Die Zwangszeit für Väter ist ein Rückschritt - eine Erwiderung

zu Katharina Oerder und Christina Schildmann, Schafft die obligatorischen Väterferien!, Berliner Republik 1/2014

Mut zu neuen Wegen, Mut zur Väterpolitik – auch Väter brauchen Ferien! Mit den Väterferien schenkt die Sozialdemokratie „den Männern Zeit für ihre Familie und den Frauen gerechtere Chancen auf eine eigene Karriere“. Endlich löst sie damit das „Recht“ der Männer ein, „aktive Väter sein zu dürfen“ und befreit die gleichberechtigten Paare aus der „Traditionalisierungsfalle“ überkommener Rollenmuster. Damit wird das „Ausfallrisiko“ durch Kinder auf dem Arbeitsmarkt geschlechterneutral aufgeteilt.

So wohlwollend kann es klingen, wenn sich Katharina Oerder und Christina Schildmann Gedanken zur Emanzipation von Vätern machen. Man kann das aber auch anders lesen: Der Staat zwingt Väter in eine berufliche Auszeit. Damit bestraft er nicht nur private Entscheidungen von Vätern, sondern auch gemeinsame Absprachen vieler Paare. Der Staat setzt seine zentral definierte Rollenvorstellung des „aktiven Vaters“ durch – und wer sich als junger Vater wiederholt am Arbeitsplatz sehen lässt, wird von der Polizei abgeholt und zu seiner Auszeit gezwungen, in letzter Konsequenz im Gefängnis.

Fände dieser Vorschlag aus Frankreich, dem neuen Mutterland der deutschen Sozialdemokratie, eine Mehrheit, wäre das eine einschneidende Veränderung unserer offenen und freizügigen Gesellschaft. Und zwar kein begeisternder Fortschritt, sondern ein bestürzender Rückschritt. Aus Respekt vor der Sozialdemokratie möchte man gar nicht die unselige deutsche Geschichte sittlich begründeter Familienpolitik bemühen, um das Ausmaß einer solchen Regression auszumessen.

Katharina Oerder und Christina Schildmann denken nicht fortschrittlich, sondern folgen linker Fantasielosigkeit bis zum bitteren Ende. Zu dieser Fantasielosigkeit gehört erstens die Idee vom benevolenten Vater Staat, zweitens der Glaube, dass sich Fortschritt in staatlichen Gesetzen misst, und drittens ein unbedingtes Misstrauen in die moralische Autonomie anderer Menschen.

Ganz offensichtlich halten die Autorinnen den Staat für den besseren Vater. Das Gewaltmonopol des Staates soll mit einem Gewissensmonopol einhergehen, damit der Staat die Väter der Republik zum Familienglück zwingt. Aber was soll fortschrittlich daran sein, die freie Entscheidung von Eltern zur Organisation von Familie und Beruf durch staatliche Vorschriften zu ersetzen? Warum soll das Gewissen der Väter per Gesetz und Gewalt stetig gegängelt und zeitweise suspendiert werden?

Es dürfte progressiver Konsens zwischen Liberalen und Sozialdemokraten herrschen, dass jeder Mensch selbstbestimmt das eigene Leben leben können soll – also nicht das, was die Tradition, der Vater, der Partner oder die Arbeitgeberin vorgeben. Jeder Mensch soll, unabhängig von Herkunft, genetischer Disposition, Überzeugung und individueller Lebenspraxis eine Chance auf sozialen Aufstieg haben. Dafür bedarf es vor allem der Bildung, fairer und gleicher Regeln für alle, fairer Belohnung für harte Arbeit und gelebter Solidarität.

Ralf Dahrendorf schrieb 1979: „Lebenschancen sind Möglichkeiten des individuellen Wachstums, der Realisierung von Fähigkeiten, Wünschen und Hoffnungen, und diese Möglichkeiten werden durch soziale Bedingungen bereitgestellt.“ Diese Vorstellung ist notwendigerweise Bestandteil einer Politik, die sich mit dem Erreichten nicht zufrieden gibt, weil es besser geht. Noch einmal Dahrendorf: „Menschliche Gesellschaften gewinnen ihre Qualität durch ihre Fähigkeit, mehr Menschen mehr Lebenschancen zu geben.“

Fortschritt als erweiterte Lebenschancen: Ich kann mir vorstellen, dass Katharina Oerder, Christina Schildmann und ich uns hier sogar einig sind. Gerne bekenne ich mich auch zu dem Wunsch, es gäbe mehr Väter, die, wie ich, eine der schönsten Erfahrungen überhaupt machen: für heranwachsende Kinder auch im Alltag verantwortlich zu sein. Ich bin sogar bereit, den Leitgedanken des Elterngeldes und der Partnermonate zu verteidigen, auch wenn ich mir ein grundsätzlich anderes Sozialsystem wünsche, das nicht von unten nach oben umverteilt.

Doch unser Dissens beginnt schon bei der Zwecksetzung, für die der Zwangsurlaub für Väter dann auch noch das falsche Mittel ist. Dabei gehe ich von den besten Absichten aus, wenn ich als hehren Zweck unterstelle: „Du aber, Vater, sollst gleichzeitig Deine Kinder kennen, Deine Partnerin unterstützen und damit einen Schritt zum Ende gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten gehen“ – sozusagen eine Neuauflage des biblischen Gebotes: „Du sollst Deinen Vater und Deine Mutter ehren.“

Doch werden durch die staatliche Anordnung „aktiver Vaterschaft“ tatsächlich die Lebenschancen der Partnerin, der Kinder sowie der Familien erweitert? Ist die Zwangszeit gegenüber den bestehenden Optionen nicht ein klares Minus an Lebenschancen? Warum sollten Eltern nicht nach eigenem Gutdünken über ihre partnerschaftliche Arbeitsteilung entscheiden? Wertschätzen Sozialdemokratinnen den Wert der Erwerbsarbeit inzwischen so wenig, dass er nicht mehr zur Verantwortung der Väter für ihre Familie passt? Muss zukünftig in Familien mit Hausmännern auch die Mutter daheim bleiben – oder trifft die Gleichstellungsmaßnahme nur Männer, egal unter welchen Umständen?

Schon in der Zwecksetzung der Zwangszeit werden Lebenschancen beschränkt. Aber selbst wenn es um erweiterte Lebenschancen ginge, verdient nicht alles Gesetzeskraft, was edel, hilfreich und gut erscheint. Eine edle Idee mit Potenzial für mehr Lebenschancen wäre doch auch diese: „Du sollst Dich dreimal in der Woche mindestens eine halbe Stunde bewegen, denn dann lebst Du wahrscheinlich länger, und wir sparen uns Folgekosten für die Solidarsysteme.“

Dahrendorf spricht von einer Gesellschaft, die Lebenschancen gibt und nicht vom Staat. Wohlgemerkt, auch der Staat als Instrument der Gesellschaft gewährleistet Lebenschancen, so durch Rechtsprechung, öffentliche Schulen und die Leistungen des Sozialstaats. Aber am Ende reicht eben der staatliche Zeigefinger nicht aus, um bessere Lebenschancen für mehr Menschen zu gewährleisten. Dafür bedarf es der unsichtbaren Hand des Wettbewerbs, der helfenden Hände der Zivilgesellschaft, der klugen Köpfe der Wissenschaft und der moralischen Weisheit normativer Traditionen.

Der Fortschritt hin zu besseren Lebenschancen hat viele Quellen. Eine offene Gesellschaft, in der mehr Männer die unbestrittenen Freiheiten aktiver Vaterschaft und fairer Partnerschaft erlernen, ist eben auch ein kulturelles und moralisches Projekt. Es ist gut, sich über die Verantwortung von Vätern zu verständigen. Aber es ist schlecht, das individuelle Gewissen, das gemeinsame Gespräch und die gesellschaftlichen Gebräuche durch Gesetze und Gewalt zu ersetzen – ein Misstrauensvotum gegenüber der moralischen Autonomie der Menschen.

Nach liberaler Vorstellung heiligt der Zweck nicht die Mittel. Freiheit wird nicht durch Unfreiheit erzwungen. Und Lebenschancen werden nicht dadurch besser, dass man sie schwächt oder abschafft. „Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr die Starken schwächt“, so sagte es Abraham Lincoln. Das bekannte Zitat gehört ins Stammbuch des Fortschritts: Niemandem geht es besser, wenn es denen, denen es gut geht, endlich so schlecht gehen soll wie denen, denen es schon schlechter geht.

Die beiden Autorinnen glauben nicht an Lincoln, das höhere Ausfallrisiko der Frauen erfordere auch ein erhöhtes Ausfallrisiko der Väter. Früher gab es das Mütterkreuz für sittlich einwandfreie Mütter, heute sollen staatlich überprüfte Väter das Kreuz der Mütter tragen. Konsequenterweise müssten alle Männer und alle Frauen ab und zu in die Auszeit abkommandiert werden. Sonst wären ja die Eltern gegenüber Kinderlosen im Nachteil. Ungerechtigkeit und Absurditäten wären programmiert.

Das staatliche Instrumentarium ist häufig nur stumpf und dumpf. Das gilt sicher für den Prügel der Zwangszeit. Katharina Oerder und Christina Schildmann wissen das nicht nur, sie preisen das auch. Sie beschreiben die (ermutigende) zeitgeschichtliche Veränderung der Vaterrolle, die biografischen, beruflichen und alltäglichen Herausforderungen für Partner mit Kinderwunsch, die fehlende Gleichberechtigung der Frauen im Berufsleben. Alles komplexe Zusammenhänge, für deren Verbesserung es eine Vielzahl differenzierter und intelligenter Vorschläge gibt.

Diese Zusammenhänge durchschlagen die Autorinnen aber einfach mit dem Schwert des staatlichen Zwangs. Es ist eine konservative, fantasielose, billige Provokation – linker Reflex statt liberale Reflektion. Die Suche nach einer „fairen Partnerschaft“ im Alltag und am Arbeitsplatz ist fortschrittlicher als Zwang. Chancengerechtigkeit für jeden Menschen bedarf – neben dem existierenden Rahmen des Rechtsstaates und den fairen Angeboten eines ermutigenden Sozialstaates – konkreter kleiner, oft mühsamer Schritte. Sie sind die einzig effektiven. Fortschritt lässt sich eben nicht delegieren, und das Paradies auf Erden lässt sich nicht per Gesetz beschließen.

zurück zur Ausgabe