Mit den Zwergen auf die Piste

Im Winter ist es immer dunkel. Da fängt das Nightlife gleich nach dem Kindergarten an - mit freundlicher Unterstützung von Anne Sophie, Daniel, Dirk, Elise, Flo, Henrik, Julius, Lara und Susi

In meinem Freundeskreis war die Fruchtbarkeit in letzter Zeit besonders hoch. Seitdem fehlen mir abends meist ein paar Menschen. Wie funktioniert es also, mit Kindern auszugehen? Schwierige Frage, wenn man selbst keins hat. Aber leihen Sie sich mal ein Kind! Das ist nicht leicht!* – „Wir können aber gerne zusammen ausgehen.“ So haben wir es dann auch gehalten. Und zwar im Prenzlauer Berg, der ein sehr eigenes Kinder-Eltern-Biotop sein soll.

Das gemeinsame Weggehen beginnt nach dem Ende des Kindergartens. Im Winter ist es jetzt draußen schon Dunkel – fast wie im wirklichen Nachtleben. Wir machen uns zurecht, packen Windeln und Wickelunterlage sowie Spielsachen ein, klemmen den Schnuller an – schon geht’s los. Erstmal nur bis zum Kinderwagen im Hausflur. Abketten, einpacken, festzurren – das erinnert mich an mein Motorrad.

Die erste Station ist das Kiez Kind, ein Pavillon mitten auf dem Helmholtzplatz. Die Fensterläden sind aufgeklappt, so dass Boxen entstehen, in denen die Kinderwagen geparkt und von innen gesehen werden können. Vierzehn Stück stehen vor dem Laden wie die Pferde vorm Saloon. Innen herrschen Bullenhitze und viel Lärm. Nichts für einen verkaterten Samstagmorgen. Wahrscheinlich sehe ich deshalb Freitagabends kaum noch Elternfreunde.

Im Kiez Kind gibt es viel Spielgerät und einen Sandkasten. Drumherum sitzen die Eltern, vor allem Frauen. Sie unterhalten sich, stillen, schauen ihrem Nachwuchs zu, lesen oder spielen mit. An der Theke gibt es für 30 Cent einen Kinderlatte (Milchschaum) oder Windeln in Größe 2-4. Die Gespräche erinnern an ein Tuningtreffen auf dem Baumarktparkplatz. Denn es gibt hier nur ein Thema: Buggys. Mit den höher gelegten Fahrzeugen für 1.200 Euro etwa hat man „20 Zentimeter mehr Abstand von der Hundescheiße“. Profimütter benutzen den ultimativen Prenzlauerbergbuggy namens „Bugaboo“. Selbst Heike Makatsch soll schon mit dem gesehen worden sein. Im Übrigen ist viel zu erfahren über Stufenhöhen von Einkaufsläden, Rangierarbeit in Cafés oder „richtig coole Mütter, die ihren Nachwuchs vor der Tür im Kinderwagen schlafen lassen“. Ich schiebe mein Leihkind in so etwas wie dem Opel unter den Buggys weiter – aber Gott sei Dank ist es ja schon dunkel. Und das Kind schläft.

Rückbildungskurs? Das wäre doch mal was!

Das Kinderwagenaufkommen in der Schliemannstraße um die Ecke ist ebenfalls sehr hoch: Gerade ist der Rückbildungskurs zu Ende. Ich lasse mir erklären, was das ist und denke, dass ich das auch gebrauchen könnte. Es ist eine gute Gelegenheit, mich darüber zu informieren, wie die Eltern es schaffen, trotz Kindern wegzugehen. Generell, wen wundert es, wird das Leben häuslicher. Wer los will, braucht schließlich einen Babysitter, Freunde oder Großeltern. Auch getrennt ausgehen ist manchmal drin, „obwohl die Beziehung ja schon leidet, wenn man sich nur noch das Kind und die Klinke in die Hand drückt“. Manchmal bietet sich auch die Schicht-Party an: um 21 Uhr stillen, der Vater hütet das Kind, während die Mutter tanzen geht (und zwar sofort auf die Tanzfläche); um 24 Uhr zurück, stillen, dann geht der Vater weitertanzen, meist auf derselben Party.

War man früher mit Kind unterwegs, hat man sich Kneipen zuallererst danach ausgesucht, ob es rauchfreie Zonen gab. Seit dem Nichtraucherschutzgesetz bieten sich neue Möglichkeiten: „Meine Freundin und ich haben uns vorgenommen, nach dem Rauchverbot unsere alten Kneipen mit den Kindern wieder zurückzuerobern.“ Gelegentlich müssen aber auch eigene, kindgerechte Feten organisiert werden: Sylvester mit anderen Jungfamilien, Hochzeit mit extra Kinderraum und Babysitter oder die rauchfreie Geburtstagsparty samt mitgebrachter Spielecke.

„Windeln mit Kaka bitte in die Plastiktüte“

Je nach Erziehungskonzept werden Babys abends manchmal auch mitgenommen. Hierzu eignet sich der „Baby Björn“. Es ermöglicht der Mutter, das Kind, das vorher im Bauch war, unter Beibehaltung der äußeren Form vor den Bauch zu schnallen. Männer mit Bauch können mit diesem Gerät und einem Kind den Bauch kaschieren – fast jedenfalls.

Das BABAR’S ist ein Eltern-Kind-Café in einem umgebauten Wohnzimmer. Hier gibt es ein Spielpodest, viele Bücher, unendlich viel Spielzeug, ein paar Tische – und Regeln. Diese lauten, grob zusammengefasst: Viel Konsumieren! Nur Babynahrung darf mitgebracht und verzehrt werden! Spielzeug aufräumen! Gelegentlich unterbrochen von „Oliver**, was soll denn das?“-Rufen kreisen die Gespräche um Teilzeitarbeit, Erziehungsurlaub, Kinderturnen, einkaufende Nannys und schlaflose Nächte. Ein Vater schildert das beste Erlebnis seines heutigen, ersten Tages in Elternzeit: „Ich habe ausgeschlafen.“ Zwei weitere Läden werden als besonders kindgerecht gelobt: das Jacques und das Blumencafé. Im Wickelraum („Der ist wichtig!“) assistiere ich nur. Eigentlich einfach – den Lappen befeuchten und sich an die Schilder halten: „Bitte Windeln mit Kaka vorher in eine Plastiktüte (liegt am Waschbecken) stecken.“

Auch im BABAR’S beeindrucken mich die Fachdiskussionen an den Nachbartischen: über den besten Anbieter von Kinderbernsteinketten, Saugverwirrung oder das richtige Laufrad – nämlich das aus Holz (auch wenn es fünfmal teurer ist als sein Pendant aus Plastik). Wachsen Kinder außerhalb des Prenzlauer Berges eigentlich genauso auf? Zumindest soll im Berliner Szene-Viertel die „Mütterpolizei“ eine besonders starke Dichte aufweisen. Zum festen Wortschatz dieser „Sanddornfraktion“ gehören Begriffe wie „Öko-Windel-System“, „Dinkelstangen“ oder auch die Frage: „Wie, Sie haben ihr Kind impfen lassen?“

An der Theke gibt es Kuchen, Suppe, Bio-Lunch und sogar Bier. „Aber stell Dir vor, du wärst ohne Kind hier und hättest dann auch noch ein Bier bestellt“, sagt ein Vater. Quasi unvorstellbar. Oder gefährlich. Ich habe ein Baby vor dem Bauch und bestelle noch eine Waffel. Wieder bin ich hilflos. „Soll ich Dir das mal in mundgerechte Stücke schneiden?“ Ja. Danke.

Jetzt kommt die Zeit der Eltern; wir gehen essen. In der Zia Maria wird die Pizza auf Holzplatten serviert und schmeckt wie in der Toskana. Den Wein zapft man selbst, isst mit der Hand und sitzt auf niedrigen Holzbänken, was den etwas älteren Kindern sehr gefällt. Sogar der Kinderwagen passt hier rein. Einige Elternteile gehen früher, entweder um zu stillen („Das geht hier nicht“), oder um die Windel zu wechseln („Die ist bis zum Hals zugeschissen“). Der Feinkost-Pizzeria fehlt der Wickelraum, dafür bekommt Papa sein Ministeriumshemd bekleckert. Aber danach geht es ja für alle nach Hause.

BLUMENCAFÉ - Blumenladen mit Café und Papageien – Schönhauser Allee 127a
BARBAR’S – Kinder, Literatur, Café – Gethsemanestraße 8
JAQUES – Café mit Spielzimmer und Rutsche – Senefelder Straße
KIEZ KIND – Eltern-Kind-Laden – Helmholtzplatz
ZIA MARIA – Feinkost-Pizzeria – Pappelallee 32a

* Obwohl man mir sogar eins mitgegeben wollte. Allerdings schrie das Kind dann auf meinem Arm volle fünf Minuten lang und ich musste es den Eltern hilflos wieder überreichen.
** Name von der Redaktion geändert.

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