Koksparties, Sweatshops und einsame Informatiker

Frédéric Beigbeder, Michel Houellebecq, Naomi Klein: Drei Stimmen der neuen Globalisierungs- und Kommerzkritik

"Ich bin der Typ, der Scheiße verkauft. Der sie von Sachen träumen lässt, die sie nie haben werden." So beginnt Ex-Werber Frédéric Beigbeder sein nach dem Verkaufspreis benanntes Buch "Neununddreißigneunzig". Beigbeder führt mit einen Crossover aus Fiction und Non-Fiction in die Welt der Marketingstrategen ein. Sarkastisch beschreibt er, wie die Werbung alle Bereiche des Lebens erobert. "Die Werbe-Magnaten führen den 3. Weltkrieg." Mit teilweise der Nazipropaganda abgekupferten Methoden manipulieren und verführen sie, dringen ein in jeden Winkel des Lebens. Die Lenker dieses Systems werden aus der Sicht des Werbeyuppies Octave vorgestellt: eine dekadente Welt mit Shootings in Florida, Callgirls und ganz, ganz viel Koks. Im Versuch in dieser Klischeewelt eine Handlung in Gang zu bringen, wird in der Manier von Bret Easton Ellis sinnlos-brutal gemetzelt. Nach dem Mord an einer Oma wird Romanheld Octave mit seiner Verhaftung aus der zynischen Kommerzwelt befreit.

Beruflich erfolgreich, sexuell ein Versager

Das Buch schlug ein: Nachdem es in Frankreich wochenlang auf Platz eins der Bestsellerlisten stand, klettert es nun auch die deutschen Büchercharts nach oben. Die Frankfurter Allgemeine nennt das Buch eine "gut getextete Kapitalismuskritik". Beigbeder möchte mit dem Buch der Werbung "die Maske der Harmlosigkeit vom Gesicht reißen." Aber letztlich ist das halbautobiografische Buch doch nur eine eitle Selbstinszenierung. Die Vermarktung des Buches, das aufklären möchte, war selbst ein präzise geplanter PR-Feldzug. Allerorten wurde das Buch als Skandalroman angepriesen, und fast jeder Bericht darüber damit eingeleitet, dass Beigbeder wegen seines Pamphlets von seiner Werbeagentur gefeuert worden sei. Was der Autor natürlich genau so beabsichtigt hatte. Es ist diese kalkulierte Inszenierung, die das Buch so unglaubwürdig macht. Das handwerklich sauber geschriebene Buch ist ein netter Ferienschmöker, aber in seiner Aussage etwas banal und als Provokation zu gewollt.

Zu seinem Buch wurde Frédéric Beigbeder angeregt von seinem Freund Michel Houellebecq, der seinerseits mit "Ausweitung der Kampfzone" ein "Kultbuch der Gegenmoderne" abgeliefert hat, wie die Zeit schrieb. Anders als Beigbeders kalkulierter Erfolg kam jener von Houellebecq fast aus dem Nichts. Zuvor hatte er nur einige Essays und Gedichte veröffentlicht. Nun ist er für die "Ausweitung der Kampfzone" mit dem Grand Prix National des Lettres sowie dem Prix Flore ausgezeichnet worden, mit dem der beste Erstlingsroman prämiert wird.

In dem knapp erzählten Roman beschreibt Michel Houellebecq das Leben eines französischen Programmierers. Beruflich erfolgreich, privat ein Versager, leidet er an seiner Einsamkeit und ist sexuell frustriert. Houellebecq vergleicht die sexuelle Freizügigkeit mit dem Kapitalismus. "Der Wirtschaftsliberalismus ist die erweiterte Kampfzone, das heißt, er gilt für alle Altersstufen und Gesellschaftsklassen. Ebenso bedeutet der sexuelle Liberalismus die Ausweitung der Kampfzone, ihre Ausdehnung auf alle Alterstufen und Gesellschaftsklassen." In beiden Systemen gilt das Recht des Stärkeren beziehungsweise des Attraktiveren. So gibt es viele Verlierer und wenig Gewinner.

Viele Verlierer und wenige Gewinner: So steht es auch im Untertitel von Naomi Kleins globalisierungskritischem Buch "No Logo". Das Buch wurde gedruckt, als 1999 in Seattle 40.000 Aktivisten gegen das WTO-Treffen protestierten. Als richtiges Buch zur richtigen Zeit wurde es zu einem Überraschungserfolg und so etwas wie die Bibel der Globalisierungsgegner. Der in London erscheinende Observer hat es gar Das Kapital für eine neue Generation genannt. Und die Times hat Naomi Klein zur einflussreichsten Frau unter 35 gekürt. Die Kanadierin, deren Eltern aus Protest gegen den Vietnamkrieg aus den USA ausgewandert waren, hatte sich bereits einen Namen als couragierte Journalistin gemacht.

"Wir können euch auch wieder vernichten!"

Nach einem vierjährigen Recherchemarathon hat Naomi Klein eine packende Reportage über die schöne neue Markenwelt vorgelegt. Akribisch beschreibt sie, wie sich Nike, Gap & Co aggressiv in Szene setzen. Nachdem sie den öffentlichen Raum weitgehend für sich besetzt haben, dringen sie immer tiefer in die Privatsphäre ein. Selbst bisher werbefreien Orten, wie der Schule werden okkupiert. So berichtet die Autorin von einem Fall in den USA, bei dem ein Junge am schulischen Coca-Cola-Promotion-Tag mit einem Pepsi-T-Shirt bekleidet die Unterrichtsräume betrat - und umgehend wieder nach Hause geschickt wurde.

Die weltweit uniforme Markenwelt führt zum kulturellen Kahlschlag. Das allein wäre noch nicht so schlimm. Wohl aber sind es die daraus folgenden Arbeits- und Lebensbedingungen. Angesichts aufgeblähter Marketingetats muss das Geld bei der Herstellung eingespart werden. Die Autorin beschreibt, wie der Konzern Nike seine für mehrere hundert Mark angebotenen Modetreter in China von Frauen zusammennähen lässt, die nach zwölf Stunden mit umgerechnet drei Dollar müde nach Hause gehen. Naomi Klein ist in die Dritte Welt und in Schwellenländer gereist, um in den den Sweatshops, den menschenunwürdigen Arbeitstätten mit den Arbeitern zu sprechen und ihnen eine Stimme zu geben. Neben den Zuständen an der Peripherie prangert sie die McJobs auch in den Vereinigten Staaten an. Wie etwa im Fall der Angestellten des Kaffeeimperiums Starbucks, die sich von Ihrem Stundenlohn nur zwei große Cappuccino leisten können. Diese working poor können selbst bei prosperierender Wirtschaft von einem Job allein nicht Leben.

Naomi Kleins Kritik am Markenfetischismus auf Kosten der Ausgebeuteten ist nicht - wie man erwarten könnte - im weinerlichen Ton einer Kulturpessimistin geschrieben. Im Gegenteil, allen sorgfältig recherchierten bedrückenden Fakten zum Trotz strahlt das Buch Optimismus aus. Denn Optimismus ist für die Koryphäe der Globalisierungsgegner eine Form des Widerstandes. Und sie sieht auch einen Angriffspunkt: "Je bekannter ein Brandname, desto angreifbarer ist er. Es kann 100 Jahre dauern eine gute Marke aufzubauen und 30 Tage, sie umzustoßen", schreibt Naomi Klein. Das ist die empfindliche Stelle des Systems. Bei einer Demonstration gegen einen Nike Verkaufstempel sagte ein junger Aktivist: "Wir haben Euch erschaffen, wir können Euch auch wieder vernichten."

Marco Althaus (Hrsg.), Kampagne! Neue Strategien für Wahlkampf, PR und Lobbying, LIT Verlag, Münster 2001, 39,80

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