Land der Väter?

zu Katharina Oerder und Christina Schildmann, Schafft die obligatorischen Väterferien!, Berliner Republik 1/2014 und Christopher Gohl, Zwangszeit für Väter ist ein Rückschritt - eine Erwiderung, Berliner Republik 2/2014

Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern scheint in Deutschland nachhaltig gestört zu sein. Den beiden Autorinnen Katharina Oerder und Christina Schildmann geht es bei der Frage nach der Gleichberechtigung von Müttern und Vätern zu langsam, dem durch ihren provokanten Vorschlag aufgeschreckten Christopher Gohl offenbar zu schnell mit der Emanzipation. Es wird Zeit, alte Missverständnisse auszuräumen und neuen Mut zu machen.

Erstes Missverständnis: Der deutsche Vater ist ein weitgehend unbekanntes Wesen. Im Unterschied zu Skandinavien, wo sich die Familienpolitik seit den siebziger Jahren auch an die Väter richtet, hat die deutsche Familienpolitik die Väter erst vor wenigen Jahren entdeckt. Das vor sieben Jahren eingeführte Elterngeld ist die erste Leistung, die von ihnen etwas abverlangt, nämlich Zeit, Engagement und Aushandeln. Waren es früher gerade einmal vier Prozent der Väter, die zugunsten ihres Nachwuchses eine berufliche Auszeit nahmen, sind es heute bereits 30 Prozent.

Zweites Missverständnis: Ein Wunder der Gleichberechtigung hat das Elterngeld dagegen nicht bewirkt. Drei Viertel der Väter und 90 Prozent der Mütter machen anschließend weiter wie zuvor. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Müttern hat sich zwar in den vergangenen Jahren deutlich erhöht. Dennoch ist die Gesamtstundenzahl gleich geblieben. Der Anteil der Frauen in Vollzeitbeschäftigung ist sogar gesunken, während der Anteil der Teilzeitkräfte mit weniger als 15 Stunden pro Woche gestiegen ist. Fast 70 Prozent der berufstätigen Mütter arbeiten Teilzeit. Bei den Männern sind es 5 Prozent. Die durchschnittliche Väterzeit beträgt gerade einmal drei Monate. Die Norm ist der „Zweimonatsvater“. Viele Paare begründen ihre Entscheidung für „12 plus 2“ mit dem Einkommensverlust. Wenn er mehr als sie verdient, bedeutet jeder weitere Monat Elternzeit weniger Geld für die Familie.

Drittes Missverständnis: Die Norm des Zweimonatsvaters ist von den Frauen gewollt. In der neuen Studie „Moderne Väter“ geben zwei Drittel der befragten Väter an, dass ihre Partnerin ausdrücklich zwölf Monate in Elternzeit gehen wolle. Die Münchner Soziologin Cornelia Behnke hat Elternpaare zur häuslichen und beruflichen Aufgabenteilung befragt und festgestellt, dass die meisten Männer den Frauen mehr Kompetenz bei der Fürsorge und Erziehung einräumen. Die Mütter wiederum wünschten sich zwar Unterstützung von den Männern, wollten aber das Sagen und die mütterliche Zugangskontrolle behalten. Und das ist den Männern gerade recht. Eine partnerschaftliche Absprache findet selten statt. Soziologen sprechen von einer Retraditionalisierung in den Beziehungen, die einsetzt, sobald das erste Kind auf die Welt kommt. Und das unabhängig vom Bildungsstand. Selbst Paare, die vorher das Ideal einer gleichberechtigten Partnerschaft auf Augenhöhe hoch hielten, fallen nach der Geburt ihres Kindes in das traditionelle Rollenmuster zurück.

Da kann doch was nicht stimmen, meinen die beiden Autorinnen und fordern „obligatorische Väterferien von acht Wochen“. Eine Provokation? Acht Wochen sind weniger als die zwei Vätermonate, welche viele Väter heute ohnehin schon nehmen. Wo ist hier der Fortschritt? Die Bindung zum Kind entsteht vor allem in den ersten Wochen nach seiner Geburt. Heute ist der moderne Mann bei der Geburt live dabei und geht zwei Tage später wieder arbeiten, als sei nichts passiert. Für Frauen gilt der Mutterschutz, für Väter bleibt alles beim Alten. Während der Mutterschutz für angestellte Mütter in Deutschland recht komfortabel ausgestaltet ist, bleiben die Väter oft außen vor. Eine Familienpolitik, der es um das Wohl des Kindes und die Gleichberechtigung der Geschlechter geht, sollte hier nachlegen. Zumindest zwei verbindliche Wochen „Vaterschutz“ nach der Geburt helfen der ganzen Familie, ihre neuen Rollen zu finden und geben dem Vater die Chance, sich zu beweisen.

Christoper Gohl sieht hier nicht den Staat, sondern die Paare in der Verantwortung. Sollen doch die Frauen (Mütter) und Männer (Väter) entscheiden, wie sie Familie leben und Kinder erziehen wollen! Geschlechtersoziologen wie Michael Meuser nennen das „Konsensfiktion“. Das Paar findet im Nachhinein Erklärungen, die die eigenen Ansprüche auf Gleichberechtigung nicht verraten. Die Betreuung durch die Mutter wird mit dem Mehrverdienst des Vaters begründet. Gleichzeitig betonen die Frauen, dass der Mann selbstverständlich kein Problem gehabt hätte, seine Arbeitszeit zu reduzieren, wenn die Frau mehr verdienen würde. Die Frauen entlasten die Männer.

Doch wer sich auf die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau einlässt, vergisst oft die möglichen Folgen in ferner und naher Zukunft. Mit der Frage „Was, wenn die Ehe oder Beziehung scheitert?“ will sich kaum jemand auseinandersetzen. Verheiratete Frauen sorgen weniger privat für das Alter vor und verheiratete Männer arbeiten nach der Geburt mehr als vorher. Freiwillig? Es ist bekannt, dass Trennung und Scheidung heute zu den größten Armutsrisiken für Familien gehören. Vor allem Frauen, die eine familienbedingte Auszeit im Beruf nehmen, droht später Altersarmut. Und diese ist heute und stärker noch in Zukunft weiblich. Also selbst schuld?

Die herrschende Norm des Zweimonatsvaters zementiert den Status quo, verhindert den Fortschritt zu mehr Gleichberechtigung und macht wenig Mut, Familie zu leben. Dabei wollen viele Männer weniger arbeiten – am liebsten 34 Stunden – und mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, und die meisten Mütter wollen mehr arbeiten – am liebsten 26 Stunden pro Woche. Zusammen kommt ein Paar so im Schnitt auf 60 Stunden in der Woche.

Das haben inzwischen auch viele Unternehmen erkannt. Etliche, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen haben sich bereits auf den Weg gemacht und bieten flexible Arbeitszeitkonten an. Die neue Philosophie: Nicht die Lebensphasen der Mitarbeiter passen sich der Firma an, sondern der Arbeitgeber richtet sich nach den Lebensphasen der Mitarbeiter. Auch der öffentliche Dienst könnte eine Vorbildfunktion einnehmen und seine Attraktivität beim Wettbewerb um Fachkräfte erhöhen. Die schwedische Stadt Göteborg geht einen neuen Weg und probt den Sechs-Stunden-Tag. Das soll Fehlzeiten verringern und die Motivation der städtischen Angestellten erhöhen.

Familienministerin Manuela Schwesig will die enorme Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit verringern. Mit dem neuen „Elterngeld Plus“ soll das Elterngeld flexibler gestaltet werden. Wer schon früh wieder Teilzeit erwerbstätig ist, kommt dafür länger in den Genuss des Elterngeldes. Einen zusätzlichen Partnerschaftsbonus bekommen Familien, in denen beide Partner ihre Arbeitszeit reduzieren. Das neue Ideal ist die flexible Vereinbarkeit für beide Geschlechter.

Wer die Verantwortung für eine solche neue Familienpolitik jedoch allein beim Staat oder bei den Familien ablädt, wird enttäuscht werden. Es ist eine Illusion zu glauben, dass politische Instrumente allein eingefahrene Rollenmuster verändern. Das Thema „Familienarbeitszeit“ gehört auch in die Betriebe. Deren Rolle wird in der Debatte bislang deutlich unterschätzt. Viele Unternehmen haben längst erkannt, dass sich rare Fachkräfte durch familienfreundliche Maßnahmen an den Betrieb binden lassen. Entgegen manchen Prophezeiungen führt die Elternzeit der jungen Väter in den Betrieben auch nicht zu Chaos, sondern lässt sich organisierten.

Neue Ansätze müssen entwickelt werden: familienfreundliche Arbeitszeitkonten wären ein erster Schritt. Zugunsten des eigenen Nachwuchses (oder pflegebedürftiger Angehöriger) sollte das Zeitkonto überzogen werden können, wenn es später wieder ausgeglichen wird. Eine Ausfallbürgschaft könnte die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) übernehmen oder über die Arbeitslosenversicherung laufen. Das Geld ist volkswirtschaftlich gut investiert: Eine höhere Erwerbstätigkeit der Mütter, besser motivierte Arbeitnehmer und mehr Kinder zahlen sich aus.

Mehr Mut und ran an die Wirklichkeit, liebe Kolleginnen und lieber Kollege! Linke Provokation und liberale Polemik haben eines gemeinsam: Sie bringen uns nicht weiter. Moderne Familienpolitik braucht Zeit, Geld und Gerechtigkeit für beide Geschlechter.

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