Nachtleben...Das rheinische Viertel in Berlin

Über Karnevalsbemühungen und Kölsch-Kneipen

Während Preußen seinen 300. Geburtstag feiert, macht das Rheinland in Berlin mobil und bereitet sich damit auf einen späten Sieg vor. Mit Karnevalsparaden und Kölschfestungen treffen die Rheinländer mitten ins preussische Herz: In der Mitte von Berlin-Mitte etabliert sich das rheinische Viertel.

An gewöhnlichen Vormittagen ist es weder für den Durchreisenden, noch für den Einheimischen erkennbar. Erst die fünfte Jahreszeit offenbarte kürzlich, wie weit die Versuche der späten rheinländischen Rache zwei Jahre nach dem Regierungsumzug gediehen sind. Nahezu 200.000 Menschen wurden in Eiseskälte Unter die Linden gelockt und mit Kamelle und Strüßche bestochen. Im Tränenpalast, zu DDR-Zeiten erfahrbares Symbol deutsch-deutscher Teilung, stiegen nun mehrtägige Karnevalsfeiern und in den Kölsch-Kneipen an der Spree feiern die Jecken mit Luftschlangen und Pappnasen. Über dem Viertel lag ein Hauch von Kölsch-geschwängerter Berliner Luft und markierte damit bereits ab 11.11 Uhr das Gebiet der organisierten Heiterkeit.

Als damals die Preußen das Rheinland besetzt hielten, adaptierten die Jecken die roten, blauen und grünen Uniformen der Militärmacht und machten sich so über ihre Besatzer lustig. Heute bekommt Berlin dieses antipreussische Element in Form von Karnevalsgarde, Prinzenpaar und Funkemariechen re-importiert - und der Rheinländer lacht doppelt. Denn nun stehen den bunten Garden zur kulturellen Infiltration auch noch die zurückgeschickten Heerscharen preussischer Beamter zur Seite, denen in jahrelanger Schlipsabschneiderei zwei geheiligte Feiertage (Weiberfastnacht und Rosenmontag) beigebracht wurden, während derer man auch in der neuen Hauptstadt jegliche dienstliche Kommunikation innerhalb der Bundesbehörden brach liegt. Wer das nicht glaubt, sollte mal probieren, am Rosenmontag im Öffentlichkeitsreferat einer Ministeriumskopfstelle eine Broschüre zu bestellen: "Vermittlung. - Der is heut secher nit do. - Isset denn wichtisch? - Isch jläuve, da is nur de Minister. Möschten se denn den spreche? - Na jot. Dann probernse et even Donnerstaach wieder."

Soweit, so düster für das alte Preußen. Die Rheinländer sind in Berlin angekommen und das obergärige Bier fließt aus mehreren Zapfhähnen in den Hauptstadtkneipen. Daß Kölsch Bier ist, bestätigen zwar Brauer, kölsche Kneipiers und chemische Analysen - allein: Es schmeckt nicht wie Bier, und auch die bis zu 4,9 Prozent Alkohol können den trübsinnigen Schaum, der an Spülwasser erinnert, nur ergänzen. Immerhin, weil es nicht nach Bier schmeckt, ist es leicht zu schlucken und führt - inzwischen nicht nur Rheinländer - in verschiedene Stadien des Deliriums.

Diesen wollen wir heute ins Auge blicken und dabei die rheinländischen Bastionen erkunden. Fangen wir überschaubar an: Das Piccolo ist die kleinste der Kölsch-Kneipen. Wer kein Kölsch (0,2l für 2,80 Mark) mag, dem serviert der Wirt Thomas Koch Weizen oder eine Reihe ausgesuchter Weine. Der Flammekuchen (8 Mark) ist legendär, doch Küchenchef Andreas Schmid bietet auch andere "junge wilde" Leckereien (bis 32 Mark). Die Wände sind mit Bildern trinkender Politprominenz gepflastert und selbst neben dem Urinal prostet Dir Theo Waigel (er soll kürzlich eine Augenbrauerei in München eröffnet haben) zu. Durch das Hinterzimmer wurde das Piccolo schnell zum Stammlokal der donnerstäglichen Nach-Netzwerk-Runden. Doch inzwischen hat sich der Treffpunkt fraktionsübergreifend herumgesprochen.

Der Kölsche Römer wird vom Römer Bellini geführt - und so vermischt sich Rheinland und Italien. Eine Wandmalerei zeigt den Stolz der Kölner, ihren Dom (in Berlin hieße das "Doppelerektion") hinter ein paar römischen Ruinen (Heinrich Böll bemerkte dazu, daß erst die Hohenzollern diese Bauruine fertigstellen ließen). Die Kölner behaupteten schon lange, in der nördlichsten Stadt Italiens zu leben: Sie betonten die Tradition der römischen Provinzhauptstadt und holten, durch frühe Industriealisierung angespornt, viele italienische Gastarbeiter in ihre Stadt. So wurde "Pizza & Kölsch" zum regional gültigen Hauptmenu, was sich auch in der Karte wiederfindet (Speisen 11 bis 34 Mark, Pizza 8,50 bis 17,50 Mark, Kölsch 0,3l für 4 Mark). In den unteren drei Gasträumen ist Platz für rund 80 Personen und die oberen Gesellschaftsräume haben spätestens seit Friedel Drautzburgs Netzwerk-Auftritt "Von der Schumannklause zur StäV - Sozialismus und Alkoholismus zwischen Rhein und Spree" das Potential für weitere legendäre Politveranstaltungen (ebenfalls 80 Personen).

Mehrere Kölsch-Stangen weiter brauchen wir nur über die Straße zu gehen und landen im bekanntesten Kölsch-Lokal, der Ständigen Vertretung. Als touristische Attraktion ("Hier kannst du echte Rheinländer sehen") ist das Lokal durchweg gut besucht und dient als unkomplizierter, weil allen bekannter Treffpunkt der Pendelbeamten. Die Speisekarte versucht - offenbar nicht vergeblich - den Brückenschlag zwischen Rhein und Spree. Doch die Getränke ... auch hier fließt nur Gaffel aus dem Zapfhahn. Wir werden kurz aufgeklärt: die Grunert und Drautzburg gehörende rheinländische Dreier-Bastion (StäV, Piccolo und De Kölsche Römer) sind zusammen der größte Einzelabnehmer der Gaffel-Brauerei. Aha! Und da sitzen auch schon die Jecken unter der Leitung des ehemaligen Karnevalsprinzen und aktuellen Festausschußvorsitzenden Harald Grunert der die nächste feindliche Übernahme plant. Meine Kölner Begleitung grinst über die Hoffnungslosigkeit in meinem Gesicht. BAP tönt aus den Boxen und wir verlassen das Lokal.

Zum Abschluß des Abends begeben wir uns in die ostdeutsche Antwort auf das rheinische Viertel - die Gaststätte W. Prassnik. Hier geht hin, wer dem rheinischen Treiben entfliehen, aber nicht auf sein Kölsch verzichten möchte - zumal es billiger als in seiner Heimat ist (0,2l für 2 Mark). Es ist scheinbar die einzige Lokalität in Mitte, die Früh-Kölsch im Angebot hat (es gibt aber auch Bier). Von der Inneneinrichtung bis zum Teller stammt alles liebevoll-konsequent aus ehemaligen Ost-Kneipen und Sperrmüllfundstücken und verströmt mit nüchtern-grauem Anstrich und 60-Jahre-Lampen an den Wänden und über der Theke eine eigene, doch angenehme Atmosphäre. Die Speisekarte bietet zu Ost-Tarifen von 3 bis 18 Mark ein kleines, sättigendes und schmackhaftes Programm. Sonntags und montags bedient ein lyrischer Koch gern selbst. Prassnik kommt von prassen. Das haben wir heute Abend hinter uns.

Ich schaue, die Beziehung zwischen Rheinland und Preußen testend, kölsch-seelig meine rheinische Begleitung an und frage als Berliner "Janz jut?", und der Karnevalist antwortet "Echt jot" - ab zwei Promille verstehen wir uns wieder. Das Kölsch schmeckt inzwischen auch. Aber warum muß ich mir zu später Stunde von einem Rheinländer Friedrich den Großen zitieren lassen: "Jeder nach seiner Facon!" Na, vielleicht hat er ja doch begriffen, daß die preussische Toleranz auch kölsche Karnevalsscherze integriert. Was kümmert es eine deutsche Eiche, wenn sich eine Sau dran ... Schluß jetzt! Zum Ausnüchtern geht′s ab ins Bettchen.

De Kölsche Römer - Rheinisch-Italienisches Lokal, Albrechtstraße 12, Tel.: 030 / 27594623, www.de-koelsche-roemer.de
Piccolo - Weinstube, Reinhardtstraße 37, Tel.: 030 / 28047323, www.weinstube-piccolo.de
Ständige Vertretung - Kölsch-Lokal, Schiffbauerdamm 8, Tel.: 030 / 2823965, www.staev.de
W. Prassnik - Gaststätte und Früh-Kölsch-Kneipe, Torstraße 65

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