Bill, Bambi und die romantischen Machos

EDITORIAL

Niemand konnte es so gut wie Bill Clinton. "Ich will ein Amerika", rief er auf dem demokratischen Nominierungskongreß 1992 seinen Wählern zu, "das jede Familie einschließt: jede traditionelle Familie, jede Patchwork-Familie, jede Ein-Eltern-Familie und jede Pflegefamilie. Jede Familie!" Und anrührend wandte er sich an jedes Kind in Amerika, "das da draußen versucht, ohne einen Vater oder ohne eine Mutter groß zu werden. Ich weiß, wie du dich fühlst. Auch du bist etwas Besonderes. Du bist wichtig für Amerika. Und laß dir niemals von irgendjemandem einreden, daß du nicht werden kannst, was immer du willst!"

Nun haben wir in Deutschland schlechte Erfahrungen mit pathetischen Auftritten gemacht. Demokratische deutsche Reden sind deshalb eher nüchtern. Aber Clintons Familienpathos - ist einfach schön. Wo überhaupt in der Politik dürfen denn Gefühle, Bindungen und Beziehungen mitgedacht werden, ohne die alles nichts wäre, wenn nicht in der Familienpolitik? Mit ihnen ist zu rechnen - wie in Walt Disneys "Bambi": Bambi und seine Mutter flüchten vor den Jägern von der Wiese in den Wald, ein Schuß, weiterrennen, atemlos weiterrennen, endlich bleibt Bambi stehen, blickt sich um: "Mama?"

Da hat sich gerade etwas an der Familienkonstellation geändert. Und trotzdem muß Bambi groß werden.

Familienpolitik ist auch in Deutschland zu einem wichtigen Thema geworden, auch für die Linke. Während die Unionsparteien gerade damit begonnen haben, ihr Frauenbild zu modernisieren und nach Papierlage bei der "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" angekommen sind, nimmt die SPD langsam Abschied von dem Generalverdacht der reaktionären Spießigkeit, unter dem die Familie zwanzig Jahre lang stand.


Im noch geltenden Berliner Grundsatzprogramm von 1989 heißt es scheinbar neutral: "Der Wandel der Gesellschaft spiegelt sich im Wandel der Lebens- und Beziehungsformen. In ihren Lebensgemeinschaften suchen Menschen Liebe, Geborgenheit, Anerkennung und Wärme. Sie gehen dazu vielfältige Formen von Bindungen ein, die auf Dauer angelegt sind. Davon ist die Ehe die häufigste. Sie steht wie die Familie unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Für uns haben aber alle Formen von Lebensgemeinschaften Anspruch auf Schutz und Rechtssicherheit."

Wandel - vielfältige Formen - Ehe die häufigste (noch) - besonderer Schutz des Grundgesetzes (kann man nichts machen) - Aber ... Soll heißen: Die Ehe zum Beispiel ist für liberale, frauenbewegte, individualistische, flexible Linke von heute nicht mehr normativ, sondern nur noch empirisch von Bedeutung. Ein gerade historisch werdendes Repressionsinstrument aus den vergangenen Tagen des Patriarchats. Und solche kleinbürgerlichen Jungs wie Gerd, Oskar oder Joschka, die immer wieder gleich heiraten wollen, sind hoffnungslos altmodisch - romantische Machos. Gern werden unterschiedliche Familienformen gegeneinander ausgespielt, fatale Tendenzbotschaft: Je weniger Verbindlichkeit und Verantwortung, desto besser. - Das soll sich nun ändern.

Neben dem Schwerpunktthema Familie sei an dieser Stelle besonders hingewiesen auf die Vorschläge des ehemaligen Clinton-Beraters Dick Morris zu einer wertgebundenen sozial-demokratischen Agenda im 21. Jahrhundert und auf Jürgen Krönigs sehr unkonventionellen Essay zu den BSE-Ursachen.

Neu in den Herausgeberkreis der Berliner Republik eingetreten sind die Abgeordneten Nina Hauer (Karben) und Ulrich Kelber (Bonn).

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