Jammern war gestern

Die PDS verliert den Überblick. Ihr Heil suchen die Postkommunisten zwischen Ostalgie und "Mitte unten". Doch das Lebensgefühl der Ostdeutschen ist längst anders. Diese Chance muss die SPD nutzen

Als Gregor Gysi nach dem Bundesparteitag der PDS in Gera im Neuen Deutschland seine Kritik am neuen Kurs unter Gabriele Zimmer formulierte, lag das Kind schon im Brunnen. In der ostthüringischen Stadt hatten die Postkommunisten den Weg in die Isolation eingeschlagen. Herbe Kritik erntete der einzige Star der SED-Nachfolger dafür in den Basisorganisationen. "Sich erst nach dem Parteitag zu äußern und dort gar nicht zu erscheinen, das war nicht gut" - so hörte man es in Mitgliederversammlungen der PDS. Allerdings bedeutet die Kritik an den Reformern keine Übereinstimmung der so genannten Basis mit dem Zimmer-Kurs. Hier ist man überzeugt, dass die gesamte Führungsspitze irgendwie schuld am Wahldebakel sei und die "einfachen Mitglieder" nun - ebenso irgendwie - mehr mitreden müssten.


Wie auch immer: Die Zeit ist vorbei, in der ein Vorstand um Gregor Gysi ein Außenbild der Partei zu vermitteln verstand, das mit der innerparteilichen Realität wenig zu tun hatte . Die Wirklichkeit hat die PDS eingeholt. Die Partei verbarrikadiert sich nach den Geraer Ereignissen für jedermann sichtbar in ihrer ganz eigenen hermetischen Welt. Gabi Zimmer hat sich bei ihrer Wiederwahl auf eine Koalition aus Altkadern und Westlinken gestützt. Die Leistungsträger ihrer Partei in den Länderparlamenten und -regierungen sowie vor allem in den Kommunen hat sie weggedrückt. Als Kernthema der künftigen PDS benannte Zimmer die Frage: "Wie gestalten, um weder im Opportunismus, noch in der Isolation zu enden?" Doch damit können gerade diese Genossen nichts anfangen. Wenn sie in den Ländern, in Städten und Gemeinden vor Entscheidungen stehen, geht es oft genug um die bestmögliche Realisierung des Möglichen. Eine schön eindeutig in Gut und Böse aufgeteilte politische Welt gibt es in ihrer Wirklichkeit nicht. So stammt die heftigste innerparteiliche Kritik an den Geraer Ereignissen von Bürgermeistern und Fraktionsvorsitzenden aus den Ländern und Kommunen. Der Hildburghäuser Bürgermeister Steffen Harzer spricht sogar davon, dass die Bürgermeister in der PDS ihr Parteibuch nach Gera eigentlich abgeben müssten.

Es fährt ein Zug nach nirgendwo

Gregor Gysi wiederum analysiert die Lage der PDS schon gar nicht mehr wie ein Parteimitglied, das die Zukunft seiner Partei mitgestalten möchte. Nüchtern resümiert er, dass die selbst gewählte Isolation geradewegs in die politische Vereinsamung führt und eben nicht - wie die aufgezwungene Isolation der Jahre 1990 bis 1998 - Solidarität in und mit der PDS auslöst. Gysi wirft dem Vorstand vor, kein ausreichendes intellektuelles Niveau zu besitzen und keine inhaltlichen Politikangebote zu machen. Den größten Stich indes versetzt der Ex-Senator seinen Genossen, wenn er ihre 16,9 Prozent der Wählerstimmen in Ostdeutschland als gutes Ergebnis wertet und die Ostpartei in einem Atemzug mit FDP und Grünen nennt: Willkommen in der Liga der Kleinparteien!


Für die SPD in Ostdeutschland kann das alles eigentlich nur positiv sein. Sicher sollte sie unter allen Parteien am ehesten im Stande sein, die realpolitisch orientierten Wähler der PDS zu gewinnen - die Bundestagswahl hat bereits darauf hingedeutet. Gewiss dürfte es auch möglich sein, das eine oder andere Mitglied der PDS zum Wechsel zu bewegen, vielleicht sogar Bürgermeister und Landtagsabgeordnete. Perspektivisch mag der Osten nicht nur sozialdemokratisch ticken, sondern auch wählen. Eine strukturelle Mehrheit für die SPD ist langfristig in Sicht.


Doch lauern einige Probleme. Was fängt die Sozialdemokratie mit ihren neuen Muskeln an? Ihre ostdeutschen Landesverbände sind mitgliederschwach, um die Organisationskraft des hauptamtlichen Apparates steht es nicht zum Besten. Zudem herrschen in einigen Teilen der SPD immer noch (zum Teil berechtigte) Berührungsängste gegenüber den SED-Nachfolgern. Wie ginge man dort mit wechselwilligen PDS-Mitgliedern um? Ist die sozialdemokratische Basis überhaupt auf diese Neumitglieder vorbereitet?


Sie ist es nicht. Die Einladung des Bundeskanzlers und einiger SPD-Landesfürsten an wechselwillige Postkommunisten löst in den Ortsvereinen und Kreisverbänden gemischte Gefühle aus. Einerseits giert man nach neuen Mitgliedern, anderseits fürchtet man die feindliche Übernahme. Das auch deshalb, weil die Sozialdemokraten eine Strategie zum Umgang mit der PDS nicht besitzen. Alles hat man schon ausprobiert, von völliger Abgrenzung bis hin zur Koalition. Doch ein Königsweg wurde bei alledem nicht gefunden. Auch das gute Ergebnis der SPD in Mecklenburg-Vorpommern kann nicht ohne weiteres als Beweis für die Entzauberungskraft koalitionärer Einbindung gewertet werden. Die Rolle von Harald Ringstorff als dominanter Landesvater wiegt hier wohl schwerer als die Domestizierung der PDS in der Regierung.

Sicher war bisher nur der Wankelmut

Dass die Wähler im Osten besonders wankelmütig sind, war bislang überhaupt die einzig sichere Erkenntnis. Bisher gelang es der PDS immer am besten, ihre Stammklientel zu mobilisieren. Mindestens 20 Prozent werde die PDS erzielen - das wenigstens wusste man stets schon vor den Wahlen. Damit scheint es vorbei zu sein. Die ostdeutschen Wähler entscheiden zunehmend rational und von Wahl zu Wahl neu, welche Partei ihnen das meiste bringt. Bloße Systemopposition ist immer weniger ein verbreitetes Wahlmotiv. Wenn eine Partei die Parole ausgibt, nur Oppositionspolitik machen zu wollen, wie es die PDS getan hat (und neuerdings noch verschärfter tun will), dann mindert sie angesichts dieser gewandelten Stimmungslage ihre Attraktivität. Weil sie nichts verändert, können sich die Bürger nichts von ihr versprechen.


Das gute Ergebnis der SPD bei der Bundestagswahl in Ostdeutschland hatte zwei Ursachen. Zum einen wussten die Menschen, wen sie nicht wollten: Das war Edmund Stoiber. Zum anderen gelang es den Sozialdemokraten am eindeutigsten, sich als wirksamer Gegner des Kandidaten der Union zu profilieren. Die PDS mit ihrer reinen Oppositionsstrategie hatte dabei keine Chance, auch wenn sie gegen Ende des Wahlkampfes plakatierte: "Wer Stoiber verhindern will, muss PDS wählen." Nachdem die SPD seit Jahren hohe Sympathiewerte in der Bevölkerung hat, ist es mit der Bundestagswahl 2002 erstmals gelungen, diesen Rohstoff in Stimmen zu verwandeln.

Die Zeit der Problemversteher ist vorbei

Am erstaunlichsten ist so gesehen das Ergebnis in Sachsen-Anhalt: Dort hatte die SPD noch im April 2002 mit ihrem Ministerpräsidenten Reinhard Höppner an der Spitze desaströs verloren - bei der Bundestagswahl nur fünf Monate später gewannen die Sozialdemokraten alle Wahlkreise. Was bedeutet das? Offensichtlich ändert sich der Anspruch der Wähler an die Politik: Waren in den neunziger Jahren Tröster und Problemversteher vom Schlage Höppner gefragt, so ist inzwischen der Wunsch nach Politikern gewachsen, die Selbstbewusstsein verkörpern und dem Westen auf gleicher Augenhöhe gegenübertreten. Solches Füh-rungspersonal ist in allen Parteien rar - in der PDS ist es seit Gera überhaupt nicht mehr vorhanden.


Als größtes Problem der ostdeutschen SPD könnte es sich allerdings erweisen, dass ihr für einige Länderregierungen der Koalitionspartner wegbricht. Die Landesverbände der PDS werden, jeder auf seine Art, in einer zentrifugalen Entwicklung nach mehr Autonomie streben. Dabei könnte sich in Sachsen und Thüringen die fundamentalistische Basis der PDS durchsetzen, die sich dann daran machen dürfte, als Kandidaten für die Landtage Genossen aus ihren Reihen zu nominieren. Mit solch einer PDS wäre das Regieren schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Das Szenario ist zwar nicht unausweichlich - noch führen auch Pragmatiker das Wort. Doch die Basis begehrt auf. Gabi Zimmers flehende Bitte von Gera, im Vorstand "nie wieder" allein gelassen zu werden, dürfte schneller befolgt werden, als ihr lieb ist.

Dem Kanzler zeigen, was eine Harke ist

Die Erwartungen, die sich nun auf die SPD richten, handeln von der realen Verbesserung der Lebensverhältnisse. Sie handeln aber auch von gefühlter Anerkennung, die durch ein erkennbares Gesicht vermittelt werden muss: Ossis die auch mal aufbegehren und dem Kanzler zeigen, was eine Harke ist. Bislang hat es solche Köpfe in der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion nicht gegeben. Nur Wolfgang Thierse wird als "aufrechter" Kämpfer für die ostdeutschen Interessen wahrgenommen. Ob ein in die Kabinettsdisziplin eingebundener Manfred Stolpe die ostdeutschen Bedürfnisse nach Erkennbarkeit und Eigenheit befriedigen kann, muss sich erst zeigen. Die Fähigkeiten hat er - doch ob Schröder ihn gewähren lässt, ist fraglich. Zumal die Verteilungskämpfe innerhalb des Bundeshaushalts härter werden.


Die nach der Wahl von der ostdeutsche SPD-Spitze sehr selbstbewusst vorgetragene Forderung nach einem Infrastrukturministerium war eine bisher einmalige Kampfansage - und genau so ist sie in den westdeutschen Landesgruppen auch verstanden worden: An-ders als bei "ihrem" Nordrhein-Westfalen Bodewig in den vergangenen Jahren werden die westdeutschen SPD-Abgeordneten künftig sehr genau beobachten und nachrechnen, wie viel Geld wohin fließt. Die Schonzeit für ostdeutsche Politiker jedenfalls ist seit dem Beschluss über den Solidarpakt II abgelaufen. Ab sofort beginnt der Kampf um die geringer werdenden Ressourcen. Nur wenn die Ost-SPD diesen Streit mit Selbstbewusstsein und erhobenem Haupt führt, werden sich ihre Wähler angemessen vertreten sehen.


Doch gewinnen lässt sich die Auseinandersetzung eben nur mit wirklich führenden Köpfen, auch deshalb, weil bei der CDU mit Angela Merkel eine eindeutig als Ostdeutsche erkennbare Frau an vorderster Front steht. Kein Zweifel, für strukturkonservative PDS-Sympathisanten ist Merkel durchaus wählbar. Eine protestantische Frau, die sich in einer vom Westen dominierten Partei durchgebissen hat - das verschafft Anerkennung und Respekt. Die Wähler der PDS werden der SPD also nicht in den Schoß fallen.


In einem Punkt aber kann sich die Ost-SPD sicher sein: Für neue Wählerschichten ist die PDS, so wie sie sich heute präsentiert, kaum noch attraktiv. Gerade die Generation der "Zonenkinder" (Jana Hensel), geprägt in der DDR, doch in der Bundesrepublik angekommen, beweist ostdeutsches Selbstbewusstsein. Ihre Angehörigen halten nichts von Beharrung und ostalgischem Selbstmitleid. Erst recht nicht möchten sie sich als "Mitte unten" (Gabi Zimmer) definiert sehen.

Die ersten Wessis aus Ostdeutschland

Jana Hensels jüngst erschienenes Buch über die "Zonenkinder" gibt der bislang stummen Generation eine Stimme: "Wir sind die ersten Wessis aus Ostdeutschland, und an Sprache, Verhalten und Aussehen ist unsere Generation nicht mehr zu erkennen." Doch ihre Wurzeln liegen in Ostdeutschland. Dort wollen sie sich und den anderen beweisen, dass der Osten Zukunft hat. Und dass es dort nicht bloß verbohrte Gestrige, Rechtsradikale und ABM-Karrieren gibt, wie sie der Spiegel gern von Hamburg aus als Zerrbild zeichnet. Wer diesen jungen Menschen eine Stimme gibt und vor allen - jenseits von Jump-Programm und Beschäftigungsgesellschaften - Chancen verschafft, der wird die politische Meinungsführerschaft über den Osten gewinnen. Diese Generation der Ostdeutschen wird ihren Weg gehen. Und die Sozialdemokratie sollte sie dabei begleiten. Jammern war gestern, Aufbauen ist heute.

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