktionierende Wirtschaft unverzichtbar ist. Beobachten wir nach dem Scheitern der neoliberalen Ideologie also vielmehr ein revival of the state?

Für Europas Sozialdemokraten ist die Frage, welches Verständnis vom Staat sich durchsetzen wird, von geradezu existenzieller Bedeutung. Um ihre Werte und Ziele verwirklichen zu können, sind Sozialdemokraten darauf angewiesen, dass das Leitbild eines handlungsfähigen Staates gesellschaftlichen Rückhalt besitzt. Dieser Staat braucht ausreichende finanzielle Mittel – auch langfristig. Somit hängt die Glaubwürdigkeit sozialdemokratischer Parteien gerade in Zeiten knapper Kassen davon ab, wie sie die Aufgaben des Staates finanzieren wollen.

Jedoch haben Europas Parteien der linken Mitte in den vergangenen Jahren sehr unterschiedliche haushaltspolitische Wege eingeschlagen. Beispielsweise kündigte der französische Präsidentschaftskandidat François Hollande im Wahlkampf an, er werde die Verschuldung abbauen, das Steuersystem vereinfachen und neue Ausgabenprogramme auflegen. Aber ein realistisches Sanierungskonzept hat Hollande bisher nicht vorgelegt. Allein mit den von ihm vorgeschlagenen Steuererhöhungen wären diese Pläne nicht zu finanzieren. Die britische Labour Party wiederum führt gerade eine heftige Debatte über ihren finanzpolitischen Kurs. Ausgangspunkt ist ein Thesenpapier des Think Tank Policy Network. Die kontroverse Forderung: Um als glaubwürdige Alternative zur konservativen Regierung wahrgenommen zu werden, müsse sich Labour auf eindeutige Ziele in Bezug auf den Defizitabbau verpflichten – und klare haushaltspolitische Schwerpunkte benennen.

Während die Parti Socialiste in Frankreich also populistische Wahlversprechen macht und Labour sich in einer finanzpolitischen Selbstfindungsphase befindet, setzen die deutschen Sozialdemokraten ihre solide Haushaltspolitik fort. Im Jahr 2009 hatte die Partei gemeinsam mit der CDU/CSU die Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben, die der Neuverschuldung verbindliche Grenzen setzt. Nun bekennt sich die SPD – als Oppositionspartei für manche überraschend – erneut zu diesem Kurs. Auf dem Bundesparteitag im Dezember verabschiedete sie einstimmig ein solide durchgerechnetes Finanzkonzept. Mit diesem „Pakt für Bildung und Entschuldung“ will die SPD zusätzliche Mittel für wichtige Investitionen generieren und dabei die Schuldenbremse strikt einhalten. Gleichzeitig bildet das Dokument den Rahmen für die Regierungsübernahme im Jahr 2013. „Wir versprechen nichts, was wir nicht bezahlen können“, beschloss der Parteivorstand mit Blick auf das Regierungsprogramm.

Viel spricht dafür, dass die SPD mit diesem Ansatz den Nerv der Zeit trifft. So nimmt die Angst vor den ausufernden Staatsschulden im „Sorgenbarometer“ mittlerweile den ersten Platz ein. Eine rationale Reaktion: Betrug der Schuldenstand 1970 noch 18 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, war er Ende 2011 auf mehr als 80 Prozent angestiegen – gut 20 Prozentpunkte über der Maastrichtgrenze. Den Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen M. Reinhard zufolge werden Staatsschulden spätestens bei einer Quote von 90 Prozent zum ernsten Wachstumshemmnis.

Zwar sind für die deutsche Schuldenentwicklung auch externe Schocks wie die Wiedervereinigung verantwortlich. Aber das Grundproblem – und das wissen die Bürger – liegt in der Struktur des Bundeshaushalts: Jahrzehntelang wurde der laufende Betrieb auch über Schulden finanziert. Den letzten ausgeglichenen Haushalt legte eine Bundesregierung im Jahr 1969 vor. Zusätzlich verstärkt wird das Unbehagen der Deutschen über das Defizit durch die extremen Schuldenstände in anderen europäischen Staaten, die mit der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar sind. Darüber hinaus ist der ungünstige demografische Trend mit seinen negativen Folgen für Wirtschaft und Sozialsysteme im allgemeinen Bewusstsein angekommen. Parallel dazu ist die Erkenntnis gewachsen, dass es eine trügerische Hoffnung ist, den Haushalt qua überdurchschnittlicher Wirtschaftsentwicklung ins Gleichgewicht bringen zu können. Zumal auch unter Sozialdemokraten derzeit eine intensive Debatte über Alternativen zum „Wachstumszwang“ geführt wird.

Krisenbewusstsein und Erwartungshaltung

Trotz des verbreiteten Unwohlseins in Bezug auf die Staatsverschuldung haben die meisten Bürger weiterhin hohe Ansprüche an den Staat und seine Institutionen. Dafür sprechen nicht zuletzt die öffentlichen Proteste gegen Schwimmbadschließungen, schlecht ausgestattete Kitas oder Stundenausfälle in den Schulen. Kurz: Es herrscht ein ausgeprägtes Krisenbewusstsein bei gleichzeitig hoher Erwartungshaltung. Kein Wunder also, dass die Menschen von einer Regierungspartei im Wartestand wie der SPD eine hohe Problemlösungskompetenz auf dem Gebiet der Haushaltssanierung erwarten.

Das sozialdemokratische Finanzkonzept enthält einen Dreiklang aus moderaten Steuererhöhungen, konkreten Sparvorschlägen und Investitionen. Auf der einen Seite muss der Staat dauerhaft höhere Einnahmen erzielen: Angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung sind die Einführung einer Vermögenssteuer und ein höherer Spitzensteuersatz von 49 Prozent ab 100.000 Euro gerechtfertigt. Es handelt sich also um eine moderate Steuererhöhung für die Besserverdienenden. Auf der anderen Seite muss der Staat bei den eigenen Ausgaben weiter kürzen. Die Partei plant, Subventionen stufenweise zu reduzieren. Ein Schwerpunkt liegt beim Abbau ökologisch schädlicher Subventionen, etwa bei den Vergünstigungen für Agrardiesel und Flugbenzin. Mit diesen Entscheidungen schafft die SPD Spielräume für dringend notwendige Investitionen in Bildung, den Ausbau der Infrastruktur und für die Stärkung der Finanzkraft der Städte und Kommunen. Sparen und klare Prioritäten bei den Ausgaben – beides muss Hand in Hand gehen. Damit die Menschen Verbesserungen spüren.

Die SPD kann und muss im kommenden Bundestagswahlkampf offensiv für ihr Finanzkonzept werben. Dies gilt umso mehr, als die Union unter Finanzminister Schäuble haushaltspolitisch versagt. Sein 2010 vorgelegtes Sparpaket, das den Bundeshaushalt binnen vier Jahren um 80 Milliarden Euro entlasten sollte, bestand zu großen Teilen aus Luftbuchungen und Rechenschiebereien. Der aktuelle Rückgang der Neuverschuldung ist ausschließlich der guten Konjunktur geschuldet. Und dass die Steuern ab 2013 sinken sollen, wird nur durch die so genannte Defizit-Lüge möglich: Mit einem Rechentrick bricht Schwarz-Gelb die Schuldenbremse, um höhere Verschuldungsspielräume für den Wahlkampf zu gewinnen – gegen den Protest von Sachverständigenrat, Bundesbank und Rechnungshof. Im Klartext: CDU/CSU und FDP können nicht mit Geld umgehen.

Seit Jahren leidet die SPD darunter, dass die Union in die Mitte rückt, indem sie sozialdemokratische Vorhaben und Projekte plagiiert – ob Mindestlohn, Elterngeld, Atomausstieg oder die Finanztransaktionssteuer. Die Haushaltspolitik ist ein wichtiges Themenfeld, auf dem umgekehrt die SPD den Konservativen den Rang ablaufen kann. Dabei ist Disziplin gefragt; historisch gewachsene Perzeptionen lassen sich nur schwer verändern. Vor diesem Hintergrund stellt die europäische Staatsschuldenkrise für die SPD eine ernste Gefahr dar. Nicht von ungefähr versucht die Regierungskoalition, Rot und Grün als diejenigen hinzustellen, die aus der EU mithilfe von Euro- und Project-Bonds eine dauerhafte Transfergemeinschaft machen wollen. Kauder & Co. geht es darum, tiefer sitzende Vorurteile in der Bevölkerung gegenüber den Sozialdemokraten anzusprechen. Leider bietet die SPD diesbezüglich einige Angriffsflächen. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel auf reine Sparpolitik in den Krisenländern setzt, fordert die SPD-Parteiführung zusätzliche Mittel, um Wachstumsperspektiven zu ermöglichen. Ökonomisch mag das sinnvoll sein. Nur müssen die möglichen Konsequenzen klar sein: Wieder einmal kann sich Angela Merkel als „Euro-Fighterin“ präsentieren, die das Geld der deutschen Steuerzahler zusammenhält. Die SPD hingegen wirkt, als wolle sie das Portemonnaie ständig weiter öffnen. Auch deshalb ist es so wichtig, dass die SPD an ihrer Forderung festhält, eine europäische Finanztransaktionssteuer einzuführen – als Gegenfinanzierung für diese zusätzlichen Ausgaben.

Fazit: Die SPD hat es selbst in der Hand. Mit einer konsistenten Politik für stabile Finanzen stärkt sie nicht nur die Ressourcen des aktiven Staates, sondern damit zugleich auch das Vertrauen der Bürger in ihn. Nur so lassen sich die Grundvoraussetzungen für sozialdemokratische Wahlsiege und wirksame sozialdemokratische Politik erhalten.


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