Dritter Weg oder Dritte Welt?

Die neue Arbeitsgesellschaft

Lost Generation? Trotz des Millenniums der Unsicherheiten, eines ist "sicher": Weiten Teilen der zu Beginn des 21. Jahrhunderts in den Arbeitsmarkt eintretenden Generationen wird es materiell schlechter gehen als ihren jeweiligen Elterngenerationen. Die Dynamik und Integrationskraft steigender Erwartungen sind umgeschlagen. Arbeit für alle, wachsender (und relativ gleicher) Lebensstandard, sichere Rente - das sind für viele von ihnen Slogans der Vergangenheit, vielleicht gut für alte Männer im Bündnis für Arbeit. Wenn die SPD aus dem langsamen Niedergang der alten CDU politischen Gewinn ziehen will, wird sie ihre Politik vor allem auf folgenden Gebieten erneuern und weiterentwickeln müssen: Generationengerechtigkeit, Jugend- und Bildungspolitik.

Auf dem Weg zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft wird Wissen (Humankapital) zum entscheidenden Produktionsfaktor. Völlig neue, bislang unbekannte Berufsgruppen entstehen, für die es nie einen "Berufsplan" oder ein Curriculum geben wird. Internet und Telearbeit verändern die Erwerbsarbeit. Bezahlung erfolgt hier nicht nach Zeit, sondern nach erbrachter Leistung. Der Mitarbeiter als Intraprenieur, als Unternehmer im Unternehmen, heute noch Wunschbild in großen Konzernen, wird Realität innerhalb dezentraler Firmenstrukturen. Die neuen Schlüsselqualifikationen der New Economy heißen Mobilität, Eigeninitiative, Kreativität, Flexibilität und Teamfähigkeit. Die neuen Angestellten, vielfach sogenannte self-employees, werden nicht mehr einer "monogamen Arbeit" nachgehen, sondern öfter (auch freiwillig) den Arbeitgeber wechseln, dazwischen an Weiterbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen und eine mehrmonatige Familienpause oder ein Sabbatical einlegen.


Es wird nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer geben. Welche neuen Institutionen und Unternehmen werden sie auffangen? Wenn alles so bleibt, wie es ist, wird es vor allem Berufsanfänger, Frauen und die rentennahen Jahrgänge treffen.

Die Arbeitsmarktkrise wirkt sich zunehmend zulasten der jungen Generationen aus. Die real existierenden Institutionen des deutschen Bildungswesens verteilen die Ausbildungschancen ungleich zulasten von Gruppen wie jungen Frauen und jungen Ausländern. Wird die junge Generation im 21. Jahrhundert zur "verlorenen Generation"? Oder gibt es auch in Zeiten von Globalisierung und Europäisierung eine soziale Verantwortung von Politik und Wirtschaft?

Generationengerechtigkeit als neues Leitbild wird auf den Feldern der Jugend- und Bildungspolitik entschieden, oder es wird verpuffen wie die Bonner Republik: langsam und larmoyant.

Die Sicherungssysteme sollten in Zukunft auf Regelsicherungssysteme für untere und mittlere Einkommensschichten ausgerichtet werden. Den oberen Einkommensschichten bliebe mehr Freiraum für Eigenvorsorge, den anderen die Sicherheit, dass sie auch in unsicheren Zeiten mit einem starken Staat rechnen können.

Die traditionellen Instrumente wie Lohnkostenzuschüsse oder -subventionen lassen sich mit einem Wort umschreiben: Mehr vom "guten Alten". An die Evaluierung ihrer Wirkungen hat sich bisher noch keine (Bundes- oder Landes-)Regierung getraut. Sie würde den Offenbarungseid einer zunehmend hilflosen Politik bedeuten. Bis zur nächsten "Qualifizierungs- oder Bildungsoffensive" ist dieses Land längst mit Indien vereint.


Wie können Bildung und Ausbildung Wege zu mehr Kompetenz und Selbstbefähigung garantieren? Gibt es überhaupt eine Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik des kreativen Scheiterns? Bildung kann in Zukunft nicht nur als institutionalisiertes Lernen verstanden werden. Lebenslanges Lernen bedeutet nicht nur Lernen vor Eintritt in die Arbeitswelt, sondern auch in der Arbeitswelt.

Erforderlich wird vor allem ein neuer Bildungsbegriff sein, der die Trennung von Allgemeinbildung und Berufsbildung, von Jugend- und Familienbildung überwindet. Wichtig wird daher die Schaffung von Gelegenheiten, von flexiblen Strukturen und optionalen Angeboten sein, die persönliche Wünsche, Motive und die Lebenslagen der Jugendlichen mit den Aufgaben von Bildung und Ausbildung verknüpfen.

Kompetenzentwicklung für Schüler und Jugendliche erfordert vor allem eine enge Abstimmung insbesondere von Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Sozial- und Regionalpolitik. Erste Priorität, so formuliert das "Schröder-Blair-Papier" zurecht, muss daher die Investition in menschliches und soziales Kapital sein. In Zukunft werden als Folge von Individualisierung und Flexibilisierung Entscheidungen, Gewinne, aber auch Verluste vom einzelnen Jugendlichen selbst getragen werden müssen. Man kann die viel beschworenen "Werte" Eigenverantwortung und Selbsthilfe somit als Folge gesellschaftlicher und gewünschter Veränderungen verstehen - man muss sie nicht ständig an Jugendliche richten! Wie können aktivierende Politik und flexible Märkte in Zukunft neu kombiniert werden? Das Leitbild der neuen sozialen Institutionen, die Vertrauen stiften, Sicherheit bieten und Flexibilität zulassen heißt im 21. Jahrhundert "Flexicurity".

Die wirtschaftlichen und individuellen Veränderungen treffen auf überkommene institutionelle Strukturen: Zentrale Arrangements und Bündnisse einer untergehenden Industriegesellschaft dominieren, institutioneller Wettbewerb fehlt weitgehend. Folge sind großzügige und ineffiziente finanzielle Leistungen der Arbeitslosenversicherung und der Sozialhilfe, arbeitsmarktpolitisch motivierte Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten, vorzeitiger Ruhestand und andere Maßnahmen, um den Arbeitsmarkt zu "entlasten". Ein Bündnis für Arbeit konnte nur solange "Erfolge" vorweisen, wie diese Abwälzungsmöglichkeiten auf zukünftige Generationen im nationalen Sozialstaat existieren. Die neuen "Gastarbeiter" sind heute hoch qualifizierte IT-Ingenieure aus Indien. Das Ende des nationalen Sozialstaates bedeutet einen zunehmenden Wettbewerb der globalen Arbeitsmärkte. Mit den herkömmlichen, reagierenden sozialen Sicherungssystemen wird in Zukunft kein Innovationstopf zu gewinnen sein.

Innovation fängt "zuhause", lokal an und investiert in Menschen, nicht in Strukturen: Die Arbeitslosenversicherung ist in eine Basissicherung umzustellen und auf höchstens ein Jahr zu begrenzen. Im Gegenzug muss jedem Arbeitsuchenden sofort bei Antragstellung zumutbare Arbeit angeboten werden. Die Betroffenen zu Beteiligten machen, sollte zum neuen Leitbild einer innovativen Arbeitsmarktpolitik werden. Dazu wird es mehr Anreize zu Mobilität und Eigeninitiative geben müssen. Investivlöhne sind ein probates Mittel der Mitarbeiterbeteiligung, Arbeitsplatzkredite für benachteiligte Jugendliche ein neuer Weg zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Flexible Modelle von Altersteilzeit, eine andere Organisation der Institutionen könnten neue Arbeitsplätze schaffen (junge Lehrer!).

Leitbild einer neuen Arbeitsgesellschaft wäre die "Stakeholder-Society": Staatlich finanzierte Sozialmittel werden durch eine Beteiligung der Arbeitnehmer an den Aktien ihres Unternehmens ergänzt. Die Unternehmen werden entlastet, die Arbeitnehmer an den Kapitalgewinnen ihres Unternehmens beteiligt, selbst wenn sie gerade nicht erwerbstätig sind. Der Vorteil für die Unternehmen läge darin, dass Lohnzuwächse nicht in den Konsum der Arbeitnehmer fließen, sondern direkt wieder im Unternehmen reinvestiert werden könnten.

Eine Politik, die die richtigen Anreize setzt und in ihre Bürger, vor allem in junge Menschen investiert, antwortet auf neue Herausforderungen mit neuen Mitteln. Es gibt viele "dritte Wege" einer inter- wie intragenerationell gerechten Gesellschaft. Man muss sie nur gehen.

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